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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Aus der Geschichte der deutschen Studentensprache

brachte; ein Theologe wird wohl auch die mahnenden Gläubiger zuerst
Manichäer genannt haben. Aber was Kluge dieser Zeit sonst an biblisch¬
theologischem zuschreiben möchte, kann recht gut auch älter sein. Am ent¬
schiedensten läßt sich das von dem vielbesprochen Worte Philister sagen.
Bereits eine mittellateinische Strophe rät dem angehenden Vaganten: Sieh
dich vor,


no eg possit, (löoixsi'it
us^us truä".t in vitiurn
I'Iiilistsns iuM'vviZs
elÄM es proävnts OMä".

Oalickv steht natürlich für viülls: der junge Kleriker, der Krieger Gottes, der
Simson, soll sich in acht nehmen, daß er nicht bei lockern Abenteuern dem
Bauern, dem Philister, in die Hände füllt. Die völlig. Samsoins spielt aber
auch sonst eine Rolle in diesen lateinischen Liedern: der biblische Vergleich ist
offenbar den Vaganten völlig geläufig gewesen, und von ihnen wird ihn das
neuere Studententum übernommen haben. Nicht ohne Wahrscheinlichkeit ist
auch die Vermutung, daß die despektirliche Bedeutung des Papstes in der
Studentensprache in die Zeiten vor der großen Reformation zurückgeht; gerade
von diesem Thema sind auch die mittellateinischen Vagantenlieder und Sa¬
tiren voll.

Wie bedenklich es überhaupt ist, darnach, wann ein Ausdruck in dem uns
überlieferten oder auch nur bequem zugänglichen Stoffe auftaucht, auf die Zeit
seiner Entstehung schließen zu wollen, zeigt gerade die Studentensprache noch
an ein paar hübschen Beispielen. Kluges Kapitel "Burschikose Zoologie"
bringt unter einer Fülle von Tierschimpfwörtern auch einen Abschnitt über die
Geschichte des studentischen Ausdruckes Fuchs. Wir begegnen ihm in der
Studentensprache in: heutigen Sinne seit dem Anfange des vorigen Jahr¬
hunderts. Aber Kluge hat auch einen Voß bei Hans Sachs aufgefunden,
der ihm hierher zu gehören scheint, und den stellt er zusammen mit einer An¬
gabe des Mathesius: "sie müssen sich Schulpsaffen, Vofseu und Bachanten
schelten lassen"; leider giebt er nicht mit an, wer sich so schimpfen lassen
mußte. Er zieht den vorsichtigen Schluß: "So mag eine niederdeutsche
Universität -- etwa Rostock, vielleicht auch Wittenberg, das damals über¬
wiegend platt sprach -- in irgend einer Weise für die Geschichte des studen¬
tischen Fuchses bedeutsam gewesen sein, und Fuchs ergab sich als hochdeutsche
Lautentsprechung für ein niederdeutsches Voß ganz von selbst."

Vielleicht dürfen wir etwas weiter gehen. Die Worte des Mathesius
stellen Fuchs (um einstweilen von der niederdeutschen Form abzusehen) als
Schimpfwort für Leute hin, die mich Bachanten und Schulpsaffen geschimpft
wurden. Von den drei Schimpfnamen nun hat der eine, Bach ant, einen
nicht mißzudeutender Sinn: er bezeichnet den fahrenden Baechusknecht, den


Aus der Geschichte der deutschen Studentensprache

brachte; ein Theologe wird wohl auch die mahnenden Gläubiger zuerst
Manichäer genannt haben. Aber was Kluge dieser Zeit sonst an biblisch¬
theologischem zuschreiben möchte, kann recht gut auch älter sein. Am ent¬
schiedensten läßt sich das von dem vielbesprochen Worte Philister sagen.
Bereits eine mittellateinische Strophe rät dem angehenden Vaganten: Sieh
dich vor,


no eg possit, (löoixsi'it
us^us truä».t in vitiurn
I'Iiilistsns iuM'vviZs
elÄM es proävnts OMä«.

Oalickv steht natürlich für viülls: der junge Kleriker, der Krieger Gottes, der
Simson, soll sich in acht nehmen, daß er nicht bei lockern Abenteuern dem
Bauern, dem Philister, in die Hände füllt. Die völlig. Samsoins spielt aber
auch sonst eine Rolle in diesen lateinischen Liedern: der biblische Vergleich ist
offenbar den Vaganten völlig geläufig gewesen, und von ihnen wird ihn das
neuere Studententum übernommen haben. Nicht ohne Wahrscheinlichkeit ist
auch die Vermutung, daß die despektirliche Bedeutung des Papstes in der
Studentensprache in die Zeiten vor der großen Reformation zurückgeht; gerade
von diesem Thema sind auch die mittellateinischen Vagantenlieder und Sa¬
tiren voll.

Wie bedenklich es überhaupt ist, darnach, wann ein Ausdruck in dem uns
überlieferten oder auch nur bequem zugänglichen Stoffe auftaucht, auf die Zeit
seiner Entstehung schließen zu wollen, zeigt gerade die Studentensprache noch
an ein paar hübschen Beispielen. Kluges Kapitel „Burschikose Zoologie"
bringt unter einer Fülle von Tierschimpfwörtern auch einen Abschnitt über die
Geschichte des studentischen Ausdruckes Fuchs. Wir begegnen ihm in der
Studentensprache in: heutigen Sinne seit dem Anfange des vorigen Jahr¬
hunderts. Aber Kluge hat auch einen Voß bei Hans Sachs aufgefunden,
der ihm hierher zu gehören scheint, und den stellt er zusammen mit einer An¬
gabe des Mathesius: „sie müssen sich Schulpsaffen, Vofseu und Bachanten
schelten lassen"; leider giebt er nicht mit an, wer sich so schimpfen lassen
mußte. Er zieht den vorsichtigen Schluß: „So mag eine niederdeutsche
Universität — etwa Rostock, vielleicht auch Wittenberg, das damals über¬
wiegend platt sprach — in irgend einer Weise für die Geschichte des studen¬
tischen Fuchses bedeutsam gewesen sein, und Fuchs ergab sich als hochdeutsche
Lautentsprechung für ein niederdeutsches Voß ganz von selbst."

Vielleicht dürfen wir etwas weiter gehen. Die Worte des Mathesius
stellen Fuchs (um einstweilen von der niederdeutschen Form abzusehen) als
Schimpfwort für Leute hin, die mich Bachanten und Schulpsaffen geschimpft
wurden. Von den drei Schimpfnamen nun hat der eine, Bach ant, einen
nicht mißzudeutender Sinn: er bezeichnet den fahrenden Baechusknecht, den


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[0592] Aus der Geschichte der deutschen Studentensprache brachte; ein Theologe wird wohl auch die mahnenden Gläubiger zuerst Manichäer genannt haben. Aber was Kluge dieser Zeit sonst an biblisch¬ theologischem zuschreiben möchte, kann recht gut auch älter sein. Am ent¬ schiedensten läßt sich das von dem vielbesprochen Worte Philister sagen. Bereits eine mittellateinische Strophe rät dem angehenden Vaganten: Sieh dich vor, no eg possit, (löoixsi'it us^us truä».t in vitiurn I'Iiilistsns iuM'vviZs elÄM es proävnts OMä«. Oalickv steht natürlich für viülls: der junge Kleriker, der Krieger Gottes, der Simson, soll sich in acht nehmen, daß er nicht bei lockern Abenteuern dem Bauern, dem Philister, in die Hände füllt. Die völlig. Samsoins spielt aber auch sonst eine Rolle in diesen lateinischen Liedern: der biblische Vergleich ist offenbar den Vaganten völlig geläufig gewesen, und von ihnen wird ihn das neuere Studententum übernommen haben. Nicht ohne Wahrscheinlichkeit ist auch die Vermutung, daß die despektirliche Bedeutung des Papstes in der Studentensprache in die Zeiten vor der großen Reformation zurückgeht; gerade von diesem Thema sind auch die mittellateinischen Vagantenlieder und Sa¬ tiren voll. Wie bedenklich es überhaupt ist, darnach, wann ein Ausdruck in dem uns überlieferten oder auch nur bequem zugänglichen Stoffe auftaucht, auf die Zeit seiner Entstehung schließen zu wollen, zeigt gerade die Studentensprache noch an ein paar hübschen Beispielen. Kluges Kapitel „Burschikose Zoologie" bringt unter einer Fülle von Tierschimpfwörtern auch einen Abschnitt über die Geschichte des studentischen Ausdruckes Fuchs. Wir begegnen ihm in der Studentensprache in: heutigen Sinne seit dem Anfange des vorigen Jahr¬ hunderts. Aber Kluge hat auch einen Voß bei Hans Sachs aufgefunden, der ihm hierher zu gehören scheint, und den stellt er zusammen mit einer An¬ gabe des Mathesius: „sie müssen sich Schulpsaffen, Vofseu und Bachanten schelten lassen"; leider giebt er nicht mit an, wer sich so schimpfen lassen mußte. Er zieht den vorsichtigen Schluß: „So mag eine niederdeutsche Universität — etwa Rostock, vielleicht auch Wittenberg, das damals über¬ wiegend platt sprach — in irgend einer Weise für die Geschichte des studen¬ tischen Fuchses bedeutsam gewesen sein, und Fuchs ergab sich als hochdeutsche Lautentsprechung für ein niederdeutsches Voß ganz von selbst." Vielleicht dürfen wir etwas weiter gehen. Die Worte des Mathesius stellen Fuchs (um einstweilen von der niederdeutschen Form abzusehen) als Schimpfwort für Leute hin, die mich Bachanten und Schulpsaffen geschimpft wurden. Von den drei Schimpfnamen nun hat der eine, Bach ant, einen nicht mißzudeutender Sinn: er bezeichnet den fahrenden Baechusknecht, den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/592>, abgerufen am 27.04.2024.