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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Der Streit der Fakultäten

es dir schließlich ab. Dann muß allerdings anders gewirtschaftet werden als
bisher. Es wird so wie so Zeit dazu. Everstedt fällt bald aus der Pacht.
Wer weiß, ob ich dann nicht selbst zu wirtschaftet? anfange.

O, wenn du das wolltest! rief die Tante, hätte ich dich noch einmal so
lieb. Du hast lange genug gedient und kannst nun auch daran denken, etwas
für deine Familie zu thun. Aber deine Idee mit dem Hause will zehnmal
überlegt sein. Was wolltest du damit?

Jedenfalls, Anna, schreibe dem Rechtsverdreher, du wolltest den Handel
nicht.

Ein Rechtsverdreher, sagte das junge Mädchen, ist Herr Vogelsang wohl
nicht, er meint es gut, und von seinem Standpunkte aus mag er auch wohl
Recht haben. Aber ich bin ordentlich wie erlöst, daß mir jemand die Ent¬
scheidung über den Kopf wegnimmt. Du kriegst das Haus aber auch nicht.
Was wolltest du damit anfangen? Vorsehung sollst du heute einmal spielen,
aber bei den Wohlthaten machen wir Halt. Gleich nach Tisch wird geschrieben !
Ein Entschluß ist Goldes wert, selbst wenn er nichts taugt.

Du wirst sehen, daß er auch gut ist, sagte Georg. Hoffentlich komme
ich mit meinem Entschluß auch so schnell ins Reine.

Nichts übereilen, Junge! sagte die Stiftsdame. So gern ich dich als
Landwirt sehen möchte, der blaue Rock da zieht sich nicht so schnell aus.

Das weiß Gott!

Nach Tische, als sich die Stiftsdame ein wenig zurückgezogen hatte und
das junge Mädchen ihren Brief schrieb, sah sich der Leutnant eine Weile auf
sich allein augewiesen. Er machte es sich bequem, zündete sich, was nur
wenige wagen durften, in dem Wohnzimmer der Tante eine Cigarre an und
fing an, nachzudenken. Das war um und für sich schon beinahe ein Anstrengung.
Er war das Denken nicht gewohnt. Er hatte bisher auf seinem Lebenswege
alles so geebnet gefunden, daß er sich nie aufs Grübel", auf sorgsames Ab¬
wägen und Spielen mit Möglichkeiten gelegt hatte. Als Erbe eines nicht
unbedeutenden Grundbesitzes aufgewachsen, von einer zärtlichen Mutter ver¬
wöhnt, auf einer sogenannten Ritterakademie vorgebildet, hatte er den Beruf
eines Reiteroffiziers wie etwas selbstverständliches ergriffen und bisher noch
selten darüber hinaus verlangt. Flott und schneidig zu sein hatte er sich be¬
müht. Soweit es sein Temperament zuließ, war er es auch gewesen. Gut¬
mütiges Wohlwollen stand auf seinem Gesichte geschrieben, und er konnte sich
den Luxus gönnen, es zu bethätigen. Die Burschen, die er im Laufe der Zeit
gehabt hatte, wären alle für ihn durchs Feuer gegangen. Er gab eine Mark,
wo andre mit zwanzig oder zehn Pfennigen genug gethan zu haben glaubten.
Von den Frauen verstand er gar nichts, hielt es aber für notwendig, dafür
zu sorgen, daß die Kameraden ihn mit dieser oder jener Schwärmerei necken
konnten. Sorglos und gedankenlos lebte er dahin. Er war begeistert für das


Der Streit der Fakultäten

es dir schließlich ab. Dann muß allerdings anders gewirtschaftet werden als
bisher. Es wird so wie so Zeit dazu. Everstedt fällt bald aus der Pacht.
Wer weiß, ob ich dann nicht selbst zu wirtschaftet? anfange.

O, wenn du das wolltest! rief die Tante, hätte ich dich noch einmal so
lieb. Du hast lange genug gedient und kannst nun auch daran denken, etwas
für deine Familie zu thun. Aber deine Idee mit dem Hause will zehnmal
überlegt sein. Was wolltest du damit?

Jedenfalls, Anna, schreibe dem Rechtsverdreher, du wolltest den Handel
nicht.

Ein Rechtsverdreher, sagte das junge Mädchen, ist Herr Vogelsang wohl
nicht, er meint es gut, und von seinem Standpunkte aus mag er auch wohl
Recht haben. Aber ich bin ordentlich wie erlöst, daß mir jemand die Ent¬
scheidung über den Kopf wegnimmt. Du kriegst das Haus aber auch nicht.
Was wolltest du damit anfangen? Vorsehung sollst du heute einmal spielen,
aber bei den Wohlthaten machen wir Halt. Gleich nach Tisch wird geschrieben !
Ein Entschluß ist Goldes wert, selbst wenn er nichts taugt.

Du wirst sehen, daß er auch gut ist, sagte Georg. Hoffentlich komme
ich mit meinem Entschluß auch so schnell ins Reine.

Nichts übereilen, Junge! sagte die Stiftsdame. So gern ich dich als
Landwirt sehen möchte, der blaue Rock da zieht sich nicht so schnell aus.

Das weiß Gott!

Nach Tische, als sich die Stiftsdame ein wenig zurückgezogen hatte und
das junge Mädchen ihren Brief schrieb, sah sich der Leutnant eine Weile auf
sich allein augewiesen. Er machte es sich bequem, zündete sich, was nur
wenige wagen durften, in dem Wohnzimmer der Tante eine Cigarre an und
fing an, nachzudenken. Das war um und für sich schon beinahe ein Anstrengung.
Er war das Denken nicht gewohnt. Er hatte bisher auf seinem Lebenswege
alles so geebnet gefunden, daß er sich nie aufs Grübel«, auf sorgsames Ab¬
wägen und Spielen mit Möglichkeiten gelegt hatte. Als Erbe eines nicht
unbedeutenden Grundbesitzes aufgewachsen, von einer zärtlichen Mutter ver¬
wöhnt, auf einer sogenannten Ritterakademie vorgebildet, hatte er den Beruf
eines Reiteroffiziers wie etwas selbstverständliches ergriffen und bisher noch
selten darüber hinaus verlangt. Flott und schneidig zu sein hatte er sich be¬
müht. Soweit es sein Temperament zuließ, war er es auch gewesen. Gut¬
mütiges Wohlwollen stand auf seinem Gesichte geschrieben, und er konnte sich
den Luxus gönnen, es zu bethätigen. Die Burschen, die er im Laufe der Zeit
gehabt hatte, wären alle für ihn durchs Feuer gegangen. Er gab eine Mark,
wo andre mit zwanzig oder zehn Pfennigen genug gethan zu haben glaubten.
Von den Frauen verstand er gar nichts, hielt es aber für notwendig, dafür
zu sorgen, daß die Kameraden ihn mit dieser oder jener Schwärmerei necken
konnten. Sorglos und gedankenlos lebte er dahin. Er war begeistert für das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/548>, abgerufen am 23.05.2024.