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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Eiserne Brücken

Spannweite nur mit 8600 Zentnern (dem Gewicht von 2 Lokomotiven und
7 Lowries) belastet zu werden u. s. w., und nur eine Brücke von 615 Metern
Spannweite, wie z. B. die Hudsonbrücke zwischen Newyork und Newjersey,
müßte mit dem Gesamtgewicht von 39000 Zentnern belastet werden.

Es würde nun sehr umständlich und zeitraubend sein, wenn man dit
Probebelastung mit Eisenschienen und Sand vornehmen wollte, wie es bei Ein¬
sturzversuchen gewöhnlich geschieht und geschehen muß. Man bedient sich daher,
vorausgesetzt, daß man sich auf die für mehrfache Tragfähigkeit ausgeführte
Konstruktion verlassen kann, sogleich eines schweren Güterzugs, wobei immerhin
die Vorsicht gebieten wird, die Brücke nicht zuerst mit den schweren Lokomotiven,
sondern mit den weniger schweren Lowries, also rückwärts, langsam zu be¬
fahren, um die Brücke allmählich zu belasten. Zur Belastungsprobe der Brücke
bei Levensau hat man, im vollen Vertrauen auf das gute Material und die
starke Konstruktion der Brücke, sogleich zwei schwere Güterzüge mit je zwei
Lokomotiven verwendet, die auf die beiden Bahngeleise von den entgegen¬
gesetzten Enden der Brücke langsam aufführen, dann einigemal vor- und rück¬
wärts über die Brücke wegführen und endlich auf der Brücke stehen gelassen
wurden. Die Brücke ist somit, der Spannweite von 160 Meter entsprechend,
auf beiden Geleisen mit 4 Lokomotiven und 20 Lowries, die nach den obigen
Angaben ein Gewicht von etwa 22 000 Zentnern haben, belastet worden und
hat sich hierbei nur vier Centimeter durchgebogen. Ohne Zweifel wird sich
die Wupperbrücke bei Müngften bei der Probebelastung noch weniger durch-
biegcn.

Ich habe bisher die Zusammenbruche eiserner Brücken in Deutschland un¬
erwähnt gelassen, weil solche -- Gott sei Dank und "unberufen"! -- in den
letzten Jahren, mit Ausnahme eines Falles, nicht vorgekommen, mir wenigstens
keine bekannt geworden sind. Aber ganz ist auch Deutschland nicht von Un¬
glücksfällen verschont geblieben. Den Anfang scheint in den zwanziger Jahren
die allerdings nur für Fuhrwerk- und Personenverkehr bestimmte Hängebrücke
über die Saale bei Nienburg in Anhalt gemacht zu haben. Sie stürzte bei
ihrer Einweihung ein und vernichtete Hunderte von Menschen, die sich an dem
verhängnisvollen Tage in froher Feststimmung auf die Brücke begeben hatten.
Die Ansichten über die Ursache dieses Unglücks waren geteilt. Einige ver¬
muteten, daß die Brücke überhaupt zu schwach gebaut und ihre Auflagerung
auf den Steinpfeilern zu gering bemessen gewesen sei, andre gaben die Schuld
den Schwankungen, in die die Brücke durch die nach dem Takte der Musik
darübcrmarschierenden Festteilnehmer geraten sei. Die Rheinbrücke zwischen
Düsseldorf und Neuß brach in den sechziger (?) Jahren bei ihrer Probebelastung
zusammen, wahrscheinlich infolge zu hoher Belastung. Ein dritter Brücken¬
einsturz fand im Jahre 1876 bei Riesa statt, wo neben der schon vorhandnen
Eisenbahnbrücke über die Elbe neue Steinpfeiler für ein zweites Bahngleis


Eiserne Brücken

Spannweite nur mit 8600 Zentnern (dem Gewicht von 2 Lokomotiven und
7 Lowries) belastet zu werden u. s. w., und nur eine Brücke von 615 Metern
Spannweite, wie z. B. die Hudsonbrücke zwischen Newyork und Newjersey,
müßte mit dem Gesamtgewicht von 39000 Zentnern belastet werden.

Es würde nun sehr umständlich und zeitraubend sein, wenn man dit
Probebelastung mit Eisenschienen und Sand vornehmen wollte, wie es bei Ein¬
sturzversuchen gewöhnlich geschieht und geschehen muß. Man bedient sich daher,
vorausgesetzt, daß man sich auf die für mehrfache Tragfähigkeit ausgeführte
Konstruktion verlassen kann, sogleich eines schweren Güterzugs, wobei immerhin
die Vorsicht gebieten wird, die Brücke nicht zuerst mit den schweren Lokomotiven,
sondern mit den weniger schweren Lowries, also rückwärts, langsam zu be¬
fahren, um die Brücke allmählich zu belasten. Zur Belastungsprobe der Brücke
bei Levensau hat man, im vollen Vertrauen auf das gute Material und die
starke Konstruktion der Brücke, sogleich zwei schwere Güterzüge mit je zwei
Lokomotiven verwendet, die auf die beiden Bahngeleise von den entgegen¬
gesetzten Enden der Brücke langsam aufführen, dann einigemal vor- und rück¬
wärts über die Brücke wegführen und endlich auf der Brücke stehen gelassen
wurden. Die Brücke ist somit, der Spannweite von 160 Meter entsprechend,
auf beiden Geleisen mit 4 Lokomotiven und 20 Lowries, die nach den obigen
Angaben ein Gewicht von etwa 22 000 Zentnern haben, belastet worden und
hat sich hierbei nur vier Centimeter durchgebogen. Ohne Zweifel wird sich
die Wupperbrücke bei Müngften bei der Probebelastung noch weniger durch-
biegcn.

Ich habe bisher die Zusammenbruche eiserner Brücken in Deutschland un¬
erwähnt gelassen, weil solche — Gott sei Dank und „unberufen"! — in den
letzten Jahren, mit Ausnahme eines Falles, nicht vorgekommen, mir wenigstens
keine bekannt geworden sind. Aber ganz ist auch Deutschland nicht von Un¬
glücksfällen verschont geblieben. Den Anfang scheint in den zwanziger Jahren
die allerdings nur für Fuhrwerk- und Personenverkehr bestimmte Hängebrücke
über die Saale bei Nienburg in Anhalt gemacht zu haben. Sie stürzte bei
ihrer Einweihung ein und vernichtete Hunderte von Menschen, die sich an dem
verhängnisvollen Tage in froher Feststimmung auf die Brücke begeben hatten.
Die Ansichten über die Ursache dieses Unglücks waren geteilt. Einige ver¬
muteten, daß die Brücke überhaupt zu schwach gebaut und ihre Auflagerung
auf den Steinpfeilern zu gering bemessen gewesen sei, andre gaben die Schuld
den Schwankungen, in die die Brücke durch die nach dem Takte der Musik
darübcrmarschierenden Festteilnehmer geraten sei. Die Rheinbrücke zwischen
Düsseldorf und Neuß brach in den sechziger (?) Jahren bei ihrer Probebelastung
zusammen, wahrscheinlich infolge zu hoher Belastung. Ein dritter Brücken¬
einsturz fand im Jahre 1876 bei Riesa statt, wo neben der schon vorhandnen
Eisenbahnbrücke über die Elbe neue Steinpfeiler für ein zweites Bahngleis


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[0132] Eiserne Brücken Spannweite nur mit 8600 Zentnern (dem Gewicht von 2 Lokomotiven und 7 Lowries) belastet zu werden u. s. w., und nur eine Brücke von 615 Metern Spannweite, wie z. B. die Hudsonbrücke zwischen Newyork und Newjersey, müßte mit dem Gesamtgewicht von 39000 Zentnern belastet werden. Es würde nun sehr umständlich und zeitraubend sein, wenn man dit Probebelastung mit Eisenschienen und Sand vornehmen wollte, wie es bei Ein¬ sturzversuchen gewöhnlich geschieht und geschehen muß. Man bedient sich daher, vorausgesetzt, daß man sich auf die für mehrfache Tragfähigkeit ausgeführte Konstruktion verlassen kann, sogleich eines schweren Güterzugs, wobei immerhin die Vorsicht gebieten wird, die Brücke nicht zuerst mit den schweren Lokomotiven, sondern mit den weniger schweren Lowries, also rückwärts, langsam zu be¬ fahren, um die Brücke allmählich zu belasten. Zur Belastungsprobe der Brücke bei Levensau hat man, im vollen Vertrauen auf das gute Material und die starke Konstruktion der Brücke, sogleich zwei schwere Güterzüge mit je zwei Lokomotiven verwendet, die auf die beiden Bahngeleise von den entgegen¬ gesetzten Enden der Brücke langsam aufführen, dann einigemal vor- und rück¬ wärts über die Brücke wegführen und endlich auf der Brücke stehen gelassen wurden. Die Brücke ist somit, der Spannweite von 160 Meter entsprechend, auf beiden Geleisen mit 4 Lokomotiven und 20 Lowries, die nach den obigen Angaben ein Gewicht von etwa 22 000 Zentnern haben, belastet worden und hat sich hierbei nur vier Centimeter durchgebogen. Ohne Zweifel wird sich die Wupperbrücke bei Müngften bei der Probebelastung noch weniger durch- biegcn. Ich habe bisher die Zusammenbruche eiserner Brücken in Deutschland un¬ erwähnt gelassen, weil solche — Gott sei Dank und „unberufen"! — in den letzten Jahren, mit Ausnahme eines Falles, nicht vorgekommen, mir wenigstens keine bekannt geworden sind. Aber ganz ist auch Deutschland nicht von Un¬ glücksfällen verschont geblieben. Den Anfang scheint in den zwanziger Jahren die allerdings nur für Fuhrwerk- und Personenverkehr bestimmte Hängebrücke über die Saale bei Nienburg in Anhalt gemacht zu haben. Sie stürzte bei ihrer Einweihung ein und vernichtete Hunderte von Menschen, die sich an dem verhängnisvollen Tage in froher Feststimmung auf die Brücke begeben hatten. Die Ansichten über die Ursache dieses Unglücks waren geteilt. Einige ver¬ muteten, daß die Brücke überhaupt zu schwach gebaut und ihre Auflagerung auf den Steinpfeilern zu gering bemessen gewesen sei, andre gaben die Schuld den Schwankungen, in die die Brücke durch die nach dem Takte der Musik darübcrmarschierenden Festteilnehmer geraten sei. Die Rheinbrücke zwischen Düsseldorf und Neuß brach in den sechziger (?) Jahren bei ihrer Probebelastung zusammen, wahrscheinlich infolge zu hoher Belastung. Ein dritter Brücken¬ einsturz fand im Jahre 1876 bei Riesa statt, wo neben der schon vorhandnen Eisenbahnbrücke über die Elbe neue Steinpfeiler für ein zweites Bahngleis

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/132>, abgerufen am 20.05.2024.