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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Konrad Fiedler

setzen wußten und die ernstern Ziele, die sie verfolgten, nie aus den Augen
ließen.

Der am meisten mit Glücksgütern gesegnete in diesem erlesenen Kreise war
damals Kommt Fiedler. Er hatte, was ja ein seltener Fall ist, schon als
zweiundzwanzigjähriger Student die freie Verfügung über ein bedeutendes Ver¬
mögen, das bald noch durch eine Erbschaft, die ihm von einem Oheim zufiel,
vermehrt wurde, sodaß seine Freunde von wahren Unsummen fabelten, die ihm
zu Gebote stünden. Mancher von ihnen hätte wohl auch schon damals, wenn
er sonst gewollt hätte, erzählen können, einen wie edeln Gebrauch Fiedler von
seinem Gelde machte.

Von diesem Abend an durfte auch ich mich als ein Mitglied des engern
Freundeskreises betrachten, und besonders schloß ich mich an Fiedler an, dem
ich äußerlich in manchen Beziehungen, schon dadurch, daß wir beide unsre
Familien in Leipzig hatten, näher stand als den andern.

Vor allem aber fühlte ich mich durch gleiche Geistesrichtung mit ihm
verbunden. Ich war zwar nur Philosoph, d. h. ich hatte -- obwohl ich mich
schon, wie Faust, Doktor und ,,Magister gar" nennen durfte -- eigentlich
nichts rechtes gelernt, während er, als dicht vor dem Examen stehend, mit
Eifer das juristische Studium betrieb. Aber er war durchaus nicht, wie es
viele Juristen schon als Studenten sind, einseitig und wissenschaftlich exklusiv,
sondern nahm aufs lebhafteste teil an allen höhern Lebensinteressen. Er hatte
eine ausgezeichnete Erziehung erhalten und zugleich eine seltne Weltbildung in
dem gastfreien Hause seiner Mutter, das besonders während ihres allsommer¬
lichen Landaufenthalts auf ihrem Nittergute Crostewitz bei Leipzig eine mächtig
anziehende, von nah und fern mit Freuden ausgesuchte Stätte der auserwähl-
testen Geselligkeit war. Als Erbteil einer edeln Mutter hat Fiedler diese
Freude am Verkehr mit Menschen, diese Gastlichkeit sein ganzes Leben über
bewahrt; sie bildete die Grundlagen seines großen, segensreichen Wirkens. Denn
er hatte zugleich die seltnen Eigenschaften, die dazu gehören, im Verkehr mit
den Menschen durch die getroffne Auswahl und den Einfluß, den man in dem
erwählten Kreise ausübt, nicht nur den höchsten Genuß zu finden, sondern
auch den höchsten Nutzen aus ihm zu ziehen.

Vor allem kam ihm dabei sein wunderbares Temperament zu statten.
Mit dem heitersten, sonnigsten Gemüt verband er einen für seine Jahre un¬
gewöhnlichen Ernst, der vielleicht die Folge des frühen Verlustes seines ge¬
liebten Vaters war. Ich habe Fiedler nie ausgelassen, aber auch nie -- mit
Ausnahme eines einzigen Falles -- niedergeschlagen gesehen. Selbst schmerz¬
hafte, anhaltende Körperleiden ertrug er mit bewunderungswürdiger Geduld
und guter Laune, und ich wüßte nichts, was imstande gewesen wäre, ihn von
der Beschäftigung mit geistigen Interessen und von dem Gedankenaustausch
über solche zurückzuhalten.


Konrad Fiedler

setzen wußten und die ernstern Ziele, die sie verfolgten, nie aus den Augen
ließen.

Der am meisten mit Glücksgütern gesegnete in diesem erlesenen Kreise war
damals Kommt Fiedler. Er hatte, was ja ein seltener Fall ist, schon als
zweiundzwanzigjähriger Student die freie Verfügung über ein bedeutendes Ver¬
mögen, das bald noch durch eine Erbschaft, die ihm von einem Oheim zufiel,
vermehrt wurde, sodaß seine Freunde von wahren Unsummen fabelten, die ihm
zu Gebote stünden. Mancher von ihnen hätte wohl auch schon damals, wenn
er sonst gewollt hätte, erzählen können, einen wie edeln Gebrauch Fiedler von
seinem Gelde machte.

Von diesem Abend an durfte auch ich mich als ein Mitglied des engern
Freundeskreises betrachten, und besonders schloß ich mich an Fiedler an, dem
ich äußerlich in manchen Beziehungen, schon dadurch, daß wir beide unsre
Familien in Leipzig hatten, näher stand als den andern.

Vor allem aber fühlte ich mich durch gleiche Geistesrichtung mit ihm
verbunden. Ich war zwar nur Philosoph, d. h. ich hatte — obwohl ich mich
schon, wie Faust, Doktor und ,,Magister gar" nennen durfte — eigentlich
nichts rechtes gelernt, während er, als dicht vor dem Examen stehend, mit
Eifer das juristische Studium betrieb. Aber er war durchaus nicht, wie es
viele Juristen schon als Studenten sind, einseitig und wissenschaftlich exklusiv,
sondern nahm aufs lebhafteste teil an allen höhern Lebensinteressen. Er hatte
eine ausgezeichnete Erziehung erhalten und zugleich eine seltne Weltbildung in
dem gastfreien Hause seiner Mutter, das besonders während ihres allsommer¬
lichen Landaufenthalts auf ihrem Nittergute Crostewitz bei Leipzig eine mächtig
anziehende, von nah und fern mit Freuden ausgesuchte Stätte der auserwähl-
testen Geselligkeit war. Als Erbteil einer edeln Mutter hat Fiedler diese
Freude am Verkehr mit Menschen, diese Gastlichkeit sein ganzes Leben über
bewahrt; sie bildete die Grundlagen seines großen, segensreichen Wirkens. Denn
er hatte zugleich die seltnen Eigenschaften, die dazu gehören, im Verkehr mit
den Menschen durch die getroffne Auswahl und den Einfluß, den man in dem
erwählten Kreise ausübt, nicht nur den höchsten Genuß zu finden, sondern
auch den höchsten Nutzen aus ihm zu ziehen.

Vor allem kam ihm dabei sein wunderbares Temperament zu statten.
Mit dem heitersten, sonnigsten Gemüt verband er einen für seine Jahre un¬
gewöhnlichen Ernst, der vielleicht die Folge des frühen Verlustes seines ge¬
liebten Vaters war. Ich habe Fiedler nie ausgelassen, aber auch nie — mit
Ausnahme eines einzigen Falles — niedergeschlagen gesehen. Selbst schmerz¬
hafte, anhaltende Körperleiden ertrug er mit bewunderungswürdiger Geduld
und guter Laune, und ich wüßte nichts, was imstande gewesen wäre, ihn von
der Beschäftigung mit geistigen Interessen und von dem Gedankenaustausch
über solche zurückzuhalten.


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[0278] Konrad Fiedler setzen wußten und die ernstern Ziele, die sie verfolgten, nie aus den Augen ließen. Der am meisten mit Glücksgütern gesegnete in diesem erlesenen Kreise war damals Kommt Fiedler. Er hatte, was ja ein seltener Fall ist, schon als zweiundzwanzigjähriger Student die freie Verfügung über ein bedeutendes Ver¬ mögen, das bald noch durch eine Erbschaft, die ihm von einem Oheim zufiel, vermehrt wurde, sodaß seine Freunde von wahren Unsummen fabelten, die ihm zu Gebote stünden. Mancher von ihnen hätte wohl auch schon damals, wenn er sonst gewollt hätte, erzählen können, einen wie edeln Gebrauch Fiedler von seinem Gelde machte. Von diesem Abend an durfte auch ich mich als ein Mitglied des engern Freundeskreises betrachten, und besonders schloß ich mich an Fiedler an, dem ich äußerlich in manchen Beziehungen, schon dadurch, daß wir beide unsre Familien in Leipzig hatten, näher stand als den andern. Vor allem aber fühlte ich mich durch gleiche Geistesrichtung mit ihm verbunden. Ich war zwar nur Philosoph, d. h. ich hatte — obwohl ich mich schon, wie Faust, Doktor und ,,Magister gar" nennen durfte — eigentlich nichts rechtes gelernt, während er, als dicht vor dem Examen stehend, mit Eifer das juristische Studium betrieb. Aber er war durchaus nicht, wie es viele Juristen schon als Studenten sind, einseitig und wissenschaftlich exklusiv, sondern nahm aufs lebhafteste teil an allen höhern Lebensinteressen. Er hatte eine ausgezeichnete Erziehung erhalten und zugleich eine seltne Weltbildung in dem gastfreien Hause seiner Mutter, das besonders während ihres allsommer¬ lichen Landaufenthalts auf ihrem Nittergute Crostewitz bei Leipzig eine mächtig anziehende, von nah und fern mit Freuden ausgesuchte Stätte der auserwähl- testen Geselligkeit war. Als Erbteil einer edeln Mutter hat Fiedler diese Freude am Verkehr mit Menschen, diese Gastlichkeit sein ganzes Leben über bewahrt; sie bildete die Grundlagen seines großen, segensreichen Wirkens. Denn er hatte zugleich die seltnen Eigenschaften, die dazu gehören, im Verkehr mit den Menschen durch die getroffne Auswahl und den Einfluß, den man in dem erwählten Kreise ausübt, nicht nur den höchsten Genuß zu finden, sondern auch den höchsten Nutzen aus ihm zu ziehen. Vor allem kam ihm dabei sein wunderbares Temperament zu statten. Mit dem heitersten, sonnigsten Gemüt verband er einen für seine Jahre un¬ gewöhnlichen Ernst, der vielleicht die Folge des frühen Verlustes seines ge¬ liebten Vaters war. Ich habe Fiedler nie ausgelassen, aber auch nie — mit Ausnahme eines einzigen Falles — niedergeschlagen gesehen. Selbst schmerz¬ hafte, anhaltende Körperleiden ertrug er mit bewunderungswürdiger Geduld und guter Laune, und ich wüßte nichts, was imstande gewesen wäre, ihn von der Beschäftigung mit geistigen Interessen und von dem Gedankenaustausch über solche zurückzuhalten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/278>, abgerufen am 28.05.2024.