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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Ronrcid Fiedler

zu einem Ganzen zusammengeleimt, sich als "Wissenschaft" von sehr zweifel¬
haftem Werte repräsentirt. Er vermißte bei den meisten, die dieses Handwerk
zu betreiben haben, gänzlich die "innere Beziehung" zum Kunstwerk, die er
doch als das Maßgebende für deu Wert aller Beschäftigung mit der Kunst
forderte.

Was er unter dieser innern Beziehung verstand, darüber hat er sich in
seinen Schriften ausgesprochen, und er hat dadurch in der That etwas ge¬
leistet, was wohl als epochemachend in der Entwicklung des Denkens über
Kunstwerke und Knnstschaffen betrachtet werden darf. Wilhelm Porte nennt
in dem schon erwähnten Aufsatz Fiedler eiuen der tiefsten und unabhängigsten
Kunstschriftsteller und sagt unter anderen über seine Schriften: "Von den ab¬
soluten Ideen und anderen abstrakten Spuk, der in der akademischen Schul¬
ästhetik eine so große Rolle spielt, ist da keine Spur. Nicht ein systembau-
lnstiger Philosoph reflektirt, weil eine ganze Philosophie doch auch einmal die
Ästhetik mit einschließen muß, auf der Höhe des reinen Gedankens über "das
Schöne an sich" und über die Kunst und schreibt ihr vor, was sie darf und
was sie nicht darf, sondern die Kunst selber scheint, zum Reden gebracht, ihr
Wesen darzulegen. Vom Einfachsten, selbstverständlichsten wird ausgegangen:
die Kunst schafft fürs Auge, sie gliedert und belebt deu Raum. Sie will die
sichtbare Welt zum gestalteten Ausdruck bringen. Sie ist die eine, der Wissen¬
schaft gleichgeordnete Seite der menschlichen Erkenntniskraft. Während das
diskursive Denken mit Begriffen, mit Worten -- also an sich nichtssagenden
Zeichen -- operirt, giebt die Kunst ein anschaulich anschaubares Denken,
die Dinge selbst in der Form, darin allein sie geistiges Eigentum der Menschen
werden können." Ich konnte mir schon deshalb nicht versagen, auch noch diese
Stelle des vortrefflichen Aufsatzes wiederzugeben, weil es schwierig sein würde,
den Hauptinhalt der Fieolerschen Kunstauffassung, wie sie in seinen Schriften
sich ausspricht, kürzer und klarer darzulegen. Ich möchte nur noch über
Fiedlers Art zu schreiben etwas hinzufügen. Viel der Menge nach ist es
freilich nicht, was er uns als Schriftsteller gegeben hat. Vor Folianten, wie
sie unsre wiederkäuende Schulgelehrsamkeit in so überreicher Menge liefert,
braucht man sich bei Fiedler nicht zu ängstigen. Er hatte ja auch die Weisen
aller Zeiten zu Rate gezogen und dabei die Erfahrung gemacht, wie viele
Rosen man ernten muß, um ein paar Tröpfchen Rosenöl zu erzeugen. Aber
er hatte nicht den Zweck dabei, mit seiner Gelehrsamkeit irgend wem, und
wäre es nur einem andern Gelehrten, zu imponiren, sondern er wollte nur
seine eignen Gedanken prüfen und klären, um sie dem Leser mitzuteilen, fertige
Ergebnisse, während sichs die Eitelkeit und Gewinnbeflissenheit unsrer Schul-
gelehrteu nicht nehmen läßt, in ihren Werken immer auch zugleich ihre ganze
Werkstatt mit zur Schau zu stellen, damit nur ja alle Welt sehe, wie sauer
sie sichs haben werden lassen. Fiedler arbeitete nicht vor dem Leser, sondern


Ronrcid Fiedler

zu einem Ganzen zusammengeleimt, sich als „Wissenschaft" von sehr zweifel¬
haftem Werte repräsentirt. Er vermißte bei den meisten, die dieses Handwerk
zu betreiben haben, gänzlich die „innere Beziehung" zum Kunstwerk, die er
doch als das Maßgebende für deu Wert aller Beschäftigung mit der Kunst
forderte.

Was er unter dieser innern Beziehung verstand, darüber hat er sich in
seinen Schriften ausgesprochen, und er hat dadurch in der That etwas ge¬
leistet, was wohl als epochemachend in der Entwicklung des Denkens über
Kunstwerke und Knnstschaffen betrachtet werden darf. Wilhelm Porte nennt
in dem schon erwähnten Aufsatz Fiedler eiuen der tiefsten und unabhängigsten
Kunstschriftsteller und sagt unter anderen über seine Schriften: „Von den ab¬
soluten Ideen und anderen abstrakten Spuk, der in der akademischen Schul¬
ästhetik eine so große Rolle spielt, ist da keine Spur. Nicht ein systembau-
lnstiger Philosoph reflektirt, weil eine ganze Philosophie doch auch einmal die
Ästhetik mit einschließen muß, auf der Höhe des reinen Gedankens über »das
Schöne an sich« und über die Kunst und schreibt ihr vor, was sie darf und
was sie nicht darf, sondern die Kunst selber scheint, zum Reden gebracht, ihr
Wesen darzulegen. Vom Einfachsten, selbstverständlichsten wird ausgegangen:
die Kunst schafft fürs Auge, sie gliedert und belebt deu Raum. Sie will die
sichtbare Welt zum gestalteten Ausdruck bringen. Sie ist die eine, der Wissen¬
schaft gleichgeordnete Seite der menschlichen Erkenntniskraft. Während das
diskursive Denken mit Begriffen, mit Worten — also an sich nichtssagenden
Zeichen — operirt, giebt die Kunst ein anschaulich anschaubares Denken,
die Dinge selbst in der Form, darin allein sie geistiges Eigentum der Menschen
werden können." Ich konnte mir schon deshalb nicht versagen, auch noch diese
Stelle des vortrefflichen Aufsatzes wiederzugeben, weil es schwierig sein würde,
den Hauptinhalt der Fieolerschen Kunstauffassung, wie sie in seinen Schriften
sich ausspricht, kürzer und klarer darzulegen. Ich möchte nur noch über
Fiedlers Art zu schreiben etwas hinzufügen. Viel der Menge nach ist es
freilich nicht, was er uns als Schriftsteller gegeben hat. Vor Folianten, wie
sie unsre wiederkäuende Schulgelehrsamkeit in so überreicher Menge liefert,
braucht man sich bei Fiedler nicht zu ängstigen. Er hatte ja auch die Weisen
aller Zeiten zu Rate gezogen und dabei die Erfahrung gemacht, wie viele
Rosen man ernten muß, um ein paar Tröpfchen Rosenöl zu erzeugen. Aber
er hatte nicht den Zweck dabei, mit seiner Gelehrsamkeit irgend wem, und
wäre es nur einem andern Gelehrten, zu imponiren, sondern er wollte nur
seine eignen Gedanken prüfen und klären, um sie dem Leser mitzuteilen, fertige
Ergebnisse, während sichs die Eitelkeit und Gewinnbeflissenheit unsrer Schul-
gelehrteu nicht nehmen läßt, in ihren Werken immer auch zugleich ihre ganze
Werkstatt mit zur Schau zu stellen, damit nur ja alle Welt sehe, wie sauer
sie sichs haben werden lassen. Fiedler arbeitete nicht vor dem Leser, sondern


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[0331] Ronrcid Fiedler zu einem Ganzen zusammengeleimt, sich als „Wissenschaft" von sehr zweifel¬ haftem Werte repräsentirt. Er vermißte bei den meisten, die dieses Handwerk zu betreiben haben, gänzlich die „innere Beziehung" zum Kunstwerk, die er doch als das Maßgebende für deu Wert aller Beschäftigung mit der Kunst forderte. Was er unter dieser innern Beziehung verstand, darüber hat er sich in seinen Schriften ausgesprochen, und er hat dadurch in der That etwas ge¬ leistet, was wohl als epochemachend in der Entwicklung des Denkens über Kunstwerke und Knnstschaffen betrachtet werden darf. Wilhelm Porte nennt in dem schon erwähnten Aufsatz Fiedler eiuen der tiefsten und unabhängigsten Kunstschriftsteller und sagt unter anderen über seine Schriften: „Von den ab¬ soluten Ideen und anderen abstrakten Spuk, der in der akademischen Schul¬ ästhetik eine so große Rolle spielt, ist da keine Spur. Nicht ein systembau- lnstiger Philosoph reflektirt, weil eine ganze Philosophie doch auch einmal die Ästhetik mit einschließen muß, auf der Höhe des reinen Gedankens über »das Schöne an sich« und über die Kunst und schreibt ihr vor, was sie darf und was sie nicht darf, sondern die Kunst selber scheint, zum Reden gebracht, ihr Wesen darzulegen. Vom Einfachsten, selbstverständlichsten wird ausgegangen: die Kunst schafft fürs Auge, sie gliedert und belebt deu Raum. Sie will die sichtbare Welt zum gestalteten Ausdruck bringen. Sie ist die eine, der Wissen¬ schaft gleichgeordnete Seite der menschlichen Erkenntniskraft. Während das diskursive Denken mit Begriffen, mit Worten — also an sich nichtssagenden Zeichen — operirt, giebt die Kunst ein anschaulich anschaubares Denken, die Dinge selbst in der Form, darin allein sie geistiges Eigentum der Menschen werden können." Ich konnte mir schon deshalb nicht versagen, auch noch diese Stelle des vortrefflichen Aufsatzes wiederzugeben, weil es schwierig sein würde, den Hauptinhalt der Fieolerschen Kunstauffassung, wie sie in seinen Schriften sich ausspricht, kürzer und klarer darzulegen. Ich möchte nur noch über Fiedlers Art zu schreiben etwas hinzufügen. Viel der Menge nach ist es freilich nicht, was er uns als Schriftsteller gegeben hat. Vor Folianten, wie sie unsre wiederkäuende Schulgelehrsamkeit in so überreicher Menge liefert, braucht man sich bei Fiedler nicht zu ängstigen. Er hatte ja auch die Weisen aller Zeiten zu Rate gezogen und dabei die Erfahrung gemacht, wie viele Rosen man ernten muß, um ein paar Tröpfchen Rosenöl zu erzeugen. Aber er hatte nicht den Zweck dabei, mit seiner Gelehrsamkeit irgend wem, und wäre es nur einem andern Gelehrten, zu imponiren, sondern er wollte nur seine eignen Gedanken prüfen und klären, um sie dem Leser mitzuteilen, fertige Ergebnisse, während sichs die Eitelkeit und Gewinnbeflissenheit unsrer Schul- gelehrteu nicht nehmen läßt, in ihren Werken immer auch zugleich ihre ganze Werkstatt mit zur Schau zu stellen, damit nur ja alle Welt sehe, wie sauer sie sichs haben werden lassen. Fiedler arbeitete nicht vor dem Leser, sondern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/331>, abgerufen am 16.06.2024.