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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Brasilien

Geräte, Sämerei u. s. f. An Stelle der Geldunterstützung trat hie und da
ein Recht auf Beschäftigung beim Straßenbau, um so dem Mittellosen den
Erwerb einer wenn auch bescheidnen Summe zu ermöglichen. Alle für die
Regierung entstehenden Kosten, mit Ausnahme der Geldunterstützung, waren
als Schuld später zurückzuzahlen, und erst nach Abtragung dieser Schuld wurde
das Land Eigentum des Bebauers. Hierbei gab es manche Mißstände. Das
Land wurde unzweckmäßig verteilt, war oft schlecht oder lag abseits von allen
Straßen. Es kam auch vor, daß, nachdem die Kolonisten von S. Pedro
d'Alcantara das ihnen vom Kaiser Dom Pedro geschenkte Land bearbeitet
hatten, sie es nochmals von Leuten, die ältere Vesitztitel geltend machten,
zurückkaufen mußten, wenn sie nicht in langwierige Prozesse verwickelt werden
oder der Früchte ihrer Arbeit verlustig gehen wollten. Alle Vergünstigungen
wurden zudem durch die schlechte Verwaltung der Kolonien hinfällig.

Besser waren die Verhältnisse in den Provinzialkolonien, mit denen eine
neue Periode der Kolonisation beginnt. In der sogenannten Additionalakte
von 1834 wurde den Provinzialregieruugen anheimgegeben, "im Zusammen¬
wirken mit der Reichsgewalt die Anlegung von Kolonien zu ermutigen und zu
fordern," worauf Santa Katharina zuerst vorging. Die Verwaltung dieser
Kolonie war besser, die Kolonisten wurden nach den ihnen bestimmten, meist
gut gewählten Lündereien befördert und erhielten das Land nach einer Anzahl
von Jahren, wenn die Kaufsumme und die Auslagen zurückgezahlt waren, zur
freien Verfügung eigentümlich. So wurde in den fünfziger Jahren die Be¬
siedlung des Urwalds von Rio Grande do Suk vorgenommen, wo die Kolonien
Nova Petropolis, Santa Cruz, Sav Angelo entstanden, mit einem besondern
Kolonialamte in Porto Alegre.

Das gefährlichste Verfahren wurde in den Privatkolonien gehandhabt, die
Parceria oder Halbpacht. Es ist dies eine Verschmelzung der in den nörd¬
lichen Provinzen Brasiliens (den Zuckerlandschaften) gebräuchlichen Einrichtung
der Lavradores, einer Art von Hintersassen, die die Hälfte ihres Ernteertrags
an den Grundherrn abgeben mußten, und der der Nedemptioners, der Aus-
löslinge, die früher in Nordamerika bestand. Nach dem Parceriavertrage läßt
ein Pflanzer Kolonisten als Halbpächter auf seiner Besitzung eintreten, die mit
ihrem Leibe, so lange haften, bis sie seine Auslagen, wie Überfahrtskvsten,
Verpflegung, Vorschüsse u. s. w. mit Zinsen abgezahlt oder abgearbeitet haben.
Mit allerlei Klauseln machte man hier die Kolonisten thatsächlich zu Leib¬
eignen. In den Händen eines einsichtigen, wohlwollenden Grundherrn mag
mit dieser Einrichtung Gutes geschaffen werden können, wo sie aber roher
Eigennutz handhabt, wird unsägliches Elend, eine stete Knechtschaft herbei¬
geführt; der Ausbeutung der Kolonisten durch gewissenlose Eigentümer ist
Thür und Thor geöffnet. Bald hörte man denn auch die bittersten Klagen,
die in Deutschland nicht ungehört verhallten, und diese Mißstände sowie das


Brasilien

Geräte, Sämerei u. s. f. An Stelle der Geldunterstützung trat hie und da
ein Recht auf Beschäftigung beim Straßenbau, um so dem Mittellosen den
Erwerb einer wenn auch bescheidnen Summe zu ermöglichen. Alle für die
Regierung entstehenden Kosten, mit Ausnahme der Geldunterstützung, waren
als Schuld später zurückzuzahlen, und erst nach Abtragung dieser Schuld wurde
das Land Eigentum des Bebauers. Hierbei gab es manche Mißstände. Das
Land wurde unzweckmäßig verteilt, war oft schlecht oder lag abseits von allen
Straßen. Es kam auch vor, daß, nachdem die Kolonisten von S. Pedro
d'Alcantara das ihnen vom Kaiser Dom Pedro geschenkte Land bearbeitet
hatten, sie es nochmals von Leuten, die ältere Vesitztitel geltend machten,
zurückkaufen mußten, wenn sie nicht in langwierige Prozesse verwickelt werden
oder der Früchte ihrer Arbeit verlustig gehen wollten. Alle Vergünstigungen
wurden zudem durch die schlechte Verwaltung der Kolonien hinfällig.

Besser waren die Verhältnisse in den Provinzialkolonien, mit denen eine
neue Periode der Kolonisation beginnt. In der sogenannten Additionalakte
von 1834 wurde den Provinzialregieruugen anheimgegeben, „im Zusammen¬
wirken mit der Reichsgewalt die Anlegung von Kolonien zu ermutigen und zu
fordern," worauf Santa Katharina zuerst vorging. Die Verwaltung dieser
Kolonie war besser, die Kolonisten wurden nach den ihnen bestimmten, meist
gut gewählten Lündereien befördert und erhielten das Land nach einer Anzahl
von Jahren, wenn die Kaufsumme und die Auslagen zurückgezahlt waren, zur
freien Verfügung eigentümlich. So wurde in den fünfziger Jahren die Be¬
siedlung des Urwalds von Rio Grande do Suk vorgenommen, wo die Kolonien
Nova Petropolis, Santa Cruz, Sav Angelo entstanden, mit einem besondern
Kolonialamte in Porto Alegre.

Das gefährlichste Verfahren wurde in den Privatkolonien gehandhabt, die
Parceria oder Halbpacht. Es ist dies eine Verschmelzung der in den nörd¬
lichen Provinzen Brasiliens (den Zuckerlandschaften) gebräuchlichen Einrichtung
der Lavradores, einer Art von Hintersassen, die die Hälfte ihres Ernteertrags
an den Grundherrn abgeben mußten, und der der Nedemptioners, der Aus-
löslinge, die früher in Nordamerika bestand. Nach dem Parceriavertrage läßt
ein Pflanzer Kolonisten als Halbpächter auf seiner Besitzung eintreten, die mit
ihrem Leibe, so lange haften, bis sie seine Auslagen, wie Überfahrtskvsten,
Verpflegung, Vorschüsse u. s. w. mit Zinsen abgezahlt oder abgearbeitet haben.
Mit allerlei Klauseln machte man hier die Kolonisten thatsächlich zu Leib¬
eignen. In den Händen eines einsichtigen, wohlwollenden Grundherrn mag
mit dieser Einrichtung Gutes geschaffen werden können, wo sie aber roher
Eigennutz handhabt, wird unsägliches Elend, eine stete Knechtschaft herbei¬
geführt; der Ausbeutung der Kolonisten durch gewissenlose Eigentümer ist
Thür und Thor geöffnet. Bald hörte man denn auch die bittersten Klagen,
die in Deutschland nicht ungehört verhallten, und diese Mißstände sowie das


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[0414] Brasilien Geräte, Sämerei u. s. f. An Stelle der Geldunterstützung trat hie und da ein Recht auf Beschäftigung beim Straßenbau, um so dem Mittellosen den Erwerb einer wenn auch bescheidnen Summe zu ermöglichen. Alle für die Regierung entstehenden Kosten, mit Ausnahme der Geldunterstützung, waren als Schuld später zurückzuzahlen, und erst nach Abtragung dieser Schuld wurde das Land Eigentum des Bebauers. Hierbei gab es manche Mißstände. Das Land wurde unzweckmäßig verteilt, war oft schlecht oder lag abseits von allen Straßen. Es kam auch vor, daß, nachdem die Kolonisten von S. Pedro d'Alcantara das ihnen vom Kaiser Dom Pedro geschenkte Land bearbeitet hatten, sie es nochmals von Leuten, die ältere Vesitztitel geltend machten, zurückkaufen mußten, wenn sie nicht in langwierige Prozesse verwickelt werden oder der Früchte ihrer Arbeit verlustig gehen wollten. Alle Vergünstigungen wurden zudem durch die schlechte Verwaltung der Kolonien hinfällig. Besser waren die Verhältnisse in den Provinzialkolonien, mit denen eine neue Periode der Kolonisation beginnt. In der sogenannten Additionalakte von 1834 wurde den Provinzialregieruugen anheimgegeben, „im Zusammen¬ wirken mit der Reichsgewalt die Anlegung von Kolonien zu ermutigen und zu fordern," worauf Santa Katharina zuerst vorging. Die Verwaltung dieser Kolonie war besser, die Kolonisten wurden nach den ihnen bestimmten, meist gut gewählten Lündereien befördert und erhielten das Land nach einer Anzahl von Jahren, wenn die Kaufsumme und die Auslagen zurückgezahlt waren, zur freien Verfügung eigentümlich. So wurde in den fünfziger Jahren die Be¬ siedlung des Urwalds von Rio Grande do Suk vorgenommen, wo die Kolonien Nova Petropolis, Santa Cruz, Sav Angelo entstanden, mit einem besondern Kolonialamte in Porto Alegre. Das gefährlichste Verfahren wurde in den Privatkolonien gehandhabt, die Parceria oder Halbpacht. Es ist dies eine Verschmelzung der in den nörd¬ lichen Provinzen Brasiliens (den Zuckerlandschaften) gebräuchlichen Einrichtung der Lavradores, einer Art von Hintersassen, die die Hälfte ihres Ernteertrags an den Grundherrn abgeben mußten, und der der Nedemptioners, der Aus- löslinge, die früher in Nordamerika bestand. Nach dem Parceriavertrage läßt ein Pflanzer Kolonisten als Halbpächter auf seiner Besitzung eintreten, die mit ihrem Leibe, so lange haften, bis sie seine Auslagen, wie Überfahrtskvsten, Verpflegung, Vorschüsse u. s. w. mit Zinsen abgezahlt oder abgearbeitet haben. Mit allerlei Klauseln machte man hier die Kolonisten thatsächlich zu Leib¬ eignen. In den Händen eines einsichtigen, wohlwollenden Grundherrn mag mit dieser Einrichtung Gutes geschaffen werden können, wo sie aber roher Eigennutz handhabt, wird unsägliches Elend, eine stete Knechtschaft herbei¬ geführt; der Ausbeutung der Kolonisten durch gewissenlose Eigentümer ist Thür und Thor geöffnet. Bald hörte man denn auch die bittersten Klagen, die in Deutschland nicht ungehört verhallten, und diese Mißstände sowie das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/414>, abgerufen am 16.06.2024.