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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Victor AiiNL Huber

Den Handwerkern, die andern Leuten und namentlich den Gelehrten das Recht
abstreiten, über Handwerkerangelegenheiten zu urteilen, entgegnet Huber, ihre
Zünftlerei sei selber nichts als toll gewordne Professorenweisheit. Der tüch¬
tige Handwerker brauche den ganzen Kram nicht, der nur der Untüchtigkeit
Vorschub leiste. Des Pudels Kern sei die Absicht, den Untüchtigen von der
Konkurrenz der Tüchtigern zu befreien. "Eine gesetzliche Beschränkung der
Freiheit der Arbeit und überhaupt der sozialen, volkswirtschaftlichen und
Politischen Freiheit der Kleinen, der Arbeiter, zu Gunsten der Großen, der Ar¬
beitsherren -- oder eine sozialistische Tyrannei der Arbeiter über das Kapital --
diese beiden Extreme sind wenigstens vorübergehend unter Umstünden möglich,
aber eine Herstellung wirksamer Handwerkerprivilegien nimmermehr. Die Zu¬
kunft wird keinen Finanzminister finden, der unter einem solchen Programm,
wie es die Znnftreciktion vertritt, sein Portefeuille auch nur auf vierzehn
Tage übernehmen oder halten möchte." Nur das Genossenschaftswesen könne
helfen in Wechselwirkung mit innerer und äußerer Kolonisation. Im In-
lande, und soweit dieses nicht ausreicht, in den im Südosten zu erobernden
Ländern seien neue Bauerngemeinden zu gründen und in innigster Verbindung
mit diesen Handwerker- und Arbeitergemeinden, die sich dnrch Kredit-, Konsum-
und verschiedenartige Produktivgenossenschaften gegen Ausbeutung zu schützen
und gegenseitig zu stützen hätten. Das Einkommen der untern Stunde würde,
richtig verwendet, dazu heute schon ausreichen, aber für den Anfang werde
allerdings ein Betriebskapital vorgeschossen werden müssen. Dieses, sowie auch
die Leitung, wenigstens in der ersten Zeit, habe die Aristokratie zu liefern,
und dieses sei die eigentliche Aufgabe der heutigen Aristokratie. Eine nicht
schöpferische Aristokratie, eine Aristokratie, die sich der Hauptaufgabe ihrer
Zeit entzöge, würde keine Daseinsberechtigung mehr haben. Mit weit geringern
Mitteln, als heute verfügbar sind, "hat der deutsche Orden Preußen ge¬
schaffen." Das "Geleise" der Handwerker und ihrer Beschützer, der sich kon¬
servativ nennenden Junkerpartei, gegen das Kapital schilt Huber weibisch und
kindisch; das Kapital sei ganz gut, nur müsse man den Schatz aus der Ge¬
walt des Drachen Mammon befreien.

Selbstverständlich prallten Hubers soziale Mahnungen an dein Panzer
unsrer modernen "Ritter" noch wirkungsloser ab als die politischen. Für
Politik, meint er, interessire man sich allenfalls noch j heute, dreißig Jahre
später, sogar sehr!^ in jenen Kreisen, weil die keine Opfer auferlege hin Gegen¬
teilig aber mit sozialen Erörterungen, die den Herren ans Gewissen griffen
und sie an schwere Pflichten erinnerten, dürfe man ihnen nicht kommen. Ihre
ganze Sozialpolitik beschränke sich auf "das Spiel mit dem Totengerippe des
alten Zunftwesens." Möge nun Gleichgiltigkeit oder verkehrte Auffassung und
Behandlung schuld sein joder Selbstsucht?^, "für die Rechte oder doch für die
Kreuzzeitung ist die soziale Frage in den beiden staatswirtschaftlichen Lehren


Victor AiiNL Huber

Den Handwerkern, die andern Leuten und namentlich den Gelehrten das Recht
abstreiten, über Handwerkerangelegenheiten zu urteilen, entgegnet Huber, ihre
Zünftlerei sei selber nichts als toll gewordne Professorenweisheit. Der tüch¬
tige Handwerker brauche den ganzen Kram nicht, der nur der Untüchtigkeit
Vorschub leiste. Des Pudels Kern sei die Absicht, den Untüchtigen von der
Konkurrenz der Tüchtigern zu befreien. „Eine gesetzliche Beschränkung der
Freiheit der Arbeit und überhaupt der sozialen, volkswirtschaftlichen und
Politischen Freiheit der Kleinen, der Arbeiter, zu Gunsten der Großen, der Ar¬
beitsherren — oder eine sozialistische Tyrannei der Arbeiter über das Kapital —
diese beiden Extreme sind wenigstens vorübergehend unter Umstünden möglich,
aber eine Herstellung wirksamer Handwerkerprivilegien nimmermehr. Die Zu¬
kunft wird keinen Finanzminister finden, der unter einem solchen Programm,
wie es die Znnftreciktion vertritt, sein Portefeuille auch nur auf vierzehn
Tage übernehmen oder halten möchte." Nur das Genossenschaftswesen könne
helfen in Wechselwirkung mit innerer und äußerer Kolonisation. Im In-
lande, und soweit dieses nicht ausreicht, in den im Südosten zu erobernden
Ländern seien neue Bauerngemeinden zu gründen und in innigster Verbindung
mit diesen Handwerker- und Arbeitergemeinden, die sich dnrch Kredit-, Konsum-
und verschiedenartige Produktivgenossenschaften gegen Ausbeutung zu schützen
und gegenseitig zu stützen hätten. Das Einkommen der untern Stunde würde,
richtig verwendet, dazu heute schon ausreichen, aber für den Anfang werde
allerdings ein Betriebskapital vorgeschossen werden müssen. Dieses, sowie auch
die Leitung, wenigstens in der ersten Zeit, habe die Aristokratie zu liefern,
und dieses sei die eigentliche Aufgabe der heutigen Aristokratie. Eine nicht
schöpferische Aristokratie, eine Aristokratie, die sich der Hauptaufgabe ihrer
Zeit entzöge, würde keine Daseinsberechtigung mehr haben. Mit weit geringern
Mitteln, als heute verfügbar sind, „hat der deutsche Orden Preußen ge¬
schaffen." Das „Geleise" der Handwerker und ihrer Beschützer, der sich kon¬
servativ nennenden Junkerpartei, gegen das Kapital schilt Huber weibisch und
kindisch; das Kapital sei ganz gut, nur müsse man den Schatz aus der Ge¬
walt des Drachen Mammon befreien.

Selbstverständlich prallten Hubers soziale Mahnungen an dein Panzer
unsrer modernen „Ritter" noch wirkungsloser ab als die politischen. Für
Politik, meint er, interessire man sich allenfalls noch j heute, dreißig Jahre
später, sogar sehr!^ in jenen Kreisen, weil die keine Opfer auferlege hin Gegen¬
teilig aber mit sozialen Erörterungen, die den Herren ans Gewissen griffen
und sie an schwere Pflichten erinnerten, dürfe man ihnen nicht kommen. Ihre
ganze Sozialpolitik beschränke sich auf „das Spiel mit dem Totengerippe des
alten Zunftwesens." Möge nun Gleichgiltigkeit oder verkehrte Auffassung und
Behandlung schuld sein joder Selbstsucht?^, „für die Rechte oder doch für die
Kreuzzeitung ist die soziale Frage in den beiden staatswirtschaftlichen Lehren


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[0471] Victor AiiNL Huber Den Handwerkern, die andern Leuten und namentlich den Gelehrten das Recht abstreiten, über Handwerkerangelegenheiten zu urteilen, entgegnet Huber, ihre Zünftlerei sei selber nichts als toll gewordne Professorenweisheit. Der tüch¬ tige Handwerker brauche den ganzen Kram nicht, der nur der Untüchtigkeit Vorschub leiste. Des Pudels Kern sei die Absicht, den Untüchtigen von der Konkurrenz der Tüchtigern zu befreien. „Eine gesetzliche Beschränkung der Freiheit der Arbeit und überhaupt der sozialen, volkswirtschaftlichen und Politischen Freiheit der Kleinen, der Arbeiter, zu Gunsten der Großen, der Ar¬ beitsherren — oder eine sozialistische Tyrannei der Arbeiter über das Kapital — diese beiden Extreme sind wenigstens vorübergehend unter Umstünden möglich, aber eine Herstellung wirksamer Handwerkerprivilegien nimmermehr. Die Zu¬ kunft wird keinen Finanzminister finden, der unter einem solchen Programm, wie es die Znnftreciktion vertritt, sein Portefeuille auch nur auf vierzehn Tage übernehmen oder halten möchte." Nur das Genossenschaftswesen könne helfen in Wechselwirkung mit innerer und äußerer Kolonisation. Im In- lande, und soweit dieses nicht ausreicht, in den im Südosten zu erobernden Ländern seien neue Bauerngemeinden zu gründen und in innigster Verbindung mit diesen Handwerker- und Arbeitergemeinden, die sich dnrch Kredit-, Konsum- und verschiedenartige Produktivgenossenschaften gegen Ausbeutung zu schützen und gegenseitig zu stützen hätten. Das Einkommen der untern Stunde würde, richtig verwendet, dazu heute schon ausreichen, aber für den Anfang werde allerdings ein Betriebskapital vorgeschossen werden müssen. Dieses, sowie auch die Leitung, wenigstens in der ersten Zeit, habe die Aristokratie zu liefern, und dieses sei die eigentliche Aufgabe der heutigen Aristokratie. Eine nicht schöpferische Aristokratie, eine Aristokratie, die sich der Hauptaufgabe ihrer Zeit entzöge, würde keine Daseinsberechtigung mehr haben. Mit weit geringern Mitteln, als heute verfügbar sind, „hat der deutsche Orden Preußen ge¬ schaffen." Das „Geleise" der Handwerker und ihrer Beschützer, der sich kon¬ servativ nennenden Junkerpartei, gegen das Kapital schilt Huber weibisch und kindisch; das Kapital sei ganz gut, nur müsse man den Schatz aus der Ge¬ walt des Drachen Mammon befreien. Selbstverständlich prallten Hubers soziale Mahnungen an dein Panzer unsrer modernen „Ritter" noch wirkungsloser ab als die politischen. Für Politik, meint er, interessire man sich allenfalls noch j heute, dreißig Jahre später, sogar sehr!^ in jenen Kreisen, weil die keine Opfer auferlege hin Gegen¬ teilig aber mit sozialen Erörterungen, die den Herren ans Gewissen griffen und sie an schwere Pflichten erinnerten, dürfe man ihnen nicht kommen. Ihre ganze Sozialpolitik beschränke sich auf „das Spiel mit dem Totengerippe des alten Zunftwesens." Möge nun Gleichgiltigkeit oder verkehrte Auffassung und Behandlung schuld sein joder Selbstsucht?^, „für die Rechte oder doch für die Kreuzzeitung ist die soziale Frage in den beiden staatswirtschaftlichen Lehren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/471>, abgerufen am 16.06.2024.