Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Genossenschaft Paul und die allermodernste Kunst

besondre Wörterbücher geschrieben werden müssen, lesen soll, solange es noch
eine Poesie der dritten Dimension giebt. Daß die dazu gehörige Illustration
von Fernand Khnopff insofern sehr gut zu dem Gedicht paßt, als auch sie
Unsinn ist, brauche ich dem, der diese verschrobne Frauengestalt mit ihren
kleinen, unverständlichen Attributen gesehen hat, nicht zu versichern. Ich fordre
die Redaktion des "Pan" auf, in einem der nächsten Hefte eine Erklärung des
Gedichts und seiner Illustration zu geben. Solange das nicht geschehen ist,
werde ich annehmen, daß sie sich durch zwei Verrückte hat düpiren lassen.

Das aus dem Zusammenhange herausgerissene Fragment von Arne Gar¬
borgs Tanzgilde ist in dieser Form überhaupt unverständlich. Da mir der Ur¬
text nicht zugänglich ist, kann ich nur sagen: Wenn der Dichter die norwegische
Sprache ebenso mißhandelt hat, wie der Übersetzer Otto Julius Bierbaum die
deutsche, wenn auch bei ihm Worte vorkommen wie "achten seufzten), ruudum-
adum, Jodelgejuchz, Baßgeschrumm, Geigengeschluchz, tummeltanztobend, stupst,
Geschnober, Geschnüffel, Geschncmf, kletterspechtschnell, leiseleicht, Wcissertropfen-
gluck, Windgewein, Winkelflüstern, zumpeln, zampeln, Nvckentanzgeschraminel,
Nückentanzgetummel, Zieher, Zäher, Flackertanzgewaber, Springtanzgefunkel,
Spieltraudel, Häusela Hcinsela-Hei, Surelilei, pflcgelileia, backelibeia, glvckelt"
u. s. w., so habe ich auch gar nicht das Bedürfnis, ihn kennen zu lernen. Die
deutsche Sprache scheint für diese Dichter ein überwundner Standpunkt zu
sein. Wenn ein sprnchgewaltiger Dichter wie Goethe einmal an besonders
markanter Stelle ein neues Wort bildet, so läßt man sich das gefallen. Aber
eine solche Häufung mit der Zange geborner neuer Wörter wirkt einfach
lächerlich. Und was sollen neben einer so "erkünstelten, gesucht modernen Sprache
die klotzigen Vignetten von Kitteisen, die mit ihrer fortwährenden Wieder¬
holung einiger wenigen ClickM, mit ihren dicken Umrissen und ihrer hagebüchnen
Derbheit vielleicht in Verbindung mit der witzigen Nachahmung einer primitiv
derben, gewissermaßen stammelnden Urpoesie einen Sinn haben würden, hier
aber wirklich wie die Faust aufs Auge passen!

Überkultivirt, krankhaft manierirt ist dagegen Whistler, von dem hier ein¬
Bild in Antothpie wiedergegeben wird. Ich glaube ja, daß man, diesen ameri¬
kanisch-französischen Künstler bei uns einigermaßen überschätzt, ich hätte ihm
aber doch gewünscht, daß seine Kunst hier nicht in einer Technik vorgeführt
worden wäre, die von allen in Betracht kommenden wohl die ist, die dem
eigentümlichen Farbenreiz seiner Bilder am wenigsten gerecht werden kann.
Andrerseits ist es wieder einmal ganz gut, daß man an einem solchen Beispiel
sieht, was nach Abzug der Farben von Bildern übrig bleibt, die nicht in
erster Linie Nachahmung der Natur, sondern dekoratives Farbenspiel sein
wollen: matte, leblose Gestalten, die sich neben den lebensprühenden illu¬
sionsmäßigen Gestalten eines Dürer, Michelangelo und Rembrandt wie Ver¬
treter wahrer Decadence ausnehmen.


Die Genossenschaft Paul und die allermodernste Kunst

besondre Wörterbücher geschrieben werden müssen, lesen soll, solange es noch
eine Poesie der dritten Dimension giebt. Daß die dazu gehörige Illustration
von Fernand Khnopff insofern sehr gut zu dem Gedicht paßt, als auch sie
Unsinn ist, brauche ich dem, der diese verschrobne Frauengestalt mit ihren
kleinen, unverständlichen Attributen gesehen hat, nicht zu versichern. Ich fordre
die Redaktion des „Pan" auf, in einem der nächsten Hefte eine Erklärung des
Gedichts und seiner Illustration zu geben. Solange das nicht geschehen ist,
werde ich annehmen, daß sie sich durch zwei Verrückte hat düpiren lassen.

Das aus dem Zusammenhange herausgerissene Fragment von Arne Gar¬
borgs Tanzgilde ist in dieser Form überhaupt unverständlich. Da mir der Ur¬
text nicht zugänglich ist, kann ich nur sagen: Wenn der Dichter die norwegische
Sprache ebenso mißhandelt hat, wie der Übersetzer Otto Julius Bierbaum die
deutsche, wenn auch bei ihm Worte vorkommen wie „achten seufzten), ruudum-
adum, Jodelgejuchz, Baßgeschrumm, Geigengeschluchz, tummeltanztobend, stupst,
Geschnober, Geschnüffel, Geschncmf, kletterspechtschnell, leiseleicht, Wcissertropfen-
gluck, Windgewein, Winkelflüstern, zumpeln, zampeln, Nvckentanzgeschraminel,
Nückentanzgetummel, Zieher, Zäher, Flackertanzgewaber, Springtanzgefunkel,
Spieltraudel, Häusela Hcinsela-Hei, Surelilei, pflcgelileia, backelibeia, glvckelt"
u. s. w., so habe ich auch gar nicht das Bedürfnis, ihn kennen zu lernen. Die
deutsche Sprache scheint für diese Dichter ein überwundner Standpunkt zu
sein. Wenn ein sprnchgewaltiger Dichter wie Goethe einmal an besonders
markanter Stelle ein neues Wort bildet, so läßt man sich das gefallen. Aber
eine solche Häufung mit der Zange geborner neuer Wörter wirkt einfach
lächerlich. Und was sollen neben einer so »erkünstelten, gesucht modernen Sprache
die klotzigen Vignetten von Kitteisen, die mit ihrer fortwährenden Wieder¬
holung einiger wenigen ClickM, mit ihren dicken Umrissen und ihrer hagebüchnen
Derbheit vielleicht in Verbindung mit der witzigen Nachahmung einer primitiv
derben, gewissermaßen stammelnden Urpoesie einen Sinn haben würden, hier
aber wirklich wie die Faust aufs Auge passen!

Überkultivirt, krankhaft manierirt ist dagegen Whistler, von dem hier ein¬
Bild in Antothpie wiedergegeben wird. Ich glaube ja, daß man, diesen ameri¬
kanisch-französischen Künstler bei uns einigermaßen überschätzt, ich hätte ihm
aber doch gewünscht, daß seine Kunst hier nicht in einer Technik vorgeführt
worden wäre, die von allen in Betracht kommenden wohl die ist, die dem
eigentümlichen Farbenreiz seiner Bilder am wenigsten gerecht werden kann.
Andrerseits ist es wieder einmal ganz gut, daß man an einem solchen Beispiel
sieht, was nach Abzug der Farben von Bildern übrig bleibt, die nicht in
erster Linie Nachahmung der Natur, sondern dekoratives Farbenspiel sein
wollen: matte, leblose Gestalten, die sich neben den lebensprühenden illu¬
sionsmäßigen Gestalten eines Dürer, Michelangelo und Rembrandt wie Ver¬
treter wahrer Decadence ausnehmen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0192" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/220518"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Genossenschaft Paul und die allermodernste Kunst</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_748" prev="#ID_747"> besondre Wörterbücher geschrieben werden müssen, lesen soll, solange es noch<lb/>
eine Poesie der dritten Dimension giebt. Daß die dazu gehörige Illustration<lb/>
von Fernand Khnopff insofern sehr gut zu dem Gedicht paßt, als auch sie<lb/>
Unsinn ist, brauche ich dem, der diese verschrobne Frauengestalt mit ihren<lb/>
kleinen, unverständlichen Attributen gesehen hat, nicht zu versichern. Ich fordre<lb/>
die Redaktion des &#x201E;Pan" auf, in einem der nächsten Hefte eine Erklärung des<lb/>
Gedichts und seiner Illustration zu geben. Solange das nicht geschehen ist,<lb/>
werde ich annehmen, daß sie sich durch zwei Verrückte hat düpiren lassen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_749"> Das aus dem Zusammenhange herausgerissene Fragment von Arne Gar¬<lb/>
borgs Tanzgilde ist in dieser Form überhaupt unverständlich. Da mir der Ur¬<lb/>
text nicht zugänglich ist, kann ich nur sagen: Wenn der Dichter die norwegische<lb/>
Sprache ebenso mißhandelt hat, wie der Übersetzer Otto Julius Bierbaum die<lb/>
deutsche, wenn auch bei ihm Worte vorkommen wie &#x201E;achten seufzten), ruudum-<lb/>
adum, Jodelgejuchz, Baßgeschrumm, Geigengeschluchz, tummeltanztobend, stupst,<lb/>
Geschnober, Geschnüffel, Geschncmf, kletterspechtschnell, leiseleicht, Wcissertropfen-<lb/>
gluck, Windgewein, Winkelflüstern, zumpeln, zampeln, Nvckentanzgeschraminel,<lb/>
Nückentanzgetummel, Zieher, Zäher, Flackertanzgewaber, Springtanzgefunkel,<lb/>
Spieltraudel, Häusela Hcinsela-Hei, Surelilei, pflcgelileia, backelibeia, glvckelt"<lb/>
u. s. w., so habe ich auch gar nicht das Bedürfnis, ihn kennen zu lernen. Die<lb/>
deutsche Sprache scheint für diese Dichter ein überwundner Standpunkt zu<lb/>
sein. Wenn ein sprnchgewaltiger Dichter wie Goethe einmal an besonders<lb/>
markanter Stelle ein neues Wort bildet, so läßt man sich das gefallen. Aber<lb/>
eine solche Häufung mit der Zange geborner neuer Wörter wirkt einfach<lb/>
lächerlich. Und was sollen neben einer so »erkünstelten, gesucht modernen Sprache<lb/>
die klotzigen Vignetten von Kitteisen, die mit ihrer fortwährenden Wieder¬<lb/>
holung einiger wenigen ClickM, mit ihren dicken Umrissen und ihrer hagebüchnen<lb/>
Derbheit vielleicht in Verbindung mit der witzigen Nachahmung einer primitiv<lb/>
derben, gewissermaßen stammelnden Urpoesie einen Sinn haben würden, hier<lb/>
aber wirklich wie die Faust aufs Auge passen!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_750"> Überkultivirt, krankhaft manierirt ist dagegen Whistler, von dem hier ein¬<lb/>
Bild in Antothpie wiedergegeben wird. Ich glaube ja, daß man, diesen ameri¬<lb/>
kanisch-französischen Künstler bei uns einigermaßen überschätzt, ich hätte ihm<lb/>
aber doch gewünscht, daß seine Kunst hier nicht in einer Technik vorgeführt<lb/>
worden wäre, die von allen in Betracht kommenden wohl die ist, die dem<lb/>
eigentümlichen Farbenreiz seiner Bilder am wenigsten gerecht werden kann.<lb/>
Andrerseits ist es wieder einmal ganz gut, daß man an einem solchen Beispiel<lb/>
sieht, was nach Abzug der Farben von Bildern übrig bleibt, die nicht in<lb/>
erster Linie Nachahmung der Natur, sondern dekoratives Farbenspiel sein<lb/>
wollen: matte, leblose Gestalten, die sich neben den lebensprühenden illu¬<lb/>
sionsmäßigen Gestalten eines Dürer, Michelangelo und Rembrandt wie Ver¬<lb/>
treter wahrer Decadence ausnehmen.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0192] Die Genossenschaft Paul und die allermodernste Kunst besondre Wörterbücher geschrieben werden müssen, lesen soll, solange es noch eine Poesie der dritten Dimension giebt. Daß die dazu gehörige Illustration von Fernand Khnopff insofern sehr gut zu dem Gedicht paßt, als auch sie Unsinn ist, brauche ich dem, der diese verschrobne Frauengestalt mit ihren kleinen, unverständlichen Attributen gesehen hat, nicht zu versichern. Ich fordre die Redaktion des „Pan" auf, in einem der nächsten Hefte eine Erklärung des Gedichts und seiner Illustration zu geben. Solange das nicht geschehen ist, werde ich annehmen, daß sie sich durch zwei Verrückte hat düpiren lassen. Das aus dem Zusammenhange herausgerissene Fragment von Arne Gar¬ borgs Tanzgilde ist in dieser Form überhaupt unverständlich. Da mir der Ur¬ text nicht zugänglich ist, kann ich nur sagen: Wenn der Dichter die norwegische Sprache ebenso mißhandelt hat, wie der Übersetzer Otto Julius Bierbaum die deutsche, wenn auch bei ihm Worte vorkommen wie „achten seufzten), ruudum- adum, Jodelgejuchz, Baßgeschrumm, Geigengeschluchz, tummeltanztobend, stupst, Geschnober, Geschnüffel, Geschncmf, kletterspechtschnell, leiseleicht, Wcissertropfen- gluck, Windgewein, Winkelflüstern, zumpeln, zampeln, Nvckentanzgeschraminel, Nückentanzgetummel, Zieher, Zäher, Flackertanzgewaber, Springtanzgefunkel, Spieltraudel, Häusela Hcinsela-Hei, Surelilei, pflcgelileia, backelibeia, glvckelt" u. s. w., so habe ich auch gar nicht das Bedürfnis, ihn kennen zu lernen. Die deutsche Sprache scheint für diese Dichter ein überwundner Standpunkt zu sein. Wenn ein sprnchgewaltiger Dichter wie Goethe einmal an besonders markanter Stelle ein neues Wort bildet, so läßt man sich das gefallen. Aber eine solche Häufung mit der Zange geborner neuer Wörter wirkt einfach lächerlich. Und was sollen neben einer so »erkünstelten, gesucht modernen Sprache die klotzigen Vignetten von Kitteisen, die mit ihrer fortwährenden Wieder¬ holung einiger wenigen ClickM, mit ihren dicken Umrissen und ihrer hagebüchnen Derbheit vielleicht in Verbindung mit der witzigen Nachahmung einer primitiv derben, gewissermaßen stammelnden Urpoesie einen Sinn haben würden, hier aber wirklich wie die Faust aufs Auge passen! Überkultivirt, krankhaft manierirt ist dagegen Whistler, von dem hier ein¬ Bild in Antothpie wiedergegeben wird. Ich glaube ja, daß man, diesen ameri¬ kanisch-französischen Künstler bei uns einigermaßen überschätzt, ich hätte ihm aber doch gewünscht, daß seine Kunst hier nicht in einer Technik vorgeführt worden wäre, die von allen in Betracht kommenden wohl die ist, die dem eigentümlichen Farbenreiz seiner Bilder am wenigsten gerecht werden kann. Andrerseits ist es wieder einmal ganz gut, daß man an einem solchen Beispiel sieht, was nach Abzug der Farben von Bildern übrig bleibt, die nicht in erster Linie Nachahmung der Natur, sondern dekoratives Farbenspiel sein wollen: matte, leblose Gestalten, die sich neben den lebensprühenden illu¬ sionsmäßigen Gestalten eines Dürer, Michelangelo und Rembrandt wie Ver¬ treter wahrer Decadence ausnehmen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/192
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/192>, abgerufen am 26.05.2024.