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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Wissenschaft. Aber nachdem geschossen und wiedergeschossen ist, wird es auch in
diesem Falle eine Zeit der Ruhe geben."

Ganz andrer Art als diese beiden Werke ist ein kleines Buch, das dem Leser
ebenso viel Genuß wie Nutzen gewahrt: Die Entstehung der Volkswirtschaft.
Sechs Vorträge von Dr. Karl Bücher, ordentlichem Professor an der Universität
Leipzig (Tübingen, H. Laupp). Es enthält die Ergebnisse gründlicher Spezial-
forschungen eines scharfsinnigen Denkers, die dieser so gestaltet, daß sie den, Leser
den Einblick ins Innerste des Wirtschaftslebens eröffnen. Die Überschriften der
sechs Vorträge lauten: 1. Die Entstehung der Volkswirtschaft. 2. Die gewerblichen
Betriebssysteme in ihrer geschichtlichen Entwicklung. 3. Arbeitsteilung und soziale
Klassenbildung. 4. Die Anfänge des Zeitungswesens. 5. Die soziale Gliederung
der Frankfurter Bevölkerung im Mittelalter. 6. Die innern Wanderungen und
das Städtewesen in ihrer 'entwicklungsgeschichtlichen Bedeutung. Von den inter¬
essanten Endergebnissen dieser Untersuchungen teilen Nur nachstehend ein paar mit.
Im erste" Vortrage findet Bücher, daß die Volkswirtschaft das Produkt einer Jahr¬
tausende langen Entwicklung und nicht älter sei als der moderne Staat. Er ver¬
wirft die bisherigen Periodeneinteilnngen der Wirtschaftsgeschichte und stellt folgende
neue auf: 1. die Periode der geschlossenen Hauswirtschaft, 2. die der Stadtwirt¬
schaft, 3. die der Volkswirtschaft. Im zweiten findet er fünf Hanptbetriebssysteme,
die sich zwar nach einander jede ans der vorhergehenden entwickeln, doch so, daß
immer die ältern neben den neu entstandnen bestehen bleiben; es sind: 1. der Haus¬
fleiß, 2. das Lvhnwerk (wobei der Handwerker ohne eignes Kapital die vom Kunden
gelieferten Materialien, oft in dessen Wohnung, verarbeitet), 3. das Handwerk (der
Handwerker schafft mit eignem Kapital nicht bloß auf Bestellung, sondern auch schon
für den Markt), 4. das Verlagssystem (Hausindustrie), 6. die Fabrik. In der
dritten Abhandlung wird die Wechselwirkung zwischen den, Besitz, den sich bald
spaltenden, bald vereinigenden Berufsarten und der Vererbung dargelegt. Das so
entstehende Gewebe ist zu sein und zu verwickelt, als daß wir es mit wenigen
Worten veranschaulichen könnten; wir beschränken uns darauf, das Urteil des Ver¬
fassers über die u. a. vou Schmoller vertretue Theorie mitzuteilen, wonach sich die
Anlage für einen bestimmten Beruf vererben und durch Vererbung vervollkommnen
soll. ' "Die ganze Vererbungstheorie, schreibt er Seite 166 bis 168, trägt die un¬
erfreulichen Gesichtszüge einer Sozialphilosophie der thäti possiSoutss. Sie ruft
dem Niedriggebornen, der in sich die Kraft zu verspüren meint, eine höhere Stel¬
lung auszufüllen, zu: "Laß alle Hoffnung schwinden, deine körperliche und geistige
Verfassung, deine Nerven, deine Muskeln, die Kausalkette vou vielen Jahrhunderten
halt dich mu Boden fest. Deine Vorfahren sind seit Jahrhunderten Leibeigne ge¬
wesen, dein Vater und Großvater waren Tagelöhner, du bist zu einem ähnlichen
Berufe bestimmt." Mau muß sich eigentlich wundern, daß eine solche Lehre nnter
einem Volke entstehen konnte, das unter seinen Geistesheroen einen Luther zählt,
den Sohn eines Bergmanns, einen Kant, den Sohn eines Sattlers, einen Fichte,'
den Sohn eines armen Dorfleinewebers, einen Gauß, den Sohn eines Gärtners,
um von vielen andern zu schweigen. Es giebt eine alte Anekdote von einem Kar¬
dinal, dessen Vater die Schweine gehütet hatte, und von einem adelsstolzen fran¬
zösischen Gesandten. In einer schwierigen Unterhandlung, in der der Kardinal mit
Geschick und Hartnäckigkeit die Interessen der Kirche vertrat, ließ sich der Gesandte
hinreißen, jenem seinen Ursprung vorzuwerfen. Der Kardinal antwortete: "Es ist
richtig, daß mein Vater die Schweine gehütet hat, aber wenn Ihr Vater sie ge¬
hütet hätte, so würden Sie sie auch hüten." Diese kleine Erzählung hat vielleicht


Grenzboten I 1896 75
Maßgebliches und Unmaßgebliches

Wissenschaft. Aber nachdem geschossen und wiedergeschossen ist, wird es auch in
diesem Falle eine Zeit der Ruhe geben."

Ganz andrer Art als diese beiden Werke ist ein kleines Buch, das dem Leser
ebenso viel Genuß wie Nutzen gewahrt: Die Entstehung der Volkswirtschaft.
Sechs Vorträge von Dr. Karl Bücher, ordentlichem Professor an der Universität
Leipzig (Tübingen, H. Laupp). Es enthält die Ergebnisse gründlicher Spezial-
forschungen eines scharfsinnigen Denkers, die dieser so gestaltet, daß sie den, Leser
den Einblick ins Innerste des Wirtschaftslebens eröffnen. Die Überschriften der
sechs Vorträge lauten: 1. Die Entstehung der Volkswirtschaft. 2. Die gewerblichen
Betriebssysteme in ihrer geschichtlichen Entwicklung. 3. Arbeitsteilung und soziale
Klassenbildung. 4. Die Anfänge des Zeitungswesens. 5. Die soziale Gliederung
der Frankfurter Bevölkerung im Mittelalter. 6. Die innern Wanderungen und
das Städtewesen in ihrer 'entwicklungsgeschichtlichen Bedeutung. Von den inter¬
essanten Endergebnissen dieser Untersuchungen teilen Nur nachstehend ein paar mit.
Im erste» Vortrage findet Bücher, daß die Volkswirtschaft das Produkt einer Jahr¬
tausende langen Entwicklung und nicht älter sei als der moderne Staat. Er ver¬
wirft die bisherigen Periodeneinteilnngen der Wirtschaftsgeschichte und stellt folgende
neue auf: 1. die Periode der geschlossenen Hauswirtschaft, 2. die der Stadtwirt¬
schaft, 3. die der Volkswirtschaft. Im zweiten findet er fünf Hanptbetriebssysteme,
die sich zwar nach einander jede ans der vorhergehenden entwickeln, doch so, daß
immer die ältern neben den neu entstandnen bestehen bleiben; es sind: 1. der Haus¬
fleiß, 2. das Lvhnwerk (wobei der Handwerker ohne eignes Kapital die vom Kunden
gelieferten Materialien, oft in dessen Wohnung, verarbeitet), 3. das Handwerk (der
Handwerker schafft mit eignem Kapital nicht bloß auf Bestellung, sondern auch schon
für den Markt), 4. das Verlagssystem (Hausindustrie), 6. die Fabrik. In der
dritten Abhandlung wird die Wechselwirkung zwischen den, Besitz, den sich bald
spaltenden, bald vereinigenden Berufsarten und der Vererbung dargelegt. Das so
entstehende Gewebe ist zu sein und zu verwickelt, als daß wir es mit wenigen
Worten veranschaulichen könnten; wir beschränken uns darauf, das Urteil des Ver¬
fassers über die u. a. vou Schmoller vertretue Theorie mitzuteilen, wonach sich die
Anlage für einen bestimmten Beruf vererben und durch Vererbung vervollkommnen
soll. ' „Die ganze Vererbungstheorie, schreibt er Seite 166 bis 168, trägt die un¬
erfreulichen Gesichtszüge einer Sozialphilosophie der thäti possiSoutss. Sie ruft
dem Niedriggebornen, der in sich die Kraft zu verspüren meint, eine höhere Stel¬
lung auszufüllen, zu: »Laß alle Hoffnung schwinden, deine körperliche und geistige
Verfassung, deine Nerven, deine Muskeln, die Kausalkette vou vielen Jahrhunderten
halt dich mu Boden fest. Deine Vorfahren sind seit Jahrhunderten Leibeigne ge¬
wesen, dein Vater und Großvater waren Tagelöhner, du bist zu einem ähnlichen
Berufe bestimmt.« Mau muß sich eigentlich wundern, daß eine solche Lehre nnter
einem Volke entstehen konnte, das unter seinen Geistesheroen einen Luther zählt,
den Sohn eines Bergmanns, einen Kant, den Sohn eines Sattlers, einen Fichte,'
den Sohn eines armen Dorfleinewebers, einen Gauß, den Sohn eines Gärtners,
um von vielen andern zu schweigen. Es giebt eine alte Anekdote von einem Kar¬
dinal, dessen Vater die Schweine gehütet hatte, und von einem adelsstolzen fran¬
zösischen Gesandten. In einer schwierigen Unterhandlung, in der der Kardinal mit
Geschick und Hartnäckigkeit die Interessen der Kirche vertrat, ließ sich der Gesandte
hinreißen, jenem seinen Ursprung vorzuwerfen. Der Kardinal antwortete: »Es ist
richtig, daß mein Vater die Schweine gehütet hat, aber wenn Ihr Vater sie ge¬
hütet hätte, so würden Sie sie auch hüten.« Diese kleine Erzählung hat vielleicht


Grenzboten I 1896 75
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[0607] Maßgebliches und Unmaßgebliches Wissenschaft. Aber nachdem geschossen und wiedergeschossen ist, wird es auch in diesem Falle eine Zeit der Ruhe geben." Ganz andrer Art als diese beiden Werke ist ein kleines Buch, das dem Leser ebenso viel Genuß wie Nutzen gewahrt: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Sechs Vorträge von Dr. Karl Bücher, ordentlichem Professor an der Universität Leipzig (Tübingen, H. Laupp). Es enthält die Ergebnisse gründlicher Spezial- forschungen eines scharfsinnigen Denkers, die dieser so gestaltet, daß sie den, Leser den Einblick ins Innerste des Wirtschaftslebens eröffnen. Die Überschriften der sechs Vorträge lauten: 1. Die Entstehung der Volkswirtschaft. 2. Die gewerblichen Betriebssysteme in ihrer geschichtlichen Entwicklung. 3. Arbeitsteilung und soziale Klassenbildung. 4. Die Anfänge des Zeitungswesens. 5. Die soziale Gliederung der Frankfurter Bevölkerung im Mittelalter. 6. Die innern Wanderungen und das Städtewesen in ihrer 'entwicklungsgeschichtlichen Bedeutung. Von den inter¬ essanten Endergebnissen dieser Untersuchungen teilen Nur nachstehend ein paar mit. Im erste» Vortrage findet Bücher, daß die Volkswirtschaft das Produkt einer Jahr¬ tausende langen Entwicklung und nicht älter sei als der moderne Staat. Er ver¬ wirft die bisherigen Periodeneinteilnngen der Wirtschaftsgeschichte und stellt folgende neue auf: 1. die Periode der geschlossenen Hauswirtschaft, 2. die der Stadtwirt¬ schaft, 3. die der Volkswirtschaft. Im zweiten findet er fünf Hanptbetriebssysteme, die sich zwar nach einander jede ans der vorhergehenden entwickeln, doch so, daß immer die ältern neben den neu entstandnen bestehen bleiben; es sind: 1. der Haus¬ fleiß, 2. das Lvhnwerk (wobei der Handwerker ohne eignes Kapital die vom Kunden gelieferten Materialien, oft in dessen Wohnung, verarbeitet), 3. das Handwerk (der Handwerker schafft mit eignem Kapital nicht bloß auf Bestellung, sondern auch schon für den Markt), 4. das Verlagssystem (Hausindustrie), 6. die Fabrik. In der dritten Abhandlung wird die Wechselwirkung zwischen den, Besitz, den sich bald spaltenden, bald vereinigenden Berufsarten und der Vererbung dargelegt. Das so entstehende Gewebe ist zu sein und zu verwickelt, als daß wir es mit wenigen Worten veranschaulichen könnten; wir beschränken uns darauf, das Urteil des Ver¬ fassers über die u. a. vou Schmoller vertretue Theorie mitzuteilen, wonach sich die Anlage für einen bestimmten Beruf vererben und durch Vererbung vervollkommnen soll. ' „Die ganze Vererbungstheorie, schreibt er Seite 166 bis 168, trägt die un¬ erfreulichen Gesichtszüge einer Sozialphilosophie der thäti possiSoutss. Sie ruft dem Niedriggebornen, der in sich die Kraft zu verspüren meint, eine höhere Stel¬ lung auszufüllen, zu: »Laß alle Hoffnung schwinden, deine körperliche und geistige Verfassung, deine Nerven, deine Muskeln, die Kausalkette vou vielen Jahrhunderten halt dich mu Boden fest. Deine Vorfahren sind seit Jahrhunderten Leibeigne ge¬ wesen, dein Vater und Großvater waren Tagelöhner, du bist zu einem ähnlichen Berufe bestimmt.« Mau muß sich eigentlich wundern, daß eine solche Lehre nnter einem Volke entstehen konnte, das unter seinen Geistesheroen einen Luther zählt, den Sohn eines Bergmanns, einen Kant, den Sohn eines Sattlers, einen Fichte,' den Sohn eines armen Dorfleinewebers, einen Gauß, den Sohn eines Gärtners, um von vielen andern zu schweigen. Es giebt eine alte Anekdote von einem Kar¬ dinal, dessen Vater die Schweine gehütet hatte, und von einem adelsstolzen fran¬ zösischen Gesandten. In einer schwierigen Unterhandlung, in der der Kardinal mit Geschick und Hartnäckigkeit die Interessen der Kirche vertrat, ließ sich der Gesandte hinreißen, jenem seinen Ursprung vorzuwerfen. Der Kardinal antwortete: »Es ist richtig, daß mein Vater die Schweine gehütet hat, aber wenn Ihr Vater sie ge¬ hütet hätte, so würden Sie sie auch hüten.« Diese kleine Erzählung hat vielleicht Grenzboten I 1896 75

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/607>, abgerufen am 06.06.2024.