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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Wandlungen des Ich im Aeitenstroine

Menschengestalt, auf eine Frühlingslandschaft genügt zum Beweise, daß der
Weltschöpfer kein solcher Teufel sein kann.*) Dann -- wie schon bei einer
andern Gelegenheit erwähnt worden ist -- lernte ich die Geschichte der Hexen-
prozesse kennen, und daraus wurde mir klar, daß die Kirche keine göttliche
Einrichtung im dogmatischen Sinne des Worts sein könne. Der Strenge des
Bekenntnisses nach, das die katholische Kirche fordert, war ich also schon ein
Ketzer. Die lebhafte, mir durchaus zusagende Thätigkeit verbarg mir das.
Wissen und wissen ist zweierlei. Wie das bloße Wissen der auswendig ge¬
lernten Glaubenssätze bei den gewöhnlichen Menschen gar keine, bei außer¬
ordentlichen, die ihnen nachhängen und nachdenken, die außerordentlichsten Wir¬
kungen hervorbringt, so haben auch Risse in der Glaubensgrundlage nicht
sofort den Sturz in den Unglauben zur Folge; erst wenn man längere Zeit
aufmerksam in die Abgründe hinabblickt, wird man schwindlig und stürzt
hinein.

Während ich mich selbst noch für orthodox hielt, begannen die eifrigen
Katholiken der Gemeinde schon an mir zu zweifeln. Sie haben es mich nicht
merken lassen, ich lebte in freundschaftlichem Verkehr mit ihnen, aber später
hat man mirs gesagt. Was sie zuerst stutzig machte, waren politische Ketzereien.
Ich war liberal und beteiligte mich nicht um der Wahlagitation, die damals,
in der Konfliktszeit, von den schlesischen Katholiken für Bismarck, in dem sie
den Hort der Autorität verehrten, eifrig betrieben wurde. Der Krieg gegen
das katholische Österreich 1866 kühlte ihre Liebe für Bismarck und König
Wilhelm stark ab, während ich gerade dadurch vor beiden Respekt bekam und
so nun wieder im politischen vlmssL-oroiss meinen guten Freunden gegenüber
zu stehen kam, was mir übrigens seitdem öfter begegnet ist. Dann vermochte
ich den Ton, den die Hausblätter gegen "Protestanten, Juden und Freimaurer"
anschlugen, sowie das ewige Gejammer der Kirchengewaltigen über die Ver¬
derbnis der Welt und über die Kirchenverfolgung nicht zu vertragen und
sprach mich sowohl in der Unterhaltung wie auf der Kanzel gegen beides aus.
Ich gehörte der Richtung Montalemberts an und sah in der katholischen
Kirche die Kulturmacht, die als geistige Sonne alles Große, Gute und Schöne,
das in der Menschheit schlummert, hervorzulocken und zur Reife zu bringen
berufen sei. Dazu wollten die Jeremiaden der Frommen, Försters Hirten¬
briefe und die päpstlichen Kundgebungen, namentlich die berüchtigte Eneyklikci
mit dem Syllabus, schlecht stimmen. Als einmal in einem Hirtenbriefe die
dumme Redensart stand, die Welt schwimme in einem Meere von Fleisch,
äußerte ich mich zu meinen Amtsbrüdern, der Welt, mit der es unser Bischof
zu thun habe, und die größtenteils aus armen Teufeln bestehe, könnte es gar



In dem "--u^-os des Neuen Testaments liegt noch nicht der philosophische Begriff
der Ewigkeit.
Wandlungen des Ich im Aeitenstroine

Menschengestalt, auf eine Frühlingslandschaft genügt zum Beweise, daß der
Weltschöpfer kein solcher Teufel sein kann.*) Dann — wie schon bei einer
andern Gelegenheit erwähnt worden ist — lernte ich die Geschichte der Hexen-
prozesse kennen, und daraus wurde mir klar, daß die Kirche keine göttliche
Einrichtung im dogmatischen Sinne des Worts sein könne. Der Strenge des
Bekenntnisses nach, das die katholische Kirche fordert, war ich also schon ein
Ketzer. Die lebhafte, mir durchaus zusagende Thätigkeit verbarg mir das.
Wissen und wissen ist zweierlei. Wie das bloße Wissen der auswendig ge¬
lernten Glaubenssätze bei den gewöhnlichen Menschen gar keine, bei außer¬
ordentlichen, die ihnen nachhängen und nachdenken, die außerordentlichsten Wir¬
kungen hervorbringt, so haben auch Risse in der Glaubensgrundlage nicht
sofort den Sturz in den Unglauben zur Folge; erst wenn man längere Zeit
aufmerksam in die Abgründe hinabblickt, wird man schwindlig und stürzt
hinein.

Während ich mich selbst noch für orthodox hielt, begannen die eifrigen
Katholiken der Gemeinde schon an mir zu zweifeln. Sie haben es mich nicht
merken lassen, ich lebte in freundschaftlichem Verkehr mit ihnen, aber später
hat man mirs gesagt. Was sie zuerst stutzig machte, waren politische Ketzereien.
Ich war liberal und beteiligte mich nicht um der Wahlagitation, die damals,
in der Konfliktszeit, von den schlesischen Katholiken für Bismarck, in dem sie
den Hort der Autorität verehrten, eifrig betrieben wurde. Der Krieg gegen
das katholische Österreich 1866 kühlte ihre Liebe für Bismarck und König
Wilhelm stark ab, während ich gerade dadurch vor beiden Respekt bekam und
so nun wieder im politischen vlmssL-oroiss meinen guten Freunden gegenüber
zu stehen kam, was mir übrigens seitdem öfter begegnet ist. Dann vermochte
ich den Ton, den die Hausblätter gegen „Protestanten, Juden und Freimaurer"
anschlugen, sowie das ewige Gejammer der Kirchengewaltigen über die Ver¬
derbnis der Welt und über die Kirchenverfolgung nicht zu vertragen und
sprach mich sowohl in der Unterhaltung wie auf der Kanzel gegen beides aus.
Ich gehörte der Richtung Montalemberts an und sah in der katholischen
Kirche die Kulturmacht, die als geistige Sonne alles Große, Gute und Schöne,
das in der Menschheit schlummert, hervorzulocken und zur Reife zu bringen
berufen sei. Dazu wollten die Jeremiaden der Frommen, Försters Hirten¬
briefe und die päpstlichen Kundgebungen, namentlich die berüchtigte Eneyklikci
mit dem Syllabus, schlecht stimmen. Als einmal in einem Hirtenbriefe die
dumme Redensart stand, die Welt schwimme in einem Meere von Fleisch,
äußerte ich mich zu meinen Amtsbrüdern, der Welt, mit der es unser Bischof
zu thun habe, und die größtenteils aus armen Teufeln bestehe, könnte es gar



In dem «--u^-os des Neuen Testaments liegt noch nicht der philosophische Begriff
der Ewigkeit.
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[0429] Wandlungen des Ich im Aeitenstroine Menschengestalt, auf eine Frühlingslandschaft genügt zum Beweise, daß der Weltschöpfer kein solcher Teufel sein kann.*) Dann — wie schon bei einer andern Gelegenheit erwähnt worden ist — lernte ich die Geschichte der Hexen- prozesse kennen, und daraus wurde mir klar, daß die Kirche keine göttliche Einrichtung im dogmatischen Sinne des Worts sein könne. Der Strenge des Bekenntnisses nach, das die katholische Kirche fordert, war ich also schon ein Ketzer. Die lebhafte, mir durchaus zusagende Thätigkeit verbarg mir das. Wissen und wissen ist zweierlei. Wie das bloße Wissen der auswendig ge¬ lernten Glaubenssätze bei den gewöhnlichen Menschen gar keine, bei außer¬ ordentlichen, die ihnen nachhängen und nachdenken, die außerordentlichsten Wir¬ kungen hervorbringt, so haben auch Risse in der Glaubensgrundlage nicht sofort den Sturz in den Unglauben zur Folge; erst wenn man längere Zeit aufmerksam in die Abgründe hinabblickt, wird man schwindlig und stürzt hinein. Während ich mich selbst noch für orthodox hielt, begannen die eifrigen Katholiken der Gemeinde schon an mir zu zweifeln. Sie haben es mich nicht merken lassen, ich lebte in freundschaftlichem Verkehr mit ihnen, aber später hat man mirs gesagt. Was sie zuerst stutzig machte, waren politische Ketzereien. Ich war liberal und beteiligte mich nicht um der Wahlagitation, die damals, in der Konfliktszeit, von den schlesischen Katholiken für Bismarck, in dem sie den Hort der Autorität verehrten, eifrig betrieben wurde. Der Krieg gegen das katholische Österreich 1866 kühlte ihre Liebe für Bismarck und König Wilhelm stark ab, während ich gerade dadurch vor beiden Respekt bekam und so nun wieder im politischen vlmssL-oroiss meinen guten Freunden gegenüber zu stehen kam, was mir übrigens seitdem öfter begegnet ist. Dann vermochte ich den Ton, den die Hausblätter gegen „Protestanten, Juden und Freimaurer" anschlugen, sowie das ewige Gejammer der Kirchengewaltigen über die Ver¬ derbnis der Welt und über die Kirchenverfolgung nicht zu vertragen und sprach mich sowohl in der Unterhaltung wie auf der Kanzel gegen beides aus. Ich gehörte der Richtung Montalemberts an und sah in der katholischen Kirche die Kulturmacht, die als geistige Sonne alles Große, Gute und Schöne, das in der Menschheit schlummert, hervorzulocken und zur Reife zu bringen berufen sei. Dazu wollten die Jeremiaden der Frommen, Försters Hirten¬ briefe und die päpstlichen Kundgebungen, namentlich die berüchtigte Eneyklikci mit dem Syllabus, schlecht stimmen. Als einmal in einem Hirtenbriefe die dumme Redensart stand, die Welt schwimme in einem Meere von Fleisch, äußerte ich mich zu meinen Amtsbrüdern, der Welt, mit der es unser Bischof zu thun habe, und die größtenteils aus armen Teufeln bestehe, könnte es gar In dem «--u^-os des Neuen Testaments liegt noch nicht der philosophische Begriff der Ewigkeit.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/429>, abgerufen am 16.06.2024.