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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Am heiligen Damm

genossen mißbilligt? In der Thut giebt es auch unter den Standesgenossen
der Tnubenschützen manchen, der das Treiben der anscheinend zumeist jungen
Herren verurteilt, manchen, der in dem Bewußtsein seiner bevorrechteten Stel¬
lung den Grundsatz wahr macht: Adel verpflichtet. solchen echten Aristokraten
würde jeder, wenn sie durch freie Wahl des ganzen Volkes oder meinetwegen
auch nur des Standes zu Mitberatern der Regierung auserkoren wären, gewiß
gern das Wohl des Landes anvertrauen. Jenen angehenden oder schon thätigen
Gesetzgebern aber, die nichts höheres kennen, als hier Tag für Tag harmlose
Geschöpfe zum bloßen Vergnügen auf den Rasen zu strecken, und in deren
Leben überhaupt Jagd und Wettrennen eine hervorragende Rolle spielt, jenen
zwar gebornen, wollte sagen hvchgebornen Gesetzgebern schenkt einmal das Volk
kein Vertrauen mehr, glaubt trotz Herrn von Buchka nicht, daß sie ein Ver¬
ständnis für seine Bedürfnisse, ein Herz für seine Leiden haben. Diese Herren
bewilligen zwar alljährlich "für Nennen und zur Hebung der Pferdezucht"
einige Tausende aus der Landeskasse, aber für auskömmliche Besoldung der
Lehrer eine größere Summe auszuwerfen haben sie keine Neigung; nicht einmal
für eine geognostische Landeserforschung, aus der sie doch als Besitzer großer
Giiter unmittelbaren Nutzen hätten, wollen sie etwas hergeben. Ist es viel¬
leicht die "gottlose Wissenschaft," der ganze "neuzeitliche Bildungsschmindel,"
dem sie in ihren Schulen den Eingang verwehren wollen? Doch ich schweife
da ab. Aber man wird eben im Lande der Herren Ritter, man mag behandeln,
was man will, in seiner Betrachtung stets auf die einzig dastehende Staats¬
einrichtung hingedrängt.

Daß die Tiere nicht bloß zum Nutzen oder Dienste des "Herrn der
Schöpfung" basirt, wird freilich noch von wenigen eingesehen und zugegeben.
Die meisten stimmen der Ansicht zu, die ich einmal in einem bekannten, be¬
sonders christlichen Familienblatt unter der Überschrift: "Patriotische Betrach¬
tungen: die armen Tiere" mit steigender Verwunderung las. Da hieß es
etwa: Das Tier hat keine sittlichen Aufgaben zu erfüllen wie der Mensch; es
steht außerhalb der sittlichen Weltordnung. Hätte es solche Aufgaben, so
dürften wir auch keinen Kalbsbraten essen n. s. w. Ein Glück für die, die in
dem Fleische das allein kraftgebende Nahrungsmittel sehen, daß der Verfasser
jenes lehrreichen Aufsatzes das Kalbsbratenessen nicht für unsittlich erklärt. Nun
dürfen sie nicht bloß Fleisch essen, sie dürfen auch, nur um die Geschicklichkeit
ihrer Hand zu üben, nach dem Rebhuhn schießen und sicherlich nach jedem
andern Vogel, der über ihre Köpfe hinwegfliegt, von dem plebejischen Spatz
an bis zu dem stolzen Schwan, wenn er seinen Flug in seine rauhe nordische
Heimat nimmt. "Denn das ist unser Vergnügen." Die adlichen Herren unter
dem Sonnenkönige Ludwig XIV. durften (nach Carlyle) auch Dachdecker vom
Dach herunterschießen, um die Geschicklichkeit ihrer Hand zu üben. Wie rücksichts¬
voll, daß man jetzt nur nach Tauben schießt! Aber steckt denn in diesen Vögeln


Am heiligen Damm

genossen mißbilligt? In der Thut giebt es auch unter den Standesgenossen
der Tnubenschützen manchen, der das Treiben der anscheinend zumeist jungen
Herren verurteilt, manchen, der in dem Bewußtsein seiner bevorrechteten Stel¬
lung den Grundsatz wahr macht: Adel verpflichtet. solchen echten Aristokraten
würde jeder, wenn sie durch freie Wahl des ganzen Volkes oder meinetwegen
auch nur des Standes zu Mitberatern der Regierung auserkoren wären, gewiß
gern das Wohl des Landes anvertrauen. Jenen angehenden oder schon thätigen
Gesetzgebern aber, die nichts höheres kennen, als hier Tag für Tag harmlose
Geschöpfe zum bloßen Vergnügen auf den Rasen zu strecken, und in deren
Leben überhaupt Jagd und Wettrennen eine hervorragende Rolle spielt, jenen
zwar gebornen, wollte sagen hvchgebornen Gesetzgebern schenkt einmal das Volk
kein Vertrauen mehr, glaubt trotz Herrn von Buchka nicht, daß sie ein Ver¬
ständnis für seine Bedürfnisse, ein Herz für seine Leiden haben. Diese Herren
bewilligen zwar alljährlich „für Nennen und zur Hebung der Pferdezucht"
einige Tausende aus der Landeskasse, aber für auskömmliche Besoldung der
Lehrer eine größere Summe auszuwerfen haben sie keine Neigung; nicht einmal
für eine geognostische Landeserforschung, aus der sie doch als Besitzer großer
Giiter unmittelbaren Nutzen hätten, wollen sie etwas hergeben. Ist es viel¬
leicht die „gottlose Wissenschaft," der ganze „neuzeitliche Bildungsschmindel,"
dem sie in ihren Schulen den Eingang verwehren wollen? Doch ich schweife
da ab. Aber man wird eben im Lande der Herren Ritter, man mag behandeln,
was man will, in seiner Betrachtung stets auf die einzig dastehende Staats¬
einrichtung hingedrängt.

Daß die Tiere nicht bloß zum Nutzen oder Dienste des „Herrn der
Schöpfung" basirt, wird freilich noch von wenigen eingesehen und zugegeben.
Die meisten stimmen der Ansicht zu, die ich einmal in einem bekannten, be¬
sonders christlichen Familienblatt unter der Überschrift: „Patriotische Betrach¬
tungen: die armen Tiere" mit steigender Verwunderung las. Da hieß es
etwa: Das Tier hat keine sittlichen Aufgaben zu erfüllen wie der Mensch; es
steht außerhalb der sittlichen Weltordnung. Hätte es solche Aufgaben, so
dürften wir auch keinen Kalbsbraten essen n. s. w. Ein Glück für die, die in
dem Fleische das allein kraftgebende Nahrungsmittel sehen, daß der Verfasser
jenes lehrreichen Aufsatzes das Kalbsbratenessen nicht für unsittlich erklärt. Nun
dürfen sie nicht bloß Fleisch essen, sie dürfen auch, nur um die Geschicklichkeit
ihrer Hand zu üben, nach dem Rebhuhn schießen und sicherlich nach jedem
andern Vogel, der über ihre Köpfe hinwegfliegt, von dem plebejischen Spatz
an bis zu dem stolzen Schwan, wenn er seinen Flug in seine rauhe nordische
Heimat nimmt. „Denn das ist unser Vergnügen." Die adlichen Herren unter
dem Sonnenkönige Ludwig XIV. durften (nach Carlyle) auch Dachdecker vom
Dach herunterschießen, um die Geschicklichkeit ihrer Hand zu üben. Wie rücksichts¬
voll, daß man jetzt nur nach Tauben schießt! Aber steckt denn in diesen Vögeln


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/243>, abgerufen am 23.05.2024.