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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Zur Aenntnis der englischen lveltpolitik

leidenschaftliche Erregung gefolgt. Ein Eckstein soll in den Bau des südafrika¬
nischen Reichs eingesetzt werden, das vor zehn Jahren selbst den englischen
Staatsmännern zur Last war. Es giebt Leute, die behaupten, wenn Deutschland
damals gewollt hätte, würde es feil gewesen sein. Ich glaube das nicht.
Aber Südafrika war damals wirtschaftlich gesunken, die Einwanderung und
Kapitalaillagen hatten den tiefsten Punkt erreicht, und die für England nicht
ehrenvolle Losung des Konflikts mit der südafrikanischen Republik hatte einen
Stachel hinterlassen, der übrigens heute noch ebenso festsitzt, und an den man
auch denken muß, wenn man die Politik Englands in Südafrika verstehen
will. In England ist Südafrika als die am schwierigsten zu regierende Kolonie
bezeichnet worden, "das Grab des guten Rufs" der Staatsmänner, die sie
leiten sollten, und die in der Regel in Ungnade heimgekehrt sind. Der erste
Grund liegt in dem geschichtlich gewordnen Verhältnis der beiden einander in
Abneigung gegenüberstehenden germanischen Stämme. Sie haben einander in
einer hundertjährigen Berührung nicht verstehen lernen können. Bis vor we¬
nigen Jahren stand eigentlich ganz Südafrika im Schatten des Vorurteils.
Zu den beliebtesten Gegenständen, an denen der Lllobötrottsr seine witzelnde
Kritik übt, gehört sogar jetzt noch die Kapstadt, die ihm nicht genügend angli-
sirt oder vielmehr amerikanisirt ist. Es liegt zuviel Geschichte in diesen mas¬
siven, stillen, in sich gekehrten Steinhäusern aus der holländischen Zeit. Wie
kann eine Stadt dieses erst zu seiner verheißenen Größe ringenden Afrikas ge¬
schichtlich sein wollen? Nur die langweilige Gleichförmigkeit und Breite der
neuesten australischen Städte scheint ihm hierher zu passen. So ärgert auch den
englischen Politiker der Anspruch der Kapholläuder, etwas andres zu sein als
der Angelsachse, der derselbe in Europa, Amerika oder Australien ist, er wird
ungeduldig, er fühlt aus irgend einem nicht genauer zu bestimmenden Grunde
seine Überlegenheit bedroht, ohne deren Gefühl ihm das Leben schal ist. Der
Bur ist der alte Herr, der Engländer der neue. Wenn nach einem Besitz-
Wechsel der alte Herr nicht gleich abdanken will, muß er dem neuen immer
unbequem werden, zumal wenn er nicht völlig den Anschein meidet, daß
er auf den Wiedereintritt in seinen Besitz hofft. Die holländische Familie
hat in Südafrika durchschnittlich doppelt soviel Kinder als die englische, und
der Holländer hat sich nicht bloß körperlich, sondern auch seelisch in Afrika
akklimatisirt. Der Holländer, dessen Ahnen vor sechs oder acht Genera¬
tionen eingewandert sind, hat das aristokratische Gefühl, das man überall
in ältern Kolonien, z. B. in Neuengland oder im hugenottischen Südkarolina,
noch stärker entwickelt findet als in den alten Ländern, außerdem ist fast jede
ihrer Familien in ganz Südafrika verwandt, befreundet, kurz heimisch oder
richtiger beheimatet. Der Engländer fühlt das mit einem gewissen Neid, und
dieses Gefühl ist ihm fatal. Er ist eben nicht so daran gewöhnt wie wir.
Dazu kommt nun seit dem Transvaalkriege das Gefühl der Niederlagen. Die


Zur Aenntnis der englischen lveltpolitik

leidenschaftliche Erregung gefolgt. Ein Eckstein soll in den Bau des südafrika¬
nischen Reichs eingesetzt werden, das vor zehn Jahren selbst den englischen
Staatsmännern zur Last war. Es giebt Leute, die behaupten, wenn Deutschland
damals gewollt hätte, würde es feil gewesen sein. Ich glaube das nicht.
Aber Südafrika war damals wirtschaftlich gesunken, die Einwanderung und
Kapitalaillagen hatten den tiefsten Punkt erreicht, und die für England nicht
ehrenvolle Losung des Konflikts mit der südafrikanischen Republik hatte einen
Stachel hinterlassen, der übrigens heute noch ebenso festsitzt, und an den man
auch denken muß, wenn man die Politik Englands in Südafrika verstehen
will. In England ist Südafrika als die am schwierigsten zu regierende Kolonie
bezeichnet worden, „das Grab des guten Rufs" der Staatsmänner, die sie
leiten sollten, und die in der Regel in Ungnade heimgekehrt sind. Der erste
Grund liegt in dem geschichtlich gewordnen Verhältnis der beiden einander in
Abneigung gegenüberstehenden germanischen Stämme. Sie haben einander in
einer hundertjährigen Berührung nicht verstehen lernen können. Bis vor we¬
nigen Jahren stand eigentlich ganz Südafrika im Schatten des Vorurteils.
Zu den beliebtesten Gegenständen, an denen der Lllobötrottsr seine witzelnde
Kritik übt, gehört sogar jetzt noch die Kapstadt, die ihm nicht genügend angli-
sirt oder vielmehr amerikanisirt ist. Es liegt zuviel Geschichte in diesen mas¬
siven, stillen, in sich gekehrten Steinhäusern aus der holländischen Zeit. Wie
kann eine Stadt dieses erst zu seiner verheißenen Größe ringenden Afrikas ge¬
schichtlich sein wollen? Nur die langweilige Gleichförmigkeit und Breite der
neuesten australischen Städte scheint ihm hierher zu passen. So ärgert auch den
englischen Politiker der Anspruch der Kapholläuder, etwas andres zu sein als
der Angelsachse, der derselbe in Europa, Amerika oder Australien ist, er wird
ungeduldig, er fühlt aus irgend einem nicht genauer zu bestimmenden Grunde
seine Überlegenheit bedroht, ohne deren Gefühl ihm das Leben schal ist. Der
Bur ist der alte Herr, der Engländer der neue. Wenn nach einem Besitz-
Wechsel der alte Herr nicht gleich abdanken will, muß er dem neuen immer
unbequem werden, zumal wenn er nicht völlig den Anschein meidet, daß
er auf den Wiedereintritt in seinen Besitz hofft. Die holländische Familie
hat in Südafrika durchschnittlich doppelt soviel Kinder als die englische, und
der Holländer hat sich nicht bloß körperlich, sondern auch seelisch in Afrika
akklimatisirt. Der Holländer, dessen Ahnen vor sechs oder acht Genera¬
tionen eingewandert sind, hat das aristokratische Gefühl, das man überall
in ältern Kolonien, z. B. in Neuengland oder im hugenottischen Südkarolina,
noch stärker entwickelt findet als in den alten Ländern, außerdem ist fast jede
ihrer Familien in ganz Südafrika verwandt, befreundet, kurz heimisch oder
richtiger beheimatet. Der Engländer fühlt das mit einem gewissen Neid, und
dieses Gefühl ist ihm fatal. Er ist eben nicht so daran gewöhnt wie wir.
Dazu kommt nun seit dem Transvaalkriege das Gefühl der Niederlagen. Die


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[0018] Zur Aenntnis der englischen lveltpolitik leidenschaftliche Erregung gefolgt. Ein Eckstein soll in den Bau des südafrika¬ nischen Reichs eingesetzt werden, das vor zehn Jahren selbst den englischen Staatsmännern zur Last war. Es giebt Leute, die behaupten, wenn Deutschland damals gewollt hätte, würde es feil gewesen sein. Ich glaube das nicht. Aber Südafrika war damals wirtschaftlich gesunken, die Einwanderung und Kapitalaillagen hatten den tiefsten Punkt erreicht, und die für England nicht ehrenvolle Losung des Konflikts mit der südafrikanischen Republik hatte einen Stachel hinterlassen, der übrigens heute noch ebenso festsitzt, und an den man auch denken muß, wenn man die Politik Englands in Südafrika verstehen will. In England ist Südafrika als die am schwierigsten zu regierende Kolonie bezeichnet worden, „das Grab des guten Rufs" der Staatsmänner, die sie leiten sollten, und die in der Regel in Ungnade heimgekehrt sind. Der erste Grund liegt in dem geschichtlich gewordnen Verhältnis der beiden einander in Abneigung gegenüberstehenden germanischen Stämme. Sie haben einander in einer hundertjährigen Berührung nicht verstehen lernen können. Bis vor we¬ nigen Jahren stand eigentlich ganz Südafrika im Schatten des Vorurteils. Zu den beliebtesten Gegenständen, an denen der Lllobötrottsr seine witzelnde Kritik übt, gehört sogar jetzt noch die Kapstadt, die ihm nicht genügend angli- sirt oder vielmehr amerikanisirt ist. Es liegt zuviel Geschichte in diesen mas¬ siven, stillen, in sich gekehrten Steinhäusern aus der holländischen Zeit. Wie kann eine Stadt dieses erst zu seiner verheißenen Größe ringenden Afrikas ge¬ schichtlich sein wollen? Nur die langweilige Gleichförmigkeit und Breite der neuesten australischen Städte scheint ihm hierher zu passen. So ärgert auch den englischen Politiker der Anspruch der Kapholläuder, etwas andres zu sein als der Angelsachse, der derselbe in Europa, Amerika oder Australien ist, er wird ungeduldig, er fühlt aus irgend einem nicht genauer zu bestimmenden Grunde seine Überlegenheit bedroht, ohne deren Gefühl ihm das Leben schal ist. Der Bur ist der alte Herr, der Engländer der neue. Wenn nach einem Besitz- Wechsel der alte Herr nicht gleich abdanken will, muß er dem neuen immer unbequem werden, zumal wenn er nicht völlig den Anschein meidet, daß er auf den Wiedereintritt in seinen Besitz hofft. Die holländische Familie hat in Südafrika durchschnittlich doppelt soviel Kinder als die englische, und der Holländer hat sich nicht bloß körperlich, sondern auch seelisch in Afrika akklimatisirt. Der Holländer, dessen Ahnen vor sechs oder acht Genera¬ tionen eingewandert sind, hat das aristokratische Gefühl, das man überall in ältern Kolonien, z. B. in Neuengland oder im hugenottischen Südkarolina, noch stärker entwickelt findet als in den alten Ländern, außerdem ist fast jede ihrer Familien in ganz Südafrika verwandt, befreundet, kurz heimisch oder richtiger beheimatet. Der Engländer fühlt das mit einem gewissen Neid, und dieses Gefühl ist ihm fatal. Er ist eben nicht so daran gewöhnt wie wir. Dazu kommt nun seit dem Transvaalkriege das Gefühl der Niederlagen. Die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/18>, abgerufen am 11.05.2024.