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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Konrad Fiedler

ein Lichtkreis war es, der ihn umgab, in dem, wie es in dem Schillerschen
Liede heißt, nur die Freude die Räder zu treiben schien, die Freude am Dasein
und am Streben. An Fiedlers Seite waltete in dieser Lichtsphäre seine schöne,
liebenswürdige und hochgebildete Gattin, die mit vollstem Verständnis alle
seine Neigungen teilte und seine Bestrebungen unterstützte.

Jeder suchte aber auch hier sein Bestes zu geben. Jeder hatte das Be¬
dürfnis, dem Freunde sein Wichtigstes, Heiligstes mitzuteilen und dafür seine
Billigung zu erlangen. Erst wenn man ihn zum Mitwisser hatte, glaubte
man seiner Sache gewiß zu sein. Was man geistig erwarb, brachte man ihm
zu, um sich doppelt und dreifach daran zu erfreuen, das Größte erschien größer,
klarer, schöner in dem Lichte seiner Auffassung. Es mochte sich um Goethe,
Michelangelo oder Bismnrck handeln, man glaubte sie erst recht zu kennen,
wenn man mit ihm seine Gedanken über sie ausgetauscht hatte. Hatte doch
selbst jeder, dem das Glück zu teil wurde, sich in dieser reinen Seele spiegeln
zu dürfen, das Gefühl, dem Goethe einst Ausdruck gab, indem er das Wesen
der Freundschaft mit den Worten schilderte: "Man weiß erst, daß man ist,
wenn man sich in andern wiederfindet."

Ihm wiederum gereichte es zur Freude, das, was er selbst, auch außer¬
halb des engern Kreises, dessen Mittelpunkt er war, innerlich und äußerlich
erlebte, den Freunden mitzuteilen. Und staunenswert war die Aufnahmefähigkeit,
die Genußfähigkeit dieser einzig organisirten Natur. Sein ganzes Leben war
ein Sammeln, Auswählen, Ordnen, Betrachten, Beurteilen. Was sich in der
Natur, in Kunst, Wissenschaft und Gesellschaft von Bedeutenden ereignete,
erweckte sein Interesse. Überall suchte er in die Tiefe zu dringen, den Kern
der Sache zu erfassen, den verborgensten Wert zu erforschen und ans Licht zu
bringen. Und wem er dann die Ergebnisse seiner auf die Ermittlung des
Guten und Schönen in der Welt gerichteten Thätigkeit mitteilte, der sah die
Dinge klarer, besser als mit den eignen Angen. In diesem geistigen Wieder-
gebärcn der Welt in verschönerter Gestalt war Fiedler selbst ein Künstler der
seltensten Art. Seine Freunde wußten es zu würdigen und die Welt wird
sich an den Früchten dieser seltenen Geistesthätigkeit noch oft erlaben.

Ja, das war Fiedlers Beruf, und er hat ihn in der herrlichsten Weise
erfüllt. Und dieser Beruf seiner Persönlichkeit, dem er sich mit Leib und
Seele gewidmet hatte, war auch bestimmend für ihn in der Wahl des Berufs
im engern Sinne, den zu übernehmen er sich als Mitglied der bürgerlichen Ge-


Grenzboten III 1L95 41
Konrad Fiedler

ein Lichtkreis war es, der ihn umgab, in dem, wie es in dem Schillerschen
Liede heißt, nur die Freude die Räder zu treiben schien, die Freude am Dasein
und am Streben. An Fiedlers Seite waltete in dieser Lichtsphäre seine schöne,
liebenswürdige und hochgebildete Gattin, die mit vollstem Verständnis alle
seine Neigungen teilte und seine Bestrebungen unterstützte.

Jeder suchte aber auch hier sein Bestes zu geben. Jeder hatte das Be¬
dürfnis, dem Freunde sein Wichtigstes, Heiligstes mitzuteilen und dafür seine
Billigung zu erlangen. Erst wenn man ihn zum Mitwisser hatte, glaubte
man seiner Sache gewiß zu sein. Was man geistig erwarb, brachte man ihm
zu, um sich doppelt und dreifach daran zu erfreuen, das Größte erschien größer,
klarer, schöner in dem Lichte seiner Auffassung. Es mochte sich um Goethe,
Michelangelo oder Bismnrck handeln, man glaubte sie erst recht zu kennen,
wenn man mit ihm seine Gedanken über sie ausgetauscht hatte. Hatte doch
selbst jeder, dem das Glück zu teil wurde, sich in dieser reinen Seele spiegeln
zu dürfen, das Gefühl, dem Goethe einst Ausdruck gab, indem er das Wesen
der Freundschaft mit den Worten schilderte: „Man weiß erst, daß man ist,
wenn man sich in andern wiederfindet."

Ihm wiederum gereichte es zur Freude, das, was er selbst, auch außer¬
halb des engern Kreises, dessen Mittelpunkt er war, innerlich und äußerlich
erlebte, den Freunden mitzuteilen. Und staunenswert war die Aufnahmefähigkeit,
die Genußfähigkeit dieser einzig organisirten Natur. Sein ganzes Leben war
ein Sammeln, Auswählen, Ordnen, Betrachten, Beurteilen. Was sich in der
Natur, in Kunst, Wissenschaft und Gesellschaft von Bedeutenden ereignete,
erweckte sein Interesse. Überall suchte er in die Tiefe zu dringen, den Kern
der Sache zu erfassen, den verborgensten Wert zu erforschen und ans Licht zu
bringen. Und wem er dann die Ergebnisse seiner auf die Ermittlung des
Guten und Schönen in der Welt gerichteten Thätigkeit mitteilte, der sah die
Dinge klarer, besser als mit den eignen Angen. In diesem geistigen Wieder-
gebärcn der Welt in verschönerter Gestalt war Fiedler selbst ein Künstler der
seltensten Art. Seine Freunde wußten es zu würdigen und die Welt wird
sich an den Früchten dieser seltenen Geistesthätigkeit noch oft erlaben.

Ja, das war Fiedlers Beruf, und er hat ihn in der herrlichsten Weise
erfüllt. Und dieser Beruf seiner Persönlichkeit, dem er sich mit Leib und
Seele gewidmet hatte, war auch bestimmend für ihn in der Wahl des Berufs
im engern Sinne, den zu übernehmen er sich als Mitglied der bürgerlichen Ge-


Grenzboten III 1L95 41
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[0329] Konrad Fiedler ein Lichtkreis war es, der ihn umgab, in dem, wie es in dem Schillerschen Liede heißt, nur die Freude die Räder zu treiben schien, die Freude am Dasein und am Streben. An Fiedlers Seite waltete in dieser Lichtsphäre seine schöne, liebenswürdige und hochgebildete Gattin, die mit vollstem Verständnis alle seine Neigungen teilte und seine Bestrebungen unterstützte. Jeder suchte aber auch hier sein Bestes zu geben. Jeder hatte das Be¬ dürfnis, dem Freunde sein Wichtigstes, Heiligstes mitzuteilen und dafür seine Billigung zu erlangen. Erst wenn man ihn zum Mitwisser hatte, glaubte man seiner Sache gewiß zu sein. Was man geistig erwarb, brachte man ihm zu, um sich doppelt und dreifach daran zu erfreuen, das Größte erschien größer, klarer, schöner in dem Lichte seiner Auffassung. Es mochte sich um Goethe, Michelangelo oder Bismnrck handeln, man glaubte sie erst recht zu kennen, wenn man mit ihm seine Gedanken über sie ausgetauscht hatte. Hatte doch selbst jeder, dem das Glück zu teil wurde, sich in dieser reinen Seele spiegeln zu dürfen, das Gefühl, dem Goethe einst Ausdruck gab, indem er das Wesen der Freundschaft mit den Worten schilderte: „Man weiß erst, daß man ist, wenn man sich in andern wiederfindet." Ihm wiederum gereichte es zur Freude, das, was er selbst, auch außer¬ halb des engern Kreises, dessen Mittelpunkt er war, innerlich und äußerlich erlebte, den Freunden mitzuteilen. Und staunenswert war die Aufnahmefähigkeit, die Genußfähigkeit dieser einzig organisirten Natur. Sein ganzes Leben war ein Sammeln, Auswählen, Ordnen, Betrachten, Beurteilen. Was sich in der Natur, in Kunst, Wissenschaft und Gesellschaft von Bedeutenden ereignete, erweckte sein Interesse. Überall suchte er in die Tiefe zu dringen, den Kern der Sache zu erfassen, den verborgensten Wert zu erforschen und ans Licht zu bringen. Und wem er dann die Ergebnisse seiner auf die Ermittlung des Guten und Schönen in der Welt gerichteten Thätigkeit mitteilte, der sah die Dinge klarer, besser als mit den eignen Angen. In diesem geistigen Wieder- gebärcn der Welt in verschönerter Gestalt war Fiedler selbst ein Künstler der seltensten Art. Seine Freunde wußten es zu würdigen und die Welt wird sich an den Früchten dieser seltenen Geistesthätigkeit noch oft erlaben. Ja, das war Fiedlers Beruf, und er hat ihn in der herrlichsten Weise erfüllt. Und dieser Beruf seiner Persönlichkeit, dem er sich mit Leib und Seele gewidmet hatte, war auch bestimmend für ihn in der Wahl des Berufs im engern Sinne, den zu übernehmen er sich als Mitglied der bürgerlichen Ge- Grenzboten III 1L95 41

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/329>, abgerufen am 16.06.2024.