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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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bieten; 1863 zog England den Nutzen daraus, daß der Kaperkrieg den See¬
handel Nordamerikas zerstörte. Es ist also an der Zeit, daß die Politik die
Beschäftigung mit abstrakten Fragen des Völkerrechts u. s. w. nufgiebt; sie
kann nichts besseres thun, als die Machtmittel des feindlichen Volkes zu
studiren und die Wege aufzusuchen, wie zum eignen Nutzen der Feind unter¬
worfen oder doch geschwächt werden kann. Die beste Kriegführung gegen
England besteht darin, die Handelsschiffe zu vernichten, die den Engländern
Fleisch und Brot, Baumwolle und Wolle bringen. In einem Kriege mit
Italien kann Frankreich den größten Erfolg mit der Zerstörung der italienischen
Seestädte erringen. Auch bei einem Kriege gegen Deutschland bleibt der Kaper¬
krieg die wichtigste Aufgabe der französischen Flotte. Man berechne nur den
Nutzen, den die Wegnahme von zwanzig großen hamburgischen und bremischen
Handelsdampfern bringt, von denen jeder mit Ladung etwa fünf Millionen Mark
Wert hat; er ist für die Franzosen viel größer, als wenn sie in hartem Kampfe
zehn deutsche Kriegsschiffe vernichteten. Folglich ist der Kreuzerkrieg nicht un¬
gerechter als jede andre Art der Kriegführung.

In allen diesen Dingen muß man den Franzosen Recht geben. Anders
steht es mit dem von ihnen ausgestellten Grundsatze: der Kampf mit Panzer¬
flotten sei ein Hirngespinst. Für den Schutz der zahlreichen, unmittelbar an
der Küste liegenden französischen Häfen glauben die Anhänger der neuen Schule
die großen Panzerschiffe schon bei dem jetzigen Stande der Seekriegstechnik
entbehren zu können; nur mit vielen kleinen und schnellen Kanonenbooten und
Hochscetorpedobooten wollen sie die Küste verteidigen. Das würde ja vielleicht
gehen, wenn sie keine Angriffe bei Tage zu befürchten brauchten; aber dann,
und besonders wenn zum Tageslichte noch etwas bewegte See hinzukommt,
sind die kleinen Mücken machtlos gegen die schweren Schlachtschiffe und auch
gegen die vortrefflichen Panzerkreuzer, die außer Deutschland alle Kriegsflotten
bis hinab zu denen dritten Ranges schon haben. Die Mücken sind machtlos,
weil eine frische Briefe für sie schon Sturm bedeutet, und weil ihre Haupt¬
waffe, der Torpedo, erst aus kurzer Entfernung wirkt, während die großen
Schiffe bei Tage ihre Schnellfenergeschütze auch bei bewegter See schon gegen
weit entfernte Ziele mit gutem Erfolge gebrauchen können. Außerdem aber
stellen es die Verfasser denn doch gar zu leicht dar, das feindliche Pauzcr-
geschwader bei Nacht anzugreifen und zu vernichten. Sie rechnen überhaupt
nicht mit der größern Wahrscheinlichkeit, daß die kleinen Angreifer die feind¬
liche Panzerflotte bei Nacht nicht finden und dann selbst bei Tage in ihren
Schlupfwinkeln durch Artilleriefeuer zerstört werden können. Sie verlangen,
die Panzerschiffe aufzugeben, weil diese stets noch durch andre Schiffe, Kreuzer
und Torpedoboote, geschützt werden müssen. Aber ist es denn beim ^"eere
anders? Führt da die schwere oder auch die leichte Artillerie den Krieg allein?
Wird sie nicht auch von der Reiterei und vom Fußvolk gedeckt, wenn sie in


Französische lllarmelitteratnr

bieten; 1863 zog England den Nutzen daraus, daß der Kaperkrieg den See¬
handel Nordamerikas zerstörte. Es ist also an der Zeit, daß die Politik die
Beschäftigung mit abstrakten Fragen des Völkerrechts u. s. w. nufgiebt; sie
kann nichts besseres thun, als die Machtmittel des feindlichen Volkes zu
studiren und die Wege aufzusuchen, wie zum eignen Nutzen der Feind unter¬
worfen oder doch geschwächt werden kann. Die beste Kriegführung gegen
England besteht darin, die Handelsschiffe zu vernichten, die den Engländern
Fleisch und Brot, Baumwolle und Wolle bringen. In einem Kriege mit
Italien kann Frankreich den größten Erfolg mit der Zerstörung der italienischen
Seestädte erringen. Auch bei einem Kriege gegen Deutschland bleibt der Kaper¬
krieg die wichtigste Aufgabe der französischen Flotte. Man berechne nur den
Nutzen, den die Wegnahme von zwanzig großen hamburgischen und bremischen
Handelsdampfern bringt, von denen jeder mit Ladung etwa fünf Millionen Mark
Wert hat; er ist für die Franzosen viel größer, als wenn sie in hartem Kampfe
zehn deutsche Kriegsschiffe vernichteten. Folglich ist der Kreuzerkrieg nicht un¬
gerechter als jede andre Art der Kriegführung.

In allen diesen Dingen muß man den Franzosen Recht geben. Anders
steht es mit dem von ihnen ausgestellten Grundsatze: der Kampf mit Panzer¬
flotten sei ein Hirngespinst. Für den Schutz der zahlreichen, unmittelbar an
der Küste liegenden französischen Häfen glauben die Anhänger der neuen Schule
die großen Panzerschiffe schon bei dem jetzigen Stande der Seekriegstechnik
entbehren zu können; nur mit vielen kleinen und schnellen Kanonenbooten und
Hochscetorpedobooten wollen sie die Küste verteidigen. Das würde ja vielleicht
gehen, wenn sie keine Angriffe bei Tage zu befürchten brauchten; aber dann,
und besonders wenn zum Tageslichte noch etwas bewegte See hinzukommt,
sind die kleinen Mücken machtlos gegen die schweren Schlachtschiffe und auch
gegen die vortrefflichen Panzerkreuzer, die außer Deutschland alle Kriegsflotten
bis hinab zu denen dritten Ranges schon haben. Die Mücken sind machtlos,
weil eine frische Briefe für sie schon Sturm bedeutet, und weil ihre Haupt¬
waffe, der Torpedo, erst aus kurzer Entfernung wirkt, während die großen
Schiffe bei Tage ihre Schnellfenergeschütze auch bei bewegter See schon gegen
weit entfernte Ziele mit gutem Erfolge gebrauchen können. Außerdem aber
stellen es die Verfasser denn doch gar zu leicht dar, das feindliche Pauzcr-
geschwader bei Nacht anzugreifen und zu vernichten. Sie rechnen überhaupt
nicht mit der größern Wahrscheinlichkeit, daß die kleinen Angreifer die feind¬
liche Panzerflotte bei Nacht nicht finden und dann selbst bei Tage in ihren
Schlupfwinkeln durch Artilleriefeuer zerstört werden können. Sie verlangen,
die Panzerschiffe aufzugeben, weil diese stets noch durch andre Schiffe, Kreuzer
und Torpedoboote, geschützt werden müssen. Aber ist es denn beim ^»eere
anders? Führt da die schwere oder auch die leichte Artillerie den Krieg allein?
Wird sie nicht auch von der Reiterei und vom Fußvolk gedeckt, wenn sie in


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[0453] Französische lllarmelitteratnr bieten; 1863 zog England den Nutzen daraus, daß der Kaperkrieg den See¬ handel Nordamerikas zerstörte. Es ist also an der Zeit, daß die Politik die Beschäftigung mit abstrakten Fragen des Völkerrechts u. s. w. nufgiebt; sie kann nichts besseres thun, als die Machtmittel des feindlichen Volkes zu studiren und die Wege aufzusuchen, wie zum eignen Nutzen der Feind unter¬ worfen oder doch geschwächt werden kann. Die beste Kriegführung gegen England besteht darin, die Handelsschiffe zu vernichten, die den Engländern Fleisch und Brot, Baumwolle und Wolle bringen. In einem Kriege mit Italien kann Frankreich den größten Erfolg mit der Zerstörung der italienischen Seestädte erringen. Auch bei einem Kriege gegen Deutschland bleibt der Kaper¬ krieg die wichtigste Aufgabe der französischen Flotte. Man berechne nur den Nutzen, den die Wegnahme von zwanzig großen hamburgischen und bremischen Handelsdampfern bringt, von denen jeder mit Ladung etwa fünf Millionen Mark Wert hat; er ist für die Franzosen viel größer, als wenn sie in hartem Kampfe zehn deutsche Kriegsschiffe vernichteten. Folglich ist der Kreuzerkrieg nicht un¬ gerechter als jede andre Art der Kriegführung. In allen diesen Dingen muß man den Franzosen Recht geben. Anders steht es mit dem von ihnen ausgestellten Grundsatze: der Kampf mit Panzer¬ flotten sei ein Hirngespinst. Für den Schutz der zahlreichen, unmittelbar an der Küste liegenden französischen Häfen glauben die Anhänger der neuen Schule die großen Panzerschiffe schon bei dem jetzigen Stande der Seekriegstechnik entbehren zu können; nur mit vielen kleinen und schnellen Kanonenbooten und Hochscetorpedobooten wollen sie die Küste verteidigen. Das würde ja vielleicht gehen, wenn sie keine Angriffe bei Tage zu befürchten brauchten; aber dann, und besonders wenn zum Tageslichte noch etwas bewegte See hinzukommt, sind die kleinen Mücken machtlos gegen die schweren Schlachtschiffe und auch gegen die vortrefflichen Panzerkreuzer, die außer Deutschland alle Kriegsflotten bis hinab zu denen dritten Ranges schon haben. Die Mücken sind machtlos, weil eine frische Briefe für sie schon Sturm bedeutet, und weil ihre Haupt¬ waffe, der Torpedo, erst aus kurzer Entfernung wirkt, während die großen Schiffe bei Tage ihre Schnellfenergeschütze auch bei bewegter See schon gegen weit entfernte Ziele mit gutem Erfolge gebrauchen können. Außerdem aber stellen es die Verfasser denn doch gar zu leicht dar, das feindliche Pauzcr- geschwader bei Nacht anzugreifen und zu vernichten. Sie rechnen überhaupt nicht mit der größern Wahrscheinlichkeit, daß die kleinen Angreifer die feind¬ liche Panzerflotte bei Nacht nicht finden und dann selbst bei Tage in ihren Schlupfwinkeln durch Artilleriefeuer zerstört werden können. Sie verlangen, die Panzerschiffe aufzugeben, weil diese stets noch durch andre Schiffe, Kreuzer und Torpedoboote, geschützt werden müssen. Aber ist es denn beim ^»eere anders? Führt da die schwere oder auch die leichte Artillerie den Krieg allein? Wird sie nicht auch von der Reiterei und vom Fußvolk gedeckt, wenn sie in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/453>, abgerufen am 25.05.2024.