Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Sie Genossenschaft j)an und die nllermodernste Ännst

gattnng gesetzt Wird. In den beide" ersten Heften des Pein ist das geschehen;
die Firma Drugulin hat, wie es scheint, ihre sämtlichen größern Schriften
von der alten Gutenberg-Gvtisch bis zur Korpus .Kursiv zur Schau gestellt.
Eine Nötigung hierzu lag nicht vor, und man hätte wenigstens in dieser Be¬
ziehung die nun einmal nicht ganz zu vermeidende Buntheit der Zeitschrift einiger-
maßen milder" können. Vor allen Dingen aber hat Vode vollkommen Recht,
wenn er meint, daß die niedern photvmechanischen Vervielfältigungsnrten, z. B.
die Autotypie, einer vornehmen Zeitschrift wie dieser nicht anstehen. Haupt-
bildcr in Autotypie, wie deren das erste Heft nicht weniger als fünf enthält,
noch dazu auf so dünnes Papier gedruckt wie einige von ihnen, gehören nicht
in eine Zeitschrift dieses Schlages. Es ist gut, daß mau sie im zweiten Heft
durch Heliogravüren ersetzt hat. Der Widerspruch zwischen diesen glatten und
lappigen Blättern mit dem dicken rauhen Druckpapier des Textes springt doch
gar zu stark in die Augen.

Wie sehr unsre Poesie im Zeichen der Romantik steht, erkennt man schon
daraus, daß die einzigen ältern poetischen Produkte, die hier wieder abgedruckt
werdeu, ein Fragment aus dem Parzival (in Modernisirung von Wilhelm
Hertz) und die Hymne a" die Nacht von Novalis sind. Die geschmacklosen, schwer
lesbaren Lettern, in denen die Hymne wiedergegeben ist, haben mich leider
nicht dazu kommen lassen, den Stinunungsgehalt der Worte und der um¬
rahmenden Illustration von L. von Hofmann ganz zu empfinden. Ich bekam
Angenflimmern und mußte die Lektüre aufgebe". Seltsam nimmt sich daneben
das hübsche, einfach realistische Fragment von Fontane, "Aus meinem Leben," aus,
das überhaupt wenig in diese Gesellschaft paßt. "Svmmertvd" von Johannes
Schlaf ist eine Nachahmung von Guy de Manpassants Horla, nicht einmal eine
besonders gute. Der spiritistische Zug steht unsern jungen Dichtern, denen noch
vor kurzem die nüchterne, platte Wirklichkeit über alles ging, günz besonders
schlecht. Ein charakteristisches Kennzeichen der jüngsten deutschen Dichtung, das
wir schon bei O. I. Bierbaums Übersetzung der Garborgschen Tanzgilde bemerkten,
ist die Sucht uach elementare" Wortbildungen. Auch Richard Dehmels Trink¬
lied ist voll von solchen. "Dagloni, gleia, glühlata, walla hei, Daglvni,
Scherben klirrlala, hei!" sind Worte, die wohl das Lallen des Betrunknen
wiedergeben sollen, auf die meisten Leser aber ohne Zweifel lächerlich wirken
werden. Auch Bilder wie: "Seht doch, wie rot die Sonne lacht, die dort in ihre",
Blut ersäuft; im blassen Strome ruckt und blinzt Ein Geglüh; Der Mond
grinzt: Sonne hub!" erklären sich wohl nur durch absichtliche Anpassung an
die Auffassung Betrunkner. Zu dieser bewußten Formlosigkeit wollen die
Steinzeichnungen des begabten, aber noch schwankenden jungen Dresdner Malers
G. Lührig, die einen etwas antikisirenden Bacchantenzug und ein Totentanz¬
motiv darstellen, nicht recht passen. Die "Truppenrevue" von Anna Croisscmt-
Rust peitscht ein an sich ganz hübsches Bild -- die Schriftstellerin läßt ihre


Sie Genossenschaft j)an und die nllermodernste Ännst

gattnng gesetzt Wird. In den beide» ersten Heften des Pein ist das geschehen;
die Firma Drugulin hat, wie es scheint, ihre sämtlichen größern Schriften
von der alten Gutenberg-Gvtisch bis zur Korpus .Kursiv zur Schau gestellt.
Eine Nötigung hierzu lag nicht vor, und man hätte wenigstens in dieser Be¬
ziehung die nun einmal nicht ganz zu vermeidende Buntheit der Zeitschrift einiger-
maßen milder« können. Vor allen Dingen aber hat Vode vollkommen Recht,
wenn er meint, daß die niedern photvmechanischen Vervielfältigungsnrten, z. B.
die Autotypie, einer vornehmen Zeitschrift wie dieser nicht anstehen. Haupt-
bildcr in Autotypie, wie deren das erste Heft nicht weniger als fünf enthält,
noch dazu auf so dünnes Papier gedruckt wie einige von ihnen, gehören nicht
in eine Zeitschrift dieses Schlages. Es ist gut, daß mau sie im zweiten Heft
durch Heliogravüren ersetzt hat. Der Widerspruch zwischen diesen glatten und
lappigen Blättern mit dem dicken rauhen Druckpapier des Textes springt doch
gar zu stark in die Augen.

Wie sehr unsre Poesie im Zeichen der Romantik steht, erkennt man schon
daraus, daß die einzigen ältern poetischen Produkte, die hier wieder abgedruckt
werdeu, ein Fragment aus dem Parzival (in Modernisirung von Wilhelm
Hertz) und die Hymne a» die Nacht von Novalis sind. Die geschmacklosen, schwer
lesbaren Lettern, in denen die Hymne wiedergegeben ist, haben mich leider
nicht dazu kommen lassen, den Stinunungsgehalt der Worte und der um¬
rahmenden Illustration von L. von Hofmann ganz zu empfinden. Ich bekam
Angenflimmern und mußte die Lektüre aufgebe». Seltsam nimmt sich daneben
das hübsche, einfach realistische Fragment von Fontane, „Aus meinem Leben," aus,
das überhaupt wenig in diese Gesellschaft paßt. „Svmmertvd" von Johannes
Schlaf ist eine Nachahmung von Guy de Manpassants Horla, nicht einmal eine
besonders gute. Der spiritistische Zug steht unsern jungen Dichtern, denen noch
vor kurzem die nüchterne, platte Wirklichkeit über alles ging, günz besonders
schlecht. Ein charakteristisches Kennzeichen der jüngsten deutschen Dichtung, das
wir schon bei O. I. Bierbaums Übersetzung der Garborgschen Tanzgilde bemerkten,
ist die Sucht uach elementare» Wortbildungen. Auch Richard Dehmels Trink¬
lied ist voll von solchen. „Dagloni, gleia, glühlata, walla hei, Daglvni,
Scherben klirrlala, hei!" sind Worte, die wohl das Lallen des Betrunknen
wiedergeben sollen, auf die meisten Leser aber ohne Zweifel lächerlich wirken
werden. Auch Bilder wie: „Seht doch, wie rot die Sonne lacht, die dort in ihre»,
Blut ersäuft; im blassen Strome ruckt und blinzt Ein Geglüh; Der Mond
grinzt: Sonne hub!" erklären sich wohl nur durch absichtliche Anpassung an
die Auffassung Betrunkner. Zu dieser bewußten Formlosigkeit wollen die
Steinzeichnungen des begabten, aber noch schwankenden jungen Dresdner Malers
G. Lührig, die einen etwas antikisirenden Bacchantenzug und ein Totentanz¬
motiv darstellen, nicht recht passen. Die „Truppenrevue" von Anna Croisscmt-
Rust peitscht ein an sich ganz hübsches Bild — die Schriftstellerin läßt ihre


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0230" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/220556"/>
          <fw type="header" place="top"> Sie Genossenschaft j)an und die nllermodernste Ännst</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_948" prev="#ID_947"> gattnng gesetzt Wird. In den beide» ersten Heften des Pein ist das geschehen;<lb/>
die Firma Drugulin hat, wie es scheint, ihre sämtlichen größern Schriften<lb/>
von der alten Gutenberg-Gvtisch bis zur Korpus .Kursiv zur Schau gestellt.<lb/>
Eine Nötigung hierzu lag nicht vor, und man hätte wenigstens in dieser Be¬<lb/>
ziehung die nun einmal nicht ganz zu vermeidende Buntheit der Zeitschrift einiger-<lb/>
maßen milder« können. Vor allen Dingen aber hat Vode vollkommen Recht,<lb/>
wenn er meint, daß die niedern photvmechanischen Vervielfältigungsnrten, z. B.<lb/>
die Autotypie, einer vornehmen Zeitschrift wie dieser nicht anstehen. Haupt-<lb/>
bildcr in Autotypie, wie deren das erste Heft nicht weniger als fünf enthält,<lb/>
noch dazu auf so dünnes Papier gedruckt wie einige von ihnen, gehören nicht<lb/>
in eine Zeitschrift dieses Schlages. Es ist gut, daß mau sie im zweiten Heft<lb/>
durch Heliogravüren ersetzt hat. Der Widerspruch zwischen diesen glatten und<lb/>
lappigen Blättern mit dem dicken rauhen Druckpapier des Textes springt doch<lb/>
gar zu stark in die Augen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_949" next="#ID_950"> Wie sehr unsre Poesie im Zeichen der Romantik steht, erkennt man schon<lb/>
daraus, daß die einzigen ältern poetischen Produkte, die hier wieder abgedruckt<lb/>
werdeu, ein Fragment aus dem Parzival (in Modernisirung von Wilhelm<lb/>
Hertz) und die Hymne a» die Nacht von Novalis sind. Die geschmacklosen, schwer<lb/>
lesbaren Lettern, in denen die Hymne wiedergegeben ist, haben mich leider<lb/>
nicht dazu kommen lassen, den Stinunungsgehalt der Worte und der um¬<lb/>
rahmenden Illustration von L. von Hofmann ganz zu empfinden. Ich bekam<lb/>
Angenflimmern und mußte die Lektüre aufgebe». Seltsam nimmt sich daneben<lb/>
das hübsche, einfach realistische Fragment von Fontane, &#x201E;Aus meinem Leben," aus,<lb/>
das überhaupt wenig in diese Gesellschaft paßt. &#x201E;Svmmertvd" von Johannes<lb/>
Schlaf ist eine Nachahmung von Guy de Manpassants Horla, nicht einmal eine<lb/>
besonders gute. Der spiritistische Zug steht unsern jungen Dichtern, denen noch<lb/>
vor kurzem die nüchterne, platte Wirklichkeit über alles ging, günz besonders<lb/>
schlecht. Ein charakteristisches Kennzeichen der jüngsten deutschen Dichtung, das<lb/>
wir schon bei O. I. Bierbaums Übersetzung der Garborgschen Tanzgilde bemerkten,<lb/>
ist die Sucht uach elementare» Wortbildungen. Auch Richard Dehmels Trink¬<lb/>
lied ist voll von solchen. &#x201E;Dagloni, gleia, glühlata, walla hei, Daglvni,<lb/>
Scherben klirrlala, hei!" sind Worte, die wohl das Lallen des Betrunknen<lb/>
wiedergeben sollen, auf die meisten Leser aber ohne Zweifel lächerlich wirken<lb/>
werden. Auch Bilder wie: &#x201E;Seht doch, wie rot die Sonne lacht, die dort in ihre»,<lb/>
Blut ersäuft; im blassen Strome ruckt und blinzt Ein Geglüh; Der Mond<lb/>
grinzt: Sonne hub!" erklären sich wohl nur durch absichtliche Anpassung an<lb/>
die Auffassung Betrunkner. Zu dieser bewußten Formlosigkeit wollen die<lb/>
Steinzeichnungen des begabten, aber noch schwankenden jungen Dresdner Malers<lb/>
G. Lührig, die einen etwas antikisirenden Bacchantenzug und ein Totentanz¬<lb/>
motiv darstellen, nicht recht passen. Die &#x201E;Truppenrevue" von Anna Croisscmt-<lb/>
Rust peitscht ein an sich ganz hübsches Bild &#x2014; die Schriftstellerin läßt ihre</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0230] Sie Genossenschaft j)an und die nllermodernste Ännst gattnng gesetzt Wird. In den beide» ersten Heften des Pein ist das geschehen; die Firma Drugulin hat, wie es scheint, ihre sämtlichen größern Schriften von der alten Gutenberg-Gvtisch bis zur Korpus .Kursiv zur Schau gestellt. Eine Nötigung hierzu lag nicht vor, und man hätte wenigstens in dieser Be¬ ziehung die nun einmal nicht ganz zu vermeidende Buntheit der Zeitschrift einiger- maßen milder« können. Vor allen Dingen aber hat Vode vollkommen Recht, wenn er meint, daß die niedern photvmechanischen Vervielfältigungsnrten, z. B. die Autotypie, einer vornehmen Zeitschrift wie dieser nicht anstehen. Haupt- bildcr in Autotypie, wie deren das erste Heft nicht weniger als fünf enthält, noch dazu auf so dünnes Papier gedruckt wie einige von ihnen, gehören nicht in eine Zeitschrift dieses Schlages. Es ist gut, daß mau sie im zweiten Heft durch Heliogravüren ersetzt hat. Der Widerspruch zwischen diesen glatten und lappigen Blättern mit dem dicken rauhen Druckpapier des Textes springt doch gar zu stark in die Augen. Wie sehr unsre Poesie im Zeichen der Romantik steht, erkennt man schon daraus, daß die einzigen ältern poetischen Produkte, die hier wieder abgedruckt werdeu, ein Fragment aus dem Parzival (in Modernisirung von Wilhelm Hertz) und die Hymne a» die Nacht von Novalis sind. Die geschmacklosen, schwer lesbaren Lettern, in denen die Hymne wiedergegeben ist, haben mich leider nicht dazu kommen lassen, den Stinunungsgehalt der Worte und der um¬ rahmenden Illustration von L. von Hofmann ganz zu empfinden. Ich bekam Angenflimmern und mußte die Lektüre aufgebe». Seltsam nimmt sich daneben das hübsche, einfach realistische Fragment von Fontane, „Aus meinem Leben," aus, das überhaupt wenig in diese Gesellschaft paßt. „Svmmertvd" von Johannes Schlaf ist eine Nachahmung von Guy de Manpassants Horla, nicht einmal eine besonders gute. Der spiritistische Zug steht unsern jungen Dichtern, denen noch vor kurzem die nüchterne, platte Wirklichkeit über alles ging, günz besonders schlecht. Ein charakteristisches Kennzeichen der jüngsten deutschen Dichtung, das wir schon bei O. I. Bierbaums Übersetzung der Garborgschen Tanzgilde bemerkten, ist die Sucht uach elementare» Wortbildungen. Auch Richard Dehmels Trink¬ lied ist voll von solchen. „Dagloni, gleia, glühlata, walla hei, Daglvni, Scherben klirrlala, hei!" sind Worte, die wohl das Lallen des Betrunknen wiedergeben sollen, auf die meisten Leser aber ohne Zweifel lächerlich wirken werden. Auch Bilder wie: „Seht doch, wie rot die Sonne lacht, die dort in ihre», Blut ersäuft; im blassen Strome ruckt und blinzt Ein Geglüh; Der Mond grinzt: Sonne hub!" erklären sich wohl nur durch absichtliche Anpassung an die Auffassung Betrunkner. Zu dieser bewußten Formlosigkeit wollen die Steinzeichnungen des begabten, aber noch schwankenden jungen Dresdner Malers G. Lührig, die einen etwas antikisirenden Bacchantenzug und ein Totentanz¬ motiv darstellen, nicht recht passen. Die „Truppenrevue" von Anna Croisscmt- Rust peitscht ein an sich ganz hübsches Bild — die Schriftstellerin läßt ihre

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/230
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/230>, abgerufen am 23.05.2024.