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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Die Genossenschaft Pan und die allermodernste Kunst

Eine ganz neue Errungenschaft des Auslands wird uns vorgeführt in einer
"Glyptographie" von Maurice Dumont. Du fragst, verehrter Leser, was
eine Glyptographie sei? Darauf kann ich nur antworten: Eine Glyptographie
ist eben eine Glyptographie. Sieh dir nur diese furchtbare handtuchartige Gestalt
mit der Blume und der Leyer in den Händen an, die in diesem Walde ohne
Blätter spazieren geht und Sappho heißt. Und lies nur, was Herr Roger
Marx auf Seite 41 des ersten Hefts über das Verfahren sagt, und du wirst --
dann ebenso klug sein wie vorher. Du erfährst nur, daß eine solche Verviel¬
fältigung durch "Eindrücken eines Blattes feuchten Papiers in die Vertiefung
einer Form" hergestellt wird, und daß diese Technik einzig und allein den
Namen "Glyptographie" verdient. Was du siehst, ist ein einfacher Holzschnitt,
dessen Konturen nach Art der alten Reiberdrucke in roher Weise vertieft sind,
nicht flächenhaft genug, um als Holzschnitt zu wirken, und nicht plastisch genug,
um den Eindruck eines Reliefs zu machen, dabei von einer Langweiligkeit,
über die sich der Beschauer durch die künstliche Rauhung des Grundes schwerlich
wird hinwegtäuschen lassen. Was du sehen sollst, ist ein Kunstwerk, das
"gleichzeitig den Charakter des Gemäldes, des stiess und des Reliefs an sich
trägt," also ein "Gesamtkunstwerk" g, 1a Wagner, bei dem nur die Poesie
fehlt, die darunter zu drücke" wäre, und die Musik, die man dazu machen
könnte. Vielleicht nehmen sich die Direktoren der Blindenanstalten dieser Technik
an, denn sie bietet den Unglücklichen, die nicht sehen können, wenigstens ein
Mittel, die Umrisse einer Zeichnung zu fühlen. Wir Sehenden aber verbitten
uns den Versuch, uns derartige technische Witze als neue Kunst auszureden.

Auch das Relief der Hölle von dem jungen norwegischen Bildhauer
Vigelcmd hätten wir der Redaktion gern geschenkt. Wir wissen ja freilich aus
der Kunstgeschichte, daß man in der Rcliefplastik mit den Begriffen "Stil"
und "Stillosigkeit" vorsichtig sein muß. Aber das darf mau auch von einem
ganz freien malerischen Relief verlangen, daß man ungefähr erkennen kann,
was die darauf dargestellten Figuren machen oder mit sich machen lassen. Mit
dem bloßen geisterhaften Schweben und dem grinsenden Verzerren übergroßer
Gesichter auf dürren Leibern ist es doch nicht gethan.

Geradezu verblüffend ist die Holzschnitttechuik, die uns hier von einigen
Franzosen geboten wird und natürlich auch gleich bei den Deutschen Nach¬
ahmung gefunden hat. Daß sich eine bestimmte Richtung unsrer modernen
Kunst in einem wüsten, ungesunden Archaismus bewegt, war uns ja nicht un-
bekannt. Daß man aber unsern Holzschnitt ans die rohe Jnkunabeltechnik des
vierzehnten und fünfzehnten Jahrhunderts zurückschrauben will, haben wir erst
hier mit voller Deutlichkeit gesehen. Man vergleiche mir das Porträt Robert
Schumanns von Felix Valloton im ersten Heft oder den Mann mit dem breiten,
gestärkten Vorhemd und dem großen Schlips, auf dem sonderbarerweise I^o soir
steht, im zweiten Heft (S. 128), oder gar die beiden Katzen am Schluß des


Grenzboten 111 1395 24
Die Genossenschaft Pan und die allermodernste Kunst

Eine ganz neue Errungenschaft des Auslands wird uns vorgeführt in einer
„Glyptographie" von Maurice Dumont. Du fragst, verehrter Leser, was
eine Glyptographie sei? Darauf kann ich nur antworten: Eine Glyptographie
ist eben eine Glyptographie. Sieh dir nur diese furchtbare handtuchartige Gestalt
mit der Blume und der Leyer in den Händen an, die in diesem Walde ohne
Blätter spazieren geht und Sappho heißt. Und lies nur, was Herr Roger
Marx auf Seite 41 des ersten Hefts über das Verfahren sagt, und du wirst —
dann ebenso klug sein wie vorher. Du erfährst nur, daß eine solche Verviel¬
fältigung durch „Eindrücken eines Blattes feuchten Papiers in die Vertiefung
einer Form" hergestellt wird, und daß diese Technik einzig und allein den
Namen „Glyptographie" verdient. Was du siehst, ist ein einfacher Holzschnitt,
dessen Konturen nach Art der alten Reiberdrucke in roher Weise vertieft sind,
nicht flächenhaft genug, um als Holzschnitt zu wirken, und nicht plastisch genug,
um den Eindruck eines Reliefs zu machen, dabei von einer Langweiligkeit,
über die sich der Beschauer durch die künstliche Rauhung des Grundes schwerlich
wird hinwegtäuschen lassen. Was du sehen sollst, ist ein Kunstwerk, das
„gleichzeitig den Charakter des Gemäldes, des stiess und des Reliefs an sich
trägt," also ein „Gesamtkunstwerk" g, 1a Wagner, bei dem nur die Poesie
fehlt, die darunter zu drücke» wäre, und die Musik, die man dazu machen
könnte. Vielleicht nehmen sich die Direktoren der Blindenanstalten dieser Technik
an, denn sie bietet den Unglücklichen, die nicht sehen können, wenigstens ein
Mittel, die Umrisse einer Zeichnung zu fühlen. Wir Sehenden aber verbitten
uns den Versuch, uns derartige technische Witze als neue Kunst auszureden.

Auch das Relief der Hölle von dem jungen norwegischen Bildhauer
Vigelcmd hätten wir der Redaktion gern geschenkt. Wir wissen ja freilich aus
der Kunstgeschichte, daß man in der Rcliefplastik mit den Begriffen „Stil"
und „Stillosigkeit" vorsichtig sein muß. Aber das darf mau auch von einem
ganz freien malerischen Relief verlangen, daß man ungefähr erkennen kann,
was die darauf dargestellten Figuren machen oder mit sich machen lassen. Mit
dem bloßen geisterhaften Schweben und dem grinsenden Verzerren übergroßer
Gesichter auf dürren Leibern ist es doch nicht gethan.

Geradezu verblüffend ist die Holzschnitttechuik, die uns hier von einigen
Franzosen geboten wird und natürlich auch gleich bei den Deutschen Nach¬
ahmung gefunden hat. Daß sich eine bestimmte Richtung unsrer modernen
Kunst in einem wüsten, ungesunden Archaismus bewegt, war uns ja nicht un-
bekannt. Daß man aber unsern Holzschnitt ans die rohe Jnkunabeltechnik des
vierzehnten und fünfzehnten Jahrhunderts zurückschrauben will, haben wir erst
hier mit voller Deutlichkeit gesehen. Man vergleiche mir das Porträt Robert
Schumanns von Felix Valloton im ersten Heft oder den Mann mit dem breiten,
gestärkten Vorhemd und dem großen Schlips, auf dem sonderbarerweise I^o soir
steht, im zweiten Heft (S. 128), oder gar die beiden Katzen am Schluß des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/193>, abgerufen am 23.05.2024.