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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Die Römer in der Dobrndscha

die Nachbarstaaten können sich diesem Wetteifer nicht entziehen: in Rumänien
ist die Seele der Altertumsforschung der Senator Gregor Tönnchen, seit 1881
Direktor des reichhaltigen Bukarester Museums. Seiner Thätigkeit und An¬
regung verdankt die Altertumswissenschaft ihre neueste großartige Bereicherung,
die Erforschung des Denkmals von Adamklisst.

Was ist Adamklissi, und wo liegt es? Das Wort ist türkischen Ursprungs,
bedeutet "Menschenkirche" und bezeichnet einen ehemals mit menschlichen Relief¬
bildern geschmückten riesigen Steinturm und ein darnach benanntes elendes
Dorf in der jetzt rumänischen Dvbrudscha. Es lohnt, zunächst den Standort
des Denkmals genauer zu betrachten, ehe wir es selbst besprechen. Ich thue
beides im Anschluß an einen von der deutschen Wissenschaft bisher noch wenig
beachteten Vortrag, den Tönnchen am 8. Juli 1892 in der ^vaMmis ckss
lusoriMoQs ot dsllss löttrss as ?aris gehalten und mir auf meine Bitte
freundlichst zur Verfügung gestellt hat, ferner im Anschluß an die ersten Aus-
hüngebogen einer technisch vollendeten und vornehm ausgestatteten Publikation
des Denkmals, die von Toeileseu in Gemeinschaft mit Otto Venndorf und
George Niemann in Wien herausgeben wird.*)

Wo die untere Donau, dem Schwarzen Meere schon auf etwa 60 Kilo¬
meter nahe, durch das niedrige Bergland der Dvbrudscha gezwungen wird,
nach Norden umzubiegen, erstreckt sich, vom Strome durch unbedeutende Hügel¬
ketten getrennt, ein Thal südostwürts zum Meere, in dem sich die Bahn von
Tschernavoda nach der befestigten Hafenstadt Küstendsche, dem antiken Kon-
stantia (Tomi), hinzieht. Wenige Stunden südlich von dieser Bahnlinie kommt
man in ein wenig gegliedertes Hügelland von 150 bis 180 Metern über dem
Meere. Der Boden besteht aus Jura, über den sich Lößschichten ausbreiten.
"In monotoner Abfolge wechseln wellenförmig gedehnte Erdrücken und sanft
ausgeflachte Thalmulden, in deren Tiefen zuweilen Gestein ansteht. Ist die
leichtgewölbte Höhe eines solchen Bergrückens erstiegen, so breitet sich in fahlen
Tönen eine leise bewegte, endlose Fläche aus, in der kein Baum, kein Haus,
kein Fels aufragt, nur eine große Zahl niedriger Tumuli auffüllt, die sich
wie Maulwurfshügel einer Wiese ausnehmen. Nirgends erglänzt ein Wasser¬
spiegel, kein Grün verrät den Lauf eines befruchtende" Baches. Verdorrtes,
blumenloses Gras, von einer ungewöhnlich großen Heuschreckenart, einer Un¬
zahl Ratten und Eidechsen belebt, wogt weithin auf dem trocknen Lehmboden,
und im Kontrast mit diesem Anblick steigert sich die Bläue des Himmels, der
bei Sonnenauf- und -Untergang die wunderbarsten Farbenspiele bietet. Man
glaubt sich in völliger Einöde. Erst bei schürferm Sehen gewahrt man hie
und da ein bestelltes Feld, eine zerstreut weidende Herde, staunt über eine
Telegraphenleitung, auf deren Stützen mächtige Geier hocken, und bemerkt an



Dus Werk wird demnächst bei Hinter in Wien erscheinen.
Die Römer in der Dobrndscha

die Nachbarstaaten können sich diesem Wetteifer nicht entziehen: in Rumänien
ist die Seele der Altertumsforschung der Senator Gregor Tönnchen, seit 1881
Direktor des reichhaltigen Bukarester Museums. Seiner Thätigkeit und An¬
regung verdankt die Altertumswissenschaft ihre neueste großartige Bereicherung,
die Erforschung des Denkmals von Adamklisst.

Was ist Adamklissi, und wo liegt es? Das Wort ist türkischen Ursprungs,
bedeutet „Menschenkirche" und bezeichnet einen ehemals mit menschlichen Relief¬
bildern geschmückten riesigen Steinturm und ein darnach benanntes elendes
Dorf in der jetzt rumänischen Dvbrudscha. Es lohnt, zunächst den Standort
des Denkmals genauer zu betrachten, ehe wir es selbst besprechen. Ich thue
beides im Anschluß an einen von der deutschen Wissenschaft bisher noch wenig
beachteten Vortrag, den Tönnchen am 8. Juli 1892 in der ^vaMmis ckss
lusoriMoQs ot dsllss löttrss as ?aris gehalten und mir auf meine Bitte
freundlichst zur Verfügung gestellt hat, ferner im Anschluß an die ersten Aus-
hüngebogen einer technisch vollendeten und vornehm ausgestatteten Publikation
des Denkmals, die von Toeileseu in Gemeinschaft mit Otto Venndorf und
George Niemann in Wien herausgeben wird.*)

Wo die untere Donau, dem Schwarzen Meere schon auf etwa 60 Kilo¬
meter nahe, durch das niedrige Bergland der Dvbrudscha gezwungen wird,
nach Norden umzubiegen, erstreckt sich, vom Strome durch unbedeutende Hügel¬
ketten getrennt, ein Thal südostwürts zum Meere, in dem sich die Bahn von
Tschernavoda nach der befestigten Hafenstadt Küstendsche, dem antiken Kon-
stantia (Tomi), hinzieht. Wenige Stunden südlich von dieser Bahnlinie kommt
man in ein wenig gegliedertes Hügelland von 150 bis 180 Metern über dem
Meere. Der Boden besteht aus Jura, über den sich Lößschichten ausbreiten.
„In monotoner Abfolge wechseln wellenförmig gedehnte Erdrücken und sanft
ausgeflachte Thalmulden, in deren Tiefen zuweilen Gestein ansteht. Ist die
leichtgewölbte Höhe eines solchen Bergrückens erstiegen, so breitet sich in fahlen
Tönen eine leise bewegte, endlose Fläche aus, in der kein Baum, kein Haus,
kein Fels aufragt, nur eine große Zahl niedriger Tumuli auffüllt, die sich
wie Maulwurfshügel einer Wiese ausnehmen. Nirgends erglänzt ein Wasser¬
spiegel, kein Grün verrät den Lauf eines befruchtende» Baches. Verdorrtes,
blumenloses Gras, von einer ungewöhnlich großen Heuschreckenart, einer Un¬
zahl Ratten und Eidechsen belebt, wogt weithin auf dem trocknen Lehmboden,
und im Kontrast mit diesem Anblick steigert sich die Bläue des Himmels, der
bei Sonnenauf- und -Untergang die wunderbarsten Farbenspiele bietet. Man
glaubt sich in völliger Einöde. Erst bei schürferm Sehen gewahrt man hie
und da ein bestelltes Feld, eine zerstreut weidende Herde, staunt über eine
Telegraphenleitung, auf deren Stützen mächtige Geier hocken, und bemerkt an



Dus Werk wird demnächst bei Hinter in Wien erscheinen.
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[0579] Die Römer in der Dobrndscha die Nachbarstaaten können sich diesem Wetteifer nicht entziehen: in Rumänien ist die Seele der Altertumsforschung der Senator Gregor Tönnchen, seit 1881 Direktor des reichhaltigen Bukarester Museums. Seiner Thätigkeit und An¬ regung verdankt die Altertumswissenschaft ihre neueste großartige Bereicherung, die Erforschung des Denkmals von Adamklisst. Was ist Adamklissi, und wo liegt es? Das Wort ist türkischen Ursprungs, bedeutet „Menschenkirche" und bezeichnet einen ehemals mit menschlichen Relief¬ bildern geschmückten riesigen Steinturm und ein darnach benanntes elendes Dorf in der jetzt rumänischen Dvbrudscha. Es lohnt, zunächst den Standort des Denkmals genauer zu betrachten, ehe wir es selbst besprechen. Ich thue beides im Anschluß an einen von der deutschen Wissenschaft bisher noch wenig beachteten Vortrag, den Tönnchen am 8. Juli 1892 in der ^vaMmis ckss lusoriMoQs ot dsllss löttrss as ?aris gehalten und mir auf meine Bitte freundlichst zur Verfügung gestellt hat, ferner im Anschluß an die ersten Aus- hüngebogen einer technisch vollendeten und vornehm ausgestatteten Publikation des Denkmals, die von Toeileseu in Gemeinschaft mit Otto Venndorf und George Niemann in Wien herausgeben wird.*) Wo die untere Donau, dem Schwarzen Meere schon auf etwa 60 Kilo¬ meter nahe, durch das niedrige Bergland der Dvbrudscha gezwungen wird, nach Norden umzubiegen, erstreckt sich, vom Strome durch unbedeutende Hügel¬ ketten getrennt, ein Thal südostwürts zum Meere, in dem sich die Bahn von Tschernavoda nach der befestigten Hafenstadt Küstendsche, dem antiken Kon- stantia (Tomi), hinzieht. Wenige Stunden südlich von dieser Bahnlinie kommt man in ein wenig gegliedertes Hügelland von 150 bis 180 Metern über dem Meere. Der Boden besteht aus Jura, über den sich Lößschichten ausbreiten. „In monotoner Abfolge wechseln wellenförmig gedehnte Erdrücken und sanft ausgeflachte Thalmulden, in deren Tiefen zuweilen Gestein ansteht. Ist die leichtgewölbte Höhe eines solchen Bergrückens erstiegen, so breitet sich in fahlen Tönen eine leise bewegte, endlose Fläche aus, in der kein Baum, kein Haus, kein Fels aufragt, nur eine große Zahl niedriger Tumuli auffüllt, die sich wie Maulwurfshügel einer Wiese ausnehmen. Nirgends erglänzt ein Wasser¬ spiegel, kein Grün verrät den Lauf eines befruchtende» Baches. Verdorrtes, blumenloses Gras, von einer ungewöhnlich großen Heuschreckenart, einer Un¬ zahl Ratten und Eidechsen belebt, wogt weithin auf dem trocknen Lehmboden, und im Kontrast mit diesem Anblick steigert sich die Bläue des Himmels, der bei Sonnenauf- und -Untergang die wunderbarsten Farbenspiele bietet. Man glaubt sich in völliger Einöde. Erst bei schürferm Sehen gewahrt man hie und da ein bestelltes Feld, eine zerstreut weidende Herde, staunt über eine Telegraphenleitung, auf deren Stützen mächtige Geier hocken, und bemerkt an Dus Werk wird demnächst bei Hinter in Wien erscheinen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/579>, abgerufen am 07.06.2024.