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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Die Lhre >ab der Zweikampf

fassung, der Beweis von Gleichgiltigkeit gegen Lebensgefahr stelle den Menschen
so hoch, daß man an seiner Rechtschaffenheit nicht zweifeln könne, auch wenn
er hierzu durch seine Handlungsweise noch so sehr Veranlassung gegeben haben
sollte, im höchsten Grade absurd sein würde. Gleichwohl scheint gerade sie
von denen vertreten zu werden, die den Zweikampf verteidigen. Diese gehen
aber noch weiter. Sie erachten den Mut, in einen Zweikcnnpf einzutreten,
als eine für einen ehrenhaften Mann unerläßliche Eigenschaft und sehen des¬
halb den Mangel daran als das Kennzeichen einer so verächtlichen Gesinnung
an, daß, wer diesen Maugel zeigt, in ihren Augen seiner Ehre verlustig geht,
auch wenn er sonst nichts ehrenrühriges begangen haben sollte. Er mag sich
also bis dahin noch so sehr als ein anständiger, rechtschaffner Mann gezeigt
haben, er mag sogar unverkennbare Proben des Mutes in Lebensgefahr ab¬
gelegt haben, wenn es für ihn darauf ankam, etwa als Offizier in der Schlacht
oder als Arzt bei Epidemien, seine Berufspflicht zu erfüllen: das hilft ihm
alles nichts, wenn er sich schent, im Zweikampfe sein Leben einzusetzen. Diese
Ansicht zeigt ihre praktische Bedeutung namentlich auch bei dem, der zum
Zweikampf herausgefordert wird, insofern sie ihn zwingt, falls er bei seiner
Behauptung stehen bleibt, die Forderung anzunehmen; andernfalls verwirkt
er seine Ehre, während die des Herausfordernden in diesem Falle als geheilt
angesehen wird, da er nicht mehr thun kann, als seinen guten Willen zeigen.
Hieraus geht hervor, daß es sich bei der Wiederherstellung der Ehre nicht
darum handelt, überhaupt den Beweis von Todesverachtung zu führen; dieser
muß vielmehr gerade dadurch geführt werden, daß man in dem betreffenden
Falle einen Zweikampf unternimmt, d. h. man muß auch selbst in die Lage
kommen, deu andern zu töten. Die Ehre erheischt nicht gerade, daß man
dies wirklich versucht, man kann auch absichtlich in die Luft schießen, wenn
man sich nicht scheut, die eigne Lebensgefahr, wie es dadurch unter Umständen
geschieht, zu steigern. Aber jedenfalls muß man es in der Hand haben, den
andern niederzuschießen.

Darauf ist es also bei der Wiederherstellung der Ehre ebenfalls wesentlich
abgesehen. Hieraus ergiebt sich, daß dem Zweikampfe außer der Vorstellung
der Mutprobe noch eine andre zu Grunde liegt, nämlich die der Züchtigung,
der Rache, der Strafe. Insoweit wäre er also nicht als ein Mittel zur
Ehrenrettung, sondern als ein Strafmittel anzusehen. Diese beiden Begriffe
sind offenbar verschieden. Denn nicht die Strafe, die ein Verleumder erhält,
ist es, die die Ehre des Verleumdeten wieder herstellt, sondern das geschieht
vorher durch Widerlegung der Verleumdung, und die Ehre ist dann gerettet,
selbst wenn nachher die Strafe ausbleibt, z. B. erlassen wird.

Daß es aber beim Zweikampf eigentlich nur auf eine Strafe ankommt,
die der angegriffne Teil an dem angreifenden vollstrecken soll, ist ganz un¬
zweifelhaft daran zu erkennen, daß er uicht bloß bei Ehrverletzungen, sondern


Die Lhre >ab der Zweikampf

fassung, der Beweis von Gleichgiltigkeit gegen Lebensgefahr stelle den Menschen
so hoch, daß man an seiner Rechtschaffenheit nicht zweifeln könne, auch wenn
er hierzu durch seine Handlungsweise noch so sehr Veranlassung gegeben haben
sollte, im höchsten Grade absurd sein würde. Gleichwohl scheint gerade sie
von denen vertreten zu werden, die den Zweikampf verteidigen. Diese gehen
aber noch weiter. Sie erachten den Mut, in einen Zweikcnnpf einzutreten,
als eine für einen ehrenhaften Mann unerläßliche Eigenschaft und sehen des¬
halb den Mangel daran als das Kennzeichen einer so verächtlichen Gesinnung
an, daß, wer diesen Maugel zeigt, in ihren Augen seiner Ehre verlustig geht,
auch wenn er sonst nichts ehrenrühriges begangen haben sollte. Er mag sich
also bis dahin noch so sehr als ein anständiger, rechtschaffner Mann gezeigt
haben, er mag sogar unverkennbare Proben des Mutes in Lebensgefahr ab¬
gelegt haben, wenn es für ihn darauf ankam, etwa als Offizier in der Schlacht
oder als Arzt bei Epidemien, seine Berufspflicht zu erfüllen: das hilft ihm
alles nichts, wenn er sich schent, im Zweikampfe sein Leben einzusetzen. Diese
Ansicht zeigt ihre praktische Bedeutung namentlich auch bei dem, der zum
Zweikampf herausgefordert wird, insofern sie ihn zwingt, falls er bei seiner
Behauptung stehen bleibt, die Forderung anzunehmen; andernfalls verwirkt
er seine Ehre, während die des Herausfordernden in diesem Falle als geheilt
angesehen wird, da er nicht mehr thun kann, als seinen guten Willen zeigen.
Hieraus geht hervor, daß es sich bei der Wiederherstellung der Ehre nicht
darum handelt, überhaupt den Beweis von Todesverachtung zu führen; dieser
muß vielmehr gerade dadurch geführt werden, daß man in dem betreffenden
Falle einen Zweikampf unternimmt, d. h. man muß auch selbst in die Lage
kommen, deu andern zu töten. Die Ehre erheischt nicht gerade, daß man
dies wirklich versucht, man kann auch absichtlich in die Luft schießen, wenn
man sich nicht scheut, die eigne Lebensgefahr, wie es dadurch unter Umständen
geschieht, zu steigern. Aber jedenfalls muß man es in der Hand haben, den
andern niederzuschießen.

Darauf ist es also bei der Wiederherstellung der Ehre ebenfalls wesentlich
abgesehen. Hieraus ergiebt sich, daß dem Zweikampfe außer der Vorstellung
der Mutprobe noch eine andre zu Grunde liegt, nämlich die der Züchtigung,
der Rache, der Strafe. Insoweit wäre er also nicht als ein Mittel zur
Ehrenrettung, sondern als ein Strafmittel anzusehen. Diese beiden Begriffe
sind offenbar verschieden. Denn nicht die Strafe, die ein Verleumder erhält,
ist es, die die Ehre des Verleumdeten wieder herstellt, sondern das geschieht
vorher durch Widerlegung der Verleumdung, und die Ehre ist dann gerettet,
selbst wenn nachher die Strafe ausbleibt, z. B. erlassen wird.

Daß es aber beim Zweikampf eigentlich nur auf eine Strafe ankommt,
die der angegriffne Teil an dem angreifenden vollstrecken soll, ist ganz un¬
zweifelhaft daran zu erkennen, daß er uicht bloß bei Ehrverletzungen, sondern


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[0318] Die Lhre >ab der Zweikampf fassung, der Beweis von Gleichgiltigkeit gegen Lebensgefahr stelle den Menschen so hoch, daß man an seiner Rechtschaffenheit nicht zweifeln könne, auch wenn er hierzu durch seine Handlungsweise noch so sehr Veranlassung gegeben haben sollte, im höchsten Grade absurd sein würde. Gleichwohl scheint gerade sie von denen vertreten zu werden, die den Zweikampf verteidigen. Diese gehen aber noch weiter. Sie erachten den Mut, in einen Zweikcnnpf einzutreten, als eine für einen ehrenhaften Mann unerläßliche Eigenschaft und sehen des¬ halb den Mangel daran als das Kennzeichen einer so verächtlichen Gesinnung an, daß, wer diesen Maugel zeigt, in ihren Augen seiner Ehre verlustig geht, auch wenn er sonst nichts ehrenrühriges begangen haben sollte. Er mag sich also bis dahin noch so sehr als ein anständiger, rechtschaffner Mann gezeigt haben, er mag sogar unverkennbare Proben des Mutes in Lebensgefahr ab¬ gelegt haben, wenn es für ihn darauf ankam, etwa als Offizier in der Schlacht oder als Arzt bei Epidemien, seine Berufspflicht zu erfüllen: das hilft ihm alles nichts, wenn er sich schent, im Zweikampfe sein Leben einzusetzen. Diese Ansicht zeigt ihre praktische Bedeutung namentlich auch bei dem, der zum Zweikampf herausgefordert wird, insofern sie ihn zwingt, falls er bei seiner Behauptung stehen bleibt, die Forderung anzunehmen; andernfalls verwirkt er seine Ehre, während die des Herausfordernden in diesem Falle als geheilt angesehen wird, da er nicht mehr thun kann, als seinen guten Willen zeigen. Hieraus geht hervor, daß es sich bei der Wiederherstellung der Ehre nicht darum handelt, überhaupt den Beweis von Todesverachtung zu führen; dieser muß vielmehr gerade dadurch geführt werden, daß man in dem betreffenden Falle einen Zweikampf unternimmt, d. h. man muß auch selbst in die Lage kommen, deu andern zu töten. Die Ehre erheischt nicht gerade, daß man dies wirklich versucht, man kann auch absichtlich in die Luft schießen, wenn man sich nicht scheut, die eigne Lebensgefahr, wie es dadurch unter Umständen geschieht, zu steigern. Aber jedenfalls muß man es in der Hand haben, den andern niederzuschießen. Darauf ist es also bei der Wiederherstellung der Ehre ebenfalls wesentlich abgesehen. Hieraus ergiebt sich, daß dem Zweikampfe außer der Vorstellung der Mutprobe noch eine andre zu Grunde liegt, nämlich die der Züchtigung, der Rache, der Strafe. Insoweit wäre er also nicht als ein Mittel zur Ehrenrettung, sondern als ein Strafmittel anzusehen. Diese beiden Begriffe sind offenbar verschieden. Denn nicht die Strafe, die ein Verleumder erhält, ist es, die die Ehre des Verleumdeten wieder herstellt, sondern das geschieht vorher durch Widerlegung der Verleumdung, und die Ehre ist dann gerettet, selbst wenn nachher die Strafe ausbleibt, z. B. erlassen wird. Daß es aber beim Zweikampf eigentlich nur auf eine Strafe ankommt, die der angegriffne Teil an dem angreifenden vollstrecken soll, ist ganz un¬ zweifelhaft daran zu erkennen, daß er uicht bloß bei Ehrverletzungen, sondern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/318>, abgerufen am 16.06.2024.