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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Zur Geschichte der feinen Sitte

Vers rief: "Was nutzen mir die Feste, wos nichts zu trinke" giebt." Alles
lachte, die Sache war von großer Wirkung. Aber, fügt der Berichterstatter
hinzu, die Wirkung war kein Verdienst, sondern nur Folge des Augenblicks;
die Menge wartete abgespannt und ungeduldig in der Hitze auf das Ende
eines Turniers. Sonst hätte "der Witz eines Deutschen" nicht solchen Erfolg
haben können. Castiglione handelt dann noch über den rednerischen Wert einer
Anekdote, über das Erwidern (ripröncköro); sein ganzes zweites Buch ist lesens¬
wert. Della Casa steht hier ganz auf seinen Schultern. Nach seiner Neigung
beschränkt er das Thema, nach seiner Studienrichtung führt er dann einzelnes
wieder weiter ans. Im Witz soll man alles beißende meiden lind nur was
heiter macht, wählen. Die spezifische Kunst der Täuschung beruht auf An¬
lage, die nicht jeder hat, auch sonst kluge Leute manchmal nicht. Bveeaecios
Personen z. B. reden meist nicht wirklich witzig. Das Kennzeichen der Echt¬
heit ist nur der Erfolg; das Publikum muß lachen. Diese Wirkung muß der
Witz haben, sodann aber Eleganz und sontimsnto. Hier treffen wir zuerst
diesen für die Folgezeit bis auf Rousseau bedeutungsvollen Ausdruck. Ju
den folgenden Kapiteln, beim "Erzählen," kehrt er wieder. Es giebt Erzähler,
die verstehen nicht das Sentiment des Hörers zu fassen; sie laufen daran
vorbei, wie ein alter Hund, der nicht mehr anpacken mag. col"z alö 1'iÄve
nennt einmal unübertrefflich d'Alembert die nicht zutreffenden Ausdrücke
schlechter Schriftsteller, wie wenn jemand vom Pferde gefallen ist oder immer
daneben herläuft.) Daß della Casa in der Wortwahl das Charakteristische
bevorzugt und Deutlichkeit bis zu dem Grade empfiehlt, daß sie jede Be¬
ziehung auf einen andern Begriff ausschließt, auf die Gefahr hin, daß anch
ein Ausdruck zu provinziell oder alttoskanisch würde, daß er besonders die
anschaulichen, packenden Metaphern Dantes nachahmen heißt, das alles ist
Folge seiner Studien. Hier finden sich gute Bemerkungen über die Erzählungs-
kunst, das tÄvölllu-6, über die noveUa. und ihre auf das Anschauliche, Landes¬
übliche, Glaubliche gerichteten Darstellungsmittel. Nur eine Bemerkung möge
hier stehen, die eben so einfach wie hübsch ist. Eine neue Person in einer
Novelle soll mit Familiennamen und, wo es geht, mit Titel eingeführt werden.
Das giebt den Eindruck einer Vorstellung. Nachher mag der Rufname, auch
ein Kose- oder Beiname, wenn einer vorhanden ist, gegeben werden, das giebt
eine Stimmung, wie einem guten Bekannten gegenüber.

Herder erklärt in einer Schulrate von 1796, Attizismns im Sprechen
bestehe in dreierlei Dingen: mau soll niemandem in die Rede fallen, Eigen¬
heiten und Lieblingsausdrücke zu meiden suchen und allen Despotismus der
Unterhaltung wirklich vermeiden. Und zu Lichtenberg sagte einmal ein "Mann
von Geist," wenn man mit Justus Möser oft in Gesellschaft zusammenkäme
und spräche, so finge man an zu meinen, man wisse etwas und sei etwas.
Über diese Kunst, andre zu Worte kommen zu lassen, steht im Galateo ein


Zur Geschichte der feinen Sitte

Vers rief: „Was nutzen mir die Feste, wos nichts zu trinke» giebt." Alles
lachte, die Sache war von großer Wirkung. Aber, fügt der Berichterstatter
hinzu, die Wirkung war kein Verdienst, sondern nur Folge des Augenblicks;
die Menge wartete abgespannt und ungeduldig in der Hitze auf das Ende
eines Turniers. Sonst hätte „der Witz eines Deutschen" nicht solchen Erfolg
haben können. Castiglione handelt dann noch über den rednerischen Wert einer
Anekdote, über das Erwidern (ripröncköro); sein ganzes zweites Buch ist lesens¬
wert. Della Casa steht hier ganz auf seinen Schultern. Nach seiner Neigung
beschränkt er das Thema, nach seiner Studienrichtung führt er dann einzelnes
wieder weiter ans. Im Witz soll man alles beißende meiden lind nur was
heiter macht, wählen. Die spezifische Kunst der Täuschung beruht auf An¬
lage, die nicht jeder hat, auch sonst kluge Leute manchmal nicht. Bveeaecios
Personen z. B. reden meist nicht wirklich witzig. Das Kennzeichen der Echt¬
heit ist nur der Erfolg; das Publikum muß lachen. Diese Wirkung muß der
Witz haben, sodann aber Eleganz und sontimsnto. Hier treffen wir zuerst
diesen für die Folgezeit bis auf Rousseau bedeutungsvollen Ausdruck. Ju
den folgenden Kapiteln, beim „Erzählen," kehrt er wieder. Es giebt Erzähler,
die verstehen nicht das Sentiment des Hörers zu fassen; sie laufen daran
vorbei, wie ein alter Hund, der nicht mehr anpacken mag. col«z alö 1'iÄve
nennt einmal unübertrefflich d'Alembert die nicht zutreffenden Ausdrücke
schlechter Schriftsteller, wie wenn jemand vom Pferde gefallen ist oder immer
daneben herläuft.) Daß della Casa in der Wortwahl das Charakteristische
bevorzugt und Deutlichkeit bis zu dem Grade empfiehlt, daß sie jede Be¬
ziehung auf einen andern Begriff ausschließt, auf die Gefahr hin, daß anch
ein Ausdruck zu provinziell oder alttoskanisch würde, daß er besonders die
anschaulichen, packenden Metaphern Dantes nachahmen heißt, das alles ist
Folge seiner Studien. Hier finden sich gute Bemerkungen über die Erzählungs-
kunst, das tÄvölllu-6, über die noveUa. und ihre auf das Anschauliche, Landes¬
übliche, Glaubliche gerichteten Darstellungsmittel. Nur eine Bemerkung möge
hier stehen, die eben so einfach wie hübsch ist. Eine neue Person in einer
Novelle soll mit Familiennamen und, wo es geht, mit Titel eingeführt werden.
Das giebt den Eindruck einer Vorstellung. Nachher mag der Rufname, auch
ein Kose- oder Beiname, wenn einer vorhanden ist, gegeben werden, das giebt
eine Stimmung, wie einem guten Bekannten gegenüber.

Herder erklärt in einer Schulrate von 1796, Attizismns im Sprechen
bestehe in dreierlei Dingen: mau soll niemandem in die Rede fallen, Eigen¬
heiten und Lieblingsausdrücke zu meiden suchen und allen Despotismus der
Unterhaltung wirklich vermeiden. Und zu Lichtenberg sagte einmal ein „Mann
von Geist," wenn man mit Justus Möser oft in Gesellschaft zusammenkäme
und spräche, so finge man an zu meinen, man wisse etwas und sei etwas.
Über diese Kunst, andre zu Worte kommen zu lassen, steht im Galateo ein


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[0638] Zur Geschichte der feinen Sitte Vers rief: „Was nutzen mir die Feste, wos nichts zu trinke» giebt." Alles lachte, die Sache war von großer Wirkung. Aber, fügt der Berichterstatter hinzu, die Wirkung war kein Verdienst, sondern nur Folge des Augenblicks; die Menge wartete abgespannt und ungeduldig in der Hitze auf das Ende eines Turniers. Sonst hätte „der Witz eines Deutschen" nicht solchen Erfolg haben können. Castiglione handelt dann noch über den rednerischen Wert einer Anekdote, über das Erwidern (ripröncköro); sein ganzes zweites Buch ist lesens¬ wert. Della Casa steht hier ganz auf seinen Schultern. Nach seiner Neigung beschränkt er das Thema, nach seiner Studienrichtung führt er dann einzelnes wieder weiter ans. Im Witz soll man alles beißende meiden lind nur was heiter macht, wählen. Die spezifische Kunst der Täuschung beruht auf An¬ lage, die nicht jeder hat, auch sonst kluge Leute manchmal nicht. Bveeaecios Personen z. B. reden meist nicht wirklich witzig. Das Kennzeichen der Echt¬ heit ist nur der Erfolg; das Publikum muß lachen. Diese Wirkung muß der Witz haben, sodann aber Eleganz und sontimsnto. Hier treffen wir zuerst diesen für die Folgezeit bis auf Rousseau bedeutungsvollen Ausdruck. Ju den folgenden Kapiteln, beim „Erzählen," kehrt er wieder. Es giebt Erzähler, die verstehen nicht das Sentiment des Hörers zu fassen; sie laufen daran vorbei, wie ein alter Hund, der nicht mehr anpacken mag. col«z alö 1'iÄve nennt einmal unübertrefflich d'Alembert die nicht zutreffenden Ausdrücke schlechter Schriftsteller, wie wenn jemand vom Pferde gefallen ist oder immer daneben herläuft.) Daß della Casa in der Wortwahl das Charakteristische bevorzugt und Deutlichkeit bis zu dem Grade empfiehlt, daß sie jede Be¬ ziehung auf einen andern Begriff ausschließt, auf die Gefahr hin, daß anch ein Ausdruck zu provinziell oder alttoskanisch würde, daß er besonders die anschaulichen, packenden Metaphern Dantes nachahmen heißt, das alles ist Folge seiner Studien. Hier finden sich gute Bemerkungen über die Erzählungs- kunst, das tÄvölllu-6, über die noveUa. und ihre auf das Anschauliche, Landes¬ übliche, Glaubliche gerichteten Darstellungsmittel. Nur eine Bemerkung möge hier stehen, die eben so einfach wie hübsch ist. Eine neue Person in einer Novelle soll mit Familiennamen und, wo es geht, mit Titel eingeführt werden. Das giebt den Eindruck einer Vorstellung. Nachher mag der Rufname, auch ein Kose- oder Beiname, wenn einer vorhanden ist, gegeben werden, das giebt eine Stimmung, wie einem guten Bekannten gegenüber. Herder erklärt in einer Schulrate von 1796, Attizismns im Sprechen bestehe in dreierlei Dingen: mau soll niemandem in die Rede fallen, Eigen¬ heiten und Lieblingsausdrücke zu meiden suchen und allen Despotismus der Unterhaltung wirklich vermeiden. Und zu Lichtenberg sagte einmal ein „Mann von Geist," wenn man mit Justus Möser oft in Gesellschaft zusammenkäme und spräche, so finge man an zu meinen, man wisse etwas und sei etwas. Über diese Kunst, andre zu Worte kommen zu lassen, steht im Galateo ein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/638>, abgerufen am 16.06.2024.