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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Am heiligen Damm

kein Wert? Von dem Erlös aus den Tausenden dieser anmutigen (einst der
Liebesgöttin geweihten, hier von hochgebornen Frauen und Früulciu hinge¬
mordeten) Vögel könnte manche Familie ihren Unterhalt bestreiten. Ob sich
da nicht in dem Herzen manches Armen, der hier zuschaut, Neid und Zorn
regt, wenn er sieht, wie täglich so große Werte vernichtet werden nur zum
Zeitvertreib oder meinetwegen zur Übung der Hand und des Auges? Haben
diese angehenden oder schon ausübenden Gesetzgeber keine andern Pflichten,
als ihre Geschicklichkeit im Schießen zu üben? Wie leicht könnte jemand auf
deu Gedanken kommen, den unermüdlich hin- und Herlaufendell Jagdhund, der
zwar keine sittlichen Aufgaben zu erfüllen hat, doch mit Aufbietung aller
Kräfte thut, was ihm aufgetragen ist, zu vergleichen mit -- piff pass! wieder
eine Taube weniger auf der Welt, ein Geschöpf ohne sittliche Aufgaben! Es
giebt davon ja im Überfluß. Und es steht ja in der heiligen Schrift: "Eure
Furcht und Schrecken sei über alle Tiere auf Erden, über alle Vögel unter
dem Himmel." Die Herren Tnubeuschützen handeln also durchaus im Sinne
des israelitischen, anch für die Christen immer noch maßgeblichen Gesetzgebers;
sie sollten diesen Spruch über den Eingang zur Schießhalle setzen, um allen
Angriffen "überempfindsamer Tierfreunde" die Spitze abzubrechen.

Als im Jahre 1893 das hundertjährige Bestehen des Seebades am heiligen
Damm gefeiert wurde, schenkte der Großherzog ein Stück Land für eine evan¬
gelische Kirche und ließ auch in jenen Tagen den Ort dazu weihen. Gewiß
hat der Taubenschießklub auch einen reichen Beitrag für deu Bau des Gottes¬
hauses gezeichnet, und wenn der Bau fertig ist, werden auch die Tauben-
scbützen, Männlein und Fräulein, am Sonntag in die Kirche gehen und mit
den Worten des Kirchengcbetes ihren Gott bitten, "daß im Lande Ehre wohne,
G ne und Treue einander begegnen, Gerechtigkeit und Friede sich küssen." Und
dann wieder frischauf zum fröhlichen Morden?

Mit steigender Erregung hatte ich dem Treiben am Schießplatze zuge¬
sehen. Inzwischen hatte sich am Himmel schwarzes Gewölk zusammengezogen,
lind der Donner grollte.... Als vor Zeiten das Land viel von Sturmfluten
heimgesucht wurde, beteten die frommen Mönche von Doberan zu Gott und
flehten um Schutz, und siehe da, die Flut wälzte an deu gefährdete" Strand
die ungeheure Menge von Steinen, die noch heute die Küste kennzeichnen, und
setzte so sich selbst einen Damm. Wenn jetzt eine neue Flut -- aber um
Gottes Willen keinen unchristlichen Wunsch auf diesem heiligen Boden! Da,
ein greller Blitz, ein heftiger Schlag, prasselnd siel der Regen nieder und
machte dein Vergnügen ein jähes Ende.

Ich flüchtete mich in das nahe gelegne Herrenbad. Als es bald darauf
wieder hell wurde, wanderte ich dem Kurhause zu und in den friedlichen Wald
dahinter. Das Schießen hatte wieder begonnen.




Am heiligen Damm

kein Wert? Von dem Erlös aus den Tausenden dieser anmutigen (einst der
Liebesgöttin geweihten, hier von hochgebornen Frauen und Früulciu hinge¬
mordeten) Vögel könnte manche Familie ihren Unterhalt bestreiten. Ob sich
da nicht in dem Herzen manches Armen, der hier zuschaut, Neid und Zorn
regt, wenn er sieht, wie täglich so große Werte vernichtet werden nur zum
Zeitvertreib oder meinetwegen zur Übung der Hand und des Auges? Haben
diese angehenden oder schon ausübenden Gesetzgeber keine andern Pflichten,
als ihre Geschicklichkeit im Schießen zu üben? Wie leicht könnte jemand auf
deu Gedanken kommen, den unermüdlich hin- und Herlaufendell Jagdhund, der
zwar keine sittlichen Aufgaben zu erfüllen hat, doch mit Aufbietung aller
Kräfte thut, was ihm aufgetragen ist, zu vergleichen mit — piff pass! wieder
eine Taube weniger auf der Welt, ein Geschöpf ohne sittliche Aufgaben! Es
giebt davon ja im Überfluß. Und es steht ja in der heiligen Schrift: „Eure
Furcht und Schrecken sei über alle Tiere auf Erden, über alle Vögel unter
dem Himmel." Die Herren Tnubeuschützen handeln also durchaus im Sinne
des israelitischen, anch für die Christen immer noch maßgeblichen Gesetzgebers;
sie sollten diesen Spruch über den Eingang zur Schießhalle setzen, um allen
Angriffen „überempfindsamer Tierfreunde" die Spitze abzubrechen.

Als im Jahre 1893 das hundertjährige Bestehen des Seebades am heiligen
Damm gefeiert wurde, schenkte der Großherzog ein Stück Land für eine evan¬
gelische Kirche und ließ auch in jenen Tagen den Ort dazu weihen. Gewiß
hat der Taubenschießklub auch einen reichen Beitrag für deu Bau des Gottes¬
hauses gezeichnet, und wenn der Bau fertig ist, werden auch die Tauben-
scbützen, Männlein und Fräulein, am Sonntag in die Kirche gehen und mit
den Worten des Kirchengcbetes ihren Gott bitten, „daß im Lande Ehre wohne,
G ne und Treue einander begegnen, Gerechtigkeit und Friede sich küssen." Und
dann wieder frischauf zum fröhlichen Morden?

Mit steigender Erregung hatte ich dem Treiben am Schießplatze zuge¬
sehen. Inzwischen hatte sich am Himmel schwarzes Gewölk zusammengezogen,
lind der Donner grollte.... Als vor Zeiten das Land viel von Sturmfluten
heimgesucht wurde, beteten die frommen Mönche von Doberan zu Gott und
flehten um Schutz, und siehe da, die Flut wälzte an deu gefährdete» Strand
die ungeheure Menge von Steinen, die noch heute die Küste kennzeichnen, und
setzte so sich selbst einen Damm. Wenn jetzt eine neue Flut — aber um
Gottes Willen keinen unchristlichen Wunsch auf diesem heiligen Boden! Da,
ein greller Blitz, ein heftiger Schlag, prasselnd siel der Regen nieder und
machte dein Vergnügen ein jähes Ende.

Ich flüchtete mich in das nahe gelegne Herrenbad. Als es bald darauf
wieder hell wurde, wanderte ich dem Kurhause zu und in den friedlichen Wald
dahinter. Das Schießen hatte wieder begonnen.




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[0244] Am heiligen Damm kein Wert? Von dem Erlös aus den Tausenden dieser anmutigen (einst der Liebesgöttin geweihten, hier von hochgebornen Frauen und Früulciu hinge¬ mordeten) Vögel könnte manche Familie ihren Unterhalt bestreiten. Ob sich da nicht in dem Herzen manches Armen, der hier zuschaut, Neid und Zorn regt, wenn er sieht, wie täglich so große Werte vernichtet werden nur zum Zeitvertreib oder meinetwegen zur Übung der Hand und des Auges? Haben diese angehenden oder schon ausübenden Gesetzgeber keine andern Pflichten, als ihre Geschicklichkeit im Schießen zu üben? Wie leicht könnte jemand auf deu Gedanken kommen, den unermüdlich hin- und Herlaufendell Jagdhund, der zwar keine sittlichen Aufgaben zu erfüllen hat, doch mit Aufbietung aller Kräfte thut, was ihm aufgetragen ist, zu vergleichen mit — piff pass! wieder eine Taube weniger auf der Welt, ein Geschöpf ohne sittliche Aufgaben! Es giebt davon ja im Überfluß. Und es steht ja in der heiligen Schrift: „Eure Furcht und Schrecken sei über alle Tiere auf Erden, über alle Vögel unter dem Himmel." Die Herren Tnubeuschützen handeln also durchaus im Sinne des israelitischen, anch für die Christen immer noch maßgeblichen Gesetzgebers; sie sollten diesen Spruch über den Eingang zur Schießhalle setzen, um allen Angriffen „überempfindsamer Tierfreunde" die Spitze abzubrechen. Als im Jahre 1893 das hundertjährige Bestehen des Seebades am heiligen Damm gefeiert wurde, schenkte der Großherzog ein Stück Land für eine evan¬ gelische Kirche und ließ auch in jenen Tagen den Ort dazu weihen. Gewiß hat der Taubenschießklub auch einen reichen Beitrag für deu Bau des Gottes¬ hauses gezeichnet, und wenn der Bau fertig ist, werden auch die Tauben- scbützen, Männlein und Fräulein, am Sonntag in die Kirche gehen und mit den Worten des Kirchengcbetes ihren Gott bitten, „daß im Lande Ehre wohne, G ne und Treue einander begegnen, Gerechtigkeit und Friede sich küssen." Und dann wieder frischauf zum fröhlichen Morden? Mit steigender Erregung hatte ich dem Treiben am Schießplatze zuge¬ sehen. Inzwischen hatte sich am Himmel schwarzes Gewölk zusammengezogen, lind der Donner grollte.... Als vor Zeiten das Land viel von Sturmfluten heimgesucht wurde, beteten die frommen Mönche von Doberan zu Gott und flehten um Schutz, und siehe da, die Flut wälzte an deu gefährdete» Strand die ungeheure Menge von Steinen, die noch heute die Küste kennzeichnen, und setzte so sich selbst einen Damm. Wenn jetzt eine neue Flut — aber um Gottes Willen keinen unchristlichen Wunsch auf diesem heiligen Boden! Da, ein greller Blitz, ein heftiger Schlag, prasselnd siel der Regen nieder und machte dein Vergnügen ein jähes Ende. Ich flüchtete mich in das nahe gelegne Herrenbad. Als es bald darauf wieder hell wurde, wanderte ich dem Kurhause zu und in den friedlichen Wald dahinter. Das Schießen hatte wieder begonnen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/244>, abgerufen am 13.05.2024.