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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Stölzels juristische Lehrmethode

Fragen in mir minorem: Kommt denn das alles vor? und: Ist das alles
gut? warum ist es so? Ich habe mich sympathisch berührt gefühlt, als ich
kürzlich in den Lebenserinnerungen des verstorbnen Oberpräsidenten v. Ernst¬
hausen las, es habe ihn aus den juristischen Kollegien namentlich der Übel¬
stand hinausgetrieben, daß er dort nicht erfahren habe, ob denn das, was ihm
als Recht vorgetragen wurde, auch alles wirklich recht sei. Heute, wo es kein
Stück unsrer Rechtsordnung giebt, gegen das nicht von irgend einer Seite
Sturm gelaufen würde, sollte jeder Jurist, der die Universität verläßt, so vor¬
gebildet sein, daß er zu übersehen und darzulegen vermöchte, durch welche prak¬
tischen Bedürfnisse des Volkslebens jeder einzelne Rechtssatz bedingt ist, wie
er etwa anders sein könnte, was sür und was gegen ihn spricht. Es liegt
mir hierbei ganz fern, unsre Universitätslehrer, insofern die Art ihres Vor-
trags eine andre ist, herabsetzen und ihr Wirken als wertlos darstellen zu
wollen. Bedeutende Persönlichkeiten, Männer von hervorragendem Lehrgeschick
können auch mit einer an sich unpädagogischen Methode außerordentliches
leisten. Ich verehre einzelne meiner frühern Lehrer ganz ebenso, wie es Stölzel
mit seinem Vangerow thut. Es giebt viele Umstände, die ohne Schuld der
Universitätslehrer den Eingang der hier vertretncn Methode erschweren.

Die Denkweise in der Jurisprudenz, die sich alle Rechtseinrichtnngen auf
ihre Zwecke ansieht und aus dieser Betrachtung das, was zur Auslegung und
Bildung des Rechts nötig ist, entnimmt, ist verhältnismäßig jung. Man arbeitete
früher meist nach überkommnen Prinzipien und Begriffen, die man aus logischen
und technischen Gründen als unangreifbar hinstellen zu müssen glaubte. Für
viele Gebiete ist daher das Material noch gar nicht in der Weise zusammen¬
getragen, wie es notwendig wäre, um das Recht so, wie hier dargestellt ist,
vortragen zu können; für den Einzelnen würde das eine zu schwierige Ar¬
beit sein. Stölzel konnte sich auch die Fälle aussuchen, die er durchnehmen
wollte, und sie behandeln im allgemeinen nur einfache Fragen. Dem Uni¬
versitätslehrer ist sein Stoff vorgeschrieben; er muß auch durch dunkle Partien
des Rechts hindurch. Ferner steht einer Verbesserung der Lehrmethode die
hergebrachte Einteilung der Kollegien entgegen. Es wäre ein Unsinn, das
ganze gemeine Privatrecht in einem Semester so behandeln zu wollen. Ein Teil
des Obligationenrechts, das einfachste daraus, böte für das erste Semester hin¬
reichenden Stoff. Endlich gehört zu dieser Vortragsform auch ein Recht, das
nicht auf dem Boden des alten Rom, sondern aus modernen Lebensverhält¬
nissen herausgewachsen ist. Wir hoffen aber auch in dieser Beziehung einen
Aufschwung zum bessern von unserm zukünftigen Neichsgesetzbuch. Dieses Recht
wird sich doch nicht anders darstellen lassen, als daß man die Gedanken vor¬
führt, die in der Litteratur und bei den Gesetzbildnern mit einander ge¬
rungen haben, ehe seine einzelnen Sätze zustande kamen. Möge man dann diese
Darstellung geben an konkreten Rechtsfällen und nicht in der abstrakten Weise,


Stölzels juristische Lehrmethode

Fragen in mir minorem: Kommt denn das alles vor? und: Ist das alles
gut? warum ist es so? Ich habe mich sympathisch berührt gefühlt, als ich
kürzlich in den Lebenserinnerungen des verstorbnen Oberpräsidenten v. Ernst¬
hausen las, es habe ihn aus den juristischen Kollegien namentlich der Übel¬
stand hinausgetrieben, daß er dort nicht erfahren habe, ob denn das, was ihm
als Recht vorgetragen wurde, auch alles wirklich recht sei. Heute, wo es kein
Stück unsrer Rechtsordnung giebt, gegen das nicht von irgend einer Seite
Sturm gelaufen würde, sollte jeder Jurist, der die Universität verläßt, so vor¬
gebildet sein, daß er zu übersehen und darzulegen vermöchte, durch welche prak¬
tischen Bedürfnisse des Volkslebens jeder einzelne Rechtssatz bedingt ist, wie
er etwa anders sein könnte, was sür und was gegen ihn spricht. Es liegt
mir hierbei ganz fern, unsre Universitätslehrer, insofern die Art ihres Vor-
trags eine andre ist, herabsetzen und ihr Wirken als wertlos darstellen zu
wollen. Bedeutende Persönlichkeiten, Männer von hervorragendem Lehrgeschick
können auch mit einer an sich unpädagogischen Methode außerordentliches
leisten. Ich verehre einzelne meiner frühern Lehrer ganz ebenso, wie es Stölzel
mit seinem Vangerow thut. Es giebt viele Umstände, die ohne Schuld der
Universitätslehrer den Eingang der hier vertretncn Methode erschweren.

Die Denkweise in der Jurisprudenz, die sich alle Rechtseinrichtnngen auf
ihre Zwecke ansieht und aus dieser Betrachtung das, was zur Auslegung und
Bildung des Rechts nötig ist, entnimmt, ist verhältnismäßig jung. Man arbeitete
früher meist nach überkommnen Prinzipien und Begriffen, die man aus logischen
und technischen Gründen als unangreifbar hinstellen zu müssen glaubte. Für
viele Gebiete ist daher das Material noch gar nicht in der Weise zusammen¬
getragen, wie es notwendig wäre, um das Recht so, wie hier dargestellt ist,
vortragen zu können; für den Einzelnen würde das eine zu schwierige Ar¬
beit sein. Stölzel konnte sich auch die Fälle aussuchen, die er durchnehmen
wollte, und sie behandeln im allgemeinen nur einfache Fragen. Dem Uni¬
versitätslehrer ist sein Stoff vorgeschrieben; er muß auch durch dunkle Partien
des Rechts hindurch. Ferner steht einer Verbesserung der Lehrmethode die
hergebrachte Einteilung der Kollegien entgegen. Es wäre ein Unsinn, das
ganze gemeine Privatrecht in einem Semester so behandeln zu wollen. Ein Teil
des Obligationenrechts, das einfachste daraus, böte für das erste Semester hin¬
reichenden Stoff. Endlich gehört zu dieser Vortragsform auch ein Recht, das
nicht auf dem Boden des alten Rom, sondern aus modernen Lebensverhält¬
nissen herausgewachsen ist. Wir hoffen aber auch in dieser Beziehung einen
Aufschwung zum bessern von unserm zukünftigen Neichsgesetzbuch. Dieses Recht
wird sich doch nicht anders darstellen lassen, als daß man die Gedanken vor¬
führt, die in der Litteratur und bei den Gesetzbildnern mit einander ge¬
rungen haben, ehe seine einzelnen Sätze zustande kamen. Möge man dann diese
Darstellung geben an konkreten Rechtsfällen und nicht in der abstrakten Weise,


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[0466] Stölzels juristische Lehrmethode Fragen in mir minorem: Kommt denn das alles vor? und: Ist das alles gut? warum ist es so? Ich habe mich sympathisch berührt gefühlt, als ich kürzlich in den Lebenserinnerungen des verstorbnen Oberpräsidenten v. Ernst¬ hausen las, es habe ihn aus den juristischen Kollegien namentlich der Übel¬ stand hinausgetrieben, daß er dort nicht erfahren habe, ob denn das, was ihm als Recht vorgetragen wurde, auch alles wirklich recht sei. Heute, wo es kein Stück unsrer Rechtsordnung giebt, gegen das nicht von irgend einer Seite Sturm gelaufen würde, sollte jeder Jurist, der die Universität verläßt, so vor¬ gebildet sein, daß er zu übersehen und darzulegen vermöchte, durch welche prak¬ tischen Bedürfnisse des Volkslebens jeder einzelne Rechtssatz bedingt ist, wie er etwa anders sein könnte, was sür und was gegen ihn spricht. Es liegt mir hierbei ganz fern, unsre Universitätslehrer, insofern die Art ihres Vor- trags eine andre ist, herabsetzen und ihr Wirken als wertlos darstellen zu wollen. Bedeutende Persönlichkeiten, Männer von hervorragendem Lehrgeschick können auch mit einer an sich unpädagogischen Methode außerordentliches leisten. Ich verehre einzelne meiner frühern Lehrer ganz ebenso, wie es Stölzel mit seinem Vangerow thut. Es giebt viele Umstände, die ohne Schuld der Universitätslehrer den Eingang der hier vertretncn Methode erschweren. Die Denkweise in der Jurisprudenz, die sich alle Rechtseinrichtnngen auf ihre Zwecke ansieht und aus dieser Betrachtung das, was zur Auslegung und Bildung des Rechts nötig ist, entnimmt, ist verhältnismäßig jung. Man arbeitete früher meist nach überkommnen Prinzipien und Begriffen, die man aus logischen und technischen Gründen als unangreifbar hinstellen zu müssen glaubte. Für viele Gebiete ist daher das Material noch gar nicht in der Weise zusammen¬ getragen, wie es notwendig wäre, um das Recht so, wie hier dargestellt ist, vortragen zu können; für den Einzelnen würde das eine zu schwierige Ar¬ beit sein. Stölzel konnte sich auch die Fälle aussuchen, die er durchnehmen wollte, und sie behandeln im allgemeinen nur einfache Fragen. Dem Uni¬ versitätslehrer ist sein Stoff vorgeschrieben; er muß auch durch dunkle Partien des Rechts hindurch. Ferner steht einer Verbesserung der Lehrmethode die hergebrachte Einteilung der Kollegien entgegen. Es wäre ein Unsinn, das ganze gemeine Privatrecht in einem Semester so behandeln zu wollen. Ein Teil des Obligationenrechts, das einfachste daraus, böte für das erste Semester hin¬ reichenden Stoff. Endlich gehört zu dieser Vortragsform auch ein Recht, das nicht auf dem Boden des alten Rom, sondern aus modernen Lebensverhält¬ nissen herausgewachsen ist. Wir hoffen aber auch in dieser Beziehung einen Aufschwung zum bessern von unserm zukünftigen Neichsgesetzbuch. Dieses Recht wird sich doch nicht anders darstellen lassen, als daß man die Gedanken vor¬ führt, die in der Litteratur und bei den Gesetzbildnern mit einander ge¬ rungen haben, ehe seine einzelnen Sätze zustande kamen. Möge man dann diese Darstellung geben an konkreten Rechtsfällen und nicht in der abstrakten Weise,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/466>, abgerufen am 06.06.2024.