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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Der Streit der Fakultäten

Mittelalter, noch immer bestand für ihn das kriegerisch-kirchliche Staatengebilde,
in dem sein Geschlecht im Lause der Zeiten in die Höhe gekommen war. Daß
neue Bildungen im Werden waren, in denen seine lässige Weltanschauung eine
Zeitwidrigkeit darstellen mußte, bedachte er nnr, wenn er mit den Herren von
der Artillerie und der Reserve zusammenkam, oder wenn über die Demagogen,
Volksverderber und Nörgler gezetert wurde. Sonst bekümmerte er sich um
Politik so gut wie gar nicht. Seine Litteraturkenntnis war mangelhaft, und
seine Bedürfnisse in dieser Hinsicht ließen sich allenfalls von Winterfeldts amü¬
santen Einfällen und durch das Theater befriedigen. Wenn er aufs Land kam,
bei Jagdausflügen und Manövern, oder wenn er sich sonst mit Gutsbesitzern
traf, kamen ihm in den letzten Jahren wohl ab und zu Gedanken an sein
Erbgut, das zwar gut verpachtet und in tüchtigen Händen war, aber doch von
ihm vernachlässigt wurde.

Jetzt in Marienzellc merkte er, daß ihm etwas gefehlt hatte, schon lange,
und er dachte darüber nach, was es wohl sein könnte. Während er noch
darüber nachsann und es nicht finden konnte, schrieb seine Kusine eine bündige
Absage an Walther Vogelsang. Es war etwas wie Auflehnung gegen die
Regungen der letzten Wochen über sie gekommen. Sie freute sich innerlich,
dem Rechtsanwalt so entschieden ihren Willen kundzugeben, dankte ihm für
seine Bemühungen und war herzlich froh, als sie ihr Wappen auf das Brief¬
siegel drückte. ES war ihr, als wäre sie erst jetzt wieder sie selbst geworden.
Die erste Begegnung mit einem Manne ihres Blutes, ihres Kreises hatte ihre
Instinkte wieder wachgerufen die eine Frau Dr. Tötebcrg, Klages, Vogelsang
oder Doktor Utermöhlen nicht kannten. Das Spiel mit Möglichkeiten war aus.

Mit ihren: Briefe in der Hand ging sie hinunter und traf den Vetter,
wie er gedankenvoll in einem Bande des "Quellwassers fürs deutsche Haus"
blätternd dasaß und über das Dasein eines Rittmeisters a. D. nachdachte.

Weißt du, sagte er, ich werde Everstedt, sobald es Hübotter abgeben muß,
selbst bewirtschaften.

Das ist recht, dann mußt du aber sehen, daß du Landrat wirst.

Was soll ich armes Kind als Landrat? entgegnete er. Dazu nimmt man
jetzt nur Juristen.

Kinder, sagte die Stiftsdame, die eben ins Zimmer trat, jetzt wollen wir
Kaffee trinken. Ich glaube, ich bin ein bischen eingenickt. Denn ich habe
sogar geträumt.

Geträumt? Ach was denn, Tauenden?

Na, das erzähle ich euch vielleicht übers Jahr einmal.




Der Streit der Fakultäten

Mittelalter, noch immer bestand für ihn das kriegerisch-kirchliche Staatengebilde,
in dem sein Geschlecht im Lause der Zeiten in die Höhe gekommen war. Daß
neue Bildungen im Werden waren, in denen seine lässige Weltanschauung eine
Zeitwidrigkeit darstellen mußte, bedachte er nnr, wenn er mit den Herren von
der Artillerie und der Reserve zusammenkam, oder wenn über die Demagogen,
Volksverderber und Nörgler gezetert wurde. Sonst bekümmerte er sich um
Politik so gut wie gar nicht. Seine Litteraturkenntnis war mangelhaft, und
seine Bedürfnisse in dieser Hinsicht ließen sich allenfalls von Winterfeldts amü¬
santen Einfällen und durch das Theater befriedigen. Wenn er aufs Land kam,
bei Jagdausflügen und Manövern, oder wenn er sich sonst mit Gutsbesitzern
traf, kamen ihm in den letzten Jahren wohl ab und zu Gedanken an sein
Erbgut, das zwar gut verpachtet und in tüchtigen Händen war, aber doch von
ihm vernachlässigt wurde.

Jetzt in Marienzellc merkte er, daß ihm etwas gefehlt hatte, schon lange,
und er dachte darüber nach, was es wohl sein könnte. Während er noch
darüber nachsann und es nicht finden konnte, schrieb seine Kusine eine bündige
Absage an Walther Vogelsang. Es war etwas wie Auflehnung gegen die
Regungen der letzten Wochen über sie gekommen. Sie freute sich innerlich,
dem Rechtsanwalt so entschieden ihren Willen kundzugeben, dankte ihm für
seine Bemühungen und war herzlich froh, als sie ihr Wappen auf das Brief¬
siegel drückte. ES war ihr, als wäre sie erst jetzt wieder sie selbst geworden.
Die erste Begegnung mit einem Manne ihres Blutes, ihres Kreises hatte ihre
Instinkte wieder wachgerufen die eine Frau Dr. Tötebcrg, Klages, Vogelsang
oder Doktor Utermöhlen nicht kannten. Das Spiel mit Möglichkeiten war aus.

Mit ihren: Briefe in der Hand ging sie hinunter und traf den Vetter,
wie er gedankenvoll in einem Bande des „Quellwassers fürs deutsche Haus"
blätternd dasaß und über das Dasein eines Rittmeisters a. D. nachdachte.

Weißt du, sagte er, ich werde Everstedt, sobald es Hübotter abgeben muß,
selbst bewirtschaften.

Das ist recht, dann mußt du aber sehen, daß du Landrat wirst.

Was soll ich armes Kind als Landrat? entgegnete er. Dazu nimmt man
jetzt nur Juristen.

Kinder, sagte die Stiftsdame, die eben ins Zimmer trat, jetzt wollen wir
Kaffee trinken. Ich glaube, ich bin ein bischen eingenickt. Denn ich habe
sogar geträumt.

Geträumt? Ach was denn, Tauenden?

Na, das erzähle ich euch vielleicht übers Jahr einmal.




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[0549] Der Streit der Fakultäten Mittelalter, noch immer bestand für ihn das kriegerisch-kirchliche Staatengebilde, in dem sein Geschlecht im Lause der Zeiten in die Höhe gekommen war. Daß neue Bildungen im Werden waren, in denen seine lässige Weltanschauung eine Zeitwidrigkeit darstellen mußte, bedachte er nnr, wenn er mit den Herren von der Artillerie und der Reserve zusammenkam, oder wenn über die Demagogen, Volksverderber und Nörgler gezetert wurde. Sonst bekümmerte er sich um Politik so gut wie gar nicht. Seine Litteraturkenntnis war mangelhaft, und seine Bedürfnisse in dieser Hinsicht ließen sich allenfalls von Winterfeldts amü¬ santen Einfällen und durch das Theater befriedigen. Wenn er aufs Land kam, bei Jagdausflügen und Manövern, oder wenn er sich sonst mit Gutsbesitzern traf, kamen ihm in den letzten Jahren wohl ab und zu Gedanken an sein Erbgut, das zwar gut verpachtet und in tüchtigen Händen war, aber doch von ihm vernachlässigt wurde. Jetzt in Marienzellc merkte er, daß ihm etwas gefehlt hatte, schon lange, und er dachte darüber nach, was es wohl sein könnte. Während er noch darüber nachsann und es nicht finden konnte, schrieb seine Kusine eine bündige Absage an Walther Vogelsang. Es war etwas wie Auflehnung gegen die Regungen der letzten Wochen über sie gekommen. Sie freute sich innerlich, dem Rechtsanwalt so entschieden ihren Willen kundzugeben, dankte ihm für seine Bemühungen und war herzlich froh, als sie ihr Wappen auf das Brief¬ siegel drückte. ES war ihr, als wäre sie erst jetzt wieder sie selbst geworden. Die erste Begegnung mit einem Manne ihres Blutes, ihres Kreises hatte ihre Instinkte wieder wachgerufen die eine Frau Dr. Tötebcrg, Klages, Vogelsang oder Doktor Utermöhlen nicht kannten. Das Spiel mit Möglichkeiten war aus. Mit ihren: Briefe in der Hand ging sie hinunter und traf den Vetter, wie er gedankenvoll in einem Bande des „Quellwassers fürs deutsche Haus" blätternd dasaß und über das Dasein eines Rittmeisters a. D. nachdachte. Weißt du, sagte er, ich werde Everstedt, sobald es Hübotter abgeben muß, selbst bewirtschaften. Das ist recht, dann mußt du aber sehen, daß du Landrat wirst. Was soll ich armes Kind als Landrat? entgegnete er. Dazu nimmt man jetzt nur Juristen. Kinder, sagte die Stiftsdame, die eben ins Zimmer trat, jetzt wollen wir Kaffee trinken. Ich glaube, ich bin ein bischen eingenickt. Denn ich habe sogar geträumt. Geträumt? Ach was denn, Tauenden? Na, das erzähle ich euch vielleicht übers Jahr einmal.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/549>, abgerufen am 12.05.2024.