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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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nicht mehr, im Gegenteil, ein durchaus widergesetzlicher Akt der Selbsthilfe.
Trotzdem könnte man vielleicht behaupten, daß ihm noch die dunkle Vorstellung
eines gerichtlichen Verfahrens zu Grunde liege, insofern man sich als richter¬
liche Gewalt gleichsam die Gesamtheit der Standesgenossen vorstellt, die in
dieser Eigenschaft durch die Zeugen des Zweikampfs als ihre Abgeordneten
vertreten wird. Jedenfalls aber fehlt dem modernen Zweikampfe das, was
im Mittelalter sein inneres Wesen ausmachte: die Bedeutung des Gottesurteils.
Denn wer wird im Ernste behaupten, daß man heutzutage in dem Ausgange
eines Duells die göttliche Entscheidung über die Schuld oder Nichtschuld eines
angeblichen Ehrenrüubers erblicke! Nehmen wir an, es habe einer von einem
andern eine ehrenrührige Thatsache behauptet, die er ebensowenig zu beweisen
vermag, als er selbst der Verleumdung überführt werden kann, er will seine
Behauptung nicht zurücknehmen, und es kommt darauf zum Duell. Wird man,
wenn er dabei getötet wird, darin den Beweis sehen, daß er gelogen hat, und
deshalb etwaige Zweifel an der Rechtschaffenheit des andern schwinden lassen,
oder wird man die Thatsache glauben, wenn der andre fällt? Sicherlich keins
von beiden. Übrigens bedarf es ja wohl kaum der nähern Ausführung, daß
die bewußte religiöse Meinung des Mittelalters ein Aberglaube gewesen ist
und als solcher heutzutage allgemein anerkannt wird. Von einem Gottesurteil
kann also bei dem modernen Zweikampf nicht mehr die Rede sein. Und doch
soll er die verletzte Ehre vollständig wiederherstellen, d. h. die Überzeugung
begründen, daß der Bescholtene den ihm gemachten Vorwurf nicht verdiene.

Wie mag das zugehen? Glaubt man etwa deshalb an feine Unschuld,
weil er den Mut zeigt, sein Leben zu wagen, indem man annimmt, daß er
das nicht thun würde, wenn er ein böses Gewissen hätte? Dann müßte er
also nnr in diesem Falle die Kugel seines Gegners fürchten, was lediglich
auf den Aberglauben an eine göttliche Mitwirkung zurückgeführt werden könnte,
der ja, wie gesagt, längst abgethan ist. Geschieht es denn nicht auch oft
genug, daß einer, der thatsächlich unehrenhaft gehandelt hat, mit dem, der das
behauptet, wohlgemut einen Zweikampf unternimmt, zumal wenn er weiß, daß
der andre ein schlechter Schütze ist? -- Aber vielleicht glaubt man, daß ein
solcher durch seinen Mut alles wieder gut macht, daß, wenn er auch durch
seine Handlungsweise die gute Meinung aller anständigen Leute verscherzt
haben sollte, er sie doch, wenigstens die seiner Standesgenossen, ans die es
ja hauptsächlich ankommt, lediglich dadurch wiedergewinnt, daß er den Beweis
von Todesverachtung liefert. Jedenfalls hat er dann etwas davon. Aber
schlimm ist die Lage dessen, der frei von Schuld und Fehle ist und von irgend
einer Lästerzunge seine Ehre befleckt sieht: er muß, da man den wahren Sach¬
verhalt,ja nicht kennt, ebenfalls jenen Beweis liefern und also um diesen
Preis etwas wiedergewinnen, was er zu Unrecht verloren hat.

Man kann vernünftigerweise wohl nicht anders sagen, als daß die Auf-


nicht mehr, im Gegenteil, ein durchaus widergesetzlicher Akt der Selbsthilfe.
Trotzdem könnte man vielleicht behaupten, daß ihm noch die dunkle Vorstellung
eines gerichtlichen Verfahrens zu Grunde liege, insofern man sich als richter¬
liche Gewalt gleichsam die Gesamtheit der Standesgenossen vorstellt, die in
dieser Eigenschaft durch die Zeugen des Zweikampfs als ihre Abgeordneten
vertreten wird. Jedenfalls aber fehlt dem modernen Zweikampfe das, was
im Mittelalter sein inneres Wesen ausmachte: die Bedeutung des Gottesurteils.
Denn wer wird im Ernste behaupten, daß man heutzutage in dem Ausgange
eines Duells die göttliche Entscheidung über die Schuld oder Nichtschuld eines
angeblichen Ehrenrüubers erblicke! Nehmen wir an, es habe einer von einem
andern eine ehrenrührige Thatsache behauptet, die er ebensowenig zu beweisen
vermag, als er selbst der Verleumdung überführt werden kann, er will seine
Behauptung nicht zurücknehmen, und es kommt darauf zum Duell. Wird man,
wenn er dabei getötet wird, darin den Beweis sehen, daß er gelogen hat, und
deshalb etwaige Zweifel an der Rechtschaffenheit des andern schwinden lassen,
oder wird man die Thatsache glauben, wenn der andre fällt? Sicherlich keins
von beiden. Übrigens bedarf es ja wohl kaum der nähern Ausführung, daß
die bewußte religiöse Meinung des Mittelalters ein Aberglaube gewesen ist
und als solcher heutzutage allgemein anerkannt wird. Von einem Gottesurteil
kann also bei dem modernen Zweikampf nicht mehr die Rede sein. Und doch
soll er die verletzte Ehre vollständig wiederherstellen, d. h. die Überzeugung
begründen, daß der Bescholtene den ihm gemachten Vorwurf nicht verdiene.

Wie mag das zugehen? Glaubt man etwa deshalb an feine Unschuld,
weil er den Mut zeigt, sein Leben zu wagen, indem man annimmt, daß er
das nicht thun würde, wenn er ein böses Gewissen hätte? Dann müßte er
also nnr in diesem Falle die Kugel seines Gegners fürchten, was lediglich
auf den Aberglauben an eine göttliche Mitwirkung zurückgeführt werden könnte,
der ja, wie gesagt, längst abgethan ist. Geschieht es denn nicht auch oft
genug, daß einer, der thatsächlich unehrenhaft gehandelt hat, mit dem, der das
behauptet, wohlgemut einen Zweikampf unternimmt, zumal wenn er weiß, daß
der andre ein schlechter Schütze ist? — Aber vielleicht glaubt man, daß ein
solcher durch seinen Mut alles wieder gut macht, daß, wenn er auch durch
seine Handlungsweise die gute Meinung aller anständigen Leute verscherzt
haben sollte, er sie doch, wenigstens die seiner Standesgenossen, ans die es
ja hauptsächlich ankommt, lediglich dadurch wiedergewinnt, daß er den Beweis
von Todesverachtung liefert. Jedenfalls hat er dann etwas davon. Aber
schlimm ist die Lage dessen, der frei von Schuld und Fehle ist und von irgend
einer Lästerzunge seine Ehre befleckt sieht: er muß, da man den wahren Sach¬
verhalt,ja nicht kennt, ebenfalls jenen Beweis liefern und also um diesen
Preis etwas wiedergewinnen, was er zu Unrecht verloren hat.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/317>, abgerufen am 16.06.2024.