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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Aus den Tagen der Aensur

thauen," trotzdem daß einmal in Mainz von einem höchst harmlosen gereimten
Scherz über die zukünftigen Wirkungen des damals noch neuen Eisenbahn¬
wesens der Schluß: "Dann sind China und der freie Rhein sich so nah wie
Reuß-Greiz-Schleiz und Lobenstein" als Verspottung deutscher Bundes¬
staaten und in Österreich die Bemerkung, in den Regieeigarren seien noch
allerlei andre Dinge als Tabak zu finden, als Aufreizung gegen Staatseinrich¬
tungen unterdrückt wurde, wußte der arme Deutsche Bund sich manchmal der
"Ubäudigen Buchdruckerpresse nicht anders zu erwehren als durch das Verbot
der sämtlichen gegenwärtigen und zukünstigen Artikel bestimmter Verlagsbuch¬
handlungen, z. B. der Firma Hoffmann ^ Campe in Hamburg, oder durch
Unterdrückung von Zeitschriften, die unter Zensur erschienen, wie Ruges Deut¬
schen Jahrbüchern. Beknnnllich hat Bismarck später anerkannt, daß die Reichs-
regieruug als Rechtsnachfolger des Bundestages die Verpflichtung habe, Rüge
für diese Gewaltthat schadlos zu halten.

Das Mißverhältnis zwischen der Behandlung dessen, was im Lande selbst
gedruckt werden sollte, und der Ohnmacht gegenüber der Verlagsthütigkeit im
Auslande konnte den Respekt vor den Autoritäten unmöglich nähren, und es
ist schließlich nicht wunderbar, daß selbst Beamte der litterarischen Polizei, die
den leidigen Beruf nicht aus freier Wahl ausübten, diesen Groll gegen die
bestehende Ordnung hegten. Staatsanwälte und ehemalige Zensoren waren
leine ungewöhnlichen Erscheinungen auf der Linken der verschiednen konstitui-
renden Versammlungen im Jahre 1848. In Österreich haben noch später
Verwaltung, Polizei und Justiz sogar in einer Art heimlichen Kriegszustandes
gelebt, wobei die letztern auf der Seite der Presse standen. Das war zur
Zeit des Ministers Bach, der wohl sein Portefeuille den Wiener Studenten
verdankte (weshalb Kaiser Nikolaus sich geweigert haben soll, den "Barrikaden-
minister" zu empfangen), aber sich bald nicht nur zum politischen, sondern
auch zum kirchlichen Absolutismus bekehrt hatte, während in den meisten Be¬
hörden der jvsephinische Geist fortlebte. Die unter Bach stehenden Statthalte-
reien sahen es nun als ihre Pflicht an, die zu nachsichtige Bücher- und Zeitungs-
zensur zu überwachen und von ihr begangne Unterlassungssünden wieder gut zu
macheu. Um derartige Eingriffe zu verhüten, hat die Polizei selbst bei Gelegenheit
den Zeitungen einen Wink erteilt, nicht etwa durch eine Besprechung die Aufmerk¬
samkeit der Oberzensoren auf irgend ein philosophisches oder geschichtliches Wert
zu lenken, das man hatte Passiren lassen. Die Gerichte in ihrer unabhängiger"
Stellung widersetzten sich im äußersten Falle geradezu, und manchmal mit Ironie,
wie eine noch lange nachher mit Behagen erzählte Anekdote zeigt. Eine Wiener
Zeitschrift hatte in einer Folge von Bildern drei Personen in einem Eisen¬
bahnwagen vorgeführt, einen alten Herrn in der Mitte zwischen einem jungen
Pärchen, das zuerst hinter seinem Rücken liebäugelte und endlich, als der Alte
eingeschlafen war, sich küßte. Der Zensor wird den Scherz wohl nicht sehr


Aus den Tagen der Aensur

thauen," trotzdem daß einmal in Mainz von einem höchst harmlosen gereimten
Scherz über die zukünftigen Wirkungen des damals noch neuen Eisenbahn¬
wesens der Schluß: „Dann sind China und der freie Rhein sich so nah wie
Reuß-Greiz-Schleiz und Lobenstein" als Verspottung deutscher Bundes¬
staaten und in Österreich die Bemerkung, in den Regieeigarren seien noch
allerlei andre Dinge als Tabak zu finden, als Aufreizung gegen Staatseinrich¬
tungen unterdrückt wurde, wußte der arme Deutsche Bund sich manchmal der
»Ubäudigen Buchdruckerpresse nicht anders zu erwehren als durch das Verbot
der sämtlichen gegenwärtigen und zukünstigen Artikel bestimmter Verlagsbuch¬
handlungen, z. B. der Firma Hoffmann ^ Campe in Hamburg, oder durch
Unterdrückung von Zeitschriften, die unter Zensur erschienen, wie Ruges Deut¬
schen Jahrbüchern. Beknnnllich hat Bismarck später anerkannt, daß die Reichs-
regieruug als Rechtsnachfolger des Bundestages die Verpflichtung habe, Rüge
für diese Gewaltthat schadlos zu halten.

Das Mißverhältnis zwischen der Behandlung dessen, was im Lande selbst
gedruckt werden sollte, und der Ohnmacht gegenüber der Verlagsthütigkeit im
Auslande konnte den Respekt vor den Autoritäten unmöglich nähren, und es
ist schließlich nicht wunderbar, daß selbst Beamte der litterarischen Polizei, die
den leidigen Beruf nicht aus freier Wahl ausübten, diesen Groll gegen die
bestehende Ordnung hegten. Staatsanwälte und ehemalige Zensoren waren
leine ungewöhnlichen Erscheinungen auf der Linken der verschiednen konstitui-
renden Versammlungen im Jahre 1848. In Österreich haben noch später
Verwaltung, Polizei und Justiz sogar in einer Art heimlichen Kriegszustandes
gelebt, wobei die letztern auf der Seite der Presse standen. Das war zur
Zeit des Ministers Bach, der wohl sein Portefeuille den Wiener Studenten
verdankte (weshalb Kaiser Nikolaus sich geweigert haben soll, den „Barrikaden-
minister" zu empfangen), aber sich bald nicht nur zum politischen, sondern
auch zum kirchlichen Absolutismus bekehrt hatte, während in den meisten Be¬
hörden der jvsephinische Geist fortlebte. Die unter Bach stehenden Statthalte-
reien sahen es nun als ihre Pflicht an, die zu nachsichtige Bücher- und Zeitungs-
zensur zu überwachen und von ihr begangne Unterlassungssünden wieder gut zu
macheu. Um derartige Eingriffe zu verhüten, hat die Polizei selbst bei Gelegenheit
den Zeitungen einen Wink erteilt, nicht etwa durch eine Besprechung die Aufmerk¬
samkeit der Oberzensoren auf irgend ein philosophisches oder geschichtliches Wert
zu lenken, das man hatte Passiren lassen. Die Gerichte in ihrer unabhängiger»
Stellung widersetzten sich im äußersten Falle geradezu, und manchmal mit Ironie,
wie eine noch lange nachher mit Behagen erzählte Anekdote zeigt. Eine Wiener
Zeitschrift hatte in einer Folge von Bildern drei Personen in einem Eisen¬
bahnwagen vorgeführt, einen alten Herrn in der Mitte zwischen einem jungen
Pärchen, das zuerst hinter seinem Rücken liebäugelte und endlich, als der Alte
eingeschlafen war, sich küßte. Der Zensor wird den Scherz wohl nicht sehr


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[0527] Aus den Tagen der Aensur thauen," trotzdem daß einmal in Mainz von einem höchst harmlosen gereimten Scherz über die zukünftigen Wirkungen des damals noch neuen Eisenbahn¬ wesens der Schluß: „Dann sind China und der freie Rhein sich so nah wie Reuß-Greiz-Schleiz und Lobenstein" als Verspottung deutscher Bundes¬ staaten und in Österreich die Bemerkung, in den Regieeigarren seien noch allerlei andre Dinge als Tabak zu finden, als Aufreizung gegen Staatseinrich¬ tungen unterdrückt wurde, wußte der arme Deutsche Bund sich manchmal der »Ubäudigen Buchdruckerpresse nicht anders zu erwehren als durch das Verbot der sämtlichen gegenwärtigen und zukünstigen Artikel bestimmter Verlagsbuch¬ handlungen, z. B. der Firma Hoffmann ^ Campe in Hamburg, oder durch Unterdrückung von Zeitschriften, die unter Zensur erschienen, wie Ruges Deut¬ schen Jahrbüchern. Beknnnllich hat Bismarck später anerkannt, daß die Reichs- regieruug als Rechtsnachfolger des Bundestages die Verpflichtung habe, Rüge für diese Gewaltthat schadlos zu halten. Das Mißverhältnis zwischen der Behandlung dessen, was im Lande selbst gedruckt werden sollte, und der Ohnmacht gegenüber der Verlagsthütigkeit im Auslande konnte den Respekt vor den Autoritäten unmöglich nähren, und es ist schließlich nicht wunderbar, daß selbst Beamte der litterarischen Polizei, die den leidigen Beruf nicht aus freier Wahl ausübten, diesen Groll gegen die bestehende Ordnung hegten. Staatsanwälte und ehemalige Zensoren waren leine ungewöhnlichen Erscheinungen auf der Linken der verschiednen konstitui- renden Versammlungen im Jahre 1848. In Österreich haben noch später Verwaltung, Polizei und Justiz sogar in einer Art heimlichen Kriegszustandes gelebt, wobei die letztern auf der Seite der Presse standen. Das war zur Zeit des Ministers Bach, der wohl sein Portefeuille den Wiener Studenten verdankte (weshalb Kaiser Nikolaus sich geweigert haben soll, den „Barrikaden- minister" zu empfangen), aber sich bald nicht nur zum politischen, sondern auch zum kirchlichen Absolutismus bekehrt hatte, während in den meisten Be¬ hörden der jvsephinische Geist fortlebte. Die unter Bach stehenden Statthalte- reien sahen es nun als ihre Pflicht an, die zu nachsichtige Bücher- und Zeitungs- zensur zu überwachen und von ihr begangne Unterlassungssünden wieder gut zu macheu. Um derartige Eingriffe zu verhüten, hat die Polizei selbst bei Gelegenheit den Zeitungen einen Wink erteilt, nicht etwa durch eine Besprechung die Aufmerk¬ samkeit der Oberzensoren auf irgend ein philosophisches oder geschichtliches Wert zu lenken, das man hatte Passiren lassen. Die Gerichte in ihrer unabhängiger» Stellung widersetzten sich im äußersten Falle geradezu, und manchmal mit Ironie, wie eine noch lange nachher mit Behagen erzählte Anekdote zeigt. Eine Wiener Zeitschrift hatte in einer Folge von Bildern drei Personen in einem Eisen¬ bahnwagen vorgeführt, einen alten Herrn in der Mitte zwischen einem jungen Pärchen, das zuerst hinter seinem Rücken liebäugelte und endlich, als der Alte eingeschlafen war, sich küßte. Der Zensor wird den Scherz wohl nicht sehr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/527>, abgerufen am 12.05.2024.