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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Konrad Fiedler

für den Leser. Aber wer da weiß, was dazu gehört, einen solchen Gedanken¬
extrakt herzustellen, dein wird es bei alledem nicht entgehen, welche große
Arbeit hier geleistet ist; er wird es spüren an der eignen Mühe, die ihm das
Lesen und Verstehen dieser Schriften kosten wird. Die Schwierigkeit entsteht
durch die Sache, nicht durch die Form. Denn diese ist hier zu einer Durch¬
sichtigkeit und Einfachheit gediehen, wie sie bei Behandlung solcher Stoffe nur
selten erreicht wird. Mit der ihm eignen Selbständigkeit, Kühnheit und Folge¬
richtigkeit des Denkens verband Fiedler, unter Verzicht auf jede Geistreichigkeit
und jede Schönrednerei, das Streben, den Ausdruck des Gedankens bis zur
äußersten Klarheit und Schärfe zu bringen. Der Weg ist steil, aber wir
dürfen dem Führer vertrauen. Dasselbe Gefühl der Sicherheit, das er als
Freund seinen Freunden mitteilte, flößt Fiedler anch seinen Lesern ein: der
läßt dich nicht los, auf den kannst du dich unbedingt verlassen! Und wenn
wir dann an seiner Hand glücklich oben angelangt sind und mit ihm stehen
auf seiner Warte, welche herrliche, weite, weite Aussicht!

Wie eine Offenbarung wirkten auf mich die beiden Hauptschriften Fiedlers
"Über die Beurteilung von Werken der bildenden Kunst" (Leipzig, Hirzel, 1876)
und "Der Ursprung der künstlerischen Thätigkeit" (ebenda, 1887). Hier trat
mir etwas völlig neues entgegen. Freilich ging der Verfasser auch von einem
so andern Standpunkte aus als die meisten, die über Kunst denken und schreiben,
daß es mir schwer wurde, die Ergebnisse seines Denkens, die ich mir unbedingt
aneignen konnte, mit dem in Verbindung zu setzen, was ich selbst über das
Wesen der Kunst bisher gedacht hatte. Eine solche Verbindung herzustellen,
versuchte ich endlich in einer kleinen Schrift: "Das Mysterium der Kunst"
(Leipzig, C. B. Hirschfeld, 1890), die vielleicht dazu dienen kann, die Fiedlersche
Kuustauffaffung mit der allgemeinen zu vermitteln und ihr so eine möglicher¬
weise vielen unentbehrlich scheinende Ergänzung zu geben. Daß Fiedler mit
dem Neuen, das den Inhalt seiner Schriften bildet, und womit er so vieles
bisher gäng und gebe gewesene Falsche beseitigt, nicht das letzte Wort ge¬
sprochen habe -- wie es überhaupt nie gesprochen werden wird --, wußte
niemand besser als Fiedler selbst. Aber ein Zugang ist durch ihn eröffnet,
der nicht in eine Sackgasse führt; eine Grundlage ist gegeben, auf der sich weiter-
baueu läßt -- ins Unendliche.

Die letzte größere Arbeit, die Fiedler im Drucke weitern Kreisen zugäng¬
lich machte, ist seine Schrift über Marsch. Nachdem er der Trauer über den
Hingang des Freundes einen tief ergreifenden Ausdruck gegeben hat, schließt
er mit den Worten: "Ein Dasein freilich ist auch dem Toten noch vergönnt:
es ist die Fortdauer im Andenken seiner Freunde und in den unberechenbaren
Fortwirkungen alles dessen, was von ihm ausgegangen ist. Dem Dahin-
geschiednen dieses Leben zu verleihen und zu erhalten, ist die Aufgabe seiner
Freunde und seiner Schüler; wenn sie ihr treu bleiben, so werden sie dem Toten


Konrad Fiedler

für den Leser. Aber wer da weiß, was dazu gehört, einen solchen Gedanken¬
extrakt herzustellen, dein wird es bei alledem nicht entgehen, welche große
Arbeit hier geleistet ist; er wird es spüren an der eignen Mühe, die ihm das
Lesen und Verstehen dieser Schriften kosten wird. Die Schwierigkeit entsteht
durch die Sache, nicht durch die Form. Denn diese ist hier zu einer Durch¬
sichtigkeit und Einfachheit gediehen, wie sie bei Behandlung solcher Stoffe nur
selten erreicht wird. Mit der ihm eignen Selbständigkeit, Kühnheit und Folge¬
richtigkeit des Denkens verband Fiedler, unter Verzicht auf jede Geistreichigkeit
und jede Schönrednerei, das Streben, den Ausdruck des Gedankens bis zur
äußersten Klarheit und Schärfe zu bringen. Der Weg ist steil, aber wir
dürfen dem Führer vertrauen. Dasselbe Gefühl der Sicherheit, das er als
Freund seinen Freunden mitteilte, flößt Fiedler anch seinen Lesern ein: der
läßt dich nicht los, auf den kannst du dich unbedingt verlassen! Und wenn
wir dann an seiner Hand glücklich oben angelangt sind und mit ihm stehen
auf seiner Warte, welche herrliche, weite, weite Aussicht!

Wie eine Offenbarung wirkten auf mich die beiden Hauptschriften Fiedlers
„Über die Beurteilung von Werken der bildenden Kunst" (Leipzig, Hirzel, 1876)
und „Der Ursprung der künstlerischen Thätigkeit" (ebenda, 1887). Hier trat
mir etwas völlig neues entgegen. Freilich ging der Verfasser auch von einem
so andern Standpunkte aus als die meisten, die über Kunst denken und schreiben,
daß es mir schwer wurde, die Ergebnisse seines Denkens, die ich mir unbedingt
aneignen konnte, mit dem in Verbindung zu setzen, was ich selbst über das
Wesen der Kunst bisher gedacht hatte. Eine solche Verbindung herzustellen,
versuchte ich endlich in einer kleinen Schrift: „Das Mysterium der Kunst"
(Leipzig, C. B. Hirschfeld, 1890), die vielleicht dazu dienen kann, die Fiedlersche
Kuustauffaffung mit der allgemeinen zu vermitteln und ihr so eine möglicher¬
weise vielen unentbehrlich scheinende Ergänzung zu geben. Daß Fiedler mit
dem Neuen, das den Inhalt seiner Schriften bildet, und womit er so vieles
bisher gäng und gebe gewesene Falsche beseitigt, nicht das letzte Wort ge¬
sprochen habe — wie es überhaupt nie gesprochen werden wird —, wußte
niemand besser als Fiedler selbst. Aber ein Zugang ist durch ihn eröffnet,
der nicht in eine Sackgasse führt; eine Grundlage ist gegeben, auf der sich weiter-
baueu läßt — ins Unendliche.

Die letzte größere Arbeit, die Fiedler im Drucke weitern Kreisen zugäng¬
lich machte, ist seine Schrift über Marsch. Nachdem er der Trauer über den
Hingang des Freundes einen tief ergreifenden Ausdruck gegeben hat, schließt
er mit den Worten: „Ein Dasein freilich ist auch dem Toten noch vergönnt:
es ist die Fortdauer im Andenken seiner Freunde und in den unberechenbaren
Fortwirkungen alles dessen, was von ihm ausgegangen ist. Dem Dahin-
geschiednen dieses Leben zu verleihen und zu erhalten, ist die Aufgabe seiner
Freunde und seiner Schüler; wenn sie ihr treu bleiben, so werden sie dem Toten


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[0332] Konrad Fiedler für den Leser. Aber wer da weiß, was dazu gehört, einen solchen Gedanken¬ extrakt herzustellen, dein wird es bei alledem nicht entgehen, welche große Arbeit hier geleistet ist; er wird es spüren an der eignen Mühe, die ihm das Lesen und Verstehen dieser Schriften kosten wird. Die Schwierigkeit entsteht durch die Sache, nicht durch die Form. Denn diese ist hier zu einer Durch¬ sichtigkeit und Einfachheit gediehen, wie sie bei Behandlung solcher Stoffe nur selten erreicht wird. Mit der ihm eignen Selbständigkeit, Kühnheit und Folge¬ richtigkeit des Denkens verband Fiedler, unter Verzicht auf jede Geistreichigkeit und jede Schönrednerei, das Streben, den Ausdruck des Gedankens bis zur äußersten Klarheit und Schärfe zu bringen. Der Weg ist steil, aber wir dürfen dem Führer vertrauen. Dasselbe Gefühl der Sicherheit, das er als Freund seinen Freunden mitteilte, flößt Fiedler anch seinen Lesern ein: der läßt dich nicht los, auf den kannst du dich unbedingt verlassen! Und wenn wir dann an seiner Hand glücklich oben angelangt sind und mit ihm stehen auf seiner Warte, welche herrliche, weite, weite Aussicht! Wie eine Offenbarung wirkten auf mich die beiden Hauptschriften Fiedlers „Über die Beurteilung von Werken der bildenden Kunst" (Leipzig, Hirzel, 1876) und „Der Ursprung der künstlerischen Thätigkeit" (ebenda, 1887). Hier trat mir etwas völlig neues entgegen. Freilich ging der Verfasser auch von einem so andern Standpunkte aus als die meisten, die über Kunst denken und schreiben, daß es mir schwer wurde, die Ergebnisse seines Denkens, die ich mir unbedingt aneignen konnte, mit dem in Verbindung zu setzen, was ich selbst über das Wesen der Kunst bisher gedacht hatte. Eine solche Verbindung herzustellen, versuchte ich endlich in einer kleinen Schrift: „Das Mysterium der Kunst" (Leipzig, C. B. Hirschfeld, 1890), die vielleicht dazu dienen kann, die Fiedlersche Kuustauffaffung mit der allgemeinen zu vermitteln und ihr so eine möglicher¬ weise vielen unentbehrlich scheinende Ergänzung zu geben. Daß Fiedler mit dem Neuen, das den Inhalt seiner Schriften bildet, und womit er so vieles bisher gäng und gebe gewesene Falsche beseitigt, nicht das letzte Wort ge¬ sprochen habe — wie es überhaupt nie gesprochen werden wird —, wußte niemand besser als Fiedler selbst. Aber ein Zugang ist durch ihn eröffnet, der nicht in eine Sackgasse führt; eine Grundlage ist gegeben, auf der sich weiter- baueu läßt — ins Unendliche. Die letzte größere Arbeit, die Fiedler im Drucke weitern Kreisen zugäng¬ lich machte, ist seine Schrift über Marsch. Nachdem er der Trauer über den Hingang des Freundes einen tief ergreifenden Ausdruck gegeben hat, schließt er mit den Worten: „Ein Dasein freilich ist auch dem Toten noch vergönnt: es ist die Fortdauer im Andenken seiner Freunde und in den unberechenbaren Fortwirkungen alles dessen, was von ihm ausgegangen ist. Dem Dahin- geschiednen dieses Leben zu verleihen und zu erhalten, ist die Aufgabe seiner Freunde und seiner Schüler; wenn sie ihr treu bleiben, so werden sie dem Toten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/332>, abgerufen am 16.06.2024.