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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Ronrad Fiedler

die mit allen hohen Gedanken sympathisiren, mit allen reizenden Schöpfungen
der Einbildungskraft. Ihr möchtet edle Werke hervorbringen, um sie ihnen zu
vertrauen, das Gute und Rechte thun, um es ihnen zu erzählen." Was
Goethe hier von einer Frau, von Madame Rvcamier sagt, galt auch in reichstem
Maße von Fiedler. Aber zu dieser vorwiegend weiblichen Fähigkeit seiner
Natur, zu dieser Empfänglichkeit gesellte sich noch die echt männliche, daß er
nicht nur allem Guten die vollste Sympathie entgegenbrachte, sondern auch den
Willen, es mit Aufbietung aller seiner Kräfte fördern zu helfen. Wer sich ihm
anvertraute, der fand nicht nur einen verständnisvollen und teilnehmenden
Freund, sondern auch einen Kampfgenossen. Fiedler war nicht bloß ein Mäcen
für Kunst und Künstler, er war im echtesten Sinne der Freund aller seiner
Freunde, auf den sie in jeder Lage des Lebens unbedingt zählen konnten. Er
ging ja förmlich darauf aus, zu seinem nähern Umgang solche zu wählen, die
seiner bedurften. In der arbeitenden Klasse, in der geistig arbeitenden natür¬
lich, suchte er die Freunde, denen er seine Muße wie seine Thätigkeit widmete.
Der "Welt, in der man sich langweilt," dem gewöhnlichen banalen oder auf
den Sinnenkitzel berechneten Gesellschaftstreiben hielt er sich möglichst fern, um
Zeit für besseres zu gewinnen.

So hatte sich allmählich ein immer wachsender Kreis von Menschen um
diesen einen gebildet, die von ihm gewissermaßen ihr eigentümliches Gepräge
und eine Art idealer Beleuchtung empfingen. Es giebt geborne Herrscher¬
naturen, nicht solche, die durch Gewalt zu herrschen berufen sind, sondern durch
die Liebe, Friedensfürsten, deren unwiderstehliche Macht darin besteht, daß sie
am wenigsten von allen Egoisten sind. Ich fing einmal ein Wort von Fiedler
auf, das er bei irgend einer Gelegenheit ganz beiläufig in seiner schlichten Art
ohne jede Betonung in die Unterhaltung warf: Ich denke sehr selten an mich.
Wer kann das von sich sagen? Dieses Wort ist ein ganzer Panegyrikus.
Aber es wurde wahrhaftig nicht in der Absicht des Selbstlobes gesprochen,
sondern nur die einfache Thatsache in aller Naivität ausgesagt. Er dachte
auch bei diesem herrlichen Selbstbekenntnis nicht an sich.

Die Macht einer solchen Persönlichkeit ist unwiderstehlich. Dem Bedürfnis,
sich hinzugeben, sich aufzuopfern, entspricht die Liebe, die sich freudig unter¬
ordnet. Wie sollte man sich auch von dem nicht leiten lassen, der unser bestes
will, der so selten an sich denkt und über so viele Kräfte und Mittel verfügt,
unser bestes zu bewirken? Wie ein Bote der Vorsehung erschien er seinen
Freunden, wie einer, der den Weg kennt, und dein man nur zu folgen braucht.
Und ein solcher wird auch wie ein leuchtendes Vorbild vor uns stehen. Fiedlers
Art, zu sehen, Menschen und Dinge aufzufassen nur nach ihrer besten, tiefsten,
dem gewöhnlichen Beobachter verborgnen Seite, teilte sich allen mit, die mit
ihm in näherm Verkehr standen. Sie sahen die Welt, ihn selbst, sich selbst
und sich gegenseitig in dieser verklärenden, vergeistigenden Beleuchtung. Ja,


Ronrad Fiedler

die mit allen hohen Gedanken sympathisiren, mit allen reizenden Schöpfungen
der Einbildungskraft. Ihr möchtet edle Werke hervorbringen, um sie ihnen zu
vertrauen, das Gute und Rechte thun, um es ihnen zu erzählen." Was
Goethe hier von einer Frau, von Madame Rvcamier sagt, galt auch in reichstem
Maße von Fiedler. Aber zu dieser vorwiegend weiblichen Fähigkeit seiner
Natur, zu dieser Empfänglichkeit gesellte sich noch die echt männliche, daß er
nicht nur allem Guten die vollste Sympathie entgegenbrachte, sondern auch den
Willen, es mit Aufbietung aller seiner Kräfte fördern zu helfen. Wer sich ihm
anvertraute, der fand nicht nur einen verständnisvollen und teilnehmenden
Freund, sondern auch einen Kampfgenossen. Fiedler war nicht bloß ein Mäcen
für Kunst und Künstler, er war im echtesten Sinne der Freund aller seiner
Freunde, auf den sie in jeder Lage des Lebens unbedingt zählen konnten. Er
ging ja förmlich darauf aus, zu seinem nähern Umgang solche zu wählen, die
seiner bedurften. In der arbeitenden Klasse, in der geistig arbeitenden natür¬
lich, suchte er die Freunde, denen er seine Muße wie seine Thätigkeit widmete.
Der „Welt, in der man sich langweilt," dem gewöhnlichen banalen oder auf
den Sinnenkitzel berechneten Gesellschaftstreiben hielt er sich möglichst fern, um
Zeit für besseres zu gewinnen.

So hatte sich allmählich ein immer wachsender Kreis von Menschen um
diesen einen gebildet, die von ihm gewissermaßen ihr eigentümliches Gepräge
und eine Art idealer Beleuchtung empfingen. Es giebt geborne Herrscher¬
naturen, nicht solche, die durch Gewalt zu herrschen berufen sind, sondern durch
die Liebe, Friedensfürsten, deren unwiderstehliche Macht darin besteht, daß sie
am wenigsten von allen Egoisten sind. Ich fing einmal ein Wort von Fiedler
auf, das er bei irgend einer Gelegenheit ganz beiläufig in seiner schlichten Art
ohne jede Betonung in die Unterhaltung warf: Ich denke sehr selten an mich.
Wer kann das von sich sagen? Dieses Wort ist ein ganzer Panegyrikus.
Aber es wurde wahrhaftig nicht in der Absicht des Selbstlobes gesprochen,
sondern nur die einfache Thatsache in aller Naivität ausgesagt. Er dachte
auch bei diesem herrlichen Selbstbekenntnis nicht an sich.

Die Macht einer solchen Persönlichkeit ist unwiderstehlich. Dem Bedürfnis,
sich hinzugeben, sich aufzuopfern, entspricht die Liebe, die sich freudig unter¬
ordnet. Wie sollte man sich auch von dem nicht leiten lassen, der unser bestes
will, der so selten an sich denkt und über so viele Kräfte und Mittel verfügt,
unser bestes zu bewirken? Wie ein Bote der Vorsehung erschien er seinen
Freunden, wie einer, der den Weg kennt, und dein man nur zu folgen braucht.
Und ein solcher wird auch wie ein leuchtendes Vorbild vor uns stehen. Fiedlers
Art, zu sehen, Menschen und Dinge aufzufassen nur nach ihrer besten, tiefsten,
dem gewöhnlichen Beobachter verborgnen Seite, teilte sich allen mit, die mit
ihm in näherm Verkehr standen. Sie sahen die Welt, ihn selbst, sich selbst
und sich gegenseitig in dieser verklärenden, vergeistigenden Beleuchtung. Ja,


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[0328] Ronrad Fiedler die mit allen hohen Gedanken sympathisiren, mit allen reizenden Schöpfungen der Einbildungskraft. Ihr möchtet edle Werke hervorbringen, um sie ihnen zu vertrauen, das Gute und Rechte thun, um es ihnen zu erzählen." Was Goethe hier von einer Frau, von Madame Rvcamier sagt, galt auch in reichstem Maße von Fiedler. Aber zu dieser vorwiegend weiblichen Fähigkeit seiner Natur, zu dieser Empfänglichkeit gesellte sich noch die echt männliche, daß er nicht nur allem Guten die vollste Sympathie entgegenbrachte, sondern auch den Willen, es mit Aufbietung aller seiner Kräfte fördern zu helfen. Wer sich ihm anvertraute, der fand nicht nur einen verständnisvollen und teilnehmenden Freund, sondern auch einen Kampfgenossen. Fiedler war nicht bloß ein Mäcen für Kunst und Künstler, er war im echtesten Sinne der Freund aller seiner Freunde, auf den sie in jeder Lage des Lebens unbedingt zählen konnten. Er ging ja förmlich darauf aus, zu seinem nähern Umgang solche zu wählen, die seiner bedurften. In der arbeitenden Klasse, in der geistig arbeitenden natür¬ lich, suchte er die Freunde, denen er seine Muße wie seine Thätigkeit widmete. Der „Welt, in der man sich langweilt," dem gewöhnlichen banalen oder auf den Sinnenkitzel berechneten Gesellschaftstreiben hielt er sich möglichst fern, um Zeit für besseres zu gewinnen. So hatte sich allmählich ein immer wachsender Kreis von Menschen um diesen einen gebildet, die von ihm gewissermaßen ihr eigentümliches Gepräge und eine Art idealer Beleuchtung empfingen. Es giebt geborne Herrscher¬ naturen, nicht solche, die durch Gewalt zu herrschen berufen sind, sondern durch die Liebe, Friedensfürsten, deren unwiderstehliche Macht darin besteht, daß sie am wenigsten von allen Egoisten sind. Ich fing einmal ein Wort von Fiedler auf, das er bei irgend einer Gelegenheit ganz beiläufig in seiner schlichten Art ohne jede Betonung in die Unterhaltung warf: Ich denke sehr selten an mich. Wer kann das von sich sagen? Dieses Wort ist ein ganzer Panegyrikus. Aber es wurde wahrhaftig nicht in der Absicht des Selbstlobes gesprochen, sondern nur die einfache Thatsache in aller Naivität ausgesagt. Er dachte auch bei diesem herrlichen Selbstbekenntnis nicht an sich. Die Macht einer solchen Persönlichkeit ist unwiderstehlich. Dem Bedürfnis, sich hinzugeben, sich aufzuopfern, entspricht die Liebe, die sich freudig unter¬ ordnet. Wie sollte man sich auch von dem nicht leiten lassen, der unser bestes will, der so selten an sich denkt und über so viele Kräfte und Mittel verfügt, unser bestes zu bewirken? Wie ein Bote der Vorsehung erschien er seinen Freunden, wie einer, der den Weg kennt, und dein man nur zu folgen braucht. Und ein solcher wird auch wie ein leuchtendes Vorbild vor uns stehen. Fiedlers Art, zu sehen, Menschen und Dinge aufzufassen nur nach ihrer besten, tiefsten, dem gewöhnlichen Beobachter verborgnen Seite, teilte sich allen mit, die mit ihm in näherm Verkehr standen. Sie sahen die Welt, ihn selbst, sich selbst und sich gegenseitig in dieser verklärenden, vergeistigenden Beleuchtung. Ja,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/328>, abgerufen am 16.06.2024.