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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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noch hebräisch, geschweige denn arabisch lesen kann. Movers war ein richtiger
deutscher Gelehrter: er ging vollständig in seiner SpezialWissenschaft auf und
war im übrigen ein liebenswürdiges großes Kind.

Auch ein richtiger Gelehrter, aber in einem andern Sinne, nämlich ein
trockner Pedant und Buchstabenklauber war der neutestamentliche Exeget F.
Während Movers bei den schönsten Stellen des Jesaja und Habakuk wie eine
Primadonna sang, murmelte und lispelte F. sein: Codex ^ hat " vor Leon.-,
und was dergleichen interessante Dinge mehr sind, sehr stockend, und zwar
ganz regelmäßig hinter jedem dritten Worte stockend, herunter wie ein Selbst¬
gespräch. Der große Hörsaal liegt an einer belebten Durchfahrt und hat eine
ausgezeichnete Akustik, leider auch für alles, was sich draußen rührt. Wenn
er nun darin las -- seine Kollegien waren Pflichtkollegien, und die Fakultät
war stark so war das Nachschreiben sehr schwierig, denn er murmelte bei
allen Geräuschen gleichmäßig weiter, ohne seine Stimme zu erheben; wir
Pflegten dann ins Heft zu bemerken: hier fährt ein Wagen durch. Nun, das
ist ja nichts böses,°wer kann für seine Natur? Etwas böses dürfte ich dem
Manne allerdings nicht nachsagen, denn er hat mir soviel Wohlwollen er¬
wiesen, als seine trockne Seele aufzubringen vermochte. Ich trat nämlich in
sein Seminar ein, teils aus Freundschaft für Spillmann und Pr.. die -- weiß
der Himmel, wie -- hineingeraten waren, teils durch allerlei Erwägungen
bestimmt. Meine Neigung zog mich zu Baltzer, gegen F. und sein Kolleg
hegte ich den größten Widerwillen. Nach meiner damaligen Moral aber, die
ich jedoch nicht aus Kant, sondern aus katholischem Erbauungsbüchern geschöpft
hatte, hielt ich es für Pflicht, stets gegen die eigne Neigung zu handeln, wobei
es sich von selbst versteht, daß ich dieser vermeintlichen Pflicht nnr in einzelnen
Fällen nachgekommen bin. In diesem Falle trat noch die Erwägung hinzu:
Dogmatik wirst du ja ans freien Stücken eifrig studiren, die neutestamentliche
Exegese dagegen könntest du unter so bewandten Umständen leicht vernach¬
lässigen. Meine beiden größern Seminararbeiten: eine Geschichte der Reisen
Pauli und der Nachweis der Echtheit des ersten Timotheusbriefes, mögen
ein elender Kohl gewesen sein, denn der von der Tübinger Schule geweckte
Sinn für die Unterscheidung der verschiednen Geister und Zeiten, die aus den
verschiednen Schriften des Neuen Testaments sprechen, war mir ja noch nicht
aufgegangen; aber der materielle Ertrag -- ich bekam für die eine fünfzig,
für die andre hundert Thaler -- hatte großen Wert für mich. Auch an der
Lösung einer Preisaufgabe habe ich mich beteiligt; sie war von Ritter gestellt
und forderte die Darstellung irgend einer gnostischen Ketzerei nach einer da¬
mals eben erst bekannt gcivordnen Schrift (Philosophumena), die von einigen
dem Origenes, von andern dem Hippolytns zugeschrieben wird. Auch diesem
Gegenstände würde ich heute, allerdings nicht zur Erbauung der Fakultät,
interesinnte Seiten abgewinnen können, da ich jetzt den Sinn der gnostischen


noch hebräisch, geschweige denn arabisch lesen kann. Movers war ein richtiger
deutscher Gelehrter: er ging vollständig in seiner SpezialWissenschaft auf und
war im übrigen ein liebenswürdiges großes Kind.

Auch ein richtiger Gelehrter, aber in einem andern Sinne, nämlich ein
trockner Pedant und Buchstabenklauber war der neutestamentliche Exeget F.
Während Movers bei den schönsten Stellen des Jesaja und Habakuk wie eine
Primadonna sang, murmelte und lispelte F. sein: Codex ^ hat « vor Leon.-,
und was dergleichen interessante Dinge mehr sind, sehr stockend, und zwar
ganz regelmäßig hinter jedem dritten Worte stockend, herunter wie ein Selbst¬
gespräch. Der große Hörsaal liegt an einer belebten Durchfahrt und hat eine
ausgezeichnete Akustik, leider auch für alles, was sich draußen rührt. Wenn
er nun darin las — seine Kollegien waren Pflichtkollegien, und die Fakultät
war stark so war das Nachschreiben sehr schwierig, denn er murmelte bei
allen Geräuschen gleichmäßig weiter, ohne seine Stimme zu erheben; wir
Pflegten dann ins Heft zu bemerken: hier fährt ein Wagen durch. Nun, das
ist ja nichts böses,°wer kann für seine Natur? Etwas böses dürfte ich dem
Manne allerdings nicht nachsagen, denn er hat mir soviel Wohlwollen er¬
wiesen, als seine trockne Seele aufzubringen vermochte. Ich trat nämlich in
sein Seminar ein, teils aus Freundschaft für Spillmann und Pr.. die — weiß
der Himmel, wie — hineingeraten waren, teils durch allerlei Erwägungen
bestimmt. Meine Neigung zog mich zu Baltzer, gegen F. und sein Kolleg
hegte ich den größten Widerwillen. Nach meiner damaligen Moral aber, die
ich jedoch nicht aus Kant, sondern aus katholischem Erbauungsbüchern geschöpft
hatte, hielt ich es für Pflicht, stets gegen die eigne Neigung zu handeln, wobei
es sich von selbst versteht, daß ich dieser vermeintlichen Pflicht nnr in einzelnen
Fällen nachgekommen bin. In diesem Falle trat noch die Erwägung hinzu:
Dogmatik wirst du ja ans freien Stücken eifrig studiren, die neutestamentliche
Exegese dagegen könntest du unter so bewandten Umständen leicht vernach¬
lässigen. Meine beiden größern Seminararbeiten: eine Geschichte der Reisen
Pauli und der Nachweis der Echtheit des ersten Timotheusbriefes, mögen
ein elender Kohl gewesen sein, denn der von der Tübinger Schule geweckte
Sinn für die Unterscheidung der verschiednen Geister und Zeiten, die aus den
verschiednen Schriften des Neuen Testaments sprechen, war mir ja noch nicht
aufgegangen; aber der materielle Ertrag — ich bekam für die eine fünfzig,
für die andre hundert Thaler — hatte großen Wert für mich. Auch an der
Lösung einer Preisaufgabe habe ich mich beteiligt; sie war von Ritter gestellt
und forderte die Darstellung irgend einer gnostischen Ketzerei nach einer da¬
mals eben erst bekannt gcivordnen Schrift (Philosophumena), die von einigen
dem Origenes, von andern dem Hippolytns zugeschrieben wird. Auch diesem
Gegenstände würde ich heute, allerdings nicht zur Erbauung der Fakultät,
interesinnte Seiten abgewinnen können, da ich jetzt den Sinn der gnostischen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/93>, abgerufen am 16.06.2024.