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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Am Stammtisch

mittage mit den Jungen gelesen hatte, das heißt nämlich -- sehr frei und
sehr wörtlich übersetzt --: alter Freund, selber Vlechschmied!

Oder Grobschmied! lispelte ihm der Nachbar Rechtsanwalt zu.

Wo bleibt nur heute der Postdirektor? fragte der Major. Findet die
findige Post den Stammtisch bei diesem Wetter nicht? Halt, da kommt er
ja wohl? Nein, der Königliche Herr Laudgerichtsrat haben beschlossen zu er¬
scheinen. So spät, Verehrtester, bis jetzt Sitzung gehabt?

Nicht der Rede wert! Die Herren Sachverständigen machen einem ja die
Sachen und die Urteile leicht. Unzurechnungsfähig! d. h. nicht die Sachver¬
ständigen, wenigstens vor der Hand noch nicht. Ah, sieh da! da find Sie
ja auch schon, Sie medizinischer Rabulist und Seelenkenner, und vertrinken
die Gebühren, die wir freundlichst der Staatskasse zur Last gelegt haben.

Na, die reichen nicht, um die trockne Kehle anzufeuchten; denn reden
muß man, reden, ehe man die andre Fakultät überzeugt! Herr Professor,
Sie müssen mir ausrechnen helfen, wie viel Wörter da auf einen Pfennig
kommen!

Und was für Wörter! Wortgebilde! Wortungeheuer! Doktor, sagen Sie
mir nnr einmal, wie oft haben Sie in der heutigen Sitzung von Kriminal-
anthrvpologie gesprochen?

Nicht öfter, als nötig. Ich beschäftige mich jetzt viel damit, d. h. ich
habe angefangen.

Na, das merkte man, hüstelte das gekränkte und verärgerte Straftammer-
mitglied.

Wie bemerkten Sie eben so richtig?

Ich sagte: man kann heute wirklich froh sein, wenn man einen gestän¬
digen Dieb dnrch die Scylla und Charybdis der Verteidigung, der Sach-
verständigenpshchologie und der Gnadeninstanz glücklich im Hafen, d. h. hinter
Schloß und Riegel hat! Ja, bester Herr Major, für diese neue Welt wird
man zu alt.

Na, von mir möchte ich das gerade nicht sagen; felddienstfähig bin ich
ja nicht mehr ganz, aber meinen Mann wollte ich schon noch stellen. Wenn
ich, wie mir neulich der Amtsrichter androhte, Geschworner werde, dann
genade Gott den Herren Dieben und Räubern!

Gut, daß wir das jetzt schou hören; wir Verteidiger wollen Sie dann
schon fein säuberlich ablehnen.

Na, für heute will ich das selbst übernehmen und Sie von meiner Gegen¬
wart befreien.

Der Major stand auf, seine Stunde hatte -- wenn auch lautlos -- ge¬
schlagen, die Stammtischnhr stand auf zehn Minuten vor acht.

Die alte militärische Pünktlichkeit steckt ihm doch immer noch in den
Gliedern, sagte der Kamerad-Rechtsanwalt.


Am Stammtisch

mittage mit den Jungen gelesen hatte, das heißt nämlich — sehr frei und
sehr wörtlich übersetzt —: alter Freund, selber Vlechschmied!

Oder Grobschmied! lispelte ihm der Nachbar Rechtsanwalt zu.

Wo bleibt nur heute der Postdirektor? fragte der Major. Findet die
findige Post den Stammtisch bei diesem Wetter nicht? Halt, da kommt er
ja wohl? Nein, der Königliche Herr Laudgerichtsrat haben beschlossen zu er¬
scheinen. So spät, Verehrtester, bis jetzt Sitzung gehabt?

Nicht der Rede wert! Die Herren Sachverständigen machen einem ja die
Sachen und die Urteile leicht. Unzurechnungsfähig! d. h. nicht die Sachver¬
ständigen, wenigstens vor der Hand noch nicht. Ah, sieh da! da find Sie
ja auch schon, Sie medizinischer Rabulist und Seelenkenner, und vertrinken
die Gebühren, die wir freundlichst der Staatskasse zur Last gelegt haben.

Na, die reichen nicht, um die trockne Kehle anzufeuchten; denn reden
muß man, reden, ehe man die andre Fakultät überzeugt! Herr Professor,
Sie müssen mir ausrechnen helfen, wie viel Wörter da auf einen Pfennig
kommen!

Und was für Wörter! Wortgebilde! Wortungeheuer! Doktor, sagen Sie
mir nnr einmal, wie oft haben Sie in der heutigen Sitzung von Kriminal-
anthrvpologie gesprochen?

Nicht öfter, als nötig. Ich beschäftige mich jetzt viel damit, d. h. ich
habe angefangen.

Na, das merkte man, hüstelte das gekränkte und verärgerte Straftammer-
mitglied.

Wie bemerkten Sie eben so richtig?

Ich sagte: man kann heute wirklich froh sein, wenn man einen gestän¬
digen Dieb dnrch die Scylla und Charybdis der Verteidigung, der Sach-
verständigenpshchologie und der Gnadeninstanz glücklich im Hafen, d. h. hinter
Schloß und Riegel hat! Ja, bester Herr Major, für diese neue Welt wird
man zu alt.

Na, von mir möchte ich das gerade nicht sagen; felddienstfähig bin ich
ja nicht mehr ganz, aber meinen Mann wollte ich schon noch stellen. Wenn
ich, wie mir neulich der Amtsrichter androhte, Geschworner werde, dann
genade Gott den Herren Dieben und Räubern!

Gut, daß wir das jetzt schou hören; wir Verteidiger wollen Sie dann
schon fein säuberlich ablehnen.

Na, für heute will ich das selbst übernehmen und Sie von meiner Gegen¬
wart befreien.

Der Major stand auf, seine Stunde hatte — wenn auch lautlos — ge¬
schlagen, die Stammtischnhr stand auf zehn Minuten vor acht.

Die alte militärische Pünktlichkeit steckt ihm doch immer noch in den
Gliedern, sagte der Kamerad-Rechtsanwalt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/598>, abgerufen am 06.06.2024.