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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Die Ehre und der Zmeikmnpf

bei allen persönlichen Beleidigungen mit Ausnahme der Körperverletzungen
angewendet wird. Für diese scheint man die gesetzliche Strafe als ausreichend
zu erachten; sür Schimpfworte, Ohrfeigen, Stockschläge n. s. w. aber bedarf
man einer durch Selbsthilfe zu vollstreckenden Strafe, die man in dem Zwei¬
kampfe mit dem Beleidiger findet. Man nennt sie ebenso wie die Wieder¬
herstellung der gekränkten Ehre Genugthuung. Allein der Ehre braucht doch
bei Beleidigungen als solchen nicht Genüge geleistet zu werden, da diese, wie
schon hervorgehoben worden ist, die Ehre völlig unberührt lassen. Die Ge¬
nugthuung kann also hier nur in der Befriedigung des Racheverlaugens oder,
wenn die gesetzliche Strafe wirklich nicht für ausreichend zu halten fein sollte,
des Rechtsgefühls bestehen. Weshalb kann sie aber dann nur durch den
Zweikampf erreicht werden, der dem strafenden Beleidigten selbst das Leben
kosten kann und unter Umstünden eine übermäßig harte Bestrafung des Be¬
leidigers herbeiführt? Wer nnr eine Beleidigung rächen will, der braucht
doch offenbar nicht den angeblich zur Herstellung der verletzten Ehre erforder¬
lichen Beweis von Todesverachtung zu liefern; er könnte von seinem Stand¬
punkte aus das bequemere Mittel der Privatrache im eigentlichen Sinne
wählen, also z. V., wenn ihm der Fall schwer genug erscheint, den Beleidiger
aus dem Hinterhalte überfallen und niederstechen. Aber das wird als unzu¬
lässig angesehen: auch wer eine bloße Beleidigung erfahren hat, darf sich nur
durch den Zweikampf Genugthuung verschaffen. Nur in dem einen Falle
kann er, wenigstens bei wörtlichen Beleidigungen, davon absehen und sich ohne
weiteres für befriedigt erklären, wenn der beleidigende Teil die verletzenden
Worte zurücknimmt. Wenn das einen Sinn haben soll, so kann es nur der
sein, daß jemand eine beleidigende Behauptung, die er ausgesprochen hat,
nachmals als unwahr bezeichnet, sei es, daß er gelogen oder sich geirrt hat.
Das paßt aber nur auf Behauptungen, die wirklich die Ehre eines andern
verletzen, nicht auf alle übrigen Beleidigungen: diese können logischerweise
ebensowenig zurückgenommen werden, wie etwas, was einmal geschehen ist,
ungeschehen gemacht werden kann. Wenn sich also jemand damit begnügt,
daß einer, der ihm Schimpfworte zugerufen hat, diese zurücknimmt, so zeigt
er damit zwar friedfertige Gesinnung, aber auch Maugel an logischem Denken.
Anders, wenn einer die schnöden Worte, die er ausgesprochen hat, bereut und
um Verzeihung bittet, und der andre ihm dann die Strafe schenkt, indem er,
wie es in Jnjurienprozessen bisweilen geschieht, die Klage zurücknimmt; wenn
unter dieser Bedingung auch der Zweikampf vermieden werden könnte, so
würde das allerdings seinem Charakter als Strafe gar wohl entsprechen. Aber
hier handelt es sich eben um die Frage: weshalb steht der sogenannte Mann
von Ehre den Zweikampf als die einzige zulässige Strafe für Beleidigungen
uuter Standesgenossen und ihresgleichen an? Die Antwort lautet: weil er,
trotzdem daß es sich, wie im vorstehenden nachgewiesen worden ist, beim Zwei-


Die Ehre und der Zmeikmnpf

bei allen persönlichen Beleidigungen mit Ausnahme der Körperverletzungen
angewendet wird. Für diese scheint man die gesetzliche Strafe als ausreichend
zu erachten; sür Schimpfworte, Ohrfeigen, Stockschläge n. s. w. aber bedarf
man einer durch Selbsthilfe zu vollstreckenden Strafe, die man in dem Zwei¬
kampfe mit dem Beleidiger findet. Man nennt sie ebenso wie die Wieder¬
herstellung der gekränkten Ehre Genugthuung. Allein der Ehre braucht doch
bei Beleidigungen als solchen nicht Genüge geleistet zu werden, da diese, wie
schon hervorgehoben worden ist, die Ehre völlig unberührt lassen. Die Ge¬
nugthuung kann also hier nur in der Befriedigung des Racheverlaugens oder,
wenn die gesetzliche Strafe wirklich nicht für ausreichend zu halten fein sollte,
des Rechtsgefühls bestehen. Weshalb kann sie aber dann nur durch den
Zweikampf erreicht werden, der dem strafenden Beleidigten selbst das Leben
kosten kann und unter Umstünden eine übermäßig harte Bestrafung des Be¬
leidigers herbeiführt? Wer nnr eine Beleidigung rächen will, der braucht
doch offenbar nicht den angeblich zur Herstellung der verletzten Ehre erforder¬
lichen Beweis von Todesverachtung zu liefern; er könnte von seinem Stand¬
punkte aus das bequemere Mittel der Privatrache im eigentlichen Sinne
wählen, also z. V., wenn ihm der Fall schwer genug erscheint, den Beleidiger
aus dem Hinterhalte überfallen und niederstechen. Aber das wird als unzu¬
lässig angesehen: auch wer eine bloße Beleidigung erfahren hat, darf sich nur
durch den Zweikampf Genugthuung verschaffen. Nur in dem einen Falle
kann er, wenigstens bei wörtlichen Beleidigungen, davon absehen und sich ohne
weiteres für befriedigt erklären, wenn der beleidigende Teil die verletzenden
Worte zurücknimmt. Wenn das einen Sinn haben soll, so kann es nur der
sein, daß jemand eine beleidigende Behauptung, die er ausgesprochen hat,
nachmals als unwahr bezeichnet, sei es, daß er gelogen oder sich geirrt hat.
Das paßt aber nur auf Behauptungen, die wirklich die Ehre eines andern
verletzen, nicht auf alle übrigen Beleidigungen: diese können logischerweise
ebensowenig zurückgenommen werden, wie etwas, was einmal geschehen ist,
ungeschehen gemacht werden kann. Wenn sich also jemand damit begnügt,
daß einer, der ihm Schimpfworte zugerufen hat, diese zurücknimmt, so zeigt
er damit zwar friedfertige Gesinnung, aber auch Maugel an logischem Denken.
Anders, wenn einer die schnöden Worte, die er ausgesprochen hat, bereut und
um Verzeihung bittet, und der andre ihm dann die Strafe schenkt, indem er,
wie es in Jnjurienprozessen bisweilen geschieht, die Klage zurücknimmt; wenn
unter dieser Bedingung auch der Zweikampf vermieden werden könnte, so
würde das allerdings seinem Charakter als Strafe gar wohl entsprechen. Aber
hier handelt es sich eben um die Frage: weshalb steht der sogenannte Mann
von Ehre den Zweikampf als die einzige zulässige Strafe für Beleidigungen
uuter Standesgenossen und ihresgleichen an? Die Antwort lautet: weil er,
trotzdem daß es sich, wie im vorstehenden nachgewiesen worden ist, beim Zwei-


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[0319] Die Ehre und der Zmeikmnpf bei allen persönlichen Beleidigungen mit Ausnahme der Körperverletzungen angewendet wird. Für diese scheint man die gesetzliche Strafe als ausreichend zu erachten; sür Schimpfworte, Ohrfeigen, Stockschläge n. s. w. aber bedarf man einer durch Selbsthilfe zu vollstreckenden Strafe, die man in dem Zwei¬ kampfe mit dem Beleidiger findet. Man nennt sie ebenso wie die Wieder¬ herstellung der gekränkten Ehre Genugthuung. Allein der Ehre braucht doch bei Beleidigungen als solchen nicht Genüge geleistet zu werden, da diese, wie schon hervorgehoben worden ist, die Ehre völlig unberührt lassen. Die Ge¬ nugthuung kann also hier nur in der Befriedigung des Racheverlaugens oder, wenn die gesetzliche Strafe wirklich nicht für ausreichend zu halten fein sollte, des Rechtsgefühls bestehen. Weshalb kann sie aber dann nur durch den Zweikampf erreicht werden, der dem strafenden Beleidigten selbst das Leben kosten kann und unter Umstünden eine übermäßig harte Bestrafung des Be¬ leidigers herbeiführt? Wer nnr eine Beleidigung rächen will, der braucht doch offenbar nicht den angeblich zur Herstellung der verletzten Ehre erforder¬ lichen Beweis von Todesverachtung zu liefern; er könnte von seinem Stand¬ punkte aus das bequemere Mittel der Privatrache im eigentlichen Sinne wählen, also z. V., wenn ihm der Fall schwer genug erscheint, den Beleidiger aus dem Hinterhalte überfallen und niederstechen. Aber das wird als unzu¬ lässig angesehen: auch wer eine bloße Beleidigung erfahren hat, darf sich nur durch den Zweikampf Genugthuung verschaffen. Nur in dem einen Falle kann er, wenigstens bei wörtlichen Beleidigungen, davon absehen und sich ohne weiteres für befriedigt erklären, wenn der beleidigende Teil die verletzenden Worte zurücknimmt. Wenn das einen Sinn haben soll, so kann es nur der sein, daß jemand eine beleidigende Behauptung, die er ausgesprochen hat, nachmals als unwahr bezeichnet, sei es, daß er gelogen oder sich geirrt hat. Das paßt aber nur auf Behauptungen, die wirklich die Ehre eines andern verletzen, nicht auf alle übrigen Beleidigungen: diese können logischerweise ebensowenig zurückgenommen werden, wie etwas, was einmal geschehen ist, ungeschehen gemacht werden kann. Wenn sich also jemand damit begnügt, daß einer, der ihm Schimpfworte zugerufen hat, diese zurücknimmt, so zeigt er damit zwar friedfertige Gesinnung, aber auch Maugel an logischem Denken. Anders, wenn einer die schnöden Worte, die er ausgesprochen hat, bereut und um Verzeihung bittet, und der andre ihm dann die Strafe schenkt, indem er, wie es in Jnjurienprozessen bisweilen geschieht, die Klage zurücknimmt; wenn unter dieser Bedingung auch der Zweikampf vermieden werden könnte, so würde das allerdings seinem Charakter als Strafe gar wohl entsprechen. Aber hier handelt es sich eben um die Frage: weshalb steht der sogenannte Mann von Ehre den Zweikampf als die einzige zulässige Strafe für Beleidigungen uuter Standesgenossen und ihresgleichen an? Die Antwort lautet: weil er, trotzdem daß es sich, wie im vorstehenden nachgewiesen worden ist, beim Zwei-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/319>, abgerufen am 16.06.2024.