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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Brasilien

die sich mir auf die Lippen drängen, wenn ich an die Vertretung des deutschen
Reichs und der deutschen Ehre im Auslande in diesem und vielen andern
Fällen denke, unterdrücken; aber angesichts der erwähnten Thatsache ist doch
die Frage berechtigt: Dürfen wir uns darüber beklagen, daß sich unsre Stammes¬
brüder, wenn sie ins Ausland kommen, bemühen, möglichst schnell Aankees,
Australier oder sonst etwas zu werden?

Ich halte um der Überzeugung fest, daß man einmal an eine Organisation
der Auswanderung von Reichs wegen wird denken müssen, und daß man dabei
zuerst wird nach Brasilien gehen müssen. Die meisten Männer, die Land und
Leute aus eigner Erfahrung kennen, stimmen darin überein, daß eine plan¬
mäßige Anstedlnng in Brasilien von Erfolg sein müsse, wenn sie von einer
kapitalkräftigen deutschen Gesellschaft geleitet wird, deren erfahrne Beamten¬
schaft den Kolonisten eine wirkliche Hilfe angedeihen läßt, und deren von der
Autorität des Reichs gestütztes Ansehen Verletzungen der Gesetze und Ver¬
waltungsbestimmungen verhindert oder doch erschwert. Die letzte gesetzliche Re-
gierung Brasiliens ist in dieser Hinsicht durch den Erlaß eines neuen Einwan-
dcrungsgesetzes weit entgegengekommen, es wurde versprochen, daß die Wege¬
bauten den Kolonisationsgesellschaften vom Staate abgenommen werden sollten,
und weiterhin sogar jeder Gesellschaft eine Zinsgarantie von 6 Prozent bei einem
Gesellschaftskapital von zwanzig Millionen Mark angeboten. Wenn man
solche Versprechungen für Spiegelfechterei hält, so erkläre ich, daß es nur
Schuld der deutschen Reichsregierung ist, wenn sie nicht eingelöst werden.

Der Gedanke, in Brasilien einzugreifen, ist durchaus keine Utopie, schon
aus dem Grunde nicht, weil sich die Deutschbrasilianer in allen politischen
Wirren mit ausgezeichneter Klugheit benommen haben, ein guter Rückhalt also
vorhanden ist. Außerdem ist wohl zu beachten, daß und warum sich der letzte
Aufstand gerade in den südlichen Provinzen Brasiliens entscheidend abspielte.
In einem Lande wie Brasilien, das aus einem tropischen Teil und einem Teil
mit gemäßigtem Klima besteht, erweist sich das politische Leben thatkräftiger
unter der Bevölkerung, die die Striche mit gemäßigtem Klima bewohnt. Daher
waren auch die Kämpfe, die sich in den Südprovinzen, vor allem in Rio
Grande do Sui abspielten, wo sich seinerzeit auch der Kriegsminister Moura
aufhielt, in ihrem Ausgange viel wichtiger als alle Flottenaufstäude im
Hafen von Rio. Und so wird es in aller Zukunft bleiben; die brasilianischen
Südprovinzen werden jederzeit den Ausschlag geben, und damit liegt die Be¬
deutung des deutschen Elements für die Zukunft des ganzen Landes und die
Aussicht, die seine Verstärkung und streng nationale Zusammenfassung eröffnet,
für jeden, der nur sehen will, auf der Hand.

Noch im Jahre 1889. bei dem Aufstande in Rio, der die Republik brachte,
standen die deutschen Kolonisten nach dem Beispiel ihres hervorragendsten
Führers, des trefflichen, nun verstorbnen Karl von Koseritz, zu dem liberalen


Brasilien

die sich mir auf die Lippen drängen, wenn ich an die Vertretung des deutschen
Reichs und der deutschen Ehre im Auslande in diesem und vielen andern
Fällen denke, unterdrücken; aber angesichts der erwähnten Thatsache ist doch
die Frage berechtigt: Dürfen wir uns darüber beklagen, daß sich unsre Stammes¬
brüder, wenn sie ins Ausland kommen, bemühen, möglichst schnell Aankees,
Australier oder sonst etwas zu werden?

Ich halte um der Überzeugung fest, daß man einmal an eine Organisation
der Auswanderung von Reichs wegen wird denken müssen, und daß man dabei
zuerst wird nach Brasilien gehen müssen. Die meisten Männer, die Land und
Leute aus eigner Erfahrung kennen, stimmen darin überein, daß eine plan¬
mäßige Anstedlnng in Brasilien von Erfolg sein müsse, wenn sie von einer
kapitalkräftigen deutschen Gesellschaft geleitet wird, deren erfahrne Beamten¬
schaft den Kolonisten eine wirkliche Hilfe angedeihen läßt, und deren von der
Autorität des Reichs gestütztes Ansehen Verletzungen der Gesetze und Ver¬
waltungsbestimmungen verhindert oder doch erschwert. Die letzte gesetzliche Re-
gierung Brasiliens ist in dieser Hinsicht durch den Erlaß eines neuen Einwan-
dcrungsgesetzes weit entgegengekommen, es wurde versprochen, daß die Wege¬
bauten den Kolonisationsgesellschaften vom Staate abgenommen werden sollten,
und weiterhin sogar jeder Gesellschaft eine Zinsgarantie von 6 Prozent bei einem
Gesellschaftskapital von zwanzig Millionen Mark angeboten. Wenn man
solche Versprechungen für Spiegelfechterei hält, so erkläre ich, daß es nur
Schuld der deutschen Reichsregierung ist, wenn sie nicht eingelöst werden.

Der Gedanke, in Brasilien einzugreifen, ist durchaus keine Utopie, schon
aus dem Grunde nicht, weil sich die Deutschbrasilianer in allen politischen
Wirren mit ausgezeichneter Klugheit benommen haben, ein guter Rückhalt also
vorhanden ist. Außerdem ist wohl zu beachten, daß und warum sich der letzte
Aufstand gerade in den südlichen Provinzen Brasiliens entscheidend abspielte.
In einem Lande wie Brasilien, das aus einem tropischen Teil und einem Teil
mit gemäßigtem Klima besteht, erweist sich das politische Leben thatkräftiger
unter der Bevölkerung, die die Striche mit gemäßigtem Klima bewohnt. Daher
waren auch die Kämpfe, die sich in den Südprovinzen, vor allem in Rio
Grande do Sui abspielten, wo sich seinerzeit auch der Kriegsminister Moura
aufhielt, in ihrem Ausgange viel wichtiger als alle Flottenaufstäude im
Hafen von Rio. Und so wird es in aller Zukunft bleiben; die brasilianischen
Südprovinzen werden jederzeit den Ausschlag geben, und damit liegt die Be¬
deutung des deutschen Elements für die Zukunft des ganzen Landes und die
Aussicht, die seine Verstärkung und streng nationale Zusammenfassung eröffnet,
für jeden, der nur sehen will, auf der Hand.

Noch im Jahre 1889. bei dem Aufstande in Rio, der die Republik brachte,
standen die deutschen Kolonisten nach dem Beispiel ihres hervorragendsten
Führers, des trefflichen, nun verstorbnen Karl von Koseritz, zu dem liberalen


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[0419] Brasilien die sich mir auf die Lippen drängen, wenn ich an die Vertretung des deutschen Reichs und der deutschen Ehre im Auslande in diesem und vielen andern Fällen denke, unterdrücken; aber angesichts der erwähnten Thatsache ist doch die Frage berechtigt: Dürfen wir uns darüber beklagen, daß sich unsre Stammes¬ brüder, wenn sie ins Ausland kommen, bemühen, möglichst schnell Aankees, Australier oder sonst etwas zu werden? Ich halte um der Überzeugung fest, daß man einmal an eine Organisation der Auswanderung von Reichs wegen wird denken müssen, und daß man dabei zuerst wird nach Brasilien gehen müssen. Die meisten Männer, die Land und Leute aus eigner Erfahrung kennen, stimmen darin überein, daß eine plan¬ mäßige Anstedlnng in Brasilien von Erfolg sein müsse, wenn sie von einer kapitalkräftigen deutschen Gesellschaft geleitet wird, deren erfahrne Beamten¬ schaft den Kolonisten eine wirkliche Hilfe angedeihen läßt, und deren von der Autorität des Reichs gestütztes Ansehen Verletzungen der Gesetze und Ver¬ waltungsbestimmungen verhindert oder doch erschwert. Die letzte gesetzliche Re- gierung Brasiliens ist in dieser Hinsicht durch den Erlaß eines neuen Einwan- dcrungsgesetzes weit entgegengekommen, es wurde versprochen, daß die Wege¬ bauten den Kolonisationsgesellschaften vom Staate abgenommen werden sollten, und weiterhin sogar jeder Gesellschaft eine Zinsgarantie von 6 Prozent bei einem Gesellschaftskapital von zwanzig Millionen Mark angeboten. Wenn man solche Versprechungen für Spiegelfechterei hält, so erkläre ich, daß es nur Schuld der deutschen Reichsregierung ist, wenn sie nicht eingelöst werden. Der Gedanke, in Brasilien einzugreifen, ist durchaus keine Utopie, schon aus dem Grunde nicht, weil sich die Deutschbrasilianer in allen politischen Wirren mit ausgezeichneter Klugheit benommen haben, ein guter Rückhalt also vorhanden ist. Außerdem ist wohl zu beachten, daß und warum sich der letzte Aufstand gerade in den südlichen Provinzen Brasiliens entscheidend abspielte. In einem Lande wie Brasilien, das aus einem tropischen Teil und einem Teil mit gemäßigtem Klima besteht, erweist sich das politische Leben thatkräftiger unter der Bevölkerung, die die Striche mit gemäßigtem Klima bewohnt. Daher waren auch die Kämpfe, die sich in den Südprovinzen, vor allem in Rio Grande do Sui abspielten, wo sich seinerzeit auch der Kriegsminister Moura aufhielt, in ihrem Ausgange viel wichtiger als alle Flottenaufstäude im Hafen von Rio. Und so wird es in aller Zukunft bleiben; die brasilianischen Südprovinzen werden jederzeit den Ausschlag geben, und damit liegt die Be¬ deutung des deutschen Elements für die Zukunft des ganzen Landes und die Aussicht, die seine Verstärkung und streng nationale Zusammenfassung eröffnet, für jeden, der nur sehen will, auf der Hand. Noch im Jahre 1889. bei dem Aufstande in Rio, der die Republik brachte, standen die deutschen Kolonisten nach dem Beispiel ihres hervorragendsten Führers, des trefflichen, nun verstorbnen Karl von Koseritz, zu dem liberalen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/419>, abgerufen am 16.06.2024.