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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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ihm einen schweren Kampf, seinem alten Vater von seiner Sinnesänderung
Mitteilung zu machen. Erst als er mit sich im Reinen war, ging er zu
ihm, um seine Einwilligung zu erbitten. Ohne eine feste Entschließung hätte
er ihm nicht kommen dürfen. Da der alte Utcrmöhlen nun sah, daß nichts
zu machen war, machte er weiter keine langen Einwendungen, die einzigen Be¬
denken, die er zu erwägen gab, waren wirtschaftlicher Art, er wies ans das
lange und teure Studium, das von seinem Erbteil nichts übrig lassen würde,
den schweren Anfang in dem von ihm erwählten Beruf und dagegen auf die
guten Aussichten eines jungen Theologen hin. Als alles nichts half, gab er
sich zufrieden, ohne der innern Enttäuschung sonderlich Ausdruck zu geben.
Schwerer wurde es der Mutter, einer einfachen, frommen Fran, ihren Christian
sich als Arzt zu denken und die langgenährte Hoffnung, ihn dereinst im Chor¬
rock auf der Kanzel zu sehen und sich einmal von ihm die Grabrede halten zu
lassen, so plötzlich und unvermittelt aufgeben zu müssen. . .

Auf der Universität ging dem jungen Utermöhlen eine neue Welt auf.
Wenn er den Beruf eines Arztes, wie so viele junge Leute, erwählt hatte aus
mehr äußern Gründen, so wurde er jetzt ein leidenschaftlicher Mediziner. Auf
der Schule waren ihm die Naturwissenschaften nicht gerade nahe gebracht
worden. Nun stand er mit einem Schlage auf der Höhe der modernen Wissen¬
schaft. Die Sicherheit, mit der da Thatsachen mitgeteilt wurden, von denen
er sich nichts hatte träumen lassen, machte auf sein empfängliches Gemüt einen
gewaltigen Eindruck. Erst jetzt sah er eigentlich ein, daß er gar nicht hatte
Theologe werden können. Kräftig, wie er war, erfaßte er die neue Anschauung
der Dinge mit festen Fäusten, und die Arbeit im Präparirsaal wollte ihn köst¬
licher bedünken als die Auslegung der witzigste" Stelle im Horaz und die
Deutung des tiefsinnigsten Satzes im Plato. Der neue Eindruck war so stark,
daß er gar keine Beunruhigung aufkommen ließ. Wie sehr auch seine bis¬
herige Weltanschauung erschüttert wurde, die Freude über die rasch gewonnene
Einsicht in völlig neue Zusammenhänge hob ihn so, daß ihm Mißbehagen
und Zweifel, die ihn auf der Schule so oft beschlichen hatten, nichts anhaben
konnten.

Auch das Studentenleben zog ihn an. Er hatte eine der kleinern süd¬
deutschen Universitäten bezogen. Die Wichtigkeit, die ihm von seiner Wirtin,
deren Töchtern, dem Speisewirt und allen denen beigelegt wurde, die in der
Stadt von der Universität ihre Nahrung hatten, schmeichelte doch much seinem
Wirklichkeitssin". Von seinen Schulfreunden war keiner in dieselbe Stadt ge¬
kommen. So hatte er freundschaftliche Beziehungen, wie er glaubte, ganz nach
eigner Wahl angeknüpft, ohne zu ahnen, daß seine stattliche Erscheinung ihn
mancher Verbindung begehrenswert erscheinen ließ, und daß mannichfache Ver¬
suche gemacht wurden, ihn zu gewinnen. So wurde er Mitglied einer Ver¬
bindung, in deren Kreis ihn scheinbar ganz harmlose Anknüpfungen gezogen


ihm einen schweren Kampf, seinem alten Vater von seiner Sinnesänderung
Mitteilung zu machen. Erst als er mit sich im Reinen war, ging er zu
ihm, um seine Einwilligung zu erbitten. Ohne eine feste Entschließung hätte
er ihm nicht kommen dürfen. Da der alte Utcrmöhlen nun sah, daß nichts
zu machen war, machte er weiter keine langen Einwendungen, die einzigen Be¬
denken, die er zu erwägen gab, waren wirtschaftlicher Art, er wies ans das
lange und teure Studium, das von seinem Erbteil nichts übrig lassen würde,
den schweren Anfang in dem von ihm erwählten Beruf und dagegen auf die
guten Aussichten eines jungen Theologen hin. Als alles nichts half, gab er
sich zufrieden, ohne der innern Enttäuschung sonderlich Ausdruck zu geben.
Schwerer wurde es der Mutter, einer einfachen, frommen Fran, ihren Christian
sich als Arzt zu denken und die langgenährte Hoffnung, ihn dereinst im Chor¬
rock auf der Kanzel zu sehen und sich einmal von ihm die Grabrede halten zu
lassen, so plötzlich und unvermittelt aufgeben zu müssen. . .

Auf der Universität ging dem jungen Utermöhlen eine neue Welt auf.
Wenn er den Beruf eines Arztes, wie so viele junge Leute, erwählt hatte aus
mehr äußern Gründen, so wurde er jetzt ein leidenschaftlicher Mediziner. Auf
der Schule waren ihm die Naturwissenschaften nicht gerade nahe gebracht
worden. Nun stand er mit einem Schlage auf der Höhe der modernen Wissen¬
schaft. Die Sicherheit, mit der da Thatsachen mitgeteilt wurden, von denen
er sich nichts hatte träumen lassen, machte auf sein empfängliches Gemüt einen
gewaltigen Eindruck. Erst jetzt sah er eigentlich ein, daß er gar nicht hatte
Theologe werden können. Kräftig, wie er war, erfaßte er die neue Anschauung
der Dinge mit festen Fäusten, und die Arbeit im Präparirsaal wollte ihn köst¬
licher bedünken als die Auslegung der witzigste» Stelle im Horaz und die
Deutung des tiefsinnigsten Satzes im Plato. Der neue Eindruck war so stark,
daß er gar keine Beunruhigung aufkommen ließ. Wie sehr auch seine bis¬
herige Weltanschauung erschüttert wurde, die Freude über die rasch gewonnene
Einsicht in völlig neue Zusammenhänge hob ihn so, daß ihm Mißbehagen
und Zweifel, die ihn auf der Schule so oft beschlichen hatten, nichts anhaben
konnten.

Auch das Studentenleben zog ihn an. Er hatte eine der kleinern süd¬
deutschen Universitäten bezogen. Die Wichtigkeit, die ihm von seiner Wirtin,
deren Töchtern, dem Speisewirt und allen denen beigelegt wurde, die in der
Stadt von der Universität ihre Nahrung hatten, schmeichelte doch much seinem
Wirklichkeitssin». Von seinen Schulfreunden war keiner in dieselbe Stadt ge¬
kommen. So hatte er freundschaftliche Beziehungen, wie er glaubte, ganz nach
eigner Wahl angeknüpft, ohne zu ahnen, daß seine stattliche Erscheinung ihn
mancher Verbindung begehrenswert erscheinen ließ, und daß mannichfache Ver¬
suche gemacht wurden, ihn zu gewinnen. So wurde er Mitglied einer Ver¬
bindung, in deren Kreis ihn scheinbar ganz harmlose Anknüpfungen gezogen


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[0436] ihm einen schweren Kampf, seinem alten Vater von seiner Sinnesänderung Mitteilung zu machen. Erst als er mit sich im Reinen war, ging er zu ihm, um seine Einwilligung zu erbitten. Ohne eine feste Entschließung hätte er ihm nicht kommen dürfen. Da der alte Utcrmöhlen nun sah, daß nichts zu machen war, machte er weiter keine langen Einwendungen, die einzigen Be¬ denken, die er zu erwägen gab, waren wirtschaftlicher Art, er wies ans das lange und teure Studium, das von seinem Erbteil nichts übrig lassen würde, den schweren Anfang in dem von ihm erwählten Beruf und dagegen auf die guten Aussichten eines jungen Theologen hin. Als alles nichts half, gab er sich zufrieden, ohne der innern Enttäuschung sonderlich Ausdruck zu geben. Schwerer wurde es der Mutter, einer einfachen, frommen Fran, ihren Christian sich als Arzt zu denken und die langgenährte Hoffnung, ihn dereinst im Chor¬ rock auf der Kanzel zu sehen und sich einmal von ihm die Grabrede halten zu lassen, so plötzlich und unvermittelt aufgeben zu müssen. . . Auf der Universität ging dem jungen Utermöhlen eine neue Welt auf. Wenn er den Beruf eines Arztes, wie so viele junge Leute, erwählt hatte aus mehr äußern Gründen, so wurde er jetzt ein leidenschaftlicher Mediziner. Auf der Schule waren ihm die Naturwissenschaften nicht gerade nahe gebracht worden. Nun stand er mit einem Schlage auf der Höhe der modernen Wissen¬ schaft. Die Sicherheit, mit der da Thatsachen mitgeteilt wurden, von denen er sich nichts hatte träumen lassen, machte auf sein empfängliches Gemüt einen gewaltigen Eindruck. Erst jetzt sah er eigentlich ein, daß er gar nicht hatte Theologe werden können. Kräftig, wie er war, erfaßte er die neue Anschauung der Dinge mit festen Fäusten, und die Arbeit im Präparirsaal wollte ihn köst¬ licher bedünken als die Auslegung der witzigste» Stelle im Horaz und die Deutung des tiefsinnigsten Satzes im Plato. Der neue Eindruck war so stark, daß er gar keine Beunruhigung aufkommen ließ. Wie sehr auch seine bis¬ herige Weltanschauung erschüttert wurde, die Freude über die rasch gewonnene Einsicht in völlig neue Zusammenhänge hob ihn so, daß ihm Mißbehagen und Zweifel, die ihn auf der Schule so oft beschlichen hatten, nichts anhaben konnten. Auch das Studentenleben zog ihn an. Er hatte eine der kleinern süd¬ deutschen Universitäten bezogen. Die Wichtigkeit, die ihm von seiner Wirtin, deren Töchtern, dem Speisewirt und allen denen beigelegt wurde, die in der Stadt von der Universität ihre Nahrung hatten, schmeichelte doch much seinem Wirklichkeitssin». Von seinen Schulfreunden war keiner in dieselbe Stadt ge¬ kommen. So hatte er freundschaftliche Beziehungen, wie er glaubte, ganz nach eigner Wahl angeknüpft, ohne zu ahnen, daß seine stattliche Erscheinung ihn mancher Verbindung begehrenswert erscheinen ließ, und daß mannichfache Ver¬ suche gemacht wurden, ihn zu gewinnen. So wurde er Mitglied einer Ver¬ bindung, in deren Kreis ihn scheinbar ganz harmlose Anknüpfungen gezogen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/436>, abgerufen am 28.05.2024.