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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Der Streit der Fakultäten

die Voraussetzung, daß sie, ja alle vernünftigen Menschen ebenso dächte", stieß
sie ab, so sehr sie sonst von seiner geistigen Bedeutung überzeugt war. An
den Rechtsanwalt hätte sie gar nicht gedacht, wenn ihr nicht zu guter letzt
noch mit Sorgen ihr Haus in den Sinn gekommen wäre. Wenn auch Vogel¬
fangs Persönlichkeit nicht unter dieser Ideenverbindung zu leiden gehabt hätte,
hätte sie doch sein zugeknöpftes Wesen abgestoßen. Sie fühlte zu deutlich,
wie sehr der Mann uuter dein Zauber seiner eignen Person stand. Sein
Beruf erschien ihr in dem ungünstigsten Lichte, und seine gesellschaftliche Ge¬
wandtheit wollte bei ihr nichts besagen, da sie in dieser Beziehung muster-
giltige Exemplare von Männern kannte, denen die feine Form angeboren zu
sein schien, und die wohl gar nicht wußten, daß sie sich gut benahmen. In
Gedanken an ihr schönes altes Haus schlief sie endlich ein.

In der Nacht träumte sie von Doktor Utermöhlen und glaubte ihn zu
sehen, wie er sich über den verunglückten Kuhknecht beugte, dessen Anblick ihr
freilich entzogen war. Aber angenehmere Bilder lösten diese Vorstellungs¬
reihen ab, sodaß sie am andern Morgen frisch und fröhlich erwachte.

Gegen Mittag kam ein Mietfuhrwerk. Ein stattlicher Dragoneroffizier
stieg heraus, der Better Georg, der seine Verwandten durch seine unan¬
gemeldete Ankunft überraschen wollte. Das gelang ihm so gründlich, daß es
im ersten Augenblick der Stiftsdame fast die Freude beeinträchtigte, da uicht
auf ein Mittagessen Bedacht genommen war, das dem Appetit eines so statt¬
lichen Mannes angemessen gewesen wäre. Was sich aber auf den, Lande noch
beschaffen ließ, wurde möglich gemacht, und so saß mau denn schließlich an
einem mehr als ausreichend besetzten Tische.

Der junge Mann war in der fröhlichsten Laune und legte ihr nur Zügel
um mit Rücksicht ans seine Kusine, die doch den Vater, seiner Mutter Bruder,
verloren hatte. Es herrschte ein so wohliges Behagen unter den drei Per¬
sonen, daß jeder glaubte, sich seit langem nicht so der Lust des Daseins be¬
wußt geworden zu sein. Die zwanglose Vertraulichkeit und natürliche Zu¬
neigung ließen auch dem jungen Krieger, dessen Eltern längst gestorben waren,
das friedliche Leben Marienzelles für den Augenblick beneidenswert erscheinen,
und die sonst oft genug verkannten Reize des Landlebens weckten unmerklich
neue Gedanken und Pläne, die vor der Hand noch gestaltlos waren. Wie
weit die Anwesenheit der schönen Kusine dabei mitwirkte, war freilich nicht
auszumachen, gewiß wäre er nicht so aufgeräumt gewesen, wenn er mit der
gütigen Taute allein das Mahl hätte teilen müssen.

Das Gespräch kam aus den Vorschlag des Rechtsanwalts, mau wünschte
die Ansicht des Vetters darüber zu hören. Der wollte nichts vou eiuer Ver¬
äußerung des Grundstücks wissen. Nie und nimmer, sagte er, darfst du das
alte Gemäuer dem Moloch des Unternehmertums opfern! Wenn sich keine
honette Familie findet, die das Haus fo brauchen kann, wie es ist, kauft ich


Grenzboten I 1LS5 68
Der Streit der Fakultäten

die Voraussetzung, daß sie, ja alle vernünftigen Menschen ebenso dächte», stieß
sie ab, so sehr sie sonst von seiner geistigen Bedeutung überzeugt war. An
den Rechtsanwalt hätte sie gar nicht gedacht, wenn ihr nicht zu guter letzt
noch mit Sorgen ihr Haus in den Sinn gekommen wäre. Wenn auch Vogel¬
fangs Persönlichkeit nicht unter dieser Ideenverbindung zu leiden gehabt hätte,
hätte sie doch sein zugeknöpftes Wesen abgestoßen. Sie fühlte zu deutlich,
wie sehr der Mann uuter dein Zauber seiner eignen Person stand. Sein
Beruf erschien ihr in dem ungünstigsten Lichte, und seine gesellschaftliche Ge¬
wandtheit wollte bei ihr nichts besagen, da sie in dieser Beziehung muster-
giltige Exemplare von Männern kannte, denen die feine Form angeboren zu
sein schien, und die wohl gar nicht wußten, daß sie sich gut benahmen. In
Gedanken an ihr schönes altes Haus schlief sie endlich ein.

In der Nacht träumte sie von Doktor Utermöhlen und glaubte ihn zu
sehen, wie er sich über den verunglückten Kuhknecht beugte, dessen Anblick ihr
freilich entzogen war. Aber angenehmere Bilder lösten diese Vorstellungs¬
reihen ab, sodaß sie am andern Morgen frisch und fröhlich erwachte.

Gegen Mittag kam ein Mietfuhrwerk. Ein stattlicher Dragoneroffizier
stieg heraus, der Better Georg, der seine Verwandten durch seine unan¬
gemeldete Ankunft überraschen wollte. Das gelang ihm so gründlich, daß es
im ersten Augenblick der Stiftsdame fast die Freude beeinträchtigte, da uicht
auf ein Mittagessen Bedacht genommen war, das dem Appetit eines so statt¬
lichen Mannes angemessen gewesen wäre. Was sich aber auf den, Lande noch
beschaffen ließ, wurde möglich gemacht, und so saß mau denn schließlich an
einem mehr als ausreichend besetzten Tische.

Der junge Mann war in der fröhlichsten Laune und legte ihr nur Zügel
um mit Rücksicht ans seine Kusine, die doch den Vater, seiner Mutter Bruder,
verloren hatte. Es herrschte ein so wohliges Behagen unter den drei Per¬
sonen, daß jeder glaubte, sich seit langem nicht so der Lust des Daseins be¬
wußt geworden zu sein. Die zwanglose Vertraulichkeit und natürliche Zu¬
neigung ließen auch dem jungen Krieger, dessen Eltern längst gestorben waren,
das friedliche Leben Marienzelles für den Augenblick beneidenswert erscheinen,
und die sonst oft genug verkannten Reize des Landlebens weckten unmerklich
neue Gedanken und Pläne, die vor der Hand noch gestaltlos waren. Wie
weit die Anwesenheit der schönen Kusine dabei mitwirkte, war freilich nicht
auszumachen, gewiß wäre er nicht so aufgeräumt gewesen, wenn er mit der
gütigen Taute allein das Mahl hätte teilen müssen.

Das Gespräch kam aus den Vorschlag des Rechtsanwalts, mau wünschte
die Ansicht des Vetters darüber zu hören. Der wollte nichts vou eiuer Ver¬
äußerung des Grundstücks wissen. Nie und nimmer, sagte er, darfst du das
alte Gemäuer dem Moloch des Unternehmertums opfern! Wenn sich keine
honette Familie findet, die das Haus fo brauchen kann, wie es ist, kauft ich


Grenzboten I 1LS5 68
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[0547] Der Streit der Fakultäten die Voraussetzung, daß sie, ja alle vernünftigen Menschen ebenso dächte», stieß sie ab, so sehr sie sonst von seiner geistigen Bedeutung überzeugt war. An den Rechtsanwalt hätte sie gar nicht gedacht, wenn ihr nicht zu guter letzt noch mit Sorgen ihr Haus in den Sinn gekommen wäre. Wenn auch Vogel¬ fangs Persönlichkeit nicht unter dieser Ideenverbindung zu leiden gehabt hätte, hätte sie doch sein zugeknöpftes Wesen abgestoßen. Sie fühlte zu deutlich, wie sehr der Mann uuter dein Zauber seiner eignen Person stand. Sein Beruf erschien ihr in dem ungünstigsten Lichte, und seine gesellschaftliche Ge¬ wandtheit wollte bei ihr nichts besagen, da sie in dieser Beziehung muster- giltige Exemplare von Männern kannte, denen die feine Form angeboren zu sein schien, und die wohl gar nicht wußten, daß sie sich gut benahmen. In Gedanken an ihr schönes altes Haus schlief sie endlich ein. In der Nacht träumte sie von Doktor Utermöhlen und glaubte ihn zu sehen, wie er sich über den verunglückten Kuhknecht beugte, dessen Anblick ihr freilich entzogen war. Aber angenehmere Bilder lösten diese Vorstellungs¬ reihen ab, sodaß sie am andern Morgen frisch und fröhlich erwachte. Gegen Mittag kam ein Mietfuhrwerk. Ein stattlicher Dragoneroffizier stieg heraus, der Better Georg, der seine Verwandten durch seine unan¬ gemeldete Ankunft überraschen wollte. Das gelang ihm so gründlich, daß es im ersten Augenblick der Stiftsdame fast die Freude beeinträchtigte, da uicht auf ein Mittagessen Bedacht genommen war, das dem Appetit eines so statt¬ lichen Mannes angemessen gewesen wäre. Was sich aber auf den, Lande noch beschaffen ließ, wurde möglich gemacht, und so saß mau denn schließlich an einem mehr als ausreichend besetzten Tische. Der junge Mann war in der fröhlichsten Laune und legte ihr nur Zügel um mit Rücksicht ans seine Kusine, die doch den Vater, seiner Mutter Bruder, verloren hatte. Es herrschte ein so wohliges Behagen unter den drei Per¬ sonen, daß jeder glaubte, sich seit langem nicht so der Lust des Daseins be¬ wußt geworden zu sein. Die zwanglose Vertraulichkeit und natürliche Zu¬ neigung ließen auch dem jungen Krieger, dessen Eltern längst gestorben waren, das friedliche Leben Marienzelles für den Augenblick beneidenswert erscheinen, und die sonst oft genug verkannten Reize des Landlebens weckten unmerklich neue Gedanken und Pläne, die vor der Hand noch gestaltlos waren. Wie weit die Anwesenheit der schönen Kusine dabei mitwirkte, war freilich nicht auszumachen, gewiß wäre er nicht so aufgeräumt gewesen, wenn er mit der gütigen Taute allein das Mahl hätte teilen müssen. Das Gespräch kam aus den Vorschlag des Rechtsanwalts, mau wünschte die Ansicht des Vetters darüber zu hören. Der wollte nichts vou eiuer Ver¬ äußerung des Grundstücks wissen. Nie und nimmer, sagte er, darfst du das alte Gemäuer dem Moloch des Unternehmertums opfern! Wenn sich keine honette Familie findet, die das Haus fo brauchen kann, wie es ist, kauft ich Grenzboten I 1LS5 68

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/547>, abgerufen am 16.06.2024.