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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Friedrich Hebbel und Veto Ludwig

den Einfluß gewisser Freunde Ludwigs, die gleichzeitig Feinde Hebbels waren.
Man kann in diesen Dingen noch nicht ganz klar sehen, aber ich bin ziemlich
fest überzeugt, daß Otto Ludwig von einer Reihe deutscher Schriftsteller gegen
Hebbel auf den Schild erhoben worden ist, nicht weil man seiner Dichtung
eine höhere Bedeutung zuschrieb als der Hebbels und in der einen wirklich
nur das Krankhafte und Seltsame, in der andern nur das Gesunde und
Schlichte sah, sondern einfach aus Animosität gegen den Dithmarsen, dessen
Kämpfernatur und dessen Unerbittlichkeit in ästhetischen Dingen alle Mittel¬
mäßigkeiten und selbst die berühmt gewordnen schätzenswerten mittlern Talente
der Zeit schwer ertrugen. Wie gesagt, bei manchen Personen ist der Beweis
einstweilen noch nicht zu liefern, aber bei Heinrich Laube z. B. ist er
sehr leicht zu führen; der war sicher weder Hebbel noch Ludwig ganz zu
würdigen imstande, Hebbel war ihm unbequemer, weil er in Wien war, und
so hat er ihn als Dramatiker schlecht behandelt, während er Ludwig begünstigte.
Dieser war zwar künstlerisch eben so streng wie Hebbel, aber doch eine weniger
schroffe Natur. Doch ich kann mich hier bei diesem Punkte nicht länger auf¬
halten, so interessant es auch wäre, die immer und überall bestehenden Maul¬
wurfsgänge der Litteratur einmal auf einem bestimmten Gebiete aufzudecken.
Für mich steht fest, daß, wenn sich Hebbel und Ludwig kennen gelernt Hütten,
sie wohl keine Freunde geworden wären, aber doch nicht ungünstig auf einander
gewirkt und große Achtung vor einander bekommen hätten; denn Hebbel war
nichts weniger als der nordische Berserker, als den man ihn ausschrie, wenn
er auch jähzornig war, er hatte eine weiche Seite in seiner Natur, und die
zahlreichen Anekdoten, die ihn der Selbstvergötterung zeihen, sind vielfach Er¬
findungen seiner Feinde, uoch öfter Entstellungen und Mißverständnisse. Was
wußte das vormärzliche Wien mit einem ausgeprägt norddeutschen Charakter
und nun gar mit einem Dithmarsen anzufangen?

Wie verhält es sich nun aber mit dem Einfluß Hebbels auf Ludwig?
Ist ein solcher anzunehmen oder nicht? Die ersten Dramen Hebbels haben
ihre Wirkung durch ganz Deutschland geübt, ehe Ludwig in den Gegensatz zu
Hebbel geraten war, "Judith" und "Genoveva" sind von ihm auch nicht
kritisirt worden, und die kurze Kritik der "Maria Magdalene" stammt doch
wohl aus einer Zeit, wo sie schon ein Jahrzehnt hinter sich hatte. Es ist
also die Möglichkeit nicht ganz ausgeschlossen, daß diese drei Dichtungen
Hebbels auf Ludwig uicht ohne stärkern Einfluß gewesen sind, und da die
"Judith" (wie außerdem "Herodes und Marianne) unbedingt die Gattung der
"Makkabäer," "Maria Magdalene" die des "Erbförsters," "Genoveva" die
einiger unvollendet gebliebner Dramen Ludwigs vollständig vertritt, so muß
Hebbel die Vorgängerschaft auf alle Fälle gewahrt bleiben. Ludwigs Auf¬
zeichnungen scheinen zu erweisen, daß er nicht vor Ausgang der vierziger
Jahre zuerst Dichtungen Hebbels kennen gelernt hat. Aber Ludwig war


Friedrich Hebbel und Veto Ludwig

den Einfluß gewisser Freunde Ludwigs, die gleichzeitig Feinde Hebbels waren.
Man kann in diesen Dingen noch nicht ganz klar sehen, aber ich bin ziemlich
fest überzeugt, daß Otto Ludwig von einer Reihe deutscher Schriftsteller gegen
Hebbel auf den Schild erhoben worden ist, nicht weil man seiner Dichtung
eine höhere Bedeutung zuschrieb als der Hebbels und in der einen wirklich
nur das Krankhafte und Seltsame, in der andern nur das Gesunde und
Schlichte sah, sondern einfach aus Animosität gegen den Dithmarsen, dessen
Kämpfernatur und dessen Unerbittlichkeit in ästhetischen Dingen alle Mittel¬
mäßigkeiten und selbst die berühmt gewordnen schätzenswerten mittlern Talente
der Zeit schwer ertrugen. Wie gesagt, bei manchen Personen ist der Beweis
einstweilen noch nicht zu liefern, aber bei Heinrich Laube z. B. ist er
sehr leicht zu führen; der war sicher weder Hebbel noch Ludwig ganz zu
würdigen imstande, Hebbel war ihm unbequemer, weil er in Wien war, und
so hat er ihn als Dramatiker schlecht behandelt, während er Ludwig begünstigte.
Dieser war zwar künstlerisch eben so streng wie Hebbel, aber doch eine weniger
schroffe Natur. Doch ich kann mich hier bei diesem Punkte nicht länger auf¬
halten, so interessant es auch wäre, die immer und überall bestehenden Maul¬
wurfsgänge der Litteratur einmal auf einem bestimmten Gebiete aufzudecken.
Für mich steht fest, daß, wenn sich Hebbel und Ludwig kennen gelernt Hütten,
sie wohl keine Freunde geworden wären, aber doch nicht ungünstig auf einander
gewirkt und große Achtung vor einander bekommen hätten; denn Hebbel war
nichts weniger als der nordische Berserker, als den man ihn ausschrie, wenn
er auch jähzornig war, er hatte eine weiche Seite in seiner Natur, und die
zahlreichen Anekdoten, die ihn der Selbstvergötterung zeihen, sind vielfach Er¬
findungen seiner Feinde, uoch öfter Entstellungen und Mißverständnisse. Was
wußte das vormärzliche Wien mit einem ausgeprägt norddeutschen Charakter
und nun gar mit einem Dithmarsen anzufangen?

Wie verhält es sich nun aber mit dem Einfluß Hebbels auf Ludwig?
Ist ein solcher anzunehmen oder nicht? Die ersten Dramen Hebbels haben
ihre Wirkung durch ganz Deutschland geübt, ehe Ludwig in den Gegensatz zu
Hebbel geraten war, „Judith" und „Genoveva" sind von ihm auch nicht
kritisirt worden, und die kurze Kritik der „Maria Magdalene" stammt doch
wohl aus einer Zeit, wo sie schon ein Jahrzehnt hinter sich hatte. Es ist
also die Möglichkeit nicht ganz ausgeschlossen, daß diese drei Dichtungen
Hebbels auf Ludwig uicht ohne stärkern Einfluß gewesen sind, und da die
„Judith" (wie außerdem „Herodes und Marianne) unbedingt die Gattung der
„Makkabäer," „Maria Magdalene" die des „Erbförsters," „Genoveva" die
einiger unvollendet gebliebner Dramen Ludwigs vollständig vertritt, so muß
Hebbel die Vorgängerschaft auf alle Fälle gewahrt bleiben. Ludwigs Auf¬
zeichnungen scheinen zu erweisen, daß er nicht vor Ausgang der vierziger
Jahre zuerst Dichtungen Hebbels kennen gelernt hat. Aber Ludwig war


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[0181] Friedrich Hebbel und Veto Ludwig den Einfluß gewisser Freunde Ludwigs, die gleichzeitig Feinde Hebbels waren. Man kann in diesen Dingen noch nicht ganz klar sehen, aber ich bin ziemlich fest überzeugt, daß Otto Ludwig von einer Reihe deutscher Schriftsteller gegen Hebbel auf den Schild erhoben worden ist, nicht weil man seiner Dichtung eine höhere Bedeutung zuschrieb als der Hebbels und in der einen wirklich nur das Krankhafte und Seltsame, in der andern nur das Gesunde und Schlichte sah, sondern einfach aus Animosität gegen den Dithmarsen, dessen Kämpfernatur und dessen Unerbittlichkeit in ästhetischen Dingen alle Mittel¬ mäßigkeiten und selbst die berühmt gewordnen schätzenswerten mittlern Talente der Zeit schwer ertrugen. Wie gesagt, bei manchen Personen ist der Beweis einstweilen noch nicht zu liefern, aber bei Heinrich Laube z. B. ist er sehr leicht zu führen; der war sicher weder Hebbel noch Ludwig ganz zu würdigen imstande, Hebbel war ihm unbequemer, weil er in Wien war, und so hat er ihn als Dramatiker schlecht behandelt, während er Ludwig begünstigte. Dieser war zwar künstlerisch eben so streng wie Hebbel, aber doch eine weniger schroffe Natur. Doch ich kann mich hier bei diesem Punkte nicht länger auf¬ halten, so interessant es auch wäre, die immer und überall bestehenden Maul¬ wurfsgänge der Litteratur einmal auf einem bestimmten Gebiete aufzudecken. Für mich steht fest, daß, wenn sich Hebbel und Ludwig kennen gelernt Hütten, sie wohl keine Freunde geworden wären, aber doch nicht ungünstig auf einander gewirkt und große Achtung vor einander bekommen hätten; denn Hebbel war nichts weniger als der nordische Berserker, als den man ihn ausschrie, wenn er auch jähzornig war, er hatte eine weiche Seite in seiner Natur, und die zahlreichen Anekdoten, die ihn der Selbstvergötterung zeihen, sind vielfach Er¬ findungen seiner Feinde, uoch öfter Entstellungen und Mißverständnisse. Was wußte das vormärzliche Wien mit einem ausgeprägt norddeutschen Charakter und nun gar mit einem Dithmarsen anzufangen? Wie verhält es sich nun aber mit dem Einfluß Hebbels auf Ludwig? Ist ein solcher anzunehmen oder nicht? Die ersten Dramen Hebbels haben ihre Wirkung durch ganz Deutschland geübt, ehe Ludwig in den Gegensatz zu Hebbel geraten war, „Judith" und „Genoveva" sind von ihm auch nicht kritisirt worden, und die kurze Kritik der „Maria Magdalene" stammt doch wohl aus einer Zeit, wo sie schon ein Jahrzehnt hinter sich hatte. Es ist also die Möglichkeit nicht ganz ausgeschlossen, daß diese drei Dichtungen Hebbels auf Ludwig uicht ohne stärkern Einfluß gewesen sind, und da die „Judith" (wie außerdem „Herodes und Marianne) unbedingt die Gattung der „Makkabäer," „Maria Magdalene" die des „Erbförsters," „Genoveva" die einiger unvollendet gebliebner Dramen Ludwigs vollständig vertritt, so muß Hebbel die Vorgängerschaft auf alle Fälle gewahrt bleiben. Ludwigs Auf¬ zeichnungen scheinen zu erweisen, daß er nicht vor Ausgang der vierziger Jahre zuerst Dichtungen Hebbels kennen gelernt hat. Aber Ludwig war

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/181>, abgerufen am 13.05.2024.