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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Das medizinische Studium

Tüchtigkeit sein. Statt dessen ersieht man daraus nichts, als daß der "Doktor"
seinerzeit 500 Mark gehabt oder sich geborgt hat, um zu promoviren. Das
ist ein Zopf, der nicht mehr ehrwürdig, sondern lächerlich ist, und dessen sich
das neunzehnte Jahrhundert schämen sollte. Ahnen wir doch das Beispiel
Österreichs nach, das uns in diesem Punkte weit voraus ist: dort wird mit
dem Bestehen des Staatsexamens der Doktortitel, wie bei uns der Titel "Arzt"
verliehen -- das einzig richtige. Die Dissertationen und ihren wissenschaft¬
lichen Wert brauche ich wohl nicht näher zu besprechen.

Hat der Student sein Staatsexamen gemacht, so ist er heutzutage
"fertig." Der Philolog und der Jurist müssen, ehe sie in ihren Beruf eintreten,
eine Zeit lang praktisch thätig sein, der Mediziner nicht. Das ist doch die
verkehrte Welt. Der junge Dr. meat. und prall. Arzt steht meist ganz ratlos
vor den einfachsten Fällen. Darum ist die Ableistung einer mindestens ein¬
jährigen praktischen Arbeitszeit dringend geboten. Hier möchte ich nun einen
wichtigen Vorschlag machen.

Die Aufnahme junger Ärzte in Krankenhäuser und Kliniken ist heute fast
nur durch "Konnexionen" zu erreichen. So werden sehr oft tüchtige junge
Leute, die sich gern für ein Spezialfach ausbilden wollten, zurückgedrängt, nur
weil es ihnen nicht möglich gewesen ist, sich in jenen erlesenen Kreisen Ver¬
bindungen zu schaffen.

Deshalb ist es nötig, daß die Überweisung an die Kliniken durch eine
völlig unparteiische, aus Medizinern gebildete Zentralkommission geschieht;
daß also die jungen Ärzte einzig auf Grund ihres Zeugnisses je nach Bedarf
an diese Institute gewiesen werden. Man dürfte dabei natürlich nicht zu
schablonenmüßig verfahren; Mediziner, deren Zeugnis ganz besonders gute
Leistungen in einem Spezialfach -- soweit dieser Ausdruck beim Stcmts-
exnmenszeugnis angebracht ist -- aufweist, würden vorteilhaft an Spezial-
institute gewiesen werden.

Für eine nochmalige eigentliche Prüfung am Ende der einjährigen prak¬
tischen Arbeitszeit bin ich nicht. Man wird den jungen Arzt sorgfältig be¬
obachten, ihn möglichst selbständig handeln lassen und doch streng überwachen;
kann ihm dann das Zeugnis eiuer gewisse" diagnostischen Sicherheit und thera¬
peutischen Erfahrung ausgestellt werden, so mag er gehen; wo nicht, so wird
es nur in seinem eignen Interesse liegen, noch weiter mitzuarbeiten.

Die spezialistische Ausbildung nimmt natürlich einen längern Zeitraum
in Anspruch. Ob hier nicht sogar scharfe Prüfungen einzuführen wären, auf
Grund deren der Titel "Spezialarzt" verliehen werden könnte, wäre noch zu
erwägen. Es ist ja unglaublich, was sich hente alles für Spezialisten aus¬
giebt. Damit soll natürlich nicht verlangt werden, daß sich ein praktischer
Arzt auf keine andre Weise zum Spezialisten ausbilden dürfe, es soll sich nur
niemand vor Ablegung der angeordneten Prüfung den Titel beilegen.


Grenzboten III 1895 5g
Das medizinische Studium

Tüchtigkeit sein. Statt dessen ersieht man daraus nichts, als daß der „Doktor"
seinerzeit 500 Mark gehabt oder sich geborgt hat, um zu promoviren. Das
ist ein Zopf, der nicht mehr ehrwürdig, sondern lächerlich ist, und dessen sich
das neunzehnte Jahrhundert schämen sollte. Ahnen wir doch das Beispiel
Österreichs nach, das uns in diesem Punkte weit voraus ist: dort wird mit
dem Bestehen des Staatsexamens der Doktortitel, wie bei uns der Titel „Arzt"
verliehen — das einzig richtige. Die Dissertationen und ihren wissenschaft¬
lichen Wert brauche ich wohl nicht näher zu besprechen.

Hat der Student sein Staatsexamen gemacht, so ist er heutzutage
«fertig." Der Philolog und der Jurist müssen, ehe sie in ihren Beruf eintreten,
eine Zeit lang praktisch thätig sein, der Mediziner nicht. Das ist doch die
verkehrte Welt. Der junge Dr. meat. und prall. Arzt steht meist ganz ratlos
vor den einfachsten Fällen. Darum ist die Ableistung einer mindestens ein¬
jährigen praktischen Arbeitszeit dringend geboten. Hier möchte ich nun einen
wichtigen Vorschlag machen.

Die Aufnahme junger Ärzte in Krankenhäuser und Kliniken ist heute fast
nur durch „Konnexionen" zu erreichen. So werden sehr oft tüchtige junge
Leute, die sich gern für ein Spezialfach ausbilden wollten, zurückgedrängt, nur
weil es ihnen nicht möglich gewesen ist, sich in jenen erlesenen Kreisen Ver¬
bindungen zu schaffen.

Deshalb ist es nötig, daß die Überweisung an die Kliniken durch eine
völlig unparteiische, aus Medizinern gebildete Zentralkommission geschieht;
daß also die jungen Ärzte einzig auf Grund ihres Zeugnisses je nach Bedarf
an diese Institute gewiesen werden. Man dürfte dabei natürlich nicht zu
schablonenmüßig verfahren; Mediziner, deren Zeugnis ganz besonders gute
Leistungen in einem Spezialfach — soweit dieser Ausdruck beim Stcmts-
exnmenszeugnis angebracht ist — aufweist, würden vorteilhaft an Spezial-
institute gewiesen werden.

Für eine nochmalige eigentliche Prüfung am Ende der einjährigen prak¬
tischen Arbeitszeit bin ich nicht. Man wird den jungen Arzt sorgfältig be¬
obachten, ihn möglichst selbständig handeln lassen und doch streng überwachen;
kann ihm dann das Zeugnis eiuer gewisse» diagnostischen Sicherheit und thera¬
peutischen Erfahrung ausgestellt werden, so mag er gehen; wo nicht, so wird
es nur in seinem eignen Interesse liegen, noch weiter mitzuarbeiten.

Die spezialistische Ausbildung nimmt natürlich einen längern Zeitraum
in Anspruch. Ob hier nicht sogar scharfe Prüfungen einzuführen wären, auf
Grund deren der Titel „Spezialarzt" verliehen werden könnte, wäre noch zu
erwägen. Es ist ja unglaublich, was sich hente alles für Spezialisten aus¬
giebt. Damit soll natürlich nicht verlangt werden, daß sich ein praktischer
Arzt auf keine andre Weise zum Spezialisten ausbilden dürfe, es soll sich nur
niemand vor Ablegung der angeordneten Prüfung den Titel beilegen.


Grenzboten III 1895 5g
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[0425] Das medizinische Studium Tüchtigkeit sein. Statt dessen ersieht man daraus nichts, als daß der „Doktor" seinerzeit 500 Mark gehabt oder sich geborgt hat, um zu promoviren. Das ist ein Zopf, der nicht mehr ehrwürdig, sondern lächerlich ist, und dessen sich das neunzehnte Jahrhundert schämen sollte. Ahnen wir doch das Beispiel Österreichs nach, das uns in diesem Punkte weit voraus ist: dort wird mit dem Bestehen des Staatsexamens der Doktortitel, wie bei uns der Titel „Arzt" verliehen — das einzig richtige. Die Dissertationen und ihren wissenschaft¬ lichen Wert brauche ich wohl nicht näher zu besprechen. Hat der Student sein Staatsexamen gemacht, so ist er heutzutage «fertig." Der Philolog und der Jurist müssen, ehe sie in ihren Beruf eintreten, eine Zeit lang praktisch thätig sein, der Mediziner nicht. Das ist doch die verkehrte Welt. Der junge Dr. meat. und prall. Arzt steht meist ganz ratlos vor den einfachsten Fällen. Darum ist die Ableistung einer mindestens ein¬ jährigen praktischen Arbeitszeit dringend geboten. Hier möchte ich nun einen wichtigen Vorschlag machen. Die Aufnahme junger Ärzte in Krankenhäuser und Kliniken ist heute fast nur durch „Konnexionen" zu erreichen. So werden sehr oft tüchtige junge Leute, die sich gern für ein Spezialfach ausbilden wollten, zurückgedrängt, nur weil es ihnen nicht möglich gewesen ist, sich in jenen erlesenen Kreisen Ver¬ bindungen zu schaffen. Deshalb ist es nötig, daß die Überweisung an die Kliniken durch eine völlig unparteiische, aus Medizinern gebildete Zentralkommission geschieht; daß also die jungen Ärzte einzig auf Grund ihres Zeugnisses je nach Bedarf an diese Institute gewiesen werden. Man dürfte dabei natürlich nicht zu schablonenmüßig verfahren; Mediziner, deren Zeugnis ganz besonders gute Leistungen in einem Spezialfach — soweit dieser Ausdruck beim Stcmts- exnmenszeugnis angebracht ist — aufweist, würden vorteilhaft an Spezial- institute gewiesen werden. Für eine nochmalige eigentliche Prüfung am Ende der einjährigen prak¬ tischen Arbeitszeit bin ich nicht. Man wird den jungen Arzt sorgfältig be¬ obachten, ihn möglichst selbständig handeln lassen und doch streng überwachen; kann ihm dann das Zeugnis eiuer gewisse» diagnostischen Sicherheit und thera¬ peutischen Erfahrung ausgestellt werden, so mag er gehen; wo nicht, so wird es nur in seinem eignen Interesse liegen, noch weiter mitzuarbeiten. Die spezialistische Ausbildung nimmt natürlich einen längern Zeitraum in Anspruch. Ob hier nicht sogar scharfe Prüfungen einzuführen wären, auf Grund deren der Titel „Spezialarzt" verliehen werden könnte, wäre noch zu erwägen. Es ist ja unglaublich, was sich hente alles für Spezialisten aus¬ giebt. Damit soll natürlich nicht verlangt werden, daß sich ein praktischer Arzt auf keine andre Weise zum Spezialisten ausbilden dürfe, es soll sich nur niemand vor Ablegung der angeordneten Prüfung den Titel beilegen. Grenzboten III 1895 5g

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/425>, abgerufen am 16.06.2024.