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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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zweifelhaft. Hoffentlich ringt er sich aus dem hindernden Gestrüpp, das ihm
seine spintisirendc Natur offenbar in den Weg legt, möglichst bald zu heiterer
Klarheit hindurch.

Vollständig darin befangen ist er noch in seiner Radiruug "Der Philo¬
soph," aus dem zweiten bisher nicht vollendeten Teil des Werkes "Vom Tode."
Es ist das zweite Blatt der ersten Gruppe: "Der Tod und die Spitzen der
Menschheit/' von der die beiden andern Platten zwar ebenfalls vollendet sind,
aber (ebenso wie wahrscheinlich auch diese Platte) t'assirt werden. Der symbo¬
lische Gedanke an sich ist ja nicht undarstellbar. Das fruchtlose Streben nach
Erkenntnis des höchsten Wesens wird hier durch einen Mann dargestellt, der
einen steilen Schneegipfel mit Hilfe von Seiten und eisernen Haken zu er¬
klimmen sucht, dessen Kraft aber, ehe er die Spitze erreicht hat, erlahmt. Seine
Brille, das Shmbvl der menschlichen Kurzsichtigkeit, liegt unten am Rande
des Schneefelds. Auf diesem Felde selbst sind etwa in der Art eines Waren-
stempels die Worte ausgedruckt l 8eiön" nssoieris, außerdem zwei eirunde
Gegenstände, die ich für eine Erd- und eine Himmelskugel halte. Es ist nicht die
Wahl des Gedankens, die uns hier unangenehm berührt, wenn auch der ge¬
heimnisvolle Stempel das Verständnis nicht gerade erleichtert. Tadelnswert
ist nur die uumnlerische Art, wie Klinger die Szene dargestellt hat. Ein
dunkler Felsenhang, gegen die sich ein weißes Schneefeld ohne jede Model-
lirnng absetzt, auf diesem wieder in schroffem Kontrast die schwarze Gestalt
des Kletterers, keine Spur vou Raumvertiefung, von Lnftperspektive, von
scharfer Formeuauffcissuug, kurz nichts, was an die realen Bedingungen der
Naturnachahmung erinnerte. Wie anders hat da Dürer die "theologischen
Tugenden" der scholastischen Moral in seinem "Hieronhmns im Gebeins" dar¬
gestellt! Wir wissen, daß es Klinger kann, wenn er will -- die Zeichnungen
zu den Rettungen ovidischer Opfer, die freilich auch eines Kommentars be¬
dürfen, zeigen es wieder --, aber warum will er denn nicht immer? Glaubt
er, daß der Gedanke unter der sorgfältigen Beobachtung malerischer Gesetze
leide, oder steht er (wie ich eher annehmen mochte) unbewußt so sehr unter
dem Einfluß des Gedankens, daß er die Form vernachlässigen muß? Dann
kau" er sich nicht wunder", wenn man sagt, daß ihn die Natur mehr zum
Grübler und Dichter als zum Künstler geschaffen habe.

Eine gewisse Verwandtschaft mit Klinger hat Hans Thoma, der ebenfalls
oft durch die Übermacht des Gedankens an der malerischen Durchbildung ge¬
hindert zu werden scheint. Seine Lithographie eines alten Geigers ist zwar
ein tief empfundnes aber doch sehr hart gezeichnetes Blatt, und auch vou seinen
Vignetten würden manche durch genauere Ausführung und feiner empfundne
Konturen schwerlich in ihrem Stimmungsgehalt geschädigt worden sein.

Von Stuck giebt es bessere ornamentale Schöpfungen als den Panskopf
auf dein Umschlag, und auch der weibliche Studienkopf, den das zweite Heft


zweifelhaft. Hoffentlich ringt er sich aus dem hindernden Gestrüpp, das ihm
seine spintisirendc Natur offenbar in den Weg legt, möglichst bald zu heiterer
Klarheit hindurch.

Vollständig darin befangen ist er noch in seiner Radiruug „Der Philo¬
soph," aus dem zweiten bisher nicht vollendeten Teil des Werkes „Vom Tode."
Es ist das zweite Blatt der ersten Gruppe: „Der Tod und die Spitzen der
Menschheit/' von der die beiden andern Platten zwar ebenfalls vollendet sind,
aber (ebenso wie wahrscheinlich auch diese Platte) t'assirt werden. Der symbo¬
lische Gedanke an sich ist ja nicht undarstellbar. Das fruchtlose Streben nach
Erkenntnis des höchsten Wesens wird hier durch einen Mann dargestellt, der
einen steilen Schneegipfel mit Hilfe von Seiten und eisernen Haken zu er¬
klimmen sucht, dessen Kraft aber, ehe er die Spitze erreicht hat, erlahmt. Seine
Brille, das Shmbvl der menschlichen Kurzsichtigkeit, liegt unten am Rande
des Schneefelds. Auf diesem Felde selbst sind etwa in der Art eines Waren-
stempels die Worte ausgedruckt l 8eiön« nssoieris, außerdem zwei eirunde
Gegenstände, die ich für eine Erd- und eine Himmelskugel halte. Es ist nicht die
Wahl des Gedankens, die uns hier unangenehm berührt, wenn auch der ge¬
heimnisvolle Stempel das Verständnis nicht gerade erleichtert. Tadelnswert
ist nur die uumnlerische Art, wie Klinger die Szene dargestellt hat. Ein
dunkler Felsenhang, gegen die sich ein weißes Schneefeld ohne jede Model-
lirnng absetzt, auf diesem wieder in schroffem Kontrast die schwarze Gestalt
des Kletterers, keine Spur vou Raumvertiefung, von Lnftperspektive, von
scharfer Formeuauffcissuug, kurz nichts, was an die realen Bedingungen der
Naturnachahmung erinnerte. Wie anders hat da Dürer die „theologischen
Tugenden" der scholastischen Moral in seinem „Hieronhmns im Gebeins" dar¬
gestellt! Wir wissen, daß es Klinger kann, wenn er will — die Zeichnungen
zu den Rettungen ovidischer Opfer, die freilich auch eines Kommentars be¬
dürfen, zeigen es wieder —, aber warum will er denn nicht immer? Glaubt
er, daß der Gedanke unter der sorgfältigen Beobachtung malerischer Gesetze
leide, oder steht er (wie ich eher annehmen mochte) unbewußt so sehr unter
dem Einfluß des Gedankens, daß er die Form vernachlässigen muß? Dann
kau» er sich nicht wunder», wenn man sagt, daß ihn die Natur mehr zum
Grübler und Dichter als zum Künstler geschaffen habe.

Eine gewisse Verwandtschaft mit Klinger hat Hans Thoma, der ebenfalls
oft durch die Übermacht des Gedankens an der malerischen Durchbildung ge¬
hindert zu werden scheint. Seine Lithographie eines alten Geigers ist zwar
ein tief empfundnes aber doch sehr hart gezeichnetes Blatt, und auch vou seinen
Vignetten würden manche durch genauere Ausführung und feiner empfundne
Konturen schwerlich in ihrem Stimmungsgehalt geschädigt worden sein.

Von Stuck giebt es bessere ornamentale Schöpfungen als den Panskopf
auf dein Umschlag, und auch der weibliche Studienkopf, den das zweite Heft


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[0234] zweifelhaft. Hoffentlich ringt er sich aus dem hindernden Gestrüpp, das ihm seine spintisirendc Natur offenbar in den Weg legt, möglichst bald zu heiterer Klarheit hindurch. Vollständig darin befangen ist er noch in seiner Radiruug „Der Philo¬ soph," aus dem zweiten bisher nicht vollendeten Teil des Werkes „Vom Tode." Es ist das zweite Blatt der ersten Gruppe: „Der Tod und die Spitzen der Menschheit/' von der die beiden andern Platten zwar ebenfalls vollendet sind, aber (ebenso wie wahrscheinlich auch diese Platte) t'assirt werden. Der symbo¬ lische Gedanke an sich ist ja nicht undarstellbar. Das fruchtlose Streben nach Erkenntnis des höchsten Wesens wird hier durch einen Mann dargestellt, der einen steilen Schneegipfel mit Hilfe von Seiten und eisernen Haken zu er¬ klimmen sucht, dessen Kraft aber, ehe er die Spitze erreicht hat, erlahmt. Seine Brille, das Shmbvl der menschlichen Kurzsichtigkeit, liegt unten am Rande des Schneefelds. Auf diesem Felde selbst sind etwa in der Art eines Waren- stempels die Worte ausgedruckt l 8eiön« nssoieris, außerdem zwei eirunde Gegenstände, die ich für eine Erd- und eine Himmelskugel halte. Es ist nicht die Wahl des Gedankens, die uns hier unangenehm berührt, wenn auch der ge¬ heimnisvolle Stempel das Verständnis nicht gerade erleichtert. Tadelnswert ist nur die uumnlerische Art, wie Klinger die Szene dargestellt hat. Ein dunkler Felsenhang, gegen die sich ein weißes Schneefeld ohne jede Model- lirnng absetzt, auf diesem wieder in schroffem Kontrast die schwarze Gestalt des Kletterers, keine Spur vou Raumvertiefung, von Lnftperspektive, von scharfer Formeuauffcissuug, kurz nichts, was an die realen Bedingungen der Naturnachahmung erinnerte. Wie anders hat da Dürer die „theologischen Tugenden" der scholastischen Moral in seinem „Hieronhmns im Gebeins" dar¬ gestellt! Wir wissen, daß es Klinger kann, wenn er will — die Zeichnungen zu den Rettungen ovidischer Opfer, die freilich auch eines Kommentars be¬ dürfen, zeigen es wieder —, aber warum will er denn nicht immer? Glaubt er, daß der Gedanke unter der sorgfältigen Beobachtung malerischer Gesetze leide, oder steht er (wie ich eher annehmen mochte) unbewußt so sehr unter dem Einfluß des Gedankens, daß er die Form vernachlässigen muß? Dann kau» er sich nicht wunder», wenn man sagt, daß ihn die Natur mehr zum Grübler und Dichter als zum Künstler geschaffen habe. Eine gewisse Verwandtschaft mit Klinger hat Hans Thoma, der ebenfalls oft durch die Übermacht des Gedankens an der malerischen Durchbildung ge¬ hindert zu werden scheint. Seine Lithographie eines alten Geigers ist zwar ein tief empfundnes aber doch sehr hart gezeichnetes Blatt, und auch vou seinen Vignetten würden manche durch genauere Ausführung und feiner empfundne Konturen schwerlich in ihrem Stimmungsgehalt geschädigt worden sein. Von Stuck giebt es bessere ornamentale Schöpfungen als den Panskopf auf dein Umschlag, und auch der weibliche Studienkopf, den das zweite Heft

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/234>, abgerufen am 26.05.2024.