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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Stacitsforsteu überall sorgfältige Kultur zu sehen. In den Bauernwäldern
stehen, je nach dem Untergrunde, Birken, Fichten, Erlen, Tannen, Eichen,
Kiefern, Buchen und darunter Dornengebüsch, Vrombeerrmiken, Haselstauden,
und wer weiß noch was, oft bunt durch einander. Klein und groß wächst
zwischen und in einander. Den Boden bedeckt dichtes Moos, Heidekraut, Heidel-
uud Preißelbeeren und hie und da dichtes Gras. Löcher und sumpfige Stellen
erschweren das Durchdringen des Waldgcwirrs.

Ein ganz andres Bild bietet der Staatsforst. In gleichmäßige Schläge
eingeteilt, in durchgehenden Parallelen gepflanzt, regelrecht durchgeforstet und
ausgeästet, von wildem Untergehölz und Gestrüpp gesäubert, durch tiefe Gräben
entwässert, von hellen Wegen durchzogen stehen die Bnumreihen da wie in
einem Park. Für das Auge des Forstmannes und den Säckel des Fiskus ist
der "rationell" bewirtschaftete Wald sicherlich angenehmer als der wild be¬
wachsene, ungepflegte; ob aber auch für das Auge des Volkswirtes?

Sehen wir uns die Bäche reich bewaldeter Gegenden in ihrem Oberlaufe
an, wo sie in der Regel ein starkes Gefälle haben. Im vorigen Jahre
hat es genug geregnet, und doch waren die Bäche in ihren Haupthelden fast
immer leer, und nur die Mühlengräben ausreichend gefüllt. Auch diese
Pflegen nach wenigen regenlosen Tagen im Sommer sehr schnell an Tiefe ab¬
zunehmen, und in dürren Jahren stehen die Mühlen still.

Nun erzählt man uns, daß vor fünfzig und mehr Jahren auf denselben
Bächen, wenn auch mit Hilfe von Teichen, schwunghafte Flößerei getrieben
worden sei, daß damals auch die Haupthelden in der Regel reichlich Wasser
gehabt hätten. Fragen wir nach dem frühern Waldbestande, so zeigt man uns
allerdings größere Ackerflächen, die früher bewaldet waren. Unmittelbar an
oder gar mitten in den Gebirgen trägt aber die Abnahme nicht den zehnten
Teil des ehemaligen Bestandes aus. Die Abnahme des Wassers steht dazu
in keinem Verhältnis. Dieselben Alten erzählen uns aber auch von großen
Sümpfen und Teichen und dem einst viel mehr urwaldartigen Zustande der
Wälder auf den Höhen. Offenbar ist an der Unregelmäßigkeit des Wasser¬
bestandes weniger die Abnahme des Umfanges der Wälder, als die Ausmer¬
zung der natürlichen Schutzvorrichtungen, der Sammelpunkte des Wassers in
den bestehenden Wäldern schuld. Die Waldkultur schadet dem Wasserverhält¬
nisse. Bei nur einiger Beobachtung erweist sich dieser Satz als unumstößliche
Wahrheit.

Ist der Regen nicht bedeutend, so erreicht er, besonders im Hochwalde,
den Boden überhaupt nicht, oder doch nur in vereinzelten Tropfen. Die
Feuchtigkeit wird teilweise von den Baumkronen eingesogen, teilweise verdunstet
sie. Auch mittelstarke Strichregen verbraucht der Wald, ohne sie so reichlich
wieder zu verdunsten oder abfließen zu lassen als selbst Wiesengründe. Baum¬
wurzeln und kleines Gewächs verzehre" schneller und mehr, als man glaubt,


Stacitsforsteu überall sorgfältige Kultur zu sehen. In den Bauernwäldern
stehen, je nach dem Untergrunde, Birken, Fichten, Erlen, Tannen, Eichen,
Kiefern, Buchen und darunter Dornengebüsch, Vrombeerrmiken, Haselstauden,
und wer weiß noch was, oft bunt durch einander. Klein und groß wächst
zwischen und in einander. Den Boden bedeckt dichtes Moos, Heidekraut, Heidel-
uud Preißelbeeren und hie und da dichtes Gras. Löcher und sumpfige Stellen
erschweren das Durchdringen des Waldgcwirrs.

Ein ganz andres Bild bietet der Staatsforst. In gleichmäßige Schläge
eingeteilt, in durchgehenden Parallelen gepflanzt, regelrecht durchgeforstet und
ausgeästet, von wildem Untergehölz und Gestrüpp gesäubert, durch tiefe Gräben
entwässert, von hellen Wegen durchzogen stehen die Bnumreihen da wie in
einem Park. Für das Auge des Forstmannes und den Säckel des Fiskus ist
der „rationell" bewirtschaftete Wald sicherlich angenehmer als der wild be¬
wachsene, ungepflegte; ob aber auch für das Auge des Volkswirtes?

Sehen wir uns die Bäche reich bewaldeter Gegenden in ihrem Oberlaufe
an, wo sie in der Regel ein starkes Gefälle haben. Im vorigen Jahre
hat es genug geregnet, und doch waren die Bäche in ihren Haupthelden fast
immer leer, und nur die Mühlengräben ausreichend gefüllt. Auch diese
Pflegen nach wenigen regenlosen Tagen im Sommer sehr schnell an Tiefe ab¬
zunehmen, und in dürren Jahren stehen die Mühlen still.

Nun erzählt man uns, daß vor fünfzig und mehr Jahren auf denselben
Bächen, wenn auch mit Hilfe von Teichen, schwunghafte Flößerei getrieben
worden sei, daß damals auch die Haupthelden in der Regel reichlich Wasser
gehabt hätten. Fragen wir nach dem frühern Waldbestande, so zeigt man uns
allerdings größere Ackerflächen, die früher bewaldet waren. Unmittelbar an
oder gar mitten in den Gebirgen trägt aber die Abnahme nicht den zehnten
Teil des ehemaligen Bestandes aus. Die Abnahme des Wassers steht dazu
in keinem Verhältnis. Dieselben Alten erzählen uns aber auch von großen
Sümpfen und Teichen und dem einst viel mehr urwaldartigen Zustande der
Wälder auf den Höhen. Offenbar ist an der Unregelmäßigkeit des Wasser¬
bestandes weniger die Abnahme des Umfanges der Wälder, als die Ausmer¬
zung der natürlichen Schutzvorrichtungen, der Sammelpunkte des Wassers in
den bestehenden Wäldern schuld. Die Waldkultur schadet dem Wasserverhält¬
nisse. Bei nur einiger Beobachtung erweist sich dieser Satz als unumstößliche
Wahrheit.

Ist der Regen nicht bedeutend, so erreicht er, besonders im Hochwalde,
den Boden überhaupt nicht, oder doch nur in vereinzelten Tropfen. Die
Feuchtigkeit wird teilweise von den Baumkronen eingesogen, teilweise verdunstet
sie. Auch mittelstarke Strichregen verbraucht der Wald, ohne sie so reichlich
wieder zu verdunsten oder abfließen zu lassen als selbst Wiesengründe. Baum¬
wurzeln und kleines Gewächs verzehre» schneller und mehr, als man glaubt,


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[0522] Stacitsforsteu überall sorgfältige Kultur zu sehen. In den Bauernwäldern stehen, je nach dem Untergrunde, Birken, Fichten, Erlen, Tannen, Eichen, Kiefern, Buchen und darunter Dornengebüsch, Vrombeerrmiken, Haselstauden, und wer weiß noch was, oft bunt durch einander. Klein und groß wächst zwischen und in einander. Den Boden bedeckt dichtes Moos, Heidekraut, Heidel- uud Preißelbeeren und hie und da dichtes Gras. Löcher und sumpfige Stellen erschweren das Durchdringen des Waldgcwirrs. Ein ganz andres Bild bietet der Staatsforst. In gleichmäßige Schläge eingeteilt, in durchgehenden Parallelen gepflanzt, regelrecht durchgeforstet und ausgeästet, von wildem Untergehölz und Gestrüpp gesäubert, durch tiefe Gräben entwässert, von hellen Wegen durchzogen stehen die Bnumreihen da wie in einem Park. Für das Auge des Forstmannes und den Säckel des Fiskus ist der „rationell" bewirtschaftete Wald sicherlich angenehmer als der wild be¬ wachsene, ungepflegte; ob aber auch für das Auge des Volkswirtes? Sehen wir uns die Bäche reich bewaldeter Gegenden in ihrem Oberlaufe an, wo sie in der Regel ein starkes Gefälle haben. Im vorigen Jahre hat es genug geregnet, und doch waren die Bäche in ihren Haupthelden fast immer leer, und nur die Mühlengräben ausreichend gefüllt. Auch diese Pflegen nach wenigen regenlosen Tagen im Sommer sehr schnell an Tiefe ab¬ zunehmen, und in dürren Jahren stehen die Mühlen still. Nun erzählt man uns, daß vor fünfzig und mehr Jahren auf denselben Bächen, wenn auch mit Hilfe von Teichen, schwunghafte Flößerei getrieben worden sei, daß damals auch die Haupthelden in der Regel reichlich Wasser gehabt hätten. Fragen wir nach dem frühern Waldbestande, so zeigt man uns allerdings größere Ackerflächen, die früher bewaldet waren. Unmittelbar an oder gar mitten in den Gebirgen trägt aber die Abnahme nicht den zehnten Teil des ehemaligen Bestandes aus. Die Abnahme des Wassers steht dazu in keinem Verhältnis. Dieselben Alten erzählen uns aber auch von großen Sümpfen und Teichen und dem einst viel mehr urwaldartigen Zustande der Wälder auf den Höhen. Offenbar ist an der Unregelmäßigkeit des Wasser¬ bestandes weniger die Abnahme des Umfanges der Wälder, als die Ausmer¬ zung der natürlichen Schutzvorrichtungen, der Sammelpunkte des Wassers in den bestehenden Wäldern schuld. Die Waldkultur schadet dem Wasserverhält¬ nisse. Bei nur einiger Beobachtung erweist sich dieser Satz als unumstößliche Wahrheit. Ist der Regen nicht bedeutend, so erreicht er, besonders im Hochwalde, den Boden überhaupt nicht, oder doch nur in vereinzelten Tropfen. Die Feuchtigkeit wird teilweise von den Baumkronen eingesogen, teilweise verdunstet sie. Auch mittelstarke Strichregen verbraucht der Wald, ohne sie so reichlich wieder zu verdunsten oder abfließen zu lassen als selbst Wiesengründe. Baum¬ wurzeln und kleines Gewächs verzehre» schneller und mehr, als man glaubt,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/522>, abgerufen am 06.06.2024.