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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Brasilien

schamlose Treiben der Auswanderungsagenten führten endlich dahin, daß die
Beförderung von Auswandrern nach Brasilien durch das Hehdtsche Reskript
vom 3. November 1859 verboten wurde.

Zwar bemühte sich die brasilianische Negierung später, die Lage der
Kolonisten zu bessern durch die Verfügung von 1859, durch die auch Nicht-
iatholiken zu öffentlichen Ämtern zugelassen wurden, ferner durch eine Revision
der Parccrici, wodurch sie auf eine neue, rechtliche Grundlage gestellt wurde,
nach der man eine landwirtschaftliche von einer Viehzuchtvareerici unterschied,
schließlich 1881 durch den Erlaß eines Gesetzes, durch das die politische Gleich¬
berechtigung der Protestanten mit den Katholiken ausgesprochen wurde. Aber
das Auswandrerwerbeverbot wurde nicht zurückgenommen, wie der Widerstand
bewies, den man dein ehrlichen Versuche der Agenten der Firma Holzweißig
und Kompagnie entgegensetzte, die aus Veranlassung der Regierung 40000 Kolo¬
nisten nach Brasilien führen sollten.

Das heutige Brasilien hat eine Große von 8361350 Quadratkilometer,
ist also funfzehnmal so groß als Deutschland. Seine Gestaltung ist der wirt¬
schaftlichen Entwicklung insofern nicht günstig, als der Westen sehr weit von
der Küste entfernt und mit ihr nur durch mangelhafte Wasserstraßen verbunden
ist. Das gewaltige Reich gliedert sich in tropische und subtropische Gebiete,
sodaß nur die südlichen Provinzen für die deutsche Massenciuwandrung in
Betracht kommen. Der vertikalen Gestaltung nach zerfällt Brasilien in das
Gebirgshochland (etwa 50000 Quadratkilometer) und die riesigen Grasniede¬
rungen. Der Wasferreichtum, vor allem im tropischen Gebiete, ist enorm;
allein dem Amazonas, der an der Mündung 180 Seemeilen breit ist und von
dem Entdecker Pinzon 1499 als ein "Meer von süßem Wasser" beschrieben
wurde, führen 18 Ströme gewaltige Wassermassen zu. Die natürlichen Reich¬
tümer Brasiliens sind unerschöpflich. Neben den im Gebirge ruhenden Erz¬
schmitzen hat es den Urwald mit seinen in hundertfacher Weise verwertbaren
Beständen und seinem jungfräulichen Boden die weitgedehnten Campos, die
Raum für zahllose Viehherden bieten. Die Landwirtschaft, die den größten
Teil der Bevölkerung beschäftigt, liegt noch sehr im argen, sie wird in vielen
Fällen weder zweckmäßig, noch mit genügenden Mitteln betrieben und hat
dann den Charakter des Raubbaues (Nveabetrieb). Unter den Produkten ver¬
dienen Erwähnung: die Mandioca, die Wurzel der Mcmihotpflanze, die in
verschiedner Form der Zubereitung fast ganz die Stelle des Brotes vertritt
(auch bei uns wird ein solches Fabrikat als amerikanisches Sngomehl oder
Arrowrvvt eingeführt), ferner Mais, Reis, Kartoffeln, Batate. Yamswurzel,
schwarze Bohne und vor allem Kaffee, Zucker, Baumwolle, Tabak, Kakao,
Thee, deren Anbau ans Plantagen betrieben wird, die seit dem Verbote der
Sklavenarbeit viel an Rentabilität verloren haben, wenn auch der Rückgang
vielfach noch andre Ursachen hat, bei der Zuckerfabrikativn z. V. den erfolg-


Brasilien

schamlose Treiben der Auswanderungsagenten führten endlich dahin, daß die
Beförderung von Auswandrern nach Brasilien durch das Hehdtsche Reskript
vom 3. November 1859 verboten wurde.

Zwar bemühte sich die brasilianische Negierung später, die Lage der
Kolonisten zu bessern durch die Verfügung von 1859, durch die auch Nicht-
iatholiken zu öffentlichen Ämtern zugelassen wurden, ferner durch eine Revision
der Parccrici, wodurch sie auf eine neue, rechtliche Grundlage gestellt wurde,
nach der man eine landwirtschaftliche von einer Viehzuchtvareerici unterschied,
schließlich 1881 durch den Erlaß eines Gesetzes, durch das die politische Gleich¬
berechtigung der Protestanten mit den Katholiken ausgesprochen wurde. Aber
das Auswandrerwerbeverbot wurde nicht zurückgenommen, wie der Widerstand
bewies, den man dein ehrlichen Versuche der Agenten der Firma Holzweißig
und Kompagnie entgegensetzte, die aus Veranlassung der Regierung 40000 Kolo¬
nisten nach Brasilien führen sollten.

Das heutige Brasilien hat eine Große von 8361350 Quadratkilometer,
ist also funfzehnmal so groß als Deutschland. Seine Gestaltung ist der wirt¬
schaftlichen Entwicklung insofern nicht günstig, als der Westen sehr weit von
der Küste entfernt und mit ihr nur durch mangelhafte Wasserstraßen verbunden
ist. Das gewaltige Reich gliedert sich in tropische und subtropische Gebiete,
sodaß nur die südlichen Provinzen für die deutsche Massenciuwandrung in
Betracht kommen. Der vertikalen Gestaltung nach zerfällt Brasilien in das
Gebirgshochland (etwa 50000 Quadratkilometer) und die riesigen Grasniede¬
rungen. Der Wasferreichtum, vor allem im tropischen Gebiete, ist enorm;
allein dem Amazonas, der an der Mündung 180 Seemeilen breit ist und von
dem Entdecker Pinzon 1499 als ein „Meer von süßem Wasser" beschrieben
wurde, führen 18 Ströme gewaltige Wassermassen zu. Die natürlichen Reich¬
tümer Brasiliens sind unerschöpflich. Neben den im Gebirge ruhenden Erz¬
schmitzen hat es den Urwald mit seinen in hundertfacher Weise verwertbaren
Beständen und seinem jungfräulichen Boden die weitgedehnten Campos, die
Raum für zahllose Viehherden bieten. Die Landwirtschaft, die den größten
Teil der Bevölkerung beschäftigt, liegt noch sehr im argen, sie wird in vielen
Fällen weder zweckmäßig, noch mit genügenden Mitteln betrieben und hat
dann den Charakter des Raubbaues (Nveabetrieb). Unter den Produkten ver¬
dienen Erwähnung: die Mandioca, die Wurzel der Mcmihotpflanze, die in
verschiedner Form der Zubereitung fast ganz die Stelle des Brotes vertritt
(auch bei uns wird ein solches Fabrikat als amerikanisches Sngomehl oder
Arrowrvvt eingeführt), ferner Mais, Reis, Kartoffeln, Batate. Yamswurzel,
schwarze Bohne und vor allem Kaffee, Zucker, Baumwolle, Tabak, Kakao,
Thee, deren Anbau ans Plantagen betrieben wird, die seit dem Verbote der
Sklavenarbeit viel an Rentabilität verloren haben, wenn auch der Rückgang
vielfach noch andre Ursachen hat, bei der Zuckerfabrikativn z. V. den erfolg-


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[0415] Brasilien schamlose Treiben der Auswanderungsagenten führten endlich dahin, daß die Beförderung von Auswandrern nach Brasilien durch das Hehdtsche Reskript vom 3. November 1859 verboten wurde. Zwar bemühte sich die brasilianische Negierung später, die Lage der Kolonisten zu bessern durch die Verfügung von 1859, durch die auch Nicht- iatholiken zu öffentlichen Ämtern zugelassen wurden, ferner durch eine Revision der Parccrici, wodurch sie auf eine neue, rechtliche Grundlage gestellt wurde, nach der man eine landwirtschaftliche von einer Viehzuchtvareerici unterschied, schließlich 1881 durch den Erlaß eines Gesetzes, durch das die politische Gleich¬ berechtigung der Protestanten mit den Katholiken ausgesprochen wurde. Aber das Auswandrerwerbeverbot wurde nicht zurückgenommen, wie der Widerstand bewies, den man dein ehrlichen Versuche der Agenten der Firma Holzweißig und Kompagnie entgegensetzte, die aus Veranlassung der Regierung 40000 Kolo¬ nisten nach Brasilien führen sollten. Das heutige Brasilien hat eine Große von 8361350 Quadratkilometer, ist also funfzehnmal so groß als Deutschland. Seine Gestaltung ist der wirt¬ schaftlichen Entwicklung insofern nicht günstig, als der Westen sehr weit von der Küste entfernt und mit ihr nur durch mangelhafte Wasserstraßen verbunden ist. Das gewaltige Reich gliedert sich in tropische und subtropische Gebiete, sodaß nur die südlichen Provinzen für die deutsche Massenciuwandrung in Betracht kommen. Der vertikalen Gestaltung nach zerfällt Brasilien in das Gebirgshochland (etwa 50000 Quadratkilometer) und die riesigen Grasniede¬ rungen. Der Wasferreichtum, vor allem im tropischen Gebiete, ist enorm; allein dem Amazonas, der an der Mündung 180 Seemeilen breit ist und von dem Entdecker Pinzon 1499 als ein „Meer von süßem Wasser" beschrieben wurde, führen 18 Ströme gewaltige Wassermassen zu. Die natürlichen Reich¬ tümer Brasiliens sind unerschöpflich. Neben den im Gebirge ruhenden Erz¬ schmitzen hat es den Urwald mit seinen in hundertfacher Weise verwertbaren Beständen und seinem jungfräulichen Boden die weitgedehnten Campos, die Raum für zahllose Viehherden bieten. Die Landwirtschaft, die den größten Teil der Bevölkerung beschäftigt, liegt noch sehr im argen, sie wird in vielen Fällen weder zweckmäßig, noch mit genügenden Mitteln betrieben und hat dann den Charakter des Raubbaues (Nveabetrieb). Unter den Produkten ver¬ dienen Erwähnung: die Mandioca, die Wurzel der Mcmihotpflanze, die in verschiedner Form der Zubereitung fast ganz die Stelle des Brotes vertritt (auch bei uns wird ein solches Fabrikat als amerikanisches Sngomehl oder Arrowrvvt eingeführt), ferner Mais, Reis, Kartoffeln, Batate. Yamswurzel, schwarze Bohne und vor allem Kaffee, Zucker, Baumwolle, Tabak, Kakao, Thee, deren Anbau ans Plantagen betrieben wird, die seit dem Verbote der Sklavenarbeit viel an Rentabilität verloren haben, wenn auch der Rückgang vielfach noch andre Ursachen hat, bei der Zuckerfabrikativn z. V. den erfolg-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/415>, abgerufen am 16.06.2024.