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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Die Lhre und der Zweikampf

regt, wodurch er die Vernunft zum Schweigen bringt. Zu diesem Zwecke muß
er eine Stelle im Vorstellungskreise finden, an der er einsetzen kann. Im vor¬
liegenden Falle ist das die uralte Rachevorstellung, die sich durch den Lauf
der Jahrhunderte, auf diesem langen Wege vielleicht aus der mittelalterlichen
Idee des Gottesurteils neue Nahrung saugend, bis auf den heutigen Tag un¬
bemerkt fortgeschlichen hat und jetzt noch unbewußt in den Köpfen spukt. Sie
benutzt der Wille als Mittel, um, unterstützt durch die von Kindheit an und,
wie bekannt, sehr stark wirkende Macht des Herkommens, die Denkthätigkeit
zu unterbrechen und jene heillose Narrheit hervorzubringen, die uns in der
Unsitte des Duells entgegentritt.

Und welches ist die Willensregung, die wir hier am Werke sehen? Keine
andre als der Hochmut, der schon so viel Unheil in der Welt angerichtet hat
und es noch täglich thut. Man steht ja hoch über den gewöhnlichen Sterb¬
lichen und hat infolge dessen eine ganz besondre Ehre für sich allein, die mit
dem allgemein üblichen Maßstabe keineswegs gemessen werden kann und ein
so zartes Wesen ist, daß sie sich nicht von dem groben Verstände erfassen,
sondern eigentlich nur fühlen läßt; sie ist das Vorrecht der ersten Stände des
Volks, des Adels, der Offiziere und aller, die sich als Männer von Ehre
fühlen, und sie wird von ihnen als teuerstes Kleinod gehütet, umsomehr, je
schwerer die Opfer sind, die es erfordert, um sie zu wahren.

So erklärt es sich, daß bis zur Stunde Herren aus den höchsten Gesell¬
schaftsschichten und Volksvertreter, die die Auslese und das Vorbild des Volks
sein sollen, diesem das seltsame Schauspiel von "Schießaffüren" bieten, und
daß man täglich von besonnenen Männern die Ansicht aussprechen hören kann,
das Duell sei trotz allem das einzige, was einem anständigen Manne unter
Umständen schließlich übrig bleibe, wie denn vor kurzem im Reichstage (Sitzung
vom 10. Mai) ein Abgeordneter erklärt hat. es sei ein notwendiges Übel wie --
die Ehescheidung. Nein, ein Übel wohl, aber ein höchst überflüssiges! In
England ist es bekanntlich seit fünfzig Jahren aus dem sozialen Leben ver¬
schwunden.

Das ist sicherlich auch die Meinung aller Ehrenmänner, deren Gehirn
nicht verbogen ist. Dennoch sehen wir viele von ihnen, wenn der Fall an sie
herantritt, ebenfalls zu dem unter Männern von Ehre üblichen Mittel greifen,
um ihre eigne Ehre oder die eines andern zu heilen. Bei Offizieren liegt der
Grund nahe: sie gehen einfach ihres Amtes verlustig, wenn sie eine Heraus¬
forderung zum Zweikampfe unterlassen oder ablehnen. Denn wie bekannt,
duldet die Staatsgewalt solche Offiziere nicht im Dienste; damit erklärt sie
eine Handlungsweise als Berufspflicht des Offiziers, die sie gleichzeitig als
Vergehen bestraft, und sie nötigt ihn also, ein solches zu begehen. Aber die
maßgebenden Persönlichkeiten achten diesen offenbaren Widerspruch geringer
als den Zweck, den sie verfolgen. Dieser Zweck besteht darin, den Offizier-


Die Lhre und der Zweikampf

regt, wodurch er die Vernunft zum Schweigen bringt. Zu diesem Zwecke muß
er eine Stelle im Vorstellungskreise finden, an der er einsetzen kann. Im vor¬
liegenden Falle ist das die uralte Rachevorstellung, die sich durch den Lauf
der Jahrhunderte, auf diesem langen Wege vielleicht aus der mittelalterlichen
Idee des Gottesurteils neue Nahrung saugend, bis auf den heutigen Tag un¬
bemerkt fortgeschlichen hat und jetzt noch unbewußt in den Köpfen spukt. Sie
benutzt der Wille als Mittel, um, unterstützt durch die von Kindheit an und,
wie bekannt, sehr stark wirkende Macht des Herkommens, die Denkthätigkeit
zu unterbrechen und jene heillose Narrheit hervorzubringen, die uns in der
Unsitte des Duells entgegentritt.

Und welches ist die Willensregung, die wir hier am Werke sehen? Keine
andre als der Hochmut, der schon so viel Unheil in der Welt angerichtet hat
und es noch täglich thut. Man steht ja hoch über den gewöhnlichen Sterb¬
lichen und hat infolge dessen eine ganz besondre Ehre für sich allein, die mit
dem allgemein üblichen Maßstabe keineswegs gemessen werden kann und ein
so zartes Wesen ist, daß sie sich nicht von dem groben Verstände erfassen,
sondern eigentlich nur fühlen läßt; sie ist das Vorrecht der ersten Stände des
Volks, des Adels, der Offiziere und aller, die sich als Männer von Ehre
fühlen, und sie wird von ihnen als teuerstes Kleinod gehütet, umsomehr, je
schwerer die Opfer sind, die es erfordert, um sie zu wahren.

So erklärt es sich, daß bis zur Stunde Herren aus den höchsten Gesell¬
schaftsschichten und Volksvertreter, die die Auslese und das Vorbild des Volks
sein sollen, diesem das seltsame Schauspiel von „Schießaffüren" bieten, und
daß man täglich von besonnenen Männern die Ansicht aussprechen hören kann,
das Duell sei trotz allem das einzige, was einem anständigen Manne unter
Umständen schließlich übrig bleibe, wie denn vor kurzem im Reichstage (Sitzung
vom 10. Mai) ein Abgeordneter erklärt hat. es sei ein notwendiges Übel wie —
die Ehescheidung. Nein, ein Übel wohl, aber ein höchst überflüssiges! In
England ist es bekanntlich seit fünfzig Jahren aus dem sozialen Leben ver¬
schwunden.

Das ist sicherlich auch die Meinung aller Ehrenmänner, deren Gehirn
nicht verbogen ist. Dennoch sehen wir viele von ihnen, wenn der Fall an sie
herantritt, ebenfalls zu dem unter Männern von Ehre üblichen Mittel greifen,
um ihre eigne Ehre oder die eines andern zu heilen. Bei Offizieren liegt der
Grund nahe: sie gehen einfach ihres Amtes verlustig, wenn sie eine Heraus¬
forderung zum Zweikampfe unterlassen oder ablehnen. Denn wie bekannt,
duldet die Staatsgewalt solche Offiziere nicht im Dienste; damit erklärt sie
eine Handlungsweise als Berufspflicht des Offiziers, die sie gleichzeitig als
Vergehen bestraft, und sie nötigt ihn also, ein solches zu begehen. Aber die
maßgebenden Persönlichkeiten achten diesen offenbaren Widerspruch geringer
als den Zweck, den sie verfolgen. Dieser Zweck besteht darin, den Offizier-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/324>, abgerufen am 16.06.2024.