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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Französische Marinelitteratur

Lagen gerät, wo sie ihre Waffe" nicht mit Erfolg gebrauchen kann? Es ist
merkwürdig, wie dieser Trugschluß von der Nutzlosigkeit der Panzerflotte diese
sonst so klar denkenden Männer beherrscht. Sie verstehen es übrigens, ihre
Lehre so schön zu entwickeln, daß man beim ersten Lesen des Werks zweifel¬
haft werden kann, ob die Panzerriesen vielleicht doch schon zum alten Eisen
gehören. Nein, man kann zur Verteidigung der eignen Küste gegen die Hochsee¬
panzerschiffe des Feindes wie zum Augriff auf die feindliche Küste solche Schiffe
nicht entbehren, die bei jedem Wetter seetüchtig und kampffähig sind. Um
ihren Zweck zu erfüllen, müssen diese Schiffe die stärksten Trutz- und Schutz¬
waffen tragen können, müssen also sehr groß sein. Solange aber der Feind
mächtige Schlachtschiffe baut, solange muß sie die eigne Flotte auch haben.
Warum legt denn die französische Admiralität nach wie vor Panzerschiffe auf
Stapel? Ein Nachtangriff ließe sich freilich mit andern Mitteln abwehren,
aber weder ein Tagangriff würde zurückgeschlagen, noch die Vlockirung der
eignen Küste, die den ganzen Seeverkehr tötet, würde ohne Panzerschiffe ver¬
hindert werden können. Es mag wohl sein, daß man mit der eignen Panzer¬
flotte dnrch Beschießungen der feindlichen Häfen mehr erreichen kann als dnrch
eine Schlacht mit der feindlichen Flotte; aber man wird gewiß oft zu einer
Schlacht gezwungen sein, um nicht die eignen Häfen oder wichtige Küstenteile
dem Feinde preisgeben zu müssen.

In mehreren sehr lehrreichen Abschnitten werden die Grundsätze der See¬
strategie zu den Zeiten Tourville's (am Ende des siebzehnten Jahrhunderts)
mit denen unsrer Zeit verglichen. Früher war der Flottenkampf das Ziel
des Kriegs, in einzelnen Fällen anch Truppenlandungen an feindlichen Küsten;
heute muß man schon in der ersten Stunde nach der Kriegserklärung ans die
Beschießung der Hafenstädte und Schiffswerften, auf Handstreiche gegen die
Torpedostationen, gegen die Leuchttürme, Telegraphenlinieu, Signalstationcn
und Küstenbahnen gefaßt sein. Früher wurden die Handelsschiffe in großen
Geschwadern gesammelt und von Kriegsschiffen begleitet; hente beginnen die
feindlichen Kreuzer sofort die Jagd auf die alleinfahrendcn, zunächst noch uu-
gewarnten Handelsschiffe. Von zwanzig frühern strategischen Grundsätzen
haben nnr drei noch heute Geltung, darunter besonders der, daß nach einer
Seeschlacht beide Flotten zur Ausbesserung der Schäden in ihre Häfen zurück¬
kehren müssen. Wie früher, so bleibt es anch heute eine der schwierigsten
Aufgaben, den Feind ans See aufzusuchen, sei es um seine Bewegungen zu
verfolgen, sei es um ihn zu bekämpfen; hierzu sind schnelle und doch gut be¬
waffnete Kreuzer nötig, die mit den feindlichen Vorposten, ebensolchen Kreuzern,
Einzelkampfe bestehen können. Daß die Verfasser dabei nichts vom Geschwader-
kampf wissen wollen, ist schon bemerkt worden. Um so wichtiger erscheint
ihnen der Kreuzerkrieg, der leicht auszuführen ist, weil die Kurse und Fahr¬
zeiten, die Geschwindigkeiten, ja sogar die Frachten der Handelsdampfer schon


Französische Marinelitteratur

Lagen gerät, wo sie ihre Waffe» nicht mit Erfolg gebrauchen kann? Es ist
merkwürdig, wie dieser Trugschluß von der Nutzlosigkeit der Panzerflotte diese
sonst so klar denkenden Männer beherrscht. Sie verstehen es übrigens, ihre
Lehre so schön zu entwickeln, daß man beim ersten Lesen des Werks zweifel¬
haft werden kann, ob die Panzerriesen vielleicht doch schon zum alten Eisen
gehören. Nein, man kann zur Verteidigung der eignen Küste gegen die Hochsee¬
panzerschiffe des Feindes wie zum Augriff auf die feindliche Küste solche Schiffe
nicht entbehren, die bei jedem Wetter seetüchtig und kampffähig sind. Um
ihren Zweck zu erfüllen, müssen diese Schiffe die stärksten Trutz- und Schutz¬
waffen tragen können, müssen also sehr groß sein. Solange aber der Feind
mächtige Schlachtschiffe baut, solange muß sie die eigne Flotte auch haben.
Warum legt denn die französische Admiralität nach wie vor Panzerschiffe auf
Stapel? Ein Nachtangriff ließe sich freilich mit andern Mitteln abwehren,
aber weder ein Tagangriff würde zurückgeschlagen, noch die Vlockirung der
eignen Küste, die den ganzen Seeverkehr tötet, würde ohne Panzerschiffe ver¬
hindert werden können. Es mag wohl sein, daß man mit der eignen Panzer¬
flotte dnrch Beschießungen der feindlichen Häfen mehr erreichen kann als dnrch
eine Schlacht mit der feindlichen Flotte; aber man wird gewiß oft zu einer
Schlacht gezwungen sein, um nicht die eignen Häfen oder wichtige Küstenteile
dem Feinde preisgeben zu müssen.

In mehreren sehr lehrreichen Abschnitten werden die Grundsätze der See¬
strategie zu den Zeiten Tourville's (am Ende des siebzehnten Jahrhunderts)
mit denen unsrer Zeit verglichen. Früher war der Flottenkampf das Ziel
des Kriegs, in einzelnen Fällen anch Truppenlandungen an feindlichen Küsten;
heute muß man schon in der ersten Stunde nach der Kriegserklärung ans die
Beschießung der Hafenstädte und Schiffswerften, auf Handstreiche gegen die
Torpedostationen, gegen die Leuchttürme, Telegraphenlinieu, Signalstationcn
und Küstenbahnen gefaßt sein. Früher wurden die Handelsschiffe in großen
Geschwadern gesammelt und von Kriegsschiffen begleitet; hente beginnen die
feindlichen Kreuzer sofort die Jagd auf die alleinfahrendcn, zunächst noch uu-
gewarnten Handelsschiffe. Von zwanzig frühern strategischen Grundsätzen
haben nnr drei noch heute Geltung, darunter besonders der, daß nach einer
Seeschlacht beide Flotten zur Ausbesserung der Schäden in ihre Häfen zurück¬
kehren müssen. Wie früher, so bleibt es anch heute eine der schwierigsten
Aufgaben, den Feind ans See aufzusuchen, sei es um seine Bewegungen zu
verfolgen, sei es um ihn zu bekämpfen; hierzu sind schnelle und doch gut be¬
waffnete Kreuzer nötig, die mit den feindlichen Vorposten, ebensolchen Kreuzern,
Einzelkampfe bestehen können. Daß die Verfasser dabei nichts vom Geschwader-
kampf wissen wollen, ist schon bemerkt worden. Um so wichtiger erscheint
ihnen der Kreuzerkrieg, der leicht auszuführen ist, weil die Kurse und Fahr¬
zeiten, die Geschwindigkeiten, ja sogar die Frachten der Handelsdampfer schon


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[0454] Französische Marinelitteratur Lagen gerät, wo sie ihre Waffe» nicht mit Erfolg gebrauchen kann? Es ist merkwürdig, wie dieser Trugschluß von der Nutzlosigkeit der Panzerflotte diese sonst so klar denkenden Männer beherrscht. Sie verstehen es übrigens, ihre Lehre so schön zu entwickeln, daß man beim ersten Lesen des Werks zweifel¬ haft werden kann, ob die Panzerriesen vielleicht doch schon zum alten Eisen gehören. Nein, man kann zur Verteidigung der eignen Küste gegen die Hochsee¬ panzerschiffe des Feindes wie zum Augriff auf die feindliche Küste solche Schiffe nicht entbehren, die bei jedem Wetter seetüchtig und kampffähig sind. Um ihren Zweck zu erfüllen, müssen diese Schiffe die stärksten Trutz- und Schutz¬ waffen tragen können, müssen also sehr groß sein. Solange aber der Feind mächtige Schlachtschiffe baut, solange muß sie die eigne Flotte auch haben. Warum legt denn die französische Admiralität nach wie vor Panzerschiffe auf Stapel? Ein Nachtangriff ließe sich freilich mit andern Mitteln abwehren, aber weder ein Tagangriff würde zurückgeschlagen, noch die Vlockirung der eignen Küste, die den ganzen Seeverkehr tötet, würde ohne Panzerschiffe ver¬ hindert werden können. Es mag wohl sein, daß man mit der eignen Panzer¬ flotte dnrch Beschießungen der feindlichen Häfen mehr erreichen kann als dnrch eine Schlacht mit der feindlichen Flotte; aber man wird gewiß oft zu einer Schlacht gezwungen sein, um nicht die eignen Häfen oder wichtige Küstenteile dem Feinde preisgeben zu müssen. In mehreren sehr lehrreichen Abschnitten werden die Grundsätze der See¬ strategie zu den Zeiten Tourville's (am Ende des siebzehnten Jahrhunderts) mit denen unsrer Zeit verglichen. Früher war der Flottenkampf das Ziel des Kriegs, in einzelnen Fällen anch Truppenlandungen an feindlichen Küsten; heute muß man schon in der ersten Stunde nach der Kriegserklärung ans die Beschießung der Hafenstädte und Schiffswerften, auf Handstreiche gegen die Torpedostationen, gegen die Leuchttürme, Telegraphenlinieu, Signalstationcn und Küstenbahnen gefaßt sein. Früher wurden die Handelsschiffe in großen Geschwadern gesammelt und von Kriegsschiffen begleitet; hente beginnen die feindlichen Kreuzer sofort die Jagd auf die alleinfahrendcn, zunächst noch uu- gewarnten Handelsschiffe. Von zwanzig frühern strategischen Grundsätzen haben nnr drei noch heute Geltung, darunter besonders der, daß nach einer Seeschlacht beide Flotten zur Ausbesserung der Schäden in ihre Häfen zurück¬ kehren müssen. Wie früher, so bleibt es anch heute eine der schwierigsten Aufgaben, den Feind ans See aufzusuchen, sei es um seine Bewegungen zu verfolgen, sei es um ihn zu bekämpfen; hierzu sind schnelle und doch gut be¬ waffnete Kreuzer nötig, die mit den feindlichen Vorposten, ebensolchen Kreuzern, Einzelkampfe bestehen können. Daß die Verfasser dabei nichts vom Geschwader- kampf wissen wollen, ist schon bemerkt worden. Um so wichtiger erscheint ihnen der Kreuzerkrieg, der leicht auszuführen ist, weil die Kurse und Fahr¬ zeiten, die Geschwindigkeiten, ja sogar die Frachten der Handelsdampfer schon

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/454>, abgerufen am 17.06.2024.