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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Der erste Beste

stillen, aufmerksamen Blick in das erregte Gesicht der Tochter, in dem selt¬
same Wehmuthschatten die Freude überhauchten.

Er hat dir also gern erlaubt, herzukommen, dein Fritz? fragte sie, nach¬
dem das erste Hin und Her über die langweilige Fahrt, das Ansteigen, das
Warten, die Hitze unterwegs u. s. w. abgethan war.

Sehr gern, gleich, aus der Stelle.

Es kam ziemlich gedrückt heraus, ziemlich tonlos; das Zittern der schnell
wieder geschlossenen Lippen verriet, was sie verschweigen wollten: ach, allzu
gern hat ers erlaubt!

Lieber Papa, sagte Frau Heidenreich zu ihrem Mann, der am andern
Ende des Zimmers sein sammetnes Hauskäppchen voni Kamin geholt hatte,
wenn du der Lina draußen ein Wort wegen des Abendbrotes sagen wolltest.
Nicht zu spat, ja?

Will ich, Mamachen. Überhaupt verschwinde ich zunächst aus euerm
geehrten Gesichtskreis; habe noch Akten durchzusehen, die meuchlings gekommen
sind. Also gute Verrichtung! Nach dem Essen kommen dann meine An¬
sprüche.

Als der alte Herr hinaus war, hob Frau Heidenreich den Schleier der
Lampe in die Höhe und betrachtete aufmerksam Margaretens Gesicht, das ihr
jetzt, leicht erblaßt, aus großen, etwas ängstlichen Angen unsicher lächelnd
entgegensah.

Daß du nicht sehr Wohl und frisch aussiehst -- so schloß sie die stumme
Prüfung --, daran mag die Fahrt in der Hitze und dem Staub schuld sein.
Aber -- fügte sie mit ernster werdendem Blick hinzu: froher hätt ich dich
gewünscht.

Froher -- wiederholte Margarete leise. Sie war noch blasser geworden;
sie blickte an der Mutter vorbei, ins Weite. Dann hob sich ihre Brust in
einem tiefen Atemzug, sie drückte plötzlich die Hände ans Gesicht und brach
in Schluchzen aus.

Die Mutter hatte, ohne ein Wort zu sagen, die Weinende an sich ge¬
zogen und hielt sie nun in den Armen, an ihre Schalter gedrückt, ohne sich
zu rühren. Sie hörte wohl, daß da erst viele Thränen ins Freie wollten,
die gefangen gesessen hatten. Und so wartete sie.

Dann aber -- nach einigen Minuten -- sagte sie ruhig, während sie die
Arme ein wenig sinken ließ: So, nun ists genug. Nun sprich, was quält
dich, mein Kind!

Margarete richtete sich auf und trocknete ihr Gesicht. -- Es ist ja nur --
stieß sie heraus, es ist ja nur -- daß ich ihn so lieb habe, Mama!

Und darum weinst du? -- Frau Heidenreich lehnte sich wie im tiefsten
Erstaunen zurück. Aber du unglaubliches kleines Schaf, dann ist ja alles in
schönster Ordnung!

Ach Mama! Du weißt ja nicht -- ich konnte dir das nicht schreiben --

Nein, aus deinen kurzen, dummen, ungenügenden Briefen konnte ich
freilich nicht viel entnehmen -- oder vielleicht zu viel, mehr, als du wolltest --

Margarete faßte die Hand der Mutter und küßte sie leidenschaftlich. Ver¬
zeih! es war mir ja auch so schwer. Aber sieh, ich dachte, über unfertige
Dinge -- und ich hoffte ja auch eine Zeit lang -- zu Anfang war ich zu
traurig, zu unglücklich -- und jetzt ist alles wieder aus!

Sie schluchzte von neuem bitterlich.


Der erste Beste

stillen, aufmerksamen Blick in das erregte Gesicht der Tochter, in dem selt¬
same Wehmuthschatten die Freude überhauchten.

Er hat dir also gern erlaubt, herzukommen, dein Fritz? fragte sie, nach¬
dem das erste Hin und Her über die langweilige Fahrt, das Ansteigen, das
Warten, die Hitze unterwegs u. s. w. abgethan war.

Sehr gern, gleich, aus der Stelle.

Es kam ziemlich gedrückt heraus, ziemlich tonlos; das Zittern der schnell
wieder geschlossenen Lippen verriet, was sie verschweigen wollten: ach, allzu
gern hat ers erlaubt!

Lieber Papa, sagte Frau Heidenreich zu ihrem Mann, der am andern
Ende des Zimmers sein sammetnes Hauskäppchen voni Kamin geholt hatte,
wenn du der Lina draußen ein Wort wegen des Abendbrotes sagen wolltest.
Nicht zu spat, ja?

Will ich, Mamachen. Überhaupt verschwinde ich zunächst aus euerm
geehrten Gesichtskreis; habe noch Akten durchzusehen, die meuchlings gekommen
sind. Also gute Verrichtung! Nach dem Essen kommen dann meine An¬
sprüche.

Als der alte Herr hinaus war, hob Frau Heidenreich den Schleier der
Lampe in die Höhe und betrachtete aufmerksam Margaretens Gesicht, das ihr
jetzt, leicht erblaßt, aus großen, etwas ängstlichen Angen unsicher lächelnd
entgegensah.

Daß du nicht sehr Wohl und frisch aussiehst — so schloß sie die stumme
Prüfung —, daran mag die Fahrt in der Hitze und dem Staub schuld sein.
Aber — fügte sie mit ernster werdendem Blick hinzu: froher hätt ich dich
gewünscht.

Froher — wiederholte Margarete leise. Sie war noch blasser geworden;
sie blickte an der Mutter vorbei, ins Weite. Dann hob sich ihre Brust in
einem tiefen Atemzug, sie drückte plötzlich die Hände ans Gesicht und brach
in Schluchzen aus.

Die Mutter hatte, ohne ein Wort zu sagen, die Weinende an sich ge¬
zogen und hielt sie nun in den Armen, an ihre Schalter gedrückt, ohne sich
zu rühren. Sie hörte wohl, daß da erst viele Thränen ins Freie wollten,
die gefangen gesessen hatten. Und so wartete sie.

Dann aber — nach einigen Minuten — sagte sie ruhig, während sie die
Arme ein wenig sinken ließ: So, nun ists genug. Nun sprich, was quält
dich, mein Kind!

Margarete richtete sich auf und trocknete ihr Gesicht. — Es ist ja nur —
stieß sie heraus, es ist ja nur — daß ich ihn so lieb habe, Mama!

Und darum weinst du? — Frau Heidenreich lehnte sich wie im tiefsten
Erstaunen zurück. Aber du unglaubliches kleines Schaf, dann ist ja alles in
schönster Ordnung!

Ach Mama! Du weißt ja nicht — ich konnte dir das nicht schreiben —

Nein, aus deinen kurzen, dummen, ungenügenden Briefen konnte ich
freilich nicht viel entnehmen — oder vielleicht zu viel, mehr, als du wolltest —

Margarete faßte die Hand der Mutter und küßte sie leidenschaftlich. Ver¬
zeih! es war mir ja auch so schwer. Aber sieh, ich dachte, über unfertige
Dinge — und ich hoffte ja auch eine Zeit lang — zu Anfang war ich zu
traurig, zu unglücklich — und jetzt ist alles wieder aus!

Sie schluchzte von neuem bitterlich.


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[0294] Der erste Beste stillen, aufmerksamen Blick in das erregte Gesicht der Tochter, in dem selt¬ same Wehmuthschatten die Freude überhauchten. Er hat dir also gern erlaubt, herzukommen, dein Fritz? fragte sie, nach¬ dem das erste Hin und Her über die langweilige Fahrt, das Ansteigen, das Warten, die Hitze unterwegs u. s. w. abgethan war. Sehr gern, gleich, aus der Stelle. Es kam ziemlich gedrückt heraus, ziemlich tonlos; das Zittern der schnell wieder geschlossenen Lippen verriet, was sie verschweigen wollten: ach, allzu gern hat ers erlaubt! Lieber Papa, sagte Frau Heidenreich zu ihrem Mann, der am andern Ende des Zimmers sein sammetnes Hauskäppchen voni Kamin geholt hatte, wenn du der Lina draußen ein Wort wegen des Abendbrotes sagen wolltest. Nicht zu spat, ja? Will ich, Mamachen. Überhaupt verschwinde ich zunächst aus euerm geehrten Gesichtskreis; habe noch Akten durchzusehen, die meuchlings gekommen sind. Also gute Verrichtung! Nach dem Essen kommen dann meine An¬ sprüche. Als der alte Herr hinaus war, hob Frau Heidenreich den Schleier der Lampe in die Höhe und betrachtete aufmerksam Margaretens Gesicht, das ihr jetzt, leicht erblaßt, aus großen, etwas ängstlichen Angen unsicher lächelnd entgegensah. Daß du nicht sehr Wohl und frisch aussiehst — so schloß sie die stumme Prüfung —, daran mag die Fahrt in der Hitze und dem Staub schuld sein. Aber — fügte sie mit ernster werdendem Blick hinzu: froher hätt ich dich gewünscht. Froher — wiederholte Margarete leise. Sie war noch blasser geworden; sie blickte an der Mutter vorbei, ins Weite. Dann hob sich ihre Brust in einem tiefen Atemzug, sie drückte plötzlich die Hände ans Gesicht und brach in Schluchzen aus. Die Mutter hatte, ohne ein Wort zu sagen, die Weinende an sich ge¬ zogen und hielt sie nun in den Armen, an ihre Schalter gedrückt, ohne sich zu rühren. Sie hörte wohl, daß da erst viele Thränen ins Freie wollten, die gefangen gesessen hatten. Und so wartete sie. Dann aber — nach einigen Minuten — sagte sie ruhig, während sie die Arme ein wenig sinken ließ: So, nun ists genug. Nun sprich, was quält dich, mein Kind! Margarete richtete sich auf und trocknete ihr Gesicht. — Es ist ja nur — stieß sie heraus, es ist ja nur — daß ich ihn so lieb habe, Mama! Und darum weinst du? — Frau Heidenreich lehnte sich wie im tiefsten Erstaunen zurück. Aber du unglaubliches kleines Schaf, dann ist ja alles in schönster Ordnung! Ach Mama! Du weißt ja nicht — ich konnte dir das nicht schreiben — Nein, aus deinen kurzen, dummen, ungenügenden Briefen konnte ich freilich nicht viel entnehmen — oder vielleicht zu viel, mehr, als du wolltest — Margarete faßte die Hand der Mutter und küßte sie leidenschaftlich. Ver¬ zeih! es war mir ja auch so schwer. Aber sieh, ich dachte, über unfertige Dinge — und ich hoffte ja auch eine Zeit lang — zu Anfang war ich zu traurig, zu unglücklich — und jetzt ist alles wieder aus! Sie schluchzte von neuem bitterlich.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/294>, abgerufen am 12.05.2024.