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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Konrad Fiedler

jedes, auch das sittliche Ereignis, als äußeres, natürliches Geschehen in das
Netz des Zusammenhangs aller Dinge verflochten und somit auch in dieser
einen Hinsicht ein Werk der Notwendigkeit, nicht des Zufalls ist, so greift doch
gerade diese Notwendigkeit, die Natur selbst, in den innern Zusammenhang,
in das wohlgeordnete Ganze der Sittenwelt ein, scheinbar ohne allen Zu¬
sammenhang, unbegreiflich, wie ein tückischer, täppischer Zufall, unsern un¬
fehlbarsten Berechnungen, unsrer auf die höchsten Ziele gerichteten Thätigkeit
hohnsprechend. Wir stehen plötzlich vor etwas unfaßbarem, jeden Widerstand
vernichtenden, vor einem blindwaltenden, unerbittlichen Schicksal. Wohl uns,
wenn wir uns diesem Furchtbaren gegenüber zu fassen vermögen und noch die
Kraft in uns haben, uns auf jene Arche zu retten, an der der Menschengeist
seit so vielen Jahrtausenden baut, seitdem wir auf dieses Klippeneiland des
irdischen Daseins geworfen sind, jeden Augenblick gewärtig, daß uns die rings
um uns tosende Flut wieder zurückreißt und verschlingt. Wohl uns, wenn
wir die Gewißheit in uns tragen, daß auch das Furchtbarste, was uns treffen
kann und getroffen hat. kein Zufall ist.

Daun werden wir auch den Mut finden, unsern Blick wieder abzuwenden
von dein Schrecklichen, das ihn bannte und wieder zu verweilen bei den freund¬
lichern Bildern unsrer Erinnerungen, bei dein Guten, das uns begegnet ist,
bei dem, was wir begriffen, mitempfunden, geliebt haben. Wir werden den
Mut finden, noch unter dem Eindruck des erbarmungslosen Waltens des Todes
vom Leben zu sprechen.

cvZM Jahre 1864 lernte ich Konrad Fiedler in Berlin kennen. Ein ge¬
meinschaftlicher Freund von ihm und mir, der mich gastlich beherbergte, führte
mich gleich am Abend des Tages meiner Ankunft bei ihm ein, zu einem fröh¬
lichen Zusammensein mit noch einigen andern Freunden, wie es allwöchentlich
in der Wohnung eines von ihnen stattfand. So wurde mir Fiedler gleich
von der Seite bekannt, die man am leichtesten zu schützen geneigt ist, selbst
bei denen, die sich der Pflichten des Wirts nicht in so anmutiger und voll-
kommner Weise zu entledigen imstande sind, als es durch ihn geschah. Es
war ein sehr lustiger Abend. Der kleine Kreis, der sich hier zusnmmengefnnden
hatte, bestand aus lauter jungen Männern in gleichem Alter, Studenten in
höhern Semestern, und mau konnte sie nicht nur in jeder Beziehung hoff¬
nungsvoll nennen -- das ist ja die Jugend mehr oder weniger immer --, sie
gehörten auch zu der geringen Zahl der Auserwählten, die mit dein, was sie
schon in der Gegenwart haben, recht zufrieden sein können, junge Leute, die,
wie man sich damals studentisch ausdrückte, sehr vorsichtig in der Wahl ihrer
Väter gewesen waren und sich demgemäß in der Lage befanden, die Freuden
der Jugend im reichsten Maße zu genießen. Dazu auch alle von der Natur
körperlich und geistig wohl ausgestattet und durch eigne Vernunft und Er¬
flehung so geschult, daß sie auch ihren Genüssen die nötigen Schranken zu


Konrad Fiedler

jedes, auch das sittliche Ereignis, als äußeres, natürliches Geschehen in das
Netz des Zusammenhangs aller Dinge verflochten und somit auch in dieser
einen Hinsicht ein Werk der Notwendigkeit, nicht des Zufalls ist, so greift doch
gerade diese Notwendigkeit, die Natur selbst, in den innern Zusammenhang,
in das wohlgeordnete Ganze der Sittenwelt ein, scheinbar ohne allen Zu¬
sammenhang, unbegreiflich, wie ein tückischer, täppischer Zufall, unsern un¬
fehlbarsten Berechnungen, unsrer auf die höchsten Ziele gerichteten Thätigkeit
hohnsprechend. Wir stehen plötzlich vor etwas unfaßbarem, jeden Widerstand
vernichtenden, vor einem blindwaltenden, unerbittlichen Schicksal. Wohl uns,
wenn wir uns diesem Furchtbaren gegenüber zu fassen vermögen und noch die
Kraft in uns haben, uns auf jene Arche zu retten, an der der Menschengeist
seit so vielen Jahrtausenden baut, seitdem wir auf dieses Klippeneiland des
irdischen Daseins geworfen sind, jeden Augenblick gewärtig, daß uns die rings
um uns tosende Flut wieder zurückreißt und verschlingt. Wohl uns, wenn
wir die Gewißheit in uns tragen, daß auch das Furchtbarste, was uns treffen
kann und getroffen hat. kein Zufall ist.

Daun werden wir auch den Mut finden, unsern Blick wieder abzuwenden
von dein Schrecklichen, das ihn bannte und wieder zu verweilen bei den freund¬
lichern Bildern unsrer Erinnerungen, bei dein Guten, das uns begegnet ist,
bei dem, was wir begriffen, mitempfunden, geliebt haben. Wir werden den
Mut finden, noch unter dem Eindruck des erbarmungslosen Waltens des Todes
vom Leben zu sprechen.

cvZM Jahre 1864 lernte ich Konrad Fiedler in Berlin kennen. Ein ge¬
meinschaftlicher Freund von ihm und mir, der mich gastlich beherbergte, führte
mich gleich am Abend des Tages meiner Ankunft bei ihm ein, zu einem fröh¬
lichen Zusammensein mit noch einigen andern Freunden, wie es allwöchentlich
in der Wohnung eines von ihnen stattfand. So wurde mir Fiedler gleich
von der Seite bekannt, die man am leichtesten zu schützen geneigt ist, selbst
bei denen, die sich der Pflichten des Wirts nicht in so anmutiger und voll-
kommner Weise zu entledigen imstande sind, als es durch ihn geschah. Es
war ein sehr lustiger Abend. Der kleine Kreis, der sich hier zusnmmengefnnden
hatte, bestand aus lauter jungen Männern in gleichem Alter, Studenten in
höhern Semestern, und mau konnte sie nicht nur in jeder Beziehung hoff¬
nungsvoll nennen — das ist ja die Jugend mehr oder weniger immer —, sie
gehörten auch zu der geringen Zahl der Auserwählten, die mit dein, was sie
schon in der Gegenwart haben, recht zufrieden sein können, junge Leute, die,
wie man sich damals studentisch ausdrückte, sehr vorsichtig in der Wahl ihrer
Väter gewesen waren und sich demgemäß in der Lage befanden, die Freuden
der Jugend im reichsten Maße zu genießen. Dazu auch alle von der Natur
körperlich und geistig wohl ausgestattet und durch eigne Vernunft und Er¬
flehung so geschult, daß sie auch ihren Genüssen die nötigen Schranken zu


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[0277] Konrad Fiedler jedes, auch das sittliche Ereignis, als äußeres, natürliches Geschehen in das Netz des Zusammenhangs aller Dinge verflochten und somit auch in dieser einen Hinsicht ein Werk der Notwendigkeit, nicht des Zufalls ist, so greift doch gerade diese Notwendigkeit, die Natur selbst, in den innern Zusammenhang, in das wohlgeordnete Ganze der Sittenwelt ein, scheinbar ohne allen Zu¬ sammenhang, unbegreiflich, wie ein tückischer, täppischer Zufall, unsern un¬ fehlbarsten Berechnungen, unsrer auf die höchsten Ziele gerichteten Thätigkeit hohnsprechend. Wir stehen plötzlich vor etwas unfaßbarem, jeden Widerstand vernichtenden, vor einem blindwaltenden, unerbittlichen Schicksal. Wohl uns, wenn wir uns diesem Furchtbaren gegenüber zu fassen vermögen und noch die Kraft in uns haben, uns auf jene Arche zu retten, an der der Menschengeist seit so vielen Jahrtausenden baut, seitdem wir auf dieses Klippeneiland des irdischen Daseins geworfen sind, jeden Augenblick gewärtig, daß uns die rings um uns tosende Flut wieder zurückreißt und verschlingt. Wohl uns, wenn wir die Gewißheit in uns tragen, daß auch das Furchtbarste, was uns treffen kann und getroffen hat. kein Zufall ist. Daun werden wir auch den Mut finden, unsern Blick wieder abzuwenden von dein Schrecklichen, das ihn bannte und wieder zu verweilen bei den freund¬ lichern Bildern unsrer Erinnerungen, bei dein Guten, das uns begegnet ist, bei dem, was wir begriffen, mitempfunden, geliebt haben. Wir werden den Mut finden, noch unter dem Eindruck des erbarmungslosen Waltens des Todes vom Leben zu sprechen. cvZM Jahre 1864 lernte ich Konrad Fiedler in Berlin kennen. Ein ge¬ meinschaftlicher Freund von ihm und mir, der mich gastlich beherbergte, führte mich gleich am Abend des Tages meiner Ankunft bei ihm ein, zu einem fröh¬ lichen Zusammensein mit noch einigen andern Freunden, wie es allwöchentlich in der Wohnung eines von ihnen stattfand. So wurde mir Fiedler gleich von der Seite bekannt, die man am leichtesten zu schützen geneigt ist, selbst bei denen, die sich der Pflichten des Wirts nicht in so anmutiger und voll- kommner Weise zu entledigen imstande sind, als es durch ihn geschah. Es war ein sehr lustiger Abend. Der kleine Kreis, der sich hier zusnmmengefnnden hatte, bestand aus lauter jungen Männern in gleichem Alter, Studenten in höhern Semestern, und mau konnte sie nicht nur in jeder Beziehung hoff¬ nungsvoll nennen — das ist ja die Jugend mehr oder weniger immer —, sie gehörten auch zu der geringen Zahl der Auserwählten, die mit dein, was sie schon in der Gegenwart haben, recht zufrieden sein können, junge Leute, die, wie man sich damals studentisch ausdrückte, sehr vorsichtig in der Wahl ihrer Väter gewesen waren und sich demgemäß in der Lage befanden, die Freuden der Jugend im reichsten Maße zu genießen. Dazu auch alle von der Natur körperlich und geistig wohl ausgestattet und durch eigne Vernunft und Er¬ flehung so geschult, daß sie auch ihren Genüssen die nötigen Schranken zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/277>, abgerufen am 13.05.2024.