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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Die Genossenschaft j?an und die allennodernste Runst

in Heliogravüre bringt, gehört nicht zu seinen besten Leistungen. Ebenso wenig
ist E. M. Geyger durch seine in der Zeichnung einigermaßen bedenkliche Ra-
dirnng zu Nietzsches Fragment "Der Riese" genügend vertreten.

Eine ganz besondre Richtung der modernen Illustration, von der sonst
auch Stuck stark beeinflußt ist, ist der bewußte Archaismus. Wie oft hat nun
nicht der romantischen Kunst ihr ungesundes Zurückgehen auf Fra Nngelieo
und Perugino zum Vorwurf gemacht, wie oft nicht die Hauptschwäche der
klassizistischen Richtung in ihrer äußerlichen und sklavischen Nachahmung der
Antike gesehen! Daß wir gegenwärtig wieder bis über die Ohren in diesem
klassizistisch-romantischen Archaismus drinstecken, scheint man gar nicht zu em¬
pfinden. Ich rede dabei natürlich nicht von der selbstverständlichen Verehrung
für die alten Meister, die sich auch im "Pan" dnrch die Publikation Dürer-
scher Holzschnitte, der Kreuzigung von Grünewald und der neuentdeckten Pallas
von Botticelli ausspricht. Es ist auch ganz gut, daß sich die Redaktion dabei
besonders der "herben" und "unschönen" Produkte der alten Kunst annimmt,
damit das Publikum endlich einmal lernt, daß Kunst nicht "Darstellung des
Schönen," d. h. des konventionellen Naturschönen (in irgend einem zeitlich und
national begrenzten Sinne), sondern Erzeugung von künstlerischen Scheiugefühleu
ist. Ich rede vielmehr von der bewußten und gekünstelter Nachahmung alter
Meister, die sich z.B. in den Holzschnitten Josef Sattlers ausspricht. Dieser
bietet uns unter andern als Illustration zu Lilieuerons Gedicht "Rabbi
Jeschua" einen Christuskopf, der allgemeines Entsetzen erregt hat, bei den
Laien, weil er "häßlich" ist, bei den Kennern, weil er nichts als eine rohe
dekorative Nachahmung von Mantegna und Dürer ist. Ebenso finden wir
im zweiten Hefte einen Holzschnitt: "Bor dem Throne König Johanns von
Leyden,"") eine Probe aus dem Cyklus "Die Wiedertäufer," der in diesen Tagen
herausgekommen sein soll: eine gezwungne Nachahmung altdeutscher Holzschnitte,
von gesucht primitivem Schnitt, bei dessen Anblick man erschreckt zurückfährt,
von einer Formlosigkeit der Komposition, wie sie gerade bei einer solchen
Holzschnitttechnik mit ihrer unplastischen Wirkung durchaus nicht am Platze ist.
Sattler hat mit einem gewissen Geschick nur die rohen und primitiven Züge, das
Befangne und Unfertige der altdeutschen Kunst herübergenommen, das Streben
"ach Illusion aber und den tiefen Gefnhlsgehalt, also gerade die beiden wert¬
vollsten, der Weiterentwicklung fähigsten Züge unsrer alten Meister beiseite ge¬
lassen. Auch seineu vielen Zierleisten und Vignetten kann ich nicht den Geschmack
abgewinnen, den man jetzt, wenn man an lÄit sein will, den Werken dieses jungen
Künstlers entgegenbringen muß. Sie bewegen sich inhaltlich ans dem Gebiet
des gesuchten Symbolismus und schwanken formell in ungesunder Weise zwischen
altdeutschem Stil und primitiver technischer Roheit im Sinne der neuesten



*) Auf dem Holzschnitt steht sprachlich falsch: Königs Johann.
Die Genossenschaft j?an und die allennodernste Runst

in Heliogravüre bringt, gehört nicht zu seinen besten Leistungen. Ebenso wenig
ist E. M. Geyger durch seine in der Zeichnung einigermaßen bedenkliche Ra-
dirnng zu Nietzsches Fragment „Der Riese" genügend vertreten.

Eine ganz besondre Richtung der modernen Illustration, von der sonst
auch Stuck stark beeinflußt ist, ist der bewußte Archaismus. Wie oft hat nun
nicht der romantischen Kunst ihr ungesundes Zurückgehen auf Fra Nngelieo
und Perugino zum Vorwurf gemacht, wie oft nicht die Hauptschwäche der
klassizistischen Richtung in ihrer äußerlichen und sklavischen Nachahmung der
Antike gesehen! Daß wir gegenwärtig wieder bis über die Ohren in diesem
klassizistisch-romantischen Archaismus drinstecken, scheint man gar nicht zu em¬
pfinden. Ich rede dabei natürlich nicht von der selbstverständlichen Verehrung
für die alten Meister, die sich auch im „Pan" dnrch die Publikation Dürer-
scher Holzschnitte, der Kreuzigung von Grünewald und der neuentdeckten Pallas
von Botticelli ausspricht. Es ist auch ganz gut, daß sich die Redaktion dabei
besonders der „herben" und „unschönen" Produkte der alten Kunst annimmt,
damit das Publikum endlich einmal lernt, daß Kunst nicht „Darstellung des
Schönen," d. h. des konventionellen Naturschönen (in irgend einem zeitlich und
national begrenzten Sinne), sondern Erzeugung von künstlerischen Scheiugefühleu
ist. Ich rede vielmehr von der bewußten und gekünstelter Nachahmung alter
Meister, die sich z.B. in den Holzschnitten Josef Sattlers ausspricht. Dieser
bietet uns unter andern als Illustration zu Lilieuerons Gedicht „Rabbi
Jeschua" einen Christuskopf, der allgemeines Entsetzen erregt hat, bei den
Laien, weil er „häßlich" ist, bei den Kennern, weil er nichts als eine rohe
dekorative Nachahmung von Mantegna und Dürer ist. Ebenso finden wir
im zweiten Hefte einen Holzschnitt: „Bor dem Throne König Johanns von
Leyden,"") eine Probe aus dem Cyklus „Die Wiedertäufer," der in diesen Tagen
herausgekommen sein soll: eine gezwungne Nachahmung altdeutscher Holzschnitte,
von gesucht primitivem Schnitt, bei dessen Anblick man erschreckt zurückfährt,
von einer Formlosigkeit der Komposition, wie sie gerade bei einer solchen
Holzschnitttechnik mit ihrer unplastischen Wirkung durchaus nicht am Platze ist.
Sattler hat mit einem gewissen Geschick nur die rohen und primitiven Züge, das
Befangne und Unfertige der altdeutschen Kunst herübergenommen, das Streben
»ach Illusion aber und den tiefen Gefnhlsgehalt, also gerade die beiden wert¬
vollsten, der Weiterentwicklung fähigsten Züge unsrer alten Meister beiseite ge¬
lassen. Auch seineu vielen Zierleisten und Vignetten kann ich nicht den Geschmack
abgewinnen, den man jetzt, wenn man an lÄit sein will, den Werken dieses jungen
Künstlers entgegenbringen muß. Sie bewegen sich inhaltlich ans dem Gebiet
des gesuchten Symbolismus und schwanken formell in ungesunder Weise zwischen
altdeutschem Stil und primitiver technischer Roheit im Sinne der neuesten



*) Auf dem Holzschnitt steht sprachlich falsch: Königs Johann.
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[0235] Die Genossenschaft j?an und die allennodernste Runst in Heliogravüre bringt, gehört nicht zu seinen besten Leistungen. Ebenso wenig ist E. M. Geyger durch seine in der Zeichnung einigermaßen bedenkliche Ra- dirnng zu Nietzsches Fragment „Der Riese" genügend vertreten. Eine ganz besondre Richtung der modernen Illustration, von der sonst auch Stuck stark beeinflußt ist, ist der bewußte Archaismus. Wie oft hat nun nicht der romantischen Kunst ihr ungesundes Zurückgehen auf Fra Nngelieo und Perugino zum Vorwurf gemacht, wie oft nicht die Hauptschwäche der klassizistischen Richtung in ihrer äußerlichen und sklavischen Nachahmung der Antike gesehen! Daß wir gegenwärtig wieder bis über die Ohren in diesem klassizistisch-romantischen Archaismus drinstecken, scheint man gar nicht zu em¬ pfinden. Ich rede dabei natürlich nicht von der selbstverständlichen Verehrung für die alten Meister, die sich auch im „Pan" dnrch die Publikation Dürer- scher Holzschnitte, der Kreuzigung von Grünewald und der neuentdeckten Pallas von Botticelli ausspricht. Es ist auch ganz gut, daß sich die Redaktion dabei besonders der „herben" und „unschönen" Produkte der alten Kunst annimmt, damit das Publikum endlich einmal lernt, daß Kunst nicht „Darstellung des Schönen," d. h. des konventionellen Naturschönen (in irgend einem zeitlich und national begrenzten Sinne), sondern Erzeugung von künstlerischen Scheiugefühleu ist. Ich rede vielmehr von der bewußten und gekünstelter Nachahmung alter Meister, die sich z.B. in den Holzschnitten Josef Sattlers ausspricht. Dieser bietet uns unter andern als Illustration zu Lilieuerons Gedicht „Rabbi Jeschua" einen Christuskopf, der allgemeines Entsetzen erregt hat, bei den Laien, weil er „häßlich" ist, bei den Kennern, weil er nichts als eine rohe dekorative Nachahmung von Mantegna und Dürer ist. Ebenso finden wir im zweiten Hefte einen Holzschnitt: „Bor dem Throne König Johanns von Leyden,"") eine Probe aus dem Cyklus „Die Wiedertäufer," der in diesen Tagen herausgekommen sein soll: eine gezwungne Nachahmung altdeutscher Holzschnitte, von gesucht primitivem Schnitt, bei dessen Anblick man erschreckt zurückfährt, von einer Formlosigkeit der Komposition, wie sie gerade bei einer solchen Holzschnitttechnik mit ihrer unplastischen Wirkung durchaus nicht am Platze ist. Sattler hat mit einem gewissen Geschick nur die rohen und primitiven Züge, das Befangne und Unfertige der altdeutschen Kunst herübergenommen, das Streben »ach Illusion aber und den tiefen Gefnhlsgehalt, also gerade die beiden wert¬ vollsten, der Weiterentwicklung fähigsten Züge unsrer alten Meister beiseite ge¬ lassen. Auch seineu vielen Zierleisten und Vignetten kann ich nicht den Geschmack abgewinnen, den man jetzt, wenn man an lÄit sein will, den Werken dieses jungen Künstlers entgegenbringen muß. Sie bewegen sich inhaltlich ans dem Gebiet des gesuchten Symbolismus und schwanken formell in ungesunder Weise zwischen altdeutschem Stil und primitiver technischer Roheit im Sinne der neuesten *) Auf dem Holzschnitt steht sprachlich falsch: Königs Johann.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/235>, abgerufen am 26.05.2024.