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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Wandlungen des Ich im Zeitenstrome

Wahl zitirt werden. Viel lesen kommt den Praktikern und den Frommen an
sich schon gefährlich und verdächtig vor. In sah. hatte mir der früher er¬
wähnte Windhund, als er einmal auf dem frühern Schauplatz seiner Kneipen¬
abenteuer zum Besuch weilte, kopfschüttelnd gesagt: Hör mal, du liest zu viel,
das taugt gar nichts; und der Bischof Rudigier soll einen Geistlichen, der
ihm ein gelehrtes Werk zur Approbation einreichte, mit den Worten angefahren
haben: Wenn Sie so viel studiren und schreiben, können Sie doch unmöglich
ihr Vreviergebet vollständig verrichten!

Meinen täglichen Spaziergang machte ich damals gewöhnlich mit einem
jüngern Freunde, der vor Empfang der höhern Weihen aus dem Alumnat
ausgetreten, aber sehr fromm geblieben war -- er beichtete jeden Sonnabend --
und sich vorläufig der Malerei widmete (jetzt ist er Professor der Kunst¬
geschichte). Er war ganz meiner Ansicht und ebenso bekümmert um die Zu¬
kunft der Kirche und des Vaterlandes wie ich. Es ist eine schreckliche Zeit,
sagte er einmal; das alte Feldgeschrei: hie Luther, hie Papst, wie vor drei¬
hundert Jahren! Wir erörterten auch zusammen die Frage, ob es nicht geraten
oder sogar Pflicht Ware, gegen den ultramontanen Fanatismus mit einer
öffentlichen Erklärung aufzutreten, kamen aber zu dem Ergebnis, daß es sich
nicht empfehle, weil sich an jede solche Erklärung der ungläubige Janhagel
zu hängen und dadurch ihre Wirkung auf die Gläubigen zu vernichten pflege.
Wie verschieden doch dieselben Ereignisse auf verschiedne Gemüter wirken!
Während mich meine öffentliche Erklärung, die ich einige Zeit darauf gegen
meinen Vorsatz abgab, weiter nach links drängte, sagte sich mein junger Freund,
der mit ihrem Inhalt einverstanden sein mußte, sobald sie erschienen war,
augenblicklich und entschieden von mir los und erklärte meinem Bruder, die
Giftbude besuche er nicht mehr. Damit meinte er eine Konditorei, in der
wir öfter zusammen Kaffee getrunken und Zeitschriften, namentlich die Grenz¬
boten, gelesen hatte". Er trat im Herbst wieder ins Alumnat, ließ sich zum
Priester weihen und bewog mitten im Kulturkampf seinen Protestantischen
Vater, den Geheimen Oberregierungsrat F., zu konvertiren.

In eine eigentümliche Verlegenheit brachte mich kurz vor Ostern 1870
ein Schüler. Er war in diesem Jahre der einzige katholische Abiturient am
Gymnasium, und ich hatte ihm drei Themata zu stellen, ans denen der Schulrat
dann eins aufwühlte. Eines Abends ließ ich mir seine drei Ausarbeitungen
vortragen; da klang nun die eine, die von der Kirchenverfassung handelte,
gerade so, als hätte er meine damalige Ansicht widerlegen wollen. An Absicht
war gar nicht zu denken, denn erstens war er ein ganz argloses Gemüt und
bei tüchtigen Kenntnissen demi Herzen nach das reine Kind, und zweitens
wußte er von meiner innern Wandlung nichts, wenigstens konnte er keine deut¬
liche Vorstellung davon haben, wenn er sie auch aus einzelnen Äußerungen
ahnen mochte. Er hatte sich eben das vor zwei oder drei Jahren von mir


Wandlungen des Ich im Zeitenstrome

Wahl zitirt werden. Viel lesen kommt den Praktikern und den Frommen an
sich schon gefährlich und verdächtig vor. In sah. hatte mir der früher er¬
wähnte Windhund, als er einmal auf dem frühern Schauplatz seiner Kneipen¬
abenteuer zum Besuch weilte, kopfschüttelnd gesagt: Hör mal, du liest zu viel,
das taugt gar nichts; und der Bischof Rudigier soll einen Geistlichen, der
ihm ein gelehrtes Werk zur Approbation einreichte, mit den Worten angefahren
haben: Wenn Sie so viel studiren und schreiben, können Sie doch unmöglich
ihr Vreviergebet vollständig verrichten!

Meinen täglichen Spaziergang machte ich damals gewöhnlich mit einem
jüngern Freunde, der vor Empfang der höhern Weihen aus dem Alumnat
ausgetreten, aber sehr fromm geblieben war — er beichtete jeden Sonnabend —
und sich vorläufig der Malerei widmete (jetzt ist er Professor der Kunst¬
geschichte). Er war ganz meiner Ansicht und ebenso bekümmert um die Zu¬
kunft der Kirche und des Vaterlandes wie ich. Es ist eine schreckliche Zeit,
sagte er einmal; das alte Feldgeschrei: hie Luther, hie Papst, wie vor drei¬
hundert Jahren! Wir erörterten auch zusammen die Frage, ob es nicht geraten
oder sogar Pflicht Ware, gegen den ultramontanen Fanatismus mit einer
öffentlichen Erklärung aufzutreten, kamen aber zu dem Ergebnis, daß es sich
nicht empfehle, weil sich an jede solche Erklärung der ungläubige Janhagel
zu hängen und dadurch ihre Wirkung auf die Gläubigen zu vernichten pflege.
Wie verschieden doch dieselben Ereignisse auf verschiedne Gemüter wirken!
Während mich meine öffentliche Erklärung, die ich einige Zeit darauf gegen
meinen Vorsatz abgab, weiter nach links drängte, sagte sich mein junger Freund,
der mit ihrem Inhalt einverstanden sein mußte, sobald sie erschienen war,
augenblicklich und entschieden von mir los und erklärte meinem Bruder, die
Giftbude besuche er nicht mehr. Damit meinte er eine Konditorei, in der
wir öfter zusammen Kaffee getrunken und Zeitschriften, namentlich die Grenz¬
boten, gelesen hatte». Er trat im Herbst wieder ins Alumnat, ließ sich zum
Priester weihen und bewog mitten im Kulturkampf seinen Protestantischen
Vater, den Geheimen Oberregierungsrat F., zu konvertiren.

In eine eigentümliche Verlegenheit brachte mich kurz vor Ostern 1870
ein Schüler. Er war in diesem Jahre der einzige katholische Abiturient am
Gymnasium, und ich hatte ihm drei Themata zu stellen, ans denen der Schulrat
dann eins aufwühlte. Eines Abends ließ ich mir seine drei Ausarbeitungen
vortragen; da klang nun die eine, die von der Kirchenverfassung handelte,
gerade so, als hätte er meine damalige Ansicht widerlegen wollen. An Absicht
war gar nicht zu denken, denn erstens war er ein ganz argloses Gemüt und
bei tüchtigen Kenntnissen demi Herzen nach das reine Kind, und zweitens
wußte er von meiner innern Wandlung nichts, wenigstens konnte er keine deut¬
liche Vorstellung davon haben, wenn er sie auch aus einzelnen Äußerungen
ahnen mochte. Er hatte sich eben das vor zwei oder drei Jahren von mir


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[0434] Wandlungen des Ich im Zeitenstrome Wahl zitirt werden. Viel lesen kommt den Praktikern und den Frommen an sich schon gefährlich und verdächtig vor. In sah. hatte mir der früher er¬ wähnte Windhund, als er einmal auf dem frühern Schauplatz seiner Kneipen¬ abenteuer zum Besuch weilte, kopfschüttelnd gesagt: Hör mal, du liest zu viel, das taugt gar nichts; und der Bischof Rudigier soll einen Geistlichen, der ihm ein gelehrtes Werk zur Approbation einreichte, mit den Worten angefahren haben: Wenn Sie so viel studiren und schreiben, können Sie doch unmöglich ihr Vreviergebet vollständig verrichten! Meinen täglichen Spaziergang machte ich damals gewöhnlich mit einem jüngern Freunde, der vor Empfang der höhern Weihen aus dem Alumnat ausgetreten, aber sehr fromm geblieben war — er beichtete jeden Sonnabend — und sich vorläufig der Malerei widmete (jetzt ist er Professor der Kunst¬ geschichte). Er war ganz meiner Ansicht und ebenso bekümmert um die Zu¬ kunft der Kirche und des Vaterlandes wie ich. Es ist eine schreckliche Zeit, sagte er einmal; das alte Feldgeschrei: hie Luther, hie Papst, wie vor drei¬ hundert Jahren! Wir erörterten auch zusammen die Frage, ob es nicht geraten oder sogar Pflicht Ware, gegen den ultramontanen Fanatismus mit einer öffentlichen Erklärung aufzutreten, kamen aber zu dem Ergebnis, daß es sich nicht empfehle, weil sich an jede solche Erklärung der ungläubige Janhagel zu hängen und dadurch ihre Wirkung auf die Gläubigen zu vernichten pflege. Wie verschieden doch dieselben Ereignisse auf verschiedne Gemüter wirken! Während mich meine öffentliche Erklärung, die ich einige Zeit darauf gegen meinen Vorsatz abgab, weiter nach links drängte, sagte sich mein junger Freund, der mit ihrem Inhalt einverstanden sein mußte, sobald sie erschienen war, augenblicklich und entschieden von mir los und erklärte meinem Bruder, die Giftbude besuche er nicht mehr. Damit meinte er eine Konditorei, in der wir öfter zusammen Kaffee getrunken und Zeitschriften, namentlich die Grenz¬ boten, gelesen hatte». Er trat im Herbst wieder ins Alumnat, ließ sich zum Priester weihen und bewog mitten im Kulturkampf seinen Protestantischen Vater, den Geheimen Oberregierungsrat F., zu konvertiren. In eine eigentümliche Verlegenheit brachte mich kurz vor Ostern 1870 ein Schüler. Er war in diesem Jahre der einzige katholische Abiturient am Gymnasium, und ich hatte ihm drei Themata zu stellen, ans denen der Schulrat dann eins aufwühlte. Eines Abends ließ ich mir seine drei Ausarbeitungen vortragen; da klang nun die eine, die von der Kirchenverfassung handelte, gerade so, als hätte er meine damalige Ansicht widerlegen wollen. An Absicht war gar nicht zu denken, denn erstens war er ein ganz argloses Gemüt und bei tüchtigen Kenntnissen demi Herzen nach das reine Kind, und zweitens wußte er von meiner innern Wandlung nichts, wenigstens konnte er keine deut¬ liche Vorstellung davon haben, wenn er sie auch aus einzelnen Äußerungen ahnen mochte. Er hatte sich eben das vor zwei oder drei Jahren von mir

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/434>, abgerufen am 16.06.2024.