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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Aur Kenntnis der englischen Weltpolitik

dringen wollten, einer richtigern Auffassung von dem Wesen dieser vortrefflichen,
loyalen, freiheitsliebenden Kolonisten Bahn gebrochen. In Deutschland hat
man sie leider erst zu derselben Zeit etwas näher zu beachten begonnen, und
erst jetzt, wo es nach menschlichem Ermessen zu spät ist, begreift man, was
sie für eine großgcdachte deutsche Kolonialpolitik Hütten sein können.

Der Bur spricht in seinem Namen seine Eigentümlichkeit vollständig aus.
Er will der Bauer im Lande sein, unabhängig auf seiner eignen Scholle, die
womöglich so groß sein soll, daß er sich mit keinem Nachbar nahe berührt,
unumschränkter Herr seines Hauses und seiner Diener, nur seinem Gewissen
verantwortlich, über sich niemand anerkennend als den Gott seiner Väter, an
dem er mit immer gleichem, strengem Glauben hält. So ist er sich selbst
genug, ein echter Aristokrat, der alles hat, was er braucht, und seine Unab¬
hängigkeit zu verlieren fürchten würde, wenn er nach anderen strebte. Un¬
gleich seinem niederdeutschen Vorfahren zeigte er wenig Neigung zum Handel.
Man findet auffallend wenig holländische Namen unter den großen Firmen
der Kapstadt oder Port Elizabeths. Den jeden Engländer unablässig treibenden
Wunsch, "seine Lage zu verbessern," verachtet er. Daher auch sein Festhalten
um Lande, das er vortrefflich kultivirt, ohne gern Neuerungen einzuführen.
Es ist in dem, was er Vaterlandsliebe nennt, mehr als gewöhnlicher Patrio¬
tismus. Er denkt nicht daran, sein Land zu verlassen, während der Engländer
Geld macht und dann abzieht.

Wer erkennt hier nicht die Charakterzüge des deutscheu Bauern von der
Elbe bis zu den Alpen? Leider fehlen auch nicht die Schwächen und
Fehler. Ich nenne nur die in der politischen Geschichte der südafrikanischen
Buren so oft wirksam gewesene Schwerfälligkeit und Kurzsichtigkeit. Wie
lange hat es gedauert, bis sich die beiden auf einander angewiesenen Buren¬
freistaaten, der Oranjestaat und die Südafrikanische Republik, aneinander-
schlossen! Wieviel bauernhaftes Mißtrauen war da zu besiegen! Erst 1889
geschah der Zusammenschluß. Der Mangel weitblickender, den Verhandlungen
mit England und andern europäischen Mächten gewachsener Staatsmänner
hat die Entwicklung beider Gemeinwesen gehemmt. Ein einziger unfähiger
Mann wie Burgers hat der südafrikanischen Republik innen und außen
großen Schaden gebracht. Wenn wir Deutschen uns vorwerfen müssen, daß
wir nicht früh genug die politische Bedeutung der Buren für unsre afrika¬
nische Stellung erkannt haben, so dürfen wir doch auch nicht verschweigen,
wie engherzig ablehnend, oft geradezu gehässig sich die Kaphvlländer gegen
die deutschen Einwandrer verhielten, wie wenig von dort aus geschah, die
Teilnahme Deutschlands zu erwecken.

Die heutige Stellung Englands zu Südafrika bietet dem Beobachter der
Politik und der öffentlichen Meinung des Jnselvolks viel Interessantes und
Lehrreiches. Der ermattenden Teilnahme für afrikanische Dinge ist eine fast


Grenzboten III 1895 2
Aur Kenntnis der englischen Weltpolitik

dringen wollten, einer richtigern Auffassung von dem Wesen dieser vortrefflichen,
loyalen, freiheitsliebenden Kolonisten Bahn gebrochen. In Deutschland hat
man sie leider erst zu derselben Zeit etwas näher zu beachten begonnen, und
erst jetzt, wo es nach menschlichem Ermessen zu spät ist, begreift man, was
sie für eine großgcdachte deutsche Kolonialpolitik Hütten sein können.

Der Bur spricht in seinem Namen seine Eigentümlichkeit vollständig aus.
Er will der Bauer im Lande sein, unabhängig auf seiner eignen Scholle, die
womöglich so groß sein soll, daß er sich mit keinem Nachbar nahe berührt,
unumschränkter Herr seines Hauses und seiner Diener, nur seinem Gewissen
verantwortlich, über sich niemand anerkennend als den Gott seiner Väter, an
dem er mit immer gleichem, strengem Glauben hält. So ist er sich selbst
genug, ein echter Aristokrat, der alles hat, was er braucht, und seine Unab¬
hängigkeit zu verlieren fürchten würde, wenn er nach anderen strebte. Un¬
gleich seinem niederdeutschen Vorfahren zeigte er wenig Neigung zum Handel.
Man findet auffallend wenig holländische Namen unter den großen Firmen
der Kapstadt oder Port Elizabeths. Den jeden Engländer unablässig treibenden
Wunsch, „seine Lage zu verbessern," verachtet er. Daher auch sein Festhalten
um Lande, das er vortrefflich kultivirt, ohne gern Neuerungen einzuführen.
Es ist in dem, was er Vaterlandsliebe nennt, mehr als gewöhnlicher Patrio¬
tismus. Er denkt nicht daran, sein Land zu verlassen, während der Engländer
Geld macht und dann abzieht.

Wer erkennt hier nicht die Charakterzüge des deutscheu Bauern von der
Elbe bis zu den Alpen? Leider fehlen auch nicht die Schwächen und
Fehler. Ich nenne nur die in der politischen Geschichte der südafrikanischen
Buren so oft wirksam gewesene Schwerfälligkeit und Kurzsichtigkeit. Wie
lange hat es gedauert, bis sich die beiden auf einander angewiesenen Buren¬
freistaaten, der Oranjestaat und die Südafrikanische Republik, aneinander-
schlossen! Wieviel bauernhaftes Mißtrauen war da zu besiegen! Erst 1889
geschah der Zusammenschluß. Der Mangel weitblickender, den Verhandlungen
mit England und andern europäischen Mächten gewachsener Staatsmänner
hat die Entwicklung beider Gemeinwesen gehemmt. Ein einziger unfähiger
Mann wie Burgers hat der südafrikanischen Republik innen und außen
großen Schaden gebracht. Wenn wir Deutschen uns vorwerfen müssen, daß
wir nicht früh genug die politische Bedeutung der Buren für unsre afrika¬
nische Stellung erkannt haben, so dürfen wir doch auch nicht verschweigen,
wie engherzig ablehnend, oft geradezu gehässig sich die Kaphvlländer gegen
die deutschen Einwandrer verhielten, wie wenig von dort aus geschah, die
Teilnahme Deutschlands zu erwecken.

Die heutige Stellung Englands zu Südafrika bietet dem Beobachter der
Politik und der öffentlichen Meinung des Jnselvolks viel Interessantes und
Lehrreiches. Der ermattenden Teilnahme für afrikanische Dinge ist eine fast


Grenzboten III 1895 2
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[0017] Aur Kenntnis der englischen Weltpolitik dringen wollten, einer richtigern Auffassung von dem Wesen dieser vortrefflichen, loyalen, freiheitsliebenden Kolonisten Bahn gebrochen. In Deutschland hat man sie leider erst zu derselben Zeit etwas näher zu beachten begonnen, und erst jetzt, wo es nach menschlichem Ermessen zu spät ist, begreift man, was sie für eine großgcdachte deutsche Kolonialpolitik Hütten sein können. Der Bur spricht in seinem Namen seine Eigentümlichkeit vollständig aus. Er will der Bauer im Lande sein, unabhängig auf seiner eignen Scholle, die womöglich so groß sein soll, daß er sich mit keinem Nachbar nahe berührt, unumschränkter Herr seines Hauses und seiner Diener, nur seinem Gewissen verantwortlich, über sich niemand anerkennend als den Gott seiner Väter, an dem er mit immer gleichem, strengem Glauben hält. So ist er sich selbst genug, ein echter Aristokrat, der alles hat, was er braucht, und seine Unab¬ hängigkeit zu verlieren fürchten würde, wenn er nach anderen strebte. Un¬ gleich seinem niederdeutschen Vorfahren zeigte er wenig Neigung zum Handel. Man findet auffallend wenig holländische Namen unter den großen Firmen der Kapstadt oder Port Elizabeths. Den jeden Engländer unablässig treibenden Wunsch, „seine Lage zu verbessern," verachtet er. Daher auch sein Festhalten um Lande, das er vortrefflich kultivirt, ohne gern Neuerungen einzuführen. Es ist in dem, was er Vaterlandsliebe nennt, mehr als gewöhnlicher Patrio¬ tismus. Er denkt nicht daran, sein Land zu verlassen, während der Engländer Geld macht und dann abzieht. Wer erkennt hier nicht die Charakterzüge des deutscheu Bauern von der Elbe bis zu den Alpen? Leider fehlen auch nicht die Schwächen und Fehler. Ich nenne nur die in der politischen Geschichte der südafrikanischen Buren so oft wirksam gewesene Schwerfälligkeit und Kurzsichtigkeit. Wie lange hat es gedauert, bis sich die beiden auf einander angewiesenen Buren¬ freistaaten, der Oranjestaat und die Südafrikanische Republik, aneinander- schlossen! Wieviel bauernhaftes Mißtrauen war da zu besiegen! Erst 1889 geschah der Zusammenschluß. Der Mangel weitblickender, den Verhandlungen mit England und andern europäischen Mächten gewachsener Staatsmänner hat die Entwicklung beider Gemeinwesen gehemmt. Ein einziger unfähiger Mann wie Burgers hat der südafrikanischen Republik innen und außen großen Schaden gebracht. Wenn wir Deutschen uns vorwerfen müssen, daß wir nicht früh genug die politische Bedeutung der Buren für unsre afrika¬ nische Stellung erkannt haben, so dürfen wir doch auch nicht verschweigen, wie engherzig ablehnend, oft geradezu gehässig sich die Kaphvlländer gegen die deutschen Einwandrer verhielten, wie wenig von dort aus geschah, die Teilnahme Deutschlands zu erwecken. Die heutige Stellung Englands zu Südafrika bietet dem Beobachter der Politik und der öffentlichen Meinung des Jnselvolks viel Interessantes und Lehrreiches. Der ermattenden Teilnahme für afrikanische Dinge ist eine fast Grenzboten III 1895 2

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/17>, abgerufen am 12.05.2024.