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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Am Stammtisch

Wie mans nimmt, erwiderte ingrimmig lächelnd der Landgerichtsrat,
früher drillte er im Regiment und in der Kaserne, jetzt dritte und führt das
Regiment zu Hause die Frau Major.

Sie alter, verbissener Junggeselle, rief der Professor, das ewig Weibliche
zieht ihn an.

Oder aus! wenn er einmal zu spät oder zu voll nach Hause kommt.
Übrigens, Doktor, dort kommt Ihr Renommirdienstmann, der Sie zu "Ihren"
Kranken ruft! Schonen Sie sein, und sprechen Sie ihn von aller Krankheit
frei; Sie haben ja heute gelernt, wie das mit ärztlicher Hilfe gemacht wird.

Empfehle mich, meine Herren, bitte um freundliche Nachrede.

So -- ers3 lac-inne oollsZium. Muß aber dieser Doktor ein schlechtes
Gewissen haben; er ahnte, daß ich seinem Scheiden kein Havs, M animÄ
nachrufen würde. Denken Sie sich, meine Herren -- oder vielmehr nur Sie,
Herr Professor, denn bei Ihnen, Herr Rechtsanwalt, zwei Seelen wohnen
ach in Ihrer Brust! -- also denken Sie sich: lassen wir den Kerl, den der
Staatsanwalt seit einem Jahre sucht, beinahe von der russischen Grenze Her¬
transportiren, er wird rekognoszirt, gesteht seine MMäklosa ein, und -- haben
Sie die Güte, und bemühen Sie sich wieder ins Freie, der Herr Sachver-
verstündige sagt, Sie wären unzurechnungsfähig oder hätten wenigstens die
That in einem Zustande von Bewußtlosigkeit oder krankhafter Störung der
Geistesthätigkeit begangen. Also bitte, Sie schuldloser Ehrenmann! Hol der
Teufel diesen Medizinmann mit samt seiner Kriminalanthropologie. -- Gute
Nacht, meine Herren, mir schmeckt heute kein Tropfen mehr.

Gute Nacht, Herr Landgerichtsrat! -- Ein aufgeregter Mann! Na, hoffent¬
lich trifft er den Doktor nicht, sonst genade dem! Übrigens, zu weit mögen
sie wohl manchmal gehen mit ihren Gutachten über den Geisteszustand: das
einzig wahre Studium des Menschen und der Seele, das macht doch nur
der Lehrer durch. Glauben Sie mir, ich habe gar manchem meiner Schüler
richtig sein Prognostikon gestellt, der jetzt auf den Höhen des Lebens oder
in der Tiefe wandelt oder die anisa inMooritW hält. Aber auch unsre
Stunde schlägt. Wandeln wir also heim zu unsern Penaten! Gehen wir
zusammen, dann null uns keiner einen liebevollen Nachruf nach.




Kommst du aber heute spät! seufzte vorwurfsvoll die Frau Professorin.

Ja, liebes Kind, es war aber auch ganz besonders nett und behaglich
heute. Eine seltne Übereinstimmung der verschiednen Bildungs- und Berufs-
kreise! Jeder giebt sein Bestes -- man lernt täglich da!




Grenzboten I 1395
Am Stammtisch

Wie mans nimmt, erwiderte ingrimmig lächelnd der Landgerichtsrat,
früher drillte er im Regiment und in der Kaserne, jetzt dritte und führt das
Regiment zu Hause die Frau Major.

Sie alter, verbissener Junggeselle, rief der Professor, das ewig Weibliche
zieht ihn an.

Oder aus! wenn er einmal zu spät oder zu voll nach Hause kommt.
Übrigens, Doktor, dort kommt Ihr Renommirdienstmann, der Sie zu „Ihren"
Kranken ruft! Schonen Sie sein, und sprechen Sie ihn von aller Krankheit
frei; Sie haben ja heute gelernt, wie das mit ärztlicher Hilfe gemacht wird.

Empfehle mich, meine Herren, bitte um freundliche Nachrede.

So — ers3 lac-inne oollsZium. Muß aber dieser Doktor ein schlechtes
Gewissen haben; er ahnte, daß ich seinem Scheiden kein Havs, M animÄ
nachrufen würde. Denken Sie sich, meine Herren — oder vielmehr nur Sie,
Herr Professor, denn bei Ihnen, Herr Rechtsanwalt, zwei Seelen wohnen
ach in Ihrer Brust! — also denken Sie sich: lassen wir den Kerl, den der
Staatsanwalt seit einem Jahre sucht, beinahe von der russischen Grenze Her¬
transportiren, er wird rekognoszirt, gesteht seine MMäklosa ein, und — haben
Sie die Güte, und bemühen Sie sich wieder ins Freie, der Herr Sachver-
verstündige sagt, Sie wären unzurechnungsfähig oder hätten wenigstens die
That in einem Zustande von Bewußtlosigkeit oder krankhafter Störung der
Geistesthätigkeit begangen. Also bitte, Sie schuldloser Ehrenmann! Hol der
Teufel diesen Medizinmann mit samt seiner Kriminalanthropologie. — Gute
Nacht, meine Herren, mir schmeckt heute kein Tropfen mehr.

Gute Nacht, Herr Landgerichtsrat! — Ein aufgeregter Mann! Na, hoffent¬
lich trifft er den Doktor nicht, sonst genade dem! Übrigens, zu weit mögen
sie wohl manchmal gehen mit ihren Gutachten über den Geisteszustand: das
einzig wahre Studium des Menschen und der Seele, das macht doch nur
der Lehrer durch. Glauben Sie mir, ich habe gar manchem meiner Schüler
richtig sein Prognostikon gestellt, der jetzt auf den Höhen des Lebens oder
in der Tiefe wandelt oder die anisa inMooritW hält. Aber auch unsre
Stunde schlägt. Wandeln wir also heim zu unsern Penaten! Gehen wir
zusammen, dann null uns keiner einen liebevollen Nachruf nach.




Kommst du aber heute spät! seufzte vorwurfsvoll die Frau Professorin.

Ja, liebes Kind, es war aber auch ganz besonders nett und behaglich
heute. Eine seltne Übereinstimmung der verschiednen Bildungs- und Berufs-
kreise! Jeder giebt sein Bestes — man lernt täglich da!




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[0599] Am Stammtisch Wie mans nimmt, erwiderte ingrimmig lächelnd der Landgerichtsrat, früher drillte er im Regiment und in der Kaserne, jetzt dritte und führt das Regiment zu Hause die Frau Major. Sie alter, verbissener Junggeselle, rief der Professor, das ewig Weibliche zieht ihn an. Oder aus! wenn er einmal zu spät oder zu voll nach Hause kommt. Übrigens, Doktor, dort kommt Ihr Renommirdienstmann, der Sie zu „Ihren" Kranken ruft! Schonen Sie sein, und sprechen Sie ihn von aller Krankheit frei; Sie haben ja heute gelernt, wie das mit ärztlicher Hilfe gemacht wird. Empfehle mich, meine Herren, bitte um freundliche Nachrede. So — ers3 lac-inne oollsZium. Muß aber dieser Doktor ein schlechtes Gewissen haben; er ahnte, daß ich seinem Scheiden kein Havs, M animÄ nachrufen würde. Denken Sie sich, meine Herren — oder vielmehr nur Sie, Herr Professor, denn bei Ihnen, Herr Rechtsanwalt, zwei Seelen wohnen ach in Ihrer Brust! — also denken Sie sich: lassen wir den Kerl, den der Staatsanwalt seit einem Jahre sucht, beinahe von der russischen Grenze Her¬ transportiren, er wird rekognoszirt, gesteht seine MMäklosa ein, und — haben Sie die Güte, und bemühen Sie sich wieder ins Freie, der Herr Sachver- verstündige sagt, Sie wären unzurechnungsfähig oder hätten wenigstens die That in einem Zustande von Bewußtlosigkeit oder krankhafter Störung der Geistesthätigkeit begangen. Also bitte, Sie schuldloser Ehrenmann! Hol der Teufel diesen Medizinmann mit samt seiner Kriminalanthropologie. — Gute Nacht, meine Herren, mir schmeckt heute kein Tropfen mehr. Gute Nacht, Herr Landgerichtsrat! — Ein aufgeregter Mann! Na, hoffent¬ lich trifft er den Doktor nicht, sonst genade dem! Übrigens, zu weit mögen sie wohl manchmal gehen mit ihren Gutachten über den Geisteszustand: das einzig wahre Studium des Menschen und der Seele, das macht doch nur der Lehrer durch. Glauben Sie mir, ich habe gar manchem meiner Schüler richtig sein Prognostikon gestellt, der jetzt auf den Höhen des Lebens oder in der Tiefe wandelt oder die anisa inMooritW hält. Aber auch unsre Stunde schlägt. Wandeln wir also heim zu unsern Penaten! Gehen wir zusammen, dann null uns keiner einen liebevollen Nachruf nach. Kommst du aber heute spät! seufzte vorwurfsvoll die Frau Professorin. Ja, liebes Kind, es war aber auch ganz besonders nett und behaglich heute. Eine seltne Übereinstimmung der verschiednen Bildungs- und Berufs- kreise! Jeder giebt sein Bestes — man lernt täglich da! Grenzboten I 1395

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/599>, abgerufen am 12.05.2024.