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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Friedrich Hebbel und Veto Ludwig

freilich eine selbständige Natur, seine Dichtung erwuchs aus den ihm a"-
gebornen Gaben und seinen Lebensschicksalen wie aus der Ganzheit und Fülle
echt dichterischer Stimmung. Er machte einen ähnlichen Entwicklungsgang
wie Hebbel durch, und wenn er nun auch dessen Werke zum Teil vorfand,
so können sie ihn doch nie unmittelbar zur Nachahmung angetrieben, sondern
nur befruchtend auf ihn gewirkt haben. Ludwigs erstes vollendetes Werk,
das freilich für den Dichter und die Welt nie fertig wurde, war eine "Agnes
Bernauer." Seine Anfänge führen in eine Zeit, wo Hebbel in der Litteratur
noch nicht dawar, die frühern Bearbeitungen hatten nichts von ihm, aber die
beiden letzten sind allerdings stark von Hebbel beeinflußt, nach dem Erscheinen
des gleichnamigen Dramas des Dithmarsen ohne Zweifel mit dem Gedanken,
den Nebenbuhler zu übertreffen, unternommen und in dieser Erwartung sogar
von den Feinden Hebbels förmlich bestellt worden, die erste, die den überlieferten
Agnescharakter zu Grunde richtet, im Gegensatz, die zweite im Anschluß an
Hebbel, der zuerst die Staatsidee in den Stoff hineingetragen hatte. Ludwig
ganz eigentümlich ist die Art des Dramas "Friedrich der Große," von dem
der erste Akt, "Die Torgauer Heide," 1844 ausgeführt wurde, ebenso wie
das Lustspiel "Hans Frei," das noch älter ist. Hat Ludwig spätere Werke,
wie das "Fräulein von Scuderi" und die "Pfarrrose," noch ohne Kenntnis
von der Geistesart seines großen Zeitgenossen ausgeführt, selbst die Anfänge
des "Erbförsters" auf seinem einsamen Wege gestaltet, so will es mir doch
scheinen, als ob ein ihm unbewußter Einfluß Hebbels auf die verschiednen
Umarbeitungen dieser und der folgenden Dramen vorhanden wäre. Ich ver¬
gesse keinen Augenblick, daß Ludwig ein selbständiger Geist war, aber ich halte
es für nicht ganz unmöglich, daß die neue dichterische Atmosphäre, die nach
dem Ausgang der Romantik mitten in dem feuilletonistischen Treiben des jungen
Deutschlands Hebbel in erster Linie herausgeführt hatte, auch Ludwig, der ja
seiner Abneigung gegen das junge Deutschland schon unzweifelhaften Ausdruck
gegeben, aber einen eignen Stil noch nicht gefunden hatte, in ihren Bann gezogen
hat. In dem Cardillac Ludwigs finde ich etwas von Hebbels Holofernes und
Golo wieder, in der "Pfarrrose" und den "Rechten des Herzens" einzelne
Stimmungen und Gedanken der "Maria Magdalene," der Erbförster ist un¬
zweifelhaft ein Vetter Meister Antons, und die ersten, das Problem der jüdischen
Doppelehe anspinnenden Bearbeitungen der "Makkabäer" wie auch die Volks¬
szenen der spätern können eine gewisse geistige Verwandtschaft mit "Judith" und
"Herodes und Marianne" nicht verleugnen. Aber Ludwig hat, auch geistig, viel
einsamer gelebt als irgend ein andrer Dichter, er hat z. B. Kleist erst kennen
lernen, nachdem man ihn hundertmal mit ihm verglichen hatte, und so kann man
auch bei der Feststellung des Einflusses Hebbels gar nicht vorsichtig genug sein.
Und nur ein Talent ahmt nach, eine geniale Begabung geht trotz aller noch so
starken Eindrücke von anßen ihren eignen Weg. So würde man Ludwig auch


Friedrich Hebbel und Veto Ludwig

freilich eine selbständige Natur, seine Dichtung erwuchs aus den ihm a»-
gebornen Gaben und seinen Lebensschicksalen wie aus der Ganzheit und Fülle
echt dichterischer Stimmung. Er machte einen ähnlichen Entwicklungsgang
wie Hebbel durch, und wenn er nun auch dessen Werke zum Teil vorfand,
so können sie ihn doch nie unmittelbar zur Nachahmung angetrieben, sondern
nur befruchtend auf ihn gewirkt haben. Ludwigs erstes vollendetes Werk,
das freilich für den Dichter und die Welt nie fertig wurde, war eine „Agnes
Bernauer." Seine Anfänge führen in eine Zeit, wo Hebbel in der Litteratur
noch nicht dawar, die frühern Bearbeitungen hatten nichts von ihm, aber die
beiden letzten sind allerdings stark von Hebbel beeinflußt, nach dem Erscheinen
des gleichnamigen Dramas des Dithmarsen ohne Zweifel mit dem Gedanken,
den Nebenbuhler zu übertreffen, unternommen und in dieser Erwartung sogar
von den Feinden Hebbels förmlich bestellt worden, die erste, die den überlieferten
Agnescharakter zu Grunde richtet, im Gegensatz, die zweite im Anschluß an
Hebbel, der zuerst die Staatsidee in den Stoff hineingetragen hatte. Ludwig
ganz eigentümlich ist die Art des Dramas „Friedrich der Große," von dem
der erste Akt, „Die Torgauer Heide," 1844 ausgeführt wurde, ebenso wie
das Lustspiel „Hans Frei," das noch älter ist. Hat Ludwig spätere Werke,
wie das „Fräulein von Scuderi" und die „Pfarrrose," noch ohne Kenntnis
von der Geistesart seines großen Zeitgenossen ausgeführt, selbst die Anfänge
des „Erbförsters" auf seinem einsamen Wege gestaltet, so will es mir doch
scheinen, als ob ein ihm unbewußter Einfluß Hebbels auf die verschiednen
Umarbeitungen dieser und der folgenden Dramen vorhanden wäre. Ich ver¬
gesse keinen Augenblick, daß Ludwig ein selbständiger Geist war, aber ich halte
es für nicht ganz unmöglich, daß die neue dichterische Atmosphäre, die nach
dem Ausgang der Romantik mitten in dem feuilletonistischen Treiben des jungen
Deutschlands Hebbel in erster Linie herausgeführt hatte, auch Ludwig, der ja
seiner Abneigung gegen das junge Deutschland schon unzweifelhaften Ausdruck
gegeben, aber einen eignen Stil noch nicht gefunden hatte, in ihren Bann gezogen
hat. In dem Cardillac Ludwigs finde ich etwas von Hebbels Holofernes und
Golo wieder, in der „Pfarrrose" und den „Rechten des Herzens" einzelne
Stimmungen und Gedanken der „Maria Magdalene," der Erbförster ist un¬
zweifelhaft ein Vetter Meister Antons, und die ersten, das Problem der jüdischen
Doppelehe anspinnenden Bearbeitungen der „Makkabäer" wie auch die Volks¬
szenen der spätern können eine gewisse geistige Verwandtschaft mit „Judith" und
„Herodes und Marianne" nicht verleugnen. Aber Ludwig hat, auch geistig, viel
einsamer gelebt als irgend ein andrer Dichter, er hat z. B. Kleist erst kennen
lernen, nachdem man ihn hundertmal mit ihm verglichen hatte, und so kann man
auch bei der Feststellung des Einflusses Hebbels gar nicht vorsichtig genug sein.
Und nur ein Talent ahmt nach, eine geniale Begabung geht trotz aller noch so
starken Eindrücke von anßen ihren eignen Weg. So würde man Ludwig auch


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[0182] Friedrich Hebbel und Veto Ludwig freilich eine selbständige Natur, seine Dichtung erwuchs aus den ihm a»- gebornen Gaben und seinen Lebensschicksalen wie aus der Ganzheit und Fülle echt dichterischer Stimmung. Er machte einen ähnlichen Entwicklungsgang wie Hebbel durch, und wenn er nun auch dessen Werke zum Teil vorfand, so können sie ihn doch nie unmittelbar zur Nachahmung angetrieben, sondern nur befruchtend auf ihn gewirkt haben. Ludwigs erstes vollendetes Werk, das freilich für den Dichter und die Welt nie fertig wurde, war eine „Agnes Bernauer." Seine Anfänge führen in eine Zeit, wo Hebbel in der Litteratur noch nicht dawar, die frühern Bearbeitungen hatten nichts von ihm, aber die beiden letzten sind allerdings stark von Hebbel beeinflußt, nach dem Erscheinen des gleichnamigen Dramas des Dithmarsen ohne Zweifel mit dem Gedanken, den Nebenbuhler zu übertreffen, unternommen und in dieser Erwartung sogar von den Feinden Hebbels förmlich bestellt worden, die erste, die den überlieferten Agnescharakter zu Grunde richtet, im Gegensatz, die zweite im Anschluß an Hebbel, der zuerst die Staatsidee in den Stoff hineingetragen hatte. Ludwig ganz eigentümlich ist die Art des Dramas „Friedrich der Große," von dem der erste Akt, „Die Torgauer Heide," 1844 ausgeführt wurde, ebenso wie das Lustspiel „Hans Frei," das noch älter ist. Hat Ludwig spätere Werke, wie das „Fräulein von Scuderi" und die „Pfarrrose," noch ohne Kenntnis von der Geistesart seines großen Zeitgenossen ausgeführt, selbst die Anfänge des „Erbförsters" auf seinem einsamen Wege gestaltet, so will es mir doch scheinen, als ob ein ihm unbewußter Einfluß Hebbels auf die verschiednen Umarbeitungen dieser und der folgenden Dramen vorhanden wäre. Ich ver¬ gesse keinen Augenblick, daß Ludwig ein selbständiger Geist war, aber ich halte es für nicht ganz unmöglich, daß die neue dichterische Atmosphäre, die nach dem Ausgang der Romantik mitten in dem feuilletonistischen Treiben des jungen Deutschlands Hebbel in erster Linie herausgeführt hatte, auch Ludwig, der ja seiner Abneigung gegen das junge Deutschland schon unzweifelhaften Ausdruck gegeben, aber einen eignen Stil noch nicht gefunden hatte, in ihren Bann gezogen hat. In dem Cardillac Ludwigs finde ich etwas von Hebbels Holofernes und Golo wieder, in der „Pfarrrose" und den „Rechten des Herzens" einzelne Stimmungen und Gedanken der „Maria Magdalene," der Erbförster ist un¬ zweifelhaft ein Vetter Meister Antons, und die ersten, das Problem der jüdischen Doppelehe anspinnenden Bearbeitungen der „Makkabäer" wie auch die Volks¬ szenen der spätern können eine gewisse geistige Verwandtschaft mit „Judith" und „Herodes und Marianne" nicht verleugnen. Aber Ludwig hat, auch geistig, viel einsamer gelebt als irgend ein andrer Dichter, er hat z. B. Kleist erst kennen lernen, nachdem man ihn hundertmal mit ihm verglichen hatte, und so kann man auch bei der Feststellung des Einflusses Hebbels gar nicht vorsichtig genug sein. Und nur ein Talent ahmt nach, eine geniale Begabung geht trotz aller noch so starken Eindrücke von anßen ihren eignen Weg. So würde man Ludwig auch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/182>, abgerufen am 25.05.2024.