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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Ans den Tagen der Zensur

immer mehr auf die äußerste Rechte rückte und sich endlich darauf besann, daß
er von Haus aus Katholik gewesen war, und "zur Kirche zurückkehrte." Sein
Eifer soll zuletzt der Partei selbst lästig geworden sein, z. B. als der Kon-
kvrdatstaat Österreich von ihm als zu lau angegriffen wurde.

Dieser Floreneourt stellte einmal in der Zeit vor seiner Bekehrung eine
Untersuchung darüber an, welcher Zensor gefährlicher sei, ein gescheiter oder
ein dummer. Natürlich entschied er sich für den dummen, weil der aus Angst,
es könne ihm etwas strafbares entgehen, alles streichen würde, was er nicht
verstünde. Die treffendste Antwort aber erhielt er nach Jahren, als eine Zei¬
tung an jene Untersuchung erinnern wollte; die Zensur war überall gänzlich
und für alle Zeit aufgehoben, folglich gab es keine Zensoren mehr, die Pre߬
polizei gab höchstens den vertraulichen Wink, daß sie zu ihrem Bedauern ge¬
nötigt sein werde, das Blatt zu konfisziren, wenn dieser oder jener Satz darin
stehen sollte. Und ein solcher Wink erfolgte mit Beziehung auf die erwähnte
vorwitzige Frage. Selbstverständlich, denn der bloße Gedanke, daß ein Zensor
dumm sein könne, war im vollsten Verstände polizeiwidrig.

In der That gehörten die Zensoren gewiß zu den Klassen von Beamten,
denen persönlich nachgetragen wird, daß sie ein verhaßtes Amt bekleiden.
Polizei, Steuer-, Zoll-, Rechnungsbehörden sind nun einmal nicht geschaffen,
sich beliebt zu machen, ja ihre Organe, die sich im Publikum einer gewissen
Gunst zu erfreuen Hütten, würden leicht bei ihren Vorgesetzten in den Ver¬
dacht kommen, es an der nötigen Genauigkeit in der Ausübung ihrer Pflichten
fehlen zu lassen. Wessen Lebensaufgabe es ist, fremden Fehlern nachzuspüren,
und wer zugleich weiß, daß ihm bei eben dieser Thätigkeit strengstens auf die
Finger gesehen wird, der mag der gutherzigste Mensch sein, er wird lieber eine
Rüge wegen zu großer Strenge als eine entgegengesetzte hinnehmen. Denn der
Übereifer in der Pflichterfüllung gilt doch meistens als eine der Tugenden,
"die selbst in ihren Übertreibungen noch schön und herzerwärmend sind" (vergl.
"Reden und Trinksprüche König Friedrich Wilhelms IV.." die der einstige Ab¬
geordnete Simon von Trier herausgab, um für seine Hinrichtung in oKigis
Rache zu nehmen). Der Zensor also, der Dinge strich, an denen der gemeine
Menschenverstand nichts strafbares zu entdecken vermochte, brauchte noch nicht
dumm, sondern nur vorsichtig zu sein. Mancher glaubte auch nicht allein sür
die politische Unsträflichkeit des Gedruckten verantwortlich zu sein, sondern zu¬
gleich für die Richtigkeit der erwähnten geschichtlichen oder andern Thatsachen,
wissenschaftlicher Ansichten u. s. w., ja selbst für Grammatik und Stil. Wie
viel Ärger und Erbitterung daraus erwachsen mußte, liegt auf der Hand. Und
streckte der gepeinigte Redakteur endlich die Waffen, so pflegte er wohl seinem
Grimm durch Abschreiten eines Partherpfeils Luft zu machen. Die Klein¬
staaterei in Deutschland machte das möglich. In Preußen und Österreich war
die Zensur an: strengsten, in Sachsen und Baden verhältnismäßig mild; und


Ans den Tagen der Zensur

immer mehr auf die äußerste Rechte rückte und sich endlich darauf besann, daß
er von Haus aus Katholik gewesen war, und „zur Kirche zurückkehrte." Sein
Eifer soll zuletzt der Partei selbst lästig geworden sein, z. B. als der Kon-
kvrdatstaat Österreich von ihm als zu lau angegriffen wurde.

Dieser Floreneourt stellte einmal in der Zeit vor seiner Bekehrung eine
Untersuchung darüber an, welcher Zensor gefährlicher sei, ein gescheiter oder
ein dummer. Natürlich entschied er sich für den dummen, weil der aus Angst,
es könne ihm etwas strafbares entgehen, alles streichen würde, was er nicht
verstünde. Die treffendste Antwort aber erhielt er nach Jahren, als eine Zei¬
tung an jene Untersuchung erinnern wollte; die Zensur war überall gänzlich
und für alle Zeit aufgehoben, folglich gab es keine Zensoren mehr, die Pre߬
polizei gab höchstens den vertraulichen Wink, daß sie zu ihrem Bedauern ge¬
nötigt sein werde, das Blatt zu konfisziren, wenn dieser oder jener Satz darin
stehen sollte. Und ein solcher Wink erfolgte mit Beziehung auf die erwähnte
vorwitzige Frage. Selbstverständlich, denn der bloße Gedanke, daß ein Zensor
dumm sein könne, war im vollsten Verstände polizeiwidrig.

In der That gehörten die Zensoren gewiß zu den Klassen von Beamten,
denen persönlich nachgetragen wird, daß sie ein verhaßtes Amt bekleiden.
Polizei, Steuer-, Zoll-, Rechnungsbehörden sind nun einmal nicht geschaffen,
sich beliebt zu machen, ja ihre Organe, die sich im Publikum einer gewissen
Gunst zu erfreuen Hütten, würden leicht bei ihren Vorgesetzten in den Ver¬
dacht kommen, es an der nötigen Genauigkeit in der Ausübung ihrer Pflichten
fehlen zu lassen. Wessen Lebensaufgabe es ist, fremden Fehlern nachzuspüren,
und wer zugleich weiß, daß ihm bei eben dieser Thätigkeit strengstens auf die
Finger gesehen wird, der mag der gutherzigste Mensch sein, er wird lieber eine
Rüge wegen zu großer Strenge als eine entgegengesetzte hinnehmen. Denn der
Übereifer in der Pflichterfüllung gilt doch meistens als eine der Tugenden,
„die selbst in ihren Übertreibungen noch schön und herzerwärmend sind" (vergl.
„Reden und Trinksprüche König Friedrich Wilhelms IV.." die der einstige Ab¬
geordnete Simon von Trier herausgab, um für seine Hinrichtung in oKigis
Rache zu nehmen). Der Zensor also, der Dinge strich, an denen der gemeine
Menschenverstand nichts strafbares zu entdecken vermochte, brauchte noch nicht
dumm, sondern nur vorsichtig zu sein. Mancher glaubte auch nicht allein sür
die politische Unsträflichkeit des Gedruckten verantwortlich zu sein, sondern zu¬
gleich für die Richtigkeit der erwähnten geschichtlichen oder andern Thatsachen,
wissenschaftlicher Ansichten u. s. w., ja selbst für Grammatik und Stil. Wie
viel Ärger und Erbitterung daraus erwachsen mußte, liegt auf der Hand. Und
streckte der gepeinigte Redakteur endlich die Waffen, so pflegte er wohl seinem
Grimm durch Abschreiten eines Partherpfeils Luft zu machen. Die Klein¬
staaterei in Deutschland machte das möglich. In Preußen und Österreich war
die Zensur an: strengsten, in Sachsen und Baden verhältnismäßig mild; und


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[0525] Ans den Tagen der Zensur immer mehr auf die äußerste Rechte rückte und sich endlich darauf besann, daß er von Haus aus Katholik gewesen war, und „zur Kirche zurückkehrte." Sein Eifer soll zuletzt der Partei selbst lästig geworden sein, z. B. als der Kon- kvrdatstaat Österreich von ihm als zu lau angegriffen wurde. Dieser Floreneourt stellte einmal in der Zeit vor seiner Bekehrung eine Untersuchung darüber an, welcher Zensor gefährlicher sei, ein gescheiter oder ein dummer. Natürlich entschied er sich für den dummen, weil der aus Angst, es könne ihm etwas strafbares entgehen, alles streichen würde, was er nicht verstünde. Die treffendste Antwort aber erhielt er nach Jahren, als eine Zei¬ tung an jene Untersuchung erinnern wollte; die Zensur war überall gänzlich und für alle Zeit aufgehoben, folglich gab es keine Zensoren mehr, die Pre߬ polizei gab höchstens den vertraulichen Wink, daß sie zu ihrem Bedauern ge¬ nötigt sein werde, das Blatt zu konfisziren, wenn dieser oder jener Satz darin stehen sollte. Und ein solcher Wink erfolgte mit Beziehung auf die erwähnte vorwitzige Frage. Selbstverständlich, denn der bloße Gedanke, daß ein Zensor dumm sein könne, war im vollsten Verstände polizeiwidrig. In der That gehörten die Zensoren gewiß zu den Klassen von Beamten, denen persönlich nachgetragen wird, daß sie ein verhaßtes Amt bekleiden. Polizei, Steuer-, Zoll-, Rechnungsbehörden sind nun einmal nicht geschaffen, sich beliebt zu machen, ja ihre Organe, die sich im Publikum einer gewissen Gunst zu erfreuen Hütten, würden leicht bei ihren Vorgesetzten in den Ver¬ dacht kommen, es an der nötigen Genauigkeit in der Ausübung ihrer Pflichten fehlen zu lassen. Wessen Lebensaufgabe es ist, fremden Fehlern nachzuspüren, und wer zugleich weiß, daß ihm bei eben dieser Thätigkeit strengstens auf die Finger gesehen wird, der mag der gutherzigste Mensch sein, er wird lieber eine Rüge wegen zu großer Strenge als eine entgegengesetzte hinnehmen. Denn der Übereifer in der Pflichterfüllung gilt doch meistens als eine der Tugenden, „die selbst in ihren Übertreibungen noch schön und herzerwärmend sind" (vergl. „Reden und Trinksprüche König Friedrich Wilhelms IV.." die der einstige Ab¬ geordnete Simon von Trier herausgab, um für seine Hinrichtung in oKigis Rache zu nehmen). Der Zensor also, der Dinge strich, an denen der gemeine Menschenverstand nichts strafbares zu entdecken vermochte, brauchte noch nicht dumm, sondern nur vorsichtig zu sein. Mancher glaubte auch nicht allein sür die politische Unsträflichkeit des Gedruckten verantwortlich zu sein, sondern zu¬ gleich für die Richtigkeit der erwähnten geschichtlichen oder andern Thatsachen, wissenschaftlicher Ansichten u. s. w., ja selbst für Grammatik und Stil. Wie viel Ärger und Erbitterung daraus erwachsen mußte, liegt auf der Hand. Und streckte der gepeinigte Redakteur endlich die Waffen, so pflegte er wohl seinem Grimm durch Abschreiten eines Partherpfeils Luft zu machen. Die Klein¬ staaterei in Deutschland machte das möglich. In Preußen und Österreich war die Zensur an: strengsten, in Sachsen und Baden verhältnismäßig mild; und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/525>, abgerufen am 13.05.2024.