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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Brasilien

der Nähe der Städte hat der Deutsche nach Brasilien gebracht. Der Anbau
von Stapelartikeln (Kaffee, Baumwolle, Zucker) in den tropischen Teilen und
die Viehwirtschaft können nur extensiv sein und haben alle sozialen Folgen
dieser Vetriebsform: geringe Bevölkerungsdichtigkeit, wenige, sehr mächtige
Besitzende, viele Abhängige. Die kleinbäuerliche Ackerwirtschaft zeigt ein andres
Bild; bei ihnen tritt der selbständige Bauer und die Dvrfgemeiuschaft auf,
das Land wird dichter besiedelt, der Besitz gleichmäßiger verteilt, die Menschen
stehen an Bildung, Anschauungen und Bedürfnissen einander näher, das ganze
Leben baut sich auf einer sozial gleichartigen Grundmasse der Bevölkerung
auf. Mit dieser Gegenüberstellung ist die Bedeutung der Deutschen für die
soziale Entwicklung Brasiliens gekennzeichnet, und da sich die Wandlung in einem
Teile des Landes mit besonderm Klima vollzieht, drängt sich mir immer der
Vergleich mit der Entwicklung der Vereinigten Staaten auf, wo der Gegensatz
zwischen den Nord- und deu Südstaaten auf ganz ähnlichen Verhältnissen beruhte.
Sollten sich deshalb nicht die Augen aller, die überzeugt sind, daß wir Raum
brauchen, hierher lenken, wo nichts neu zu schaffen ist, wo mau dem alten
Stamme nur neue Kraft zuzuführen braucht? Es ist selbstverständlich, daß
man nicht zick- und planlos den Einzelnen nach Belieben ziehen lassen soll,
sondern daß das Reich hier eingreifen oder doch mindestens Privatgesellschaften
zur Organisation kommen lassen müßte. Ich weiß sehr wohl, daß in der
letzten Zeit wieder ungünstige Nachrichten über die brasilianischen Verhältnisse
verbreitet worden sind. Mag man auch immer warnen, wo gewarnt werden
muß. Aber das kaun doch nicht hindern, daß man sorgfältig beobachtet, und,
falls ein Umschwung eingetreten ist, dies ebenso offen zugiebt, wie man schlechte
Nachrichten verbreitet. Das würde schou ein großer Fortschritt sein. So
berechtigt die Warnungen der preußischen Negierung und ihr Eingreifen
1859 angesichts der Verhältnisse am Mncury waren, so unberechtigt war es,
den günstigen Berichten, die der preußische Gesandte von Eichmann seiner Re¬
gierung über die deutschen Ansiedlungen in den sechziger Jahren sandte, sowie
den verschiednen, von den Konsuln unterstützten Petitionen der Deutsch¬
brasilianer, den 18S9er Erlaß wenigstens abzuändern, gar kein Gewicht bei¬
zulegen.

Woher kommt es aber überhaupt, daß immer so ungünstige Nachrichten
von Brasilien kommen? Die deutsche Regierung hat ihren konsularischen Ver¬
tretern einen Besuch der deutschen Kolonien verboten! Was wunder, wenn
man sich da einem Deutschen gegenüber vor keiner Rechtsverletzung scheut;
weiß man doch, daß sie schutzlos, gewissermaßen vogelfrei sind. Man komme
nicht mit dein Einwände, daß viele Deutsche brasilianische Bürger geworden
seien; in einem Lande, wo so anarchische Zustände herrschen, wo so tief¬
gehenden Nassenabneigungen bestehen, muß das deutsche Reich stets bereit sein,
für seine frühern Angehörigen einzutreten. Ich will alle bittern Bemerkungen,


Brasilien

der Nähe der Städte hat der Deutsche nach Brasilien gebracht. Der Anbau
von Stapelartikeln (Kaffee, Baumwolle, Zucker) in den tropischen Teilen und
die Viehwirtschaft können nur extensiv sein und haben alle sozialen Folgen
dieser Vetriebsform: geringe Bevölkerungsdichtigkeit, wenige, sehr mächtige
Besitzende, viele Abhängige. Die kleinbäuerliche Ackerwirtschaft zeigt ein andres
Bild; bei ihnen tritt der selbständige Bauer und die Dvrfgemeiuschaft auf,
das Land wird dichter besiedelt, der Besitz gleichmäßiger verteilt, die Menschen
stehen an Bildung, Anschauungen und Bedürfnissen einander näher, das ganze
Leben baut sich auf einer sozial gleichartigen Grundmasse der Bevölkerung
auf. Mit dieser Gegenüberstellung ist die Bedeutung der Deutschen für die
soziale Entwicklung Brasiliens gekennzeichnet, und da sich die Wandlung in einem
Teile des Landes mit besonderm Klima vollzieht, drängt sich mir immer der
Vergleich mit der Entwicklung der Vereinigten Staaten auf, wo der Gegensatz
zwischen den Nord- und deu Südstaaten auf ganz ähnlichen Verhältnissen beruhte.
Sollten sich deshalb nicht die Augen aller, die überzeugt sind, daß wir Raum
brauchen, hierher lenken, wo nichts neu zu schaffen ist, wo mau dem alten
Stamme nur neue Kraft zuzuführen braucht? Es ist selbstverständlich, daß
man nicht zick- und planlos den Einzelnen nach Belieben ziehen lassen soll,
sondern daß das Reich hier eingreifen oder doch mindestens Privatgesellschaften
zur Organisation kommen lassen müßte. Ich weiß sehr wohl, daß in der
letzten Zeit wieder ungünstige Nachrichten über die brasilianischen Verhältnisse
verbreitet worden sind. Mag man auch immer warnen, wo gewarnt werden
muß. Aber das kaun doch nicht hindern, daß man sorgfältig beobachtet, und,
falls ein Umschwung eingetreten ist, dies ebenso offen zugiebt, wie man schlechte
Nachrichten verbreitet. Das würde schou ein großer Fortschritt sein. So
berechtigt die Warnungen der preußischen Negierung und ihr Eingreifen
1859 angesichts der Verhältnisse am Mncury waren, so unberechtigt war es,
den günstigen Berichten, die der preußische Gesandte von Eichmann seiner Re¬
gierung über die deutschen Ansiedlungen in den sechziger Jahren sandte, sowie
den verschiednen, von den Konsuln unterstützten Petitionen der Deutsch¬
brasilianer, den 18S9er Erlaß wenigstens abzuändern, gar kein Gewicht bei¬
zulegen.

Woher kommt es aber überhaupt, daß immer so ungünstige Nachrichten
von Brasilien kommen? Die deutsche Regierung hat ihren konsularischen Ver¬
tretern einen Besuch der deutschen Kolonien verboten! Was wunder, wenn
man sich da einem Deutschen gegenüber vor keiner Rechtsverletzung scheut;
weiß man doch, daß sie schutzlos, gewissermaßen vogelfrei sind. Man komme
nicht mit dein Einwände, daß viele Deutsche brasilianische Bürger geworden
seien; in einem Lande, wo so anarchische Zustände herrschen, wo so tief¬
gehenden Nassenabneigungen bestehen, muß das deutsche Reich stets bereit sein,
für seine frühern Angehörigen einzutreten. Ich will alle bittern Bemerkungen,


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[0418] Brasilien der Nähe der Städte hat der Deutsche nach Brasilien gebracht. Der Anbau von Stapelartikeln (Kaffee, Baumwolle, Zucker) in den tropischen Teilen und die Viehwirtschaft können nur extensiv sein und haben alle sozialen Folgen dieser Vetriebsform: geringe Bevölkerungsdichtigkeit, wenige, sehr mächtige Besitzende, viele Abhängige. Die kleinbäuerliche Ackerwirtschaft zeigt ein andres Bild; bei ihnen tritt der selbständige Bauer und die Dvrfgemeiuschaft auf, das Land wird dichter besiedelt, der Besitz gleichmäßiger verteilt, die Menschen stehen an Bildung, Anschauungen und Bedürfnissen einander näher, das ganze Leben baut sich auf einer sozial gleichartigen Grundmasse der Bevölkerung auf. Mit dieser Gegenüberstellung ist die Bedeutung der Deutschen für die soziale Entwicklung Brasiliens gekennzeichnet, und da sich die Wandlung in einem Teile des Landes mit besonderm Klima vollzieht, drängt sich mir immer der Vergleich mit der Entwicklung der Vereinigten Staaten auf, wo der Gegensatz zwischen den Nord- und deu Südstaaten auf ganz ähnlichen Verhältnissen beruhte. Sollten sich deshalb nicht die Augen aller, die überzeugt sind, daß wir Raum brauchen, hierher lenken, wo nichts neu zu schaffen ist, wo mau dem alten Stamme nur neue Kraft zuzuführen braucht? Es ist selbstverständlich, daß man nicht zick- und planlos den Einzelnen nach Belieben ziehen lassen soll, sondern daß das Reich hier eingreifen oder doch mindestens Privatgesellschaften zur Organisation kommen lassen müßte. Ich weiß sehr wohl, daß in der letzten Zeit wieder ungünstige Nachrichten über die brasilianischen Verhältnisse verbreitet worden sind. Mag man auch immer warnen, wo gewarnt werden muß. Aber das kaun doch nicht hindern, daß man sorgfältig beobachtet, und, falls ein Umschwung eingetreten ist, dies ebenso offen zugiebt, wie man schlechte Nachrichten verbreitet. Das würde schou ein großer Fortschritt sein. So berechtigt die Warnungen der preußischen Negierung und ihr Eingreifen 1859 angesichts der Verhältnisse am Mncury waren, so unberechtigt war es, den günstigen Berichten, die der preußische Gesandte von Eichmann seiner Re¬ gierung über die deutschen Ansiedlungen in den sechziger Jahren sandte, sowie den verschiednen, von den Konsuln unterstützten Petitionen der Deutsch¬ brasilianer, den 18S9er Erlaß wenigstens abzuändern, gar kein Gewicht bei¬ zulegen. Woher kommt es aber überhaupt, daß immer so ungünstige Nachrichten von Brasilien kommen? Die deutsche Regierung hat ihren konsularischen Ver¬ tretern einen Besuch der deutschen Kolonien verboten! Was wunder, wenn man sich da einem Deutschen gegenüber vor keiner Rechtsverletzung scheut; weiß man doch, daß sie schutzlos, gewissermaßen vogelfrei sind. Man komme nicht mit dein Einwände, daß viele Deutsche brasilianische Bürger geworden seien; in einem Lande, wo so anarchische Zustände herrschen, wo so tief¬ gehenden Nassenabneigungen bestehen, muß das deutsche Reich stets bereit sein, für seine frühern Angehörigen einzutreten. Ich will alle bittern Bemerkungen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/418>, abgerufen am 16.06.2024.