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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Die Ehre und der Aweikampf

nachzuspringen, wenn er selbst nicht schwimmen kann, oder einen feurigen Renner
zu besteigen, wenn er noch nie auf einem Pferde gesessen hat. Trotzdem ver¬
langt man von einem Gelehrten, der weder schießen noch fechten kann, daß er
einen, der ihn beleidigt hat, zum Zweikampf fordere, oder dem, der sich von
ihm beleidigt fühlt, mit den Waffen Genugthuung gebe. Hier sehen wir
deutlich, worin die für den Zweikampf charakteristische Forderung der wunder-
thätigen Mutprobe eigentlich ihren Grund hat: in der unbewußten Fiktion,
daß jeder Mann von Ehre imstande sei, durch Waffengewalt andre zu be¬
zwingen. Freilich bedarf es andrerseits einer solchen Fiktion insoweit nicht,
als bei dem heutzutage regelmäßigen Gebrauche der Schußwaffe der Ausgang
des Zweikampfs zum großen Teil auch vom Zufall abhängt, sodaß auch ein
David einen Goliath fällen kann. Insoweit würde es für das Duell nur des
Mutes von Menschen bedürfen, die um ihr Leben spielen, wie jene beiden
Apotheker, die sich in der Art dncllirteu, daß sie zwei Pulver, von denen das
eine unschädlich, das andre Gift war, unter einander verkosten, und jeder das
von ihm gezogne verschluckte. Aber Scherz beiseite! Wenn auch der Umstand,
daß im Laufe der Jahrhunderte der Zufall mehr oder weniger die Rolle des
Stärkern beim Zweikampfe übernommen hat, ebenfalls dazu beitrüge, seine
heutigen Verteidiger von dem Verdachte zu reinigen, daß sie in ihm eine Be¬
thätigung des Rechts des Stärkern erblickten, so giebt er darum doch noch
keinen nähern Aufschluß über das, was sie unter Ehre verstehen. Denn offenbar
kann es nicht etwas sein, was von dem Spiele des Zufalls abhängt.

Was in aller Welt denken sie sich also unter Ehre?

Nach allem bisher Gesagten läßt sich auf diese Frage in der That keine
andre Antwort geben, als die: sie denken sich überhaupt nichts dabei, sie
haben nur den unerschütterlichen Glauben, daß, wer einen andern beleidigt,
ihm dadurch etwas raubt, was ihm zum Leben ebenso notwendig ist wie die
Luft, und was er ihm deshalb zurückgeben muß, aber nur dadurch zurückgeben
kann, daß er auf Tod und Leben mit ihm kämpft. Dieses unbestimmte Etwas
nennen sie Ehre. Wie es eigentlich zugeht, daß diese so leicht verloren geht
und so schwer wiedergewonnen wird -- müßige Frage! Wer es nicht fühlt,
wird es nie begreifen. Der Mann von Ehre fühlt es und verachtet die, die
es ihm nicht nachfühlen können.

Da haben wir einen jener Fälle, wo die menschliche Vernunft an einem
bestimmten Punkte ihre Thätigkeit aussetzt, um einer ihr widerstreitenden
geistigen Macht das Wort zu erteilen und deren Entscheidungen zur Grund-
lage ihres weitern Vorgehens zu nehmen. Denn läßt man diese einmal gelten,
so sieht man das Gehirn gesetzmäßig weiterarbeiten; an einer Stelle aber ist
es gewissermaßen verbogen und versagt den Dienst.

Erscheinungen dieser Art bezeichnet man als Narrheit. Ihre Ursache ist
darin zu finden, daß sich der Wille in einer bestimmten Richtung übermächtig


Die Ehre und der Aweikampf

nachzuspringen, wenn er selbst nicht schwimmen kann, oder einen feurigen Renner
zu besteigen, wenn er noch nie auf einem Pferde gesessen hat. Trotzdem ver¬
langt man von einem Gelehrten, der weder schießen noch fechten kann, daß er
einen, der ihn beleidigt hat, zum Zweikampf fordere, oder dem, der sich von
ihm beleidigt fühlt, mit den Waffen Genugthuung gebe. Hier sehen wir
deutlich, worin die für den Zweikampf charakteristische Forderung der wunder-
thätigen Mutprobe eigentlich ihren Grund hat: in der unbewußten Fiktion,
daß jeder Mann von Ehre imstande sei, durch Waffengewalt andre zu be¬
zwingen. Freilich bedarf es andrerseits einer solchen Fiktion insoweit nicht,
als bei dem heutzutage regelmäßigen Gebrauche der Schußwaffe der Ausgang
des Zweikampfs zum großen Teil auch vom Zufall abhängt, sodaß auch ein
David einen Goliath fällen kann. Insoweit würde es für das Duell nur des
Mutes von Menschen bedürfen, die um ihr Leben spielen, wie jene beiden
Apotheker, die sich in der Art dncllirteu, daß sie zwei Pulver, von denen das
eine unschädlich, das andre Gift war, unter einander verkosten, und jeder das
von ihm gezogne verschluckte. Aber Scherz beiseite! Wenn auch der Umstand,
daß im Laufe der Jahrhunderte der Zufall mehr oder weniger die Rolle des
Stärkern beim Zweikampfe übernommen hat, ebenfalls dazu beitrüge, seine
heutigen Verteidiger von dem Verdachte zu reinigen, daß sie in ihm eine Be¬
thätigung des Rechts des Stärkern erblickten, so giebt er darum doch noch
keinen nähern Aufschluß über das, was sie unter Ehre verstehen. Denn offenbar
kann es nicht etwas sein, was von dem Spiele des Zufalls abhängt.

Was in aller Welt denken sie sich also unter Ehre?

Nach allem bisher Gesagten läßt sich auf diese Frage in der That keine
andre Antwort geben, als die: sie denken sich überhaupt nichts dabei, sie
haben nur den unerschütterlichen Glauben, daß, wer einen andern beleidigt,
ihm dadurch etwas raubt, was ihm zum Leben ebenso notwendig ist wie die
Luft, und was er ihm deshalb zurückgeben muß, aber nur dadurch zurückgeben
kann, daß er auf Tod und Leben mit ihm kämpft. Dieses unbestimmte Etwas
nennen sie Ehre. Wie es eigentlich zugeht, daß diese so leicht verloren geht
und so schwer wiedergewonnen wird — müßige Frage! Wer es nicht fühlt,
wird es nie begreifen. Der Mann von Ehre fühlt es und verachtet die, die
es ihm nicht nachfühlen können.

Da haben wir einen jener Fälle, wo die menschliche Vernunft an einem
bestimmten Punkte ihre Thätigkeit aussetzt, um einer ihr widerstreitenden
geistigen Macht das Wort zu erteilen und deren Entscheidungen zur Grund-
lage ihres weitern Vorgehens zu nehmen. Denn läßt man diese einmal gelten,
so sieht man das Gehirn gesetzmäßig weiterarbeiten; an einer Stelle aber ist
es gewissermaßen verbogen und versagt den Dienst.

Erscheinungen dieser Art bezeichnet man als Narrheit. Ihre Ursache ist
darin zu finden, daß sich der Wille in einer bestimmten Richtung übermächtig


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[0323] Die Ehre und der Aweikampf nachzuspringen, wenn er selbst nicht schwimmen kann, oder einen feurigen Renner zu besteigen, wenn er noch nie auf einem Pferde gesessen hat. Trotzdem ver¬ langt man von einem Gelehrten, der weder schießen noch fechten kann, daß er einen, der ihn beleidigt hat, zum Zweikampf fordere, oder dem, der sich von ihm beleidigt fühlt, mit den Waffen Genugthuung gebe. Hier sehen wir deutlich, worin die für den Zweikampf charakteristische Forderung der wunder- thätigen Mutprobe eigentlich ihren Grund hat: in der unbewußten Fiktion, daß jeder Mann von Ehre imstande sei, durch Waffengewalt andre zu be¬ zwingen. Freilich bedarf es andrerseits einer solchen Fiktion insoweit nicht, als bei dem heutzutage regelmäßigen Gebrauche der Schußwaffe der Ausgang des Zweikampfs zum großen Teil auch vom Zufall abhängt, sodaß auch ein David einen Goliath fällen kann. Insoweit würde es für das Duell nur des Mutes von Menschen bedürfen, die um ihr Leben spielen, wie jene beiden Apotheker, die sich in der Art dncllirteu, daß sie zwei Pulver, von denen das eine unschädlich, das andre Gift war, unter einander verkosten, und jeder das von ihm gezogne verschluckte. Aber Scherz beiseite! Wenn auch der Umstand, daß im Laufe der Jahrhunderte der Zufall mehr oder weniger die Rolle des Stärkern beim Zweikampfe übernommen hat, ebenfalls dazu beitrüge, seine heutigen Verteidiger von dem Verdachte zu reinigen, daß sie in ihm eine Be¬ thätigung des Rechts des Stärkern erblickten, so giebt er darum doch noch keinen nähern Aufschluß über das, was sie unter Ehre verstehen. Denn offenbar kann es nicht etwas sein, was von dem Spiele des Zufalls abhängt. Was in aller Welt denken sie sich also unter Ehre? Nach allem bisher Gesagten läßt sich auf diese Frage in der That keine andre Antwort geben, als die: sie denken sich überhaupt nichts dabei, sie haben nur den unerschütterlichen Glauben, daß, wer einen andern beleidigt, ihm dadurch etwas raubt, was ihm zum Leben ebenso notwendig ist wie die Luft, und was er ihm deshalb zurückgeben muß, aber nur dadurch zurückgeben kann, daß er auf Tod und Leben mit ihm kämpft. Dieses unbestimmte Etwas nennen sie Ehre. Wie es eigentlich zugeht, daß diese so leicht verloren geht und so schwer wiedergewonnen wird — müßige Frage! Wer es nicht fühlt, wird es nie begreifen. Der Mann von Ehre fühlt es und verachtet die, die es ihm nicht nachfühlen können. Da haben wir einen jener Fälle, wo die menschliche Vernunft an einem bestimmten Punkte ihre Thätigkeit aussetzt, um einer ihr widerstreitenden geistigen Macht das Wort zu erteilen und deren Entscheidungen zur Grund- lage ihres weitern Vorgehens zu nehmen. Denn läßt man diese einmal gelten, so sieht man das Gehirn gesetzmäßig weiterarbeiten; an einer Stelle aber ist es gewissermaßen verbogen und versagt den Dienst. Erscheinungen dieser Art bezeichnet man als Narrheit. Ihre Ursache ist darin zu finden, daß sich der Wille in einer bestimmten Richtung übermächtig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/323>, abgerufen am 16.06.2024.