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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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nisse waren, so sehr auch die Pastoren dagegen eiferten, gern benutzte Gelegen¬
heiten, zu zeigen, was der Hof vermochte, häufig nicht ohne Beimischung
protziger Quantitäteueitelkeit, Der alte Utermöhlen war ein tüchtiger Ver¬
treter dieses Menschenschlags. Mit seinem rechtschaffnen Gottvertrauen, seinem
unbeugsamen Sinn für Recht und Ordnung, seinem Mißtrauen gegen alles
Fremde und Neue, seiner abwartenden Schweigsamkeit war er ein Mann, an
den sich dreistes Wesen nicht so leicht heranwagte. Sein Hof gehörte nicht
gerade zu den größten der Gegend, doch konnte er die Last tragen, daß der
zweite Sohn "auf das Studium gethan" wurde. Es verstand sich von selbst,
daß der älteste später den Hof übernahm, und daß die Tochter mit einer an¬
gemessenen Ausstattung in einen gleichwertigen Hos hineinheiratete.

Da wäre es um in der Ordnung gewesen, wenn Christian, eben der
zweite Sohn, Pastor geworden wäre, zumal da in der Gegend eine gewisse
kirchliche Richtung vorherrschte, die dem geistlichen Stande eine Geltung ein¬
räumte, die ihm sonst nicht mehr gewährt wird. Christian mußte es auch als
Knabe nicht anders, als daß er einst ein frommer Pastor werden würde.
Aber das änderte sich nach den ersten Gymnasialjahren. Als er zuerst in die
städtische Schule kam, erregte er, obgleich unter den Schülern viele ländliche
Abgeordnete waren, wegen seiner frischen Stümmigkeit, ungewohnten Ausdrucks¬
weise und mehr auf Dauerhaftigkeit als guten Sitz und Geschmack berech¬
neten Kleidung einiges Aufsehen. Aber er überwand diese Anfechtungen leichter
als das Heimweh. Es gab mich unter den Lehrern welche, die mit dieser nu-
verfülschten Natur zunächst nichts anzufangen wußten, und deuen das unfüg-
snme Gebühren des jungen Heidekönigs, wie man ihn bald nannte, wie Trotz
und Auflehnung vorkam. Doch schließlich erkannten sie sein tüchtiges Wesen,
wenn auch bei dem einen oder andern seiner Lehrer ein Rest von Abneigung
zurückblieb. Erklärlich genug. Denn er blieb, so lauge er auf der Schule
war, ein lebendiger Protest gegen jede Art von Liebedienerei, Anpassung und
Konnivenz. Zum Diplomaten war er nicht geboren. Deu starken Druck, deu
der Vater durch seine ganze Art,aus ihn ausübte, ertrug er mit Leichtigkeit,
wie etwas selbstverständliches, das gar nicht anders sein konnte. Aber bei
den mannichfachen Gelegenheiten, wie sie das Schullebeu mit sich bringt, wo
Kameradschaftlichkeit, Respekt, Wahrheitsliebe, Gerechtigkeitssinn und Neigung
in Streit gerieten, zeigte es sich immer, daß er es weder den Lehrern noch
den Mitschülern recht machen konnte. Er hatte daher nnr wenig Freunde,
aber die ihm zugethan waren, waren es mit ganzer Seele. Es stellte sich
nun auch immer mehr heraus, daß er bei seinem Unabhängigkeitssinn nicht
Pastor werden konnte, obwohl ihn seine Charaktereigenschaften in hohem Grade
dazu befähigt hätten. Für ihn war es eine Unmöglichkeit, als er zur Uni¬
versität ging. Besonders weil er glaubte, als Arzt später die unabhängigste
Stellung zu habe", entschloß er sich zum Studium der Medizin. Es kostete


Grenzbow" I 1895 54

nisse waren, so sehr auch die Pastoren dagegen eiferten, gern benutzte Gelegen¬
heiten, zu zeigen, was der Hof vermochte, häufig nicht ohne Beimischung
protziger Quantitäteueitelkeit, Der alte Utermöhlen war ein tüchtiger Ver¬
treter dieses Menschenschlags. Mit seinem rechtschaffnen Gottvertrauen, seinem
unbeugsamen Sinn für Recht und Ordnung, seinem Mißtrauen gegen alles
Fremde und Neue, seiner abwartenden Schweigsamkeit war er ein Mann, an
den sich dreistes Wesen nicht so leicht heranwagte. Sein Hof gehörte nicht
gerade zu den größten der Gegend, doch konnte er die Last tragen, daß der
zweite Sohn „auf das Studium gethan" wurde. Es verstand sich von selbst,
daß der älteste später den Hof übernahm, und daß die Tochter mit einer an¬
gemessenen Ausstattung in einen gleichwertigen Hos hineinheiratete.

Da wäre es um in der Ordnung gewesen, wenn Christian, eben der
zweite Sohn, Pastor geworden wäre, zumal da in der Gegend eine gewisse
kirchliche Richtung vorherrschte, die dem geistlichen Stande eine Geltung ein¬
räumte, die ihm sonst nicht mehr gewährt wird. Christian mußte es auch als
Knabe nicht anders, als daß er einst ein frommer Pastor werden würde.
Aber das änderte sich nach den ersten Gymnasialjahren. Als er zuerst in die
städtische Schule kam, erregte er, obgleich unter den Schülern viele ländliche
Abgeordnete waren, wegen seiner frischen Stümmigkeit, ungewohnten Ausdrucks¬
weise und mehr auf Dauerhaftigkeit als guten Sitz und Geschmack berech¬
neten Kleidung einiges Aufsehen. Aber er überwand diese Anfechtungen leichter
als das Heimweh. Es gab mich unter den Lehrern welche, die mit dieser nu-
verfülschten Natur zunächst nichts anzufangen wußten, und deuen das unfüg-
snme Gebühren des jungen Heidekönigs, wie man ihn bald nannte, wie Trotz
und Auflehnung vorkam. Doch schließlich erkannten sie sein tüchtiges Wesen,
wenn auch bei dem einen oder andern seiner Lehrer ein Rest von Abneigung
zurückblieb. Erklärlich genug. Denn er blieb, so lauge er auf der Schule
war, ein lebendiger Protest gegen jede Art von Liebedienerei, Anpassung und
Konnivenz. Zum Diplomaten war er nicht geboren. Deu starken Druck, deu
der Vater durch seine ganze Art,aus ihn ausübte, ertrug er mit Leichtigkeit,
wie etwas selbstverständliches, das gar nicht anders sein konnte. Aber bei
den mannichfachen Gelegenheiten, wie sie das Schullebeu mit sich bringt, wo
Kameradschaftlichkeit, Respekt, Wahrheitsliebe, Gerechtigkeitssinn und Neigung
in Streit gerieten, zeigte es sich immer, daß er es weder den Lehrern noch
den Mitschülern recht machen konnte. Er hatte daher nnr wenig Freunde,
aber die ihm zugethan waren, waren es mit ganzer Seele. Es stellte sich
nun auch immer mehr heraus, daß er bei seinem Unabhängigkeitssinn nicht
Pastor werden konnte, obwohl ihn seine Charaktereigenschaften in hohem Grade
dazu befähigt hätten. Für ihn war es eine Unmöglichkeit, als er zur Uni¬
versität ging. Besonders weil er glaubte, als Arzt später die unabhängigste
Stellung zu habe», entschloß er sich zum Studium der Medizin. Es kostete


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[0435] nisse waren, so sehr auch die Pastoren dagegen eiferten, gern benutzte Gelegen¬ heiten, zu zeigen, was der Hof vermochte, häufig nicht ohne Beimischung protziger Quantitäteueitelkeit, Der alte Utermöhlen war ein tüchtiger Ver¬ treter dieses Menschenschlags. Mit seinem rechtschaffnen Gottvertrauen, seinem unbeugsamen Sinn für Recht und Ordnung, seinem Mißtrauen gegen alles Fremde und Neue, seiner abwartenden Schweigsamkeit war er ein Mann, an den sich dreistes Wesen nicht so leicht heranwagte. Sein Hof gehörte nicht gerade zu den größten der Gegend, doch konnte er die Last tragen, daß der zweite Sohn „auf das Studium gethan" wurde. Es verstand sich von selbst, daß der älteste später den Hof übernahm, und daß die Tochter mit einer an¬ gemessenen Ausstattung in einen gleichwertigen Hos hineinheiratete. Da wäre es um in der Ordnung gewesen, wenn Christian, eben der zweite Sohn, Pastor geworden wäre, zumal da in der Gegend eine gewisse kirchliche Richtung vorherrschte, die dem geistlichen Stande eine Geltung ein¬ räumte, die ihm sonst nicht mehr gewährt wird. Christian mußte es auch als Knabe nicht anders, als daß er einst ein frommer Pastor werden würde. Aber das änderte sich nach den ersten Gymnasialjahren. Als er zuerst in die städtische Schule kam, erregte er, obgleich unter den Schülern viele ländliche Abgeordnete waren, wegen seiner frischen Stümmigkeit, ungewohnten Ausdrucks¬ weise und mehr auf Dauerhaftigkeit als guten Sitz und Geschmack berech¬ neten Kleidung einiges Aufsehen. Aber er überwand diese Anfechtungen leichter als das Heimweh. Es gab mich unter den Lehrern welche, die mit dieser nu- verfülschten Natur zunächst nichts anzufangen wußten, und deuen das unfüg- snme Gebühren des jungen Heidekönigs, wie man ihn bald nannte, wie Trotz und Auflehnung vorkam. Doch schließlich erkannten sie sein tüchtiges Wesen, wenn auch bei dem einen oder andern seiner Lehrer ein Rest von Abneigung zurückblieb. Erklärlich genug. Denn er blieb, so lauge er auf der Schule war, ein lebendiger Protest gegen jede Art von Liebedienerei, Anpassung und Konnivenz. Zum Diplomaten war er nicht geboren. Deu starken Druck, deu der Vater durch seine ganze Art,aus ihn ausübte, ertrug er mit Leichtigkeit, wie etwas selbstverständliches, das gar nicht anders sein konnte. Aber bei den mannichfachen Gelegenheiten, wie sie das Schullebeu mit sich bringt, wo Kameradschaftlichkeit, Respekt, Wahrheitsliebe, Gerechtigkeitssinn und Neigung in Streit gerieten, zeigte es sich immer, daß er es weder den Lehrern noch den Mitschülern recht machen konnte. Er hatte daher nnr wenig Freunde, aber die ihm zugethan waren, waren es mit ganzer Seele. Es stellte sich nun auch immer mehr heraus, daß er bei seinem Unabhängigkeitssinn nicht Pastor werden konnte, obwohl ihn seine Charaktereigenschaften in hohem Grade dazu befähigt hätten. Für ihn war es eine Unmöglichkeit, als er zur Uni¬ versität ging. Besonders weil er glaubte, als Arzt später die unabhängigste Stellung zu habe», entschloß er sich zum Studium der Medizin. Es kostete Grenzbow» I 1895 54

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/435>, abgerufen am 13.05.2024.